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Kliugenberg. Vorgerückten Alters und einge tretener Schwächen wegen mußte am Neujahr der bisherige Kirchvater und Kassirer Gottlieb Gelfert in Klingenberg sein 19 Jahre lang mit Treue und Pflichteifer geführtes Amt aufgeben. Selbstredend waren ihm der Kirchenvorstand dankbar; aber auch die oberste Kirchenbehörde wußte ihn zu ehren; denn am voryergangenen Sonntage konnte Herr Pastor Blüher eine schön ausgeführte Urkunde vom evange lischen Landeskonsistorium dem greisen Kirchendiener übergeben. Leipzig. Die Stadtverordneten haben der Herab setzung der Lehrergehalte in den untersten Staffeln zugestimmt. Hilfslehrer, welche die Wahlsähigkeits- Prüfung noch nicht abgelegt haben, erhalten in Zu kunft 1200 M., solche aber, die schon das Wahlfähig keits-Examen hinter sich haben, 1350 M. Der An fangsgehalt der ständigen Lehrer beträgt 1500 Mark. Die dadurch ersparten Summen werden für Besser besoldung älterer Lehrer verwendet. Wenn am Schul etat 82,000 M. gespart werden können, so liegt das in der Hauptsache daran, daß wegen der geringen Zu nahme in der Zahl der Volksschüler die IX. Bezirks schule, die schon fertig ist, nicht eröffnet zu werden braucht. — Neuschönefeld kann die Gemeindean lagen infolge der günstigen finanziellen Verhältnisse von 50 auf 30 Prozent herabsetzen. — Die Generalversammlung der Leipziger Dis- kontogesellschaft, in welcher 142 Aktionäre mit 3097 Stimmen und 15,537 Aktien vertreten waren, beschloß, den Aussichtsrath nicht zu entlassen und (mit 3027 Stimmen gegen 55 Stimmen) den Klagweg gegen den Aussichtsrath zu betreten. Die hiesigen Auf- fichtsrathsmitglieber erklärten bereits schriftlich, falls die Generalversammlung ihre Entlassung nicht beschlösse, bleiben zu wollen. Der neueste Status ergiebt an Passiven 11,349,879, davon anzuerkennende 7,143,752, an Aktiven rund 4,746,000. Die Masse dürfte reich lich 60 Prozent ergeben. — Das „Leipz. Tgbl." schreibt: Die Forderung nach Einführung der obligatorischen Trichinenschau leitens der Landesregierung findet nunmehr in dem gröberen Theile der sächsischen Presse lebhafte Unter stützung. Allerdings haben sich einige Behörden ver anlaßt gesehen, für ihren Verwaltungsbezirk den Tri chinenschauzwang anzuempsehlen, solange jedoch derselbe im Lande kein allgemeiner ist, kann von einer voll ständigen Wirksamkeit dieser Anordnungen nicht die Rede sein. Andere Behörden haben zur Verminderung der Trichinengefahr gewisse Maßregeln ergriffen und damit den guten Willen dargethan, auch ihrerseits dem Uebel zu begegnen, statt dasselbe an das Publikum herankommen zu lassen. Indessen ist eine Beschwörung der Gefahr in vollem Umfange natürlich nicht möglich, so lange auch nur noch ein Stück Schweinefleisch in den Handel kommt, welches dem Trichinenschauer nicht vorgelegen hat. Neuerdings sind nun wiederum in mehreren Gegenden unseres Königsreichs Trichinen epidemien, und zwar solche bösartigsten Charakters ausgebrochen. Die Besorgniß ist ost die Mutter weiser Maßregeln, möcbte das auch diesmal zutreffen. In immer weitere Kreise dringt die Erkenntniß von der Nothwendigkeit der Einiührung einer obligatorischen Trichinenschau auf landesgesetzlichem Wege. Noch tagt unser Landtag in Dresden. Sollten nicht Regierung und Landtag zusammen auf dem Wege der Petition ersucht werden können, der angezogenen Frage näher zu treten? Bei den sich in letzter Zeit unheimlich an häufenden Fällen von Trichinenepivemien ist der Wunsch nach einer Sicherung gegen die Gefahr ein so allge meiner geworden, daß es nur einer Anregung von nicht einflußloser Seite bedarf, um eine Petition zu dem belegten Zwecke sich mit zahlreichen Unterschriften bedecken zu lassen. Obercunewalde. Der Trichinenbeschauer hier, welcher von den beim Schankwirth Angermann geschlachteten fünf Schweinen nur drei zur Unter suchung bekam, so daß die zwei ununtersuchten Schweine durch die von ihnen herrührenden verhängnißvollen Rauchwürstschen die Veranlassung zu der jetzt ausge brochenen schrecklichen Trichinosis wurden, war früher ein vermögender Bürger und Gastwirth in Dresden, dessen Geschäft aber zurückging, so daß er sich nach einem andern Nahrungszmeige umsehen mußte. Der selbe nahm einen Kursus in der Thierarzneischule und bewährte sich so ausgezeichnet, daß er beim Examen die 1 bekam. Nach vergeblichen Versuchen sowohl in Dresden, als in der Provinz irgend eine lohnende Stellung zu erlangen, theils weil die Trichinenschau noch nicht überall eingeführt ist, theils weil es schon viel ausgebildete Trichinenschauer giebt, wendete er sich endlich in die sächsische Oberlausitz in die Gegend von Neusalza und Obercunewalde, und hier wäre es ihm zum ersten Male verstattet gewesen, seine Kenntnisse mit Erfolg und zum Heile der Menschheit praktisch zu verwerthen, wenn ihm die zwei ominösen Trichinen- — 60 — schrveine auch zur Untersuchung zugeführt worden wären, was aus irgend welchem Grunde leider nicht gescheh,» ist. — Rach einer neueren Ausstellung sind an, der Trichinosis erkrankt in Oder - Cunewalde 144, in Cunewalde 19, in Lauba 7, in Lawalde 3, in Klein- dehsa 5, in Beiersdorf 6, in Oppach 4, in Sprem- berg 2 und in Lübau 10 Personen. In diesen Zahlen nicht inbegriffen sind die 10 an der Krankheit bereits Verstorbenen und die ganz leicht Erkrankten. Marienberg. Am 26. Januar Nachmittags ist der Amtshauptmann Woldemar Starke hier infolge Herzschlags plötzlich verstorben. Von einer Ausfahrt zurückkehrend, wollte er sich in seine Wohnung begeben, als er auf der Treppe umfiel und sofort eine Leiche war. Tagesgefchichte. Berlin. Der Reichstag trat am 27. Januar in die erste Berathung des Sozialistengesetzes ein, und sprach zunächst der Sozialdemokrat Singer in langer Rede dagegen, worauf Minister von Puttkamer auf alle Behauptungen Singers einging und dieselben als. unbegründet zurückwies. Dank dem bestehenden Ge setze blieb Deutschland von Stürmen verschont, unter denen andere Länder litten; Ausschreitungen seien ver hindert, die Presse in Schranken gehalten, der Aus breitung der Sozialdemokratie sei entgegengearbeitet worden. Die Sozialdemokratie stehe auf dem Stand punkt der Verneinung aller unserer Verhältnisse, sie habe keinen Anspruch auf Behandlung nach dem ge meinen Recht. Die Ausnahmegesetze seien nothwendig; den Staat vor den Schrecknissen der unbeschränkten Sozialdemokratie zu bewahren, sei nicht Inhumanität. Der Reichstag werde Humanität üben, wenn er die Vorlage annehme. Nachdem noch der Abgeordnete Neichensperger gegen die Vorlage gesprochen, vertagte sich das Haus auf Sonnabend. — Der Reichstag setzte am 28. Januar die Be rathung des Sozialistengesetzes fort, ohne zum Ende zu gelangen. Abg. v. Helloorf sprach für die Vor lage. Die sozialdemokratische Partei sei nicht eine Resormpartei, sondern eine Umsturzpartei. Wer die Grundlagen des Staates nicht anerkennen wolle, ver diene vom Staate in die Acht gethan zu werden. Der sächsische Bundesbevollmächtigte Held rechtfertigt das Verfahren der sächsischen Behörden gegen sozialistische Agitatoren und empfiehlt die Annahme der Vorlage. Abg. Bamberger ist in längerer Rede gegen das Ge setz. Es sei keine Inkonsequenz, wenn er auf Grund zehnjähriger Erfahrungen gegen das Gesetz stimme, für welches er vor 10 Jahren gestimmt habe. Minister v. Puttkamer erwidert, Bamberger's Rede mache den Eindruck, als wolle er den Sozialisten Schritt für Schritt sekundiren; es geschehe dies wohl aus Grün den der Wahlpolitik. Auf einen Wink Bebel's würde die Hälfte der Freisinnigen ihre Mandate verlieren. Er könne nur wiederholen, daß das Gesetz von den verbündeten Regierungen einhellig als nothwendig er kannt worden sei. Die Expatriirung anlangend, so habe Bamberger seiner Zeit auch für das Jesuitenge setz gestimmt. Abg. Marquardsen erklärt, die national liberale Partei würde einstimmig für eine zweijährige Verlängerung des unveränderten bisherigen Gesetzes stimmen. Abg. v. Koszielski ist gegen das Gesetz. — Anläßlich seines 29. Geburtstages wurde am 27. Januar'Prinz Wilhelm zum Generalmajor und Kommandeur der zweiten Garde-Infanterie-Brigade ernannt. — Die Prinzessin Wilhelm sieht in einigen Mo naten Mutterfreuden entgegen. — Von den seit mehreren Jahren auf auslän dischen Stationen befindlichen Kriegsschiffen unserer Marine werden in diesem Jahre ein Theil der Mann schaften und zwar 600 Köpfe abgelöst. Es kehren von den Besatzungen der zum Kreuzer-Geschwader unter Kommodore Heusner gehörigen Schiffe: Kreuzer- Korvette „Sophie'' und Kreuzer - Korvette „Carola" 266 resp. 76 Mann in die Heimath zurück. Von der „Sophie" ist dies die ganze Besatzung; ebenso wird die ganze aus 128 Köpfen bestehende Maiinschast des aus der afrikanischen Station befindlichen Kreuzers „Möwe" abgelöst. Von dem auf der ostasiatischen Station befindlichen Kanonenboot „Wolf" werden 44 Mann, von dem in Australien stationirten Kreuzer 64 Mann und von dem am Bosporus weilenden Aviso „Loreley" 28 Maun abgelöst. Sämmtliche Ablösungs mannschaften werden von Kiel resp. Wilhelmshaven im Mai d. I. nach den vorgenannten Stationen ent sandt werden. — Folgende kuriose Phantasterei läßt sich der Pariser „Temps" „angeblich" aus Bayern anhängen: Die außerordentliche Lebenskraft, welche Kaiser Wil helm trotz seines hohen Alters bekundet, hat in Bayern, dem Lande der Dichtung und der Sage, eine Legende entstehen lassen, welche unter der Bevölkerung vollen Glauben findet. Dieser Legende zufolge verdankt der Kaiser sein langer Leben einem „Zaubermittel", wel ches ihm allein bekannt ist. Wer ihm dasselbe über bracht oder zugestellt habe, wisse man nicht. Wenn dieses LebenSelixir auch nicht die Unsterblichkeit ver leihe, so verlängere es doch die Lebensdauer ganz be deutend. Die Sage fügt hinzu, der Kaiser habe einige Tropfen des Wundermittels dem Feldmarschall Grafen Moltke und dem Fürsten Bismarck überlassen, was das hohe Alter der beiden hohen Persönlichkeiten er klärlich mache. Mehrere Souveräne hätten bereits den Kaiser um Mittheilung des Geheimnisses ersucht, doch sei Kaiser Wilhelm fest entschlossen, es für sich zu be wahren. Auch den Bitten des Czaren gegenüber habe er sich ablehnend verhalten, „und darin sei der eigent liche Grund der gegenwärtigen Verstimmungen zwischen Deutschland und Rußland zu suchen". Kommentare sind hierzu nicht nöthig. Die Sache spricht für sich selbst. — Die Baukosten des 98,717 Kilometer langen Nord-Ostseekanals, dessen Ausführung unter der Leitung preußischer und bayrischer Regierungsingenieure auf Reichskosten begonnen worden ist, betragen nach einer dem „L.Tgbl." aus Kiel zugehenden Mittheilung: Grunderwerb und Nutzungsentschä ¬ digungen 9,900,000 M. Erd- und Baggerarbeiten.... 70,900,000 „ Befestigung der Ufer und Böschungen und Bezeichnung des Fahrwassers in den Seen 7,200,000 „ Haken- und Quaianlagen, Schleußen, Siele und dergleichen.... 36,250,000 „ Brücken und Fähren 6,700,000 „ Militaria . 1,000,000 „ Gebäude 1,300,000 „ Betriebseinrichtungen und Maschinen ¬ anlagen 2,250,000 „ Insgemein 20,500,000 „ zusammen 156,000,000 M Die Unterhaltungs- und Betriebskosten sind zu jährlich 1,800,000 M., die Kosten für Erneuerung vergänglicher Bautheile und Betriebsmittel zu 100,000 Mark berechnet. Die Bauzeit ist auf 8 -9 Jahre be messen worden. — Mit 280 Millionen Mark ist der Kostenanschlag für die neue Wehrvorlage (das Landsturmgesetz) endlich erreicht worden. Wie erinnerlich, kündigte sich der Entwurf zuerst mit regelmäßigen Mehrkosten von einigen hunderttausend Mark an, eine Ziffer, die von Anfang an doch einigen Zweifeln begegnete. Einige Zeit später wurden für die früher nicht erwähnten einmaligen Kosten für Ausrüstung und Bewaffnung 100 Millionen genannt, was erst Glauben fand, als man berichtigend bemerkte, die wirkliche Summe sei noch viel höher. Dann wagten sich Schätzungen von 200, später 230 Millionen hervor. Der Gesetzentwurf ist bekanntlich in erster Lesung selbst auch von den Freisinnigen angenommen worden, und voraussichtlich sind diese auch in der zweiten Lesung, trotz der hohen Kosten, bei dem zustimmenden Beschlüsse geblieben. Es wäre das nur zu loben, und es würde sich dann in dem einmüthigen Beschlüsse die Ueberzeugung aus sprechen, daß die Wehrkraft Deutschlands auf diese Weise noch mehr angespannt werden kann, und, weil jede andere Art der Anspannung den Friedensetat in höherem Maße belasten, der Kriegsstärke aber in ge ringerem Grade zu Gute kommen würde, angespannt werden muß. Ob andere Völker uns auf dem Wege folgen, ihre älteren Mannschaften zwischen 35 und 45 Jahren für den Krieg vorzubereiten? Niemand weiß es. Einen Vortheil würden wir immer noch gewinnen, wenn durch gleichartige Rüstungen des Feindes der ziffermäßige Effekt des neuen Gesetzes wieder ausge glichen würde. Es würde nämlich der Krieg über haupt bei allen Völkern unpopulärer werden. Es ist durchaus zweierlei, ob man in Reden und Demon strationen für den Krieg schwärmt, oder ob man selbst in Reih und Glied treten, sich dem Kugelregen der Mehrlader aussetzen und Frau und Kind, Haus und Geschäft zurücklaffen soll. In dieser Beziehung kann man der Entwicklung der Dinge ruhig entgegensehen. Eine entschiedene Schattenseite kann man unmöglich übersehen. Nach der schwer lastenden Wehrvorlage vom März vorigen Jahres bringt Deutschland jetzt abermals ein riesiges Opfer, ein Opfer allerdings zum größten Theil sich selbst, zum Theil aber auch seinen Verbündeten. Um das recht zu ermessen, muß man die Ziffer von 280 Millionen Mark nur einmal mit den winzigen Ausgaben vergleichen, zu welchen sich Oesterreich-Ungarn in der höchsten politischen Krisis-, kurz vor Neujahr bewegen ließ. Es wurden Kriegs- räthe über Kriegsrälhe gehalten, und mqn fing an, von Ausgaben von 40 Millionen Gulden (66 Mil lionen Mark) für Baracken und Befestigungen in Galizien zu sprechen. Die Kosten wurden alle paar Tage niedriger, 35 Millionen, 25 Millionen, 20 Mil-