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Mchmtz-MW Verantwortlicher Redacteur: Paul Ahne in Dippoldiswalde. 55. Jahrgang Sonnabend, den 2. November 1889 Nr. 130 ie auch sehr wohl die Bedeutung des Besuches Kaiser Wilhelms in Konstantinopel zu würdigen und wird der Empfang des Oberhauptes des Deutschen Reiches in der Sultansstadt ein ungemein glänzender sein. Der Telegraph aus Konstantinopel berichtet von An strengungen anläßlich des in Sicht befindlichen Kaiser besuches, die als sür türkische Verhältnisse und Ge pflogenheiten ganz ungewöhnlich bezeichnet werden müssen und die soweit gehen, daß Abdul Hamid Heer und Flotte zu Ehren des kaiserlichen Gastes theilweise neu ausstasfiren läßt. Ein stattliches türkisches Ge schwader wird das deutsche Kaiserpaar — das Gerücht, die Kaiserin würde ihren Gemahl nicht nach Konstan tinopel begleiten, bestätigt sich nicht — bereits am Eingänge der Dardanellen begrüßen und nach der Hauptstadt geleiten, woselbst die Ankunst der Maje stäten im Laufe des Sonnabend erfolgen dürfte, auf Befehl des Sultans ist Alles angeordnet, seinen hohen Besuch nach den Gebräuchen reichster türkischer Gast freundschaft zu ehren. Dieser seiner in der Sultans stadt harrende glänzende Empfang wird dem deutschen Kaiser sagen, daß man in den leitenden türkischen Kreisen seinen Besuch mit besonderer Freudigkeit empfindet und die Bedeutung des Ereignisses für die Stärkung der politischen Stellung der Türkei zu schätzen versteht und somit wird die Kaiserreise nach dem Bosporus nur zur Befestigung der so freund schaftlichen deutsch-türkischen Beziehungen dienen und diese Freundschaft liegt schließlich gewiß nur im In teresse des Dreibundes und seiner Friedenspolitik. Kaiser Wilhelm in Kaa-anlmopel. In diesen Tagen wird Kaiser Wilhelm, von den Hochzeitsfeierlichkeiten am griechischen Hofe kommend, in die Mauern Konstantinopels einziehen, um auch dem Beherrscher des Osmanenreiches seinen Besuch zu machen und mit diesem Ereignisse erhält die Orienl- sahrt des jugendlichen Monarchen ihren effektvollen Abschluß. Seit den Zeiten Kaiser Sigismunds, also seit beinahe fünf Jahrhunderten, hat kein deutscher Kaiser mehr in der uralten Kaiserstadt am Bosporus geweilt, und auch sonst haben sich in derselben nur ielten regierende Fürsten blicken lassen, so daß der Besuch, welchen jetzt Kaiser Wilhelm in der türkischen Hauptstadt abzustallen im Begriff steht, schon deshalb ein seltener Vorgang ist. Daß dieser einen bedeut samen politischen Hintergrund aufweist, ergiebt sich aus den ganzen das Ereigniß begleitenden Umständen und selbst wenn man annimmt, daß der deutsche Monarch zunächst nur aus höflichen Rücksichten für Sultan Abdul Hamid am goldnen Horn erscheint, so wird hierdurch die innere Bedeutung des Kaiserbesuches in Stambul nicht abgeschwächl. Charaklerisirt er sich doch als eine Konsequenz der von Kaiser Wilhelm an den europäischen Höfen bisher gemachten Besuche und offenbar bedeutet das Erscheinen des deutschen Herr schers in Stambul eine Anerkennung der Stellung des türkischen Reiches in der europäischen Staalenordnung und zugleich eine Besiegelung des freundschaftlichen Verhältnisses, in welchem die Pforte schon seit Langem zu dem neuen Deutschen Reiche stehe. Allerdings darf aber anderseits die Bedeutung dieses Ereignisses auch nicht überschätzt werden und am allerwenigsten sind von der Begegnung Kaiser Wilhelms mit dem Sultan irgendwelche politische Abmachungen zu erwarten. Ge wisse russische und französische Blätter bemühen sich freilich eifrigst, die Sache so darzustellen, als ob durch die Monarchenbegegnung von Konstantinopel der tür kische Herrscher zum Beitritt zum Dreibund veranlaßt werden solle, es bedarf indessen wohl kaum einer be sonderen Versicherung, daß man in Berlin nicht im Entferntesten an einen derartigen Schritt denkt. Die drei Mächte, welche die jetzige europäische Tripel- Allianz bilden, sind in ihrer innigen Gemeinschaft ge wiß stark genug, um des formellen Anschlusses von anderen Staaten an ihren Bund entbehren zu können und außerdem widersprechen gerade dem Eintritte der Türkei in das deutsch-österreichisch-italienische Bündniß verschiedene spezielle Gründe, so daß dieses Projekt keinen Augenblick ernst genommen zu werden braucht. Immerhin jedoch gewährt das Erscheinen des deutschen Kaisers am Hofe des Sultans dem Osmanenreiche in seinem Daseinskampfs eine nicht zu unterschätzende Unterstützung und bedeutet demnach eine mittelbare Schwächung all' der ununterbrochenen Bestrebungen, die auf die staatliche Zertrümmerung der Türkei, hier mit aber auf den Ausbruch des längst drohenden Welt krieges zielen. Zudem erhält das Ansehen des Pa dischah durch die Zusammenkunft mit dem mächtigen Schirmherrn des Deutschen Reiches in den Augen der Moslims neuen Glanz, in der ganzen Leoante und soweit überhaupt die muhammedanische Welt dem Sultan in Stambul als Nachfolger des Propheten verehrt, wird man von dem Kaiserbesuche am Bos porus reden und denselben zu Gunsten des Grobherrn auslegen. Sultan Abdul Hamid selbst weiß denn -Lokales und Sächsisches. Dippoldiswalde, 1. November. Es war eine für die Kirchgemeinde Dippoldiswalde höchst erfreuliche Nachricht, zu erfahren, daß der Kirchenvorstand noch in letzter Stunde beschlossen hatte, das 350 jährige Erinnerungsfest an die Einführung der Refor mation in dem albertinischen Sachsen, insbesondere bei uns, nicht zu verschieben, sondern es in Gemein schaft mit den andern Gemeinden der Ephorie bereits zum heurigen Resormationsfeste zu begehen. Und ob gleich die Zeit von dem Montag Abend gefaßten Beschlüsse an eine sehr kurze war. um die nöthigen Vorbereitungen zu treffen, darf man doch mit Genug tuung die Theilnahme der Kirchengemeinde in allen ihren Theilen als eine höchst erfreuliche, und die ganze Ausführung des Festes als eine würdige offen an erkennen. Wenn dieser Erfolg selbstverständlich nur unter Aufbietung aller Kräfte zu erzielen war, so wollen wir nicht unterlassen auch unsererseits allen Betheiligten für ihre sofortige Bereitwilligkeit hierdurch herzlichen Dank auszusprechen. — Die Festfeier be gann am Vorabende durch Einläuten und Gesänge des Kirchenchores auf dem Markt. Am eigentlichen Festtage früh um 9 Uhr bewegte sich unter Glocken geläute ein stattlicher Zug vom Nathhause über den reich mit Fahnen geschmückten Markt nach der Kirche. Das städtische Musikchor und der Kirchenchor eröffneten denselben. Ihm folgten das von einer Deputation der städtischen Behörden getragene und begleitete Stadt banner, der Festprediger, Herr Diakonus Gruner, mit dem Kirchenvorstande, die königlichen und städtischen Behörden, die Lehrer, Deputationen des Gesang-, Militär- und Turnvereins, sowie der Müllerschule mit ihren Fahnen. Den Beschluß machte die Freiwillige Feuerwehr mit ihrem Musikkorps (das im Choral- RackbesteUinegen auf di- Monat- Aov-mb-r und A-jrmö-r u-hm-n di- kaiserl. Postämter m>d Briefträger, sowie die unterzeichnete Zeitungs-Expedition gern entgegen. Die im laufenden Vierteljahr bereits erschienenen „Jllustrirten Beilagen" können gegen geringes Entgelt» und soweit der Vorrath noch reicht, abgegeben werden. Dippoldiswalde. Expedition der „Weißeritz - Zeitung". Jnferate, welche bei der bedeutenden Auflage des Blattes «in» sehr wirk same Verbreitung finden, «erden mit 10 Psa. di« Spaltenzeile oder der« Raum berechnet. — Ta bellarische und complicirtt Inserate mit entsprechen dem Ausschlag. — Einge sandt, im redaktionellen Lheik, di, Spaltenzeil» SOPfg. r- blasen mit dem Stadtmusikkorps abwechselte) und ver schiedene Gemeindemitglieder. In der Kirche warm Altarplatz und Tausstein mit Topfgewächsen, letzterer auch mit einer großen Lutherbüste geschmückt. Die Kirche war von Andächtigen gefüllt. Der Kirchenchor führte in höchst anerkennenswerther Weise das Große Halleluja von Händel auf, auch begleitete das Statt musikkorps das Lutherlied: „Eine feste Burg ist unser Gott" mit Posaunen. Die Festpredigt hielt Herr Diakonus Gruner. Anknüpsend an da» alte schone Lutherlied „Eine seste Burg ist unser Gott," init seiner Glaubenssreudigkeit und Siegeszuver sicht, gedachte der Prediger unserer Tage, wo der alt« böse Feind nicht minder hart droht als damals, wo Rom nicht minder stark ist, zwar nicht an Süßerer Mach«, aber dafür an List. Aber wir fürchten uns dennoch nicht. Wir brauchen kein Schutz- und Trutzbündniß zu suchen, wie dies in unseren Tagen der Evan gelische Bund fein will — wir haben einen besseren Schutz, wir haltens mit dem Liede: Mit unsrer Mach« ist nichts gethan, Wir sind gar bald verloren, Es streit für uns der rechte Mann, Den Golt selbst bat erkoren. Fragst Du, wer der ist? Er heißt Jesus Christ. Dann ging Redner auf die besondere Bedeutung des Festes ein: Es sind Heuer 35V Jahre her, daß in Sachsen die Refor mation eingeführt wurde. Zwar waren schon von Anfang an rege Sympathien sür die neue Lehre im Volke vorbandrn, aber sie wurden mit Gewalt von Herzog Georg unterdrückt, dis er starb und sein Bruder Heinrich die Regiening übernahm, der dann nun sofort unter dem großen Jubel des Volkes die Refor mation einfübrte. Wir dankens unseren Kirchenvorstehern, welche die Gnadenguter, die uns vor 35V Jahren geschenkt worden sind, recht würdigen, daß es heute zu so schöner Festfeier gekommen ist. Aber wie feiem wir? Als GedSchtnißtag rückwärts blickend mit innigem Danke gegen Gott, der sich zu unseren Vätem be kannt nnd ihr Ringen und Kämpfen gesegnet hat, und — aus der Betrachtung dessen, wie sie gelebt, geliebt, gekämpft und ge rungen Haden — neuen Muth und neue Kraft schöpfend für dieselben Aufgaben unserer Tage. Zu solcher Festseier aber bietet sich uns das Wort Hebräer 13, 7 ganz von selber. — Unsere Rcformalionsfestseier im Jubel jahr sie soll getragen sein von dem Wort 1) Gedenket an Eure Lehrer, die Euch das Wort Gottes gesagt haben; 2) Folget ihrem Glauben nach. „Gedenket an Eure Lehrer!" Da drängt sich uns unwill kürlich das Bild Luthers vor die Seele. Er war ini eigentlichen Sinne des Wortes „ein Lehrer seiner Völker." Was wollte er mit seinen Tdesen? Nicht Revolution, sondern Reformation. WaS ihm in stiller Klosterzelle unter Gebet und Thränen, Fasten und Kasteien gewiß geworden war — was aber Jahrhunderte lang unter dem Schutt römischen Aberglaubens und römischer Unwissenheit verborgen gel-gen hatte — das köstliche Kleinod unseres Christenglaubens „Aus Gnaden seid ihr selig worden!" — das wollte er seinem Volke wiederaeben und dazu gab er ihm die heilige Schrift wieder in seiner theuren deutschen Mutter sprache. Nun wurden die Schwierigkeiten geschildert, mit denen Luther zu ringen hatte: ungenügende Kenntniß der beiden Grund sprachen, in denen die Schrift geschrieben ist, des Griechischen und Hebräischen; das Darniederliegen der deutschen Sprache, die Luther erst wieder zu Ehren gebracht, ja neu geschaffen hat. Da bei kam ihm besonders zu statten sein inniger Verkehr mit dem Volke, das er kannte und liebte wie Wenige, sür das er ge arbeitet und von dem er viel gelernt hat. Endlich >532 lag die ganze heilige Schrift im Druck vor und reiche Segensströme flössen aus der Buchdrucker« von HanS Lufst in Wittenberg in unser Volk. Aber nicht nur durch das gedruckte Wort brachte er deu Giaubensinhalt der heiligen Schrift dem Volke nahe, er sang ihn auch dem Volke ins Herz durch seine schönen Kirchen lieder, die geschöpft sind aus der Tiefe der heiligen Schrift. — Für die Jugend sorgte er durch seinen Katechismus und weit über die Grenzen Deutschland» hinaus hat er tn Segen gewirkt durch seine zahlreichen Schriften. Go war sein Wirken, so steht er vor unserer Seele als Lehrer seines Volkes, dem er das Wort Gottes gesagt hat, aber nun tritt auch an uns die Mahnung heran: „Folgt ihrem Glauben nach." Wir haben den reichen Segen der Reformation, aber: Wem viel gegeben ist, von dem wird man viel fordern. Wir sollen nun auch diese Segnungen recht würdigen. Da ist nun freilich Manches zu wünschen übrig. In den Dingen der Well sind wir vorwärts gekommen in unserer Zeit, aber in der Gottseligkeit dafür zurück. Wenn heute Luther wieder ausstünde, so würde er sich sehr wundern. Der Unglaube und die Gleichgültigkeit hat weite Schichten unseres Volkes an gefressen. Die römische Kirche mit ihrem festgefügt«» kirchlichen System und ihrer straffen Zucht freut sich unstrer Ohnmacht und Zerfahrenheit. Erst neulich ha« auf einem Katholikentag Einer ausgesprochen, daß Deutschland in 100 Jahren wieder gut katho lisch sein werde. Nun, soweit sind wir, Gott sel Dank, noch nicht, aber wir können so weit kommen, wenn wir die Augen nicht offen halten. — Noch ist ja der evangelische Geist nicht ,,Weißeritz. Jettung- erscheint wöchentlich drei ¬ mal: Dienstag, Donners ¬ tag und Sonnabend. — Preis vierteljährlich 1 M. 2K Pfg., zweimonatlich 84 Pfg-, einmonatlich 42 Pfg. Einzelne Nummern 10 Pfg- — Alle Postan- stalten, Postboten, sowie die Agenten nehmen Be- , , Amtsblatt für di- Königliche Amtshanplmannschaft Dippoldiswalde, sowie für di- Königlichen Amtsgerichte und dre Kt-dtrathe zu Dippoldiswalde und Irauenstern