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„Melßeritz-Zeitung" «scheint wöchentlich drei mal: Dienstag, Donners tag und Sonnabend. — Preis vierteljährlich 1 M. 25 Pfg., zweimonatlich 84 Pfg', einmonatlich 42 Pfg. Einzelne Nummern 10 Pfg. — Alle Postan stalten, Postboten, sowie die Agenten nehmen Be stellungen'«,. Mchmtz-ZkitW. Amtsblatt Inserate, welche bei der bedeutenden Auslage deS Blattes eine sehr wirk same Verbreitung finden, werden mit 10 Pfg. die Spaltenzeile oder deren Raun, berechnet. — Ta bellarische und complicirte Inserate mit entsprechen dem Ausschlag. — Einge sandt, im redaktionellen Theile, die Spaltenzeile M Pfg. für die Königliche Umtshauptmannschaft Dippoldiswalde, sowie für die Königlichen Amtsgerichte und die Stadträthe zu Dippoldiswalde und Irauenstein Verantwortlicher Redakteur: Carl Ichm in Dippoldiswalde. Nr. 16. Zu -kn sozialen Zeit- und Streitfragen. Nicht seit fünf oder zehn Jahren, sondern bereits seit der Zeit, wo unser gesummtes Volksleben sich um zugestalten begann, seit jener Periode, wo allmählich etwas mehr Geistesbildung in die untern Masten drang und auch gleichzeitig das gesammte Wirthschaftsleben durch Dampfmaschinen und Fabrikbetrieb in neue Bahnen lenkte, ist in den untersten Volksklasten, in dem sogenannten vierten Stande, eine dumpfe und dunkle Bewegung entstanden. Man darf diese gährende Bewegung deshalb durchaus nicht nur auf die dema gogischen Künste gewisser Agitatoren zurückführen, denn diese benutzten nur jene Stimmung in den untersten Klassen für ihre ehrgeizigen Ziele, denn kulturhistorisch betrachtet, ist jene Bewegung in den besitzlosen Massen der infolge der Fortschritte des menschlichen Geistes auch in ihren Kreisen erwachte soziale Einigungstrieb, der Reformen und Besserungen auch für die untersten Stände verlangt. Es sind nun offenbar elementare Gewalten, die sich mittelst dieses sozialen Einigungs triebes in den untersten Klassen mehr und mehr an sammeln, und bliebe diese Bewegung sich selbst über lasten oder vermöchten ehrgeizige Demagogen ihre Leitung zu behalten, dann müßte daraus unfehlbar, wenn vielleicht auch erst in fünfzig oder hundert Jahren, eine soziale Revolution entstehen. Klug und weise, kühn und edel muß daher jeder Staatsnrann und Po litiker genannt werden, der schon jetzt niäßigenden und lenkenden Einfluß auf jene dunkle Gährung der un tersten Klassen zu verlangen sucht, und trotz allem Parteihader, der sich in der Gegenwart nun einmal an jede politische und soziale Refocmbestrebung knüpft, muß vor allen Dingen die Initiative, welche der Reichs kanzler Fürst Bismarck auf dem Gebiete der sozialen Reformen im Auftrage und im Einverständnisse mit dem Kaiser Wilhelm, der die Linderung der sozialen Noth als die Aufgabe seines Lebensabends betrachtet, in ihrer rechten Bedeutung begriffen und gewürdigt werden. Leicht und bequeni ist es ja für jeden Gegner, im Hinblick auf die sozialen Reformpläne des Fürsten Bismarck von einer versuchten Vermehrung der Staats allmacht oder von einem gefährlichen Spiele mit sozialen Experimenten zu reden, aber verblendet oder gehässig und kleinlich ist eine solche Sprache auch. Will Fürst Bismarck durch die sozialen Reformen die Staatsmacht stärken und sie sozialen Sturmfluthen gegenüber wider standsfähiger machen, so wird dies ihm wohl kein Ver nünftiger als Staatsomnipotenz auslegen können. In der Sozialpolitik deckt sich Staat und Gesellschaft aber auch in den meisten Fragen, und ist es nicht nur der Staat, welcher an Macht und Ansehen durch soziale Reformen gewinnt, sondern auch die Gesellschaft. Ferner hat es dem deutschen Reichstage noch niemals an Mitteln gefehlt, konstitutionelle und politische Be denken zu beseitigen, und wird dies auch auf dem Gebiete der Sozialpolitik möglich sein. Mit einer recht ansehnlichen Stimmenmehrheit wurde ja auch im vo rigen Jahre das allerdings mehrfach revidirte Kranken versicherungsgesetz für die Arbeiter unter Dach und Fach gebracht, und von dem Unfallversicherungsgesetze muß man das Gleiche hoffen. Der Kern desselben ist unbestreitbar ein guter, schon aus Gründen der Hu manität, und in dem neuen Entwürfe hat die Re gierung in weiser Einsicht die Staatsbeiträge zur Un fallversicherung auf die Fälle der Noth beschränkt. In vielen Kreisen, zumal auch bei den Liberalen, will nun zwar der umfangreiche bureaukratische Apparat des neuen Entwurfs des Unfallversicherungsgesetzes nicht gefallen) aber wer verhindert sie denn. Verein fachungs- und Befferungsvorschläge, zumal mit Hilfe korporativer Genossenschaftspläne, zu machen, die uns auf diesem Gebiete ganz besonders empfehlenswerth erscheinen und sich auch bei privaten Versicherungs anstalten bewährt haben. Dienstag, den 5. Februar 1884. Lokales und Sächsisches. Dippoldiswalde, 4. Februar. Am letzten Don nerstag fand eine Versammlung des Gewerbe- Vereins statt, die, obgleich gut, doch bei weitem nicht so besucht war, als man nach dem vorliegenden interessanten Stoffe wohl hätte erwarten können. Zu nächst interessirte von den Eingängen der ausführliche Bericht über die Sitzung des deutschen volkswirthschaft- lichen Kongresses, in welcher „über die Verstaatlichung des Versicherungswesens" inhaltreiche Vorträge gehalten morden sind, die sich mit Ausnahme eines einzigen, gegen die Verstaatlichung des Versicherungswesens aus gesprochen haben. — Interessant war ferner der Be richt über die Thätigkeit des rheinischen Kunstgewerbe vereins zu Düsseldorf, welcher ein wichtiges Zentral organ für Entwickelung des Kunstgewerbes in den Nheinlanden zu werden verspricht. — Für unsere Ge gend von speziellem Interesse war der Bericht über die Thätigkeit der „Volksbibliothek für Dippoldiswalde und Umgegend" im Jahre 1883, der vom Vorsitzenden erstattet wurde und aus welchem die erfreuliche That- sache hervorging, daß die Benutzung im verflossenen Jahre gegen das Vorjabr nicht unbedeutend gestiegen ist. Die Bibliothek zählt jetzt 365 Werke mit 609 Bänden. — Der Hauptgegenstand des Abends war der von Herrn Direktor Lamer - Hainsberg gehaltene höchst interessante Vortrag: „Der Schwindel in der sogenannten guten altenZeit." Die Bezeichnung „gute" alte Zeit sei eins von den vielen, wenn nicht unwahren, doch wenigstes halbwahren Schlagworten. Es sei aller dings nicht zu leugnen, daß in unserer Zeit Vieles sich scheinbar anders und übler gestaltet habe, als es früher gewesen, was besonders an der schwindelhaften Ent wickelung des Vörsenspiels nachgewiesen wurde; daß es aber in dieser Hinsicht früher auch nicht besser, ja vielfach schlimmer gewesen sei, lehre besonders die Schwindelperiode zu Anfang des 18. Jahrhunderts. Es wurde nun an der Geschichte der schwindelhaften Unternehmungen des Schotten Law in Frankreich und der fabelhaften Aktienschwindelei in England nachge wiesen, welche schier unglaublichen Unternehmungen die Sucht, schnell reich zu werden, in jener Zeit in Frankreich und England in's Leben rief, bis dieselben selbstverständlich in kurzer Zeit schmählich zusammen brachen. Die Frage, wie man sich vor dergleichen Schwindelperioden schützen könne, beantwortete der Vortragende dahin, daß ein fester Wille, sich einfach nicht zu betheiligen und die immer mehr sich verbrei tende Uebcrzeugung, daß irdische Güter den Zweck des Lebens nicht ausmachen können, schon viel dazu bei tragen könne, neu auftauchende Versuche, die Leicht gläubigkeit auszubcuten, im Keime zu ersticken. Reicher Beifall dankte dem geehrten 'Gaste für seinen klaren, interessanten Vortrag. — Die am 8. Januar in Dresden durch Herab stürzen aus einem Fenster so schwer verletzte 24jährige Tochter des hiesigen Landbriefträgers Burkhardt ist nach schrecklichen Leiden am 3. Februar Mittags im Stadtkrankenhaus zu Dresden gestorben. — Am gestrigen Sonntag Abend, gegen °/<6 Uhr, gerade ein Jahr nach dem Brande auf dem sogenannten „Plan", erscholl durch unsere Straßen der Feuer- ruf. Die sogenannte „alte Farbe", ein meist hölzernes, strohgedecktes Gebäude, stand in Hellen Flammen. Ein Glück war es, daß das Haus ganz isolirt stand und die Windrichtung eine günstige war, sonst hätte leicht größeres Unglück entstehen können. Am Brandobjekt, das dem Oekonom Robert Böhme gehörte und in dein noch die Handarbeiter Mende und Fischer wohnte», konnte sehr wenig gerettet werden und mußten sich die ganzen Löscharbeiten auf Niederhalten des Brandes beschränken, was auch von den zahlreich erschienenen Löschmannschaften prompt und sicher gcthan wurde. Die Kalamitosen sollen leider nicht alle versichert haben. — Nachdem die bisherigen Anbauversuche mit 49. Jahrgang. 77777... NI schwedischem Saatgut von Hafer und anderen Getreidearten in Sachsen, auch in größerem Maßstabe, einen aufmunternden Erfolg gehabt haben, wird für da bevorstehende Frühjahr wiederum mehrseitig ein Bezug von schwedischem Saatgut beabsichtigt. Herr Professor vr. Robbe in Tharandt ersucht diejenigen Herren Landwirthe, welche diesem Bezug sich anzuschließen wünschen, ihm ihre Adresse und die Größe des Bedarfs bis zunl 10. Februar d. I. mitzutheilen. — An Stelle des wegen Alters freiwillig aus dem Gemeinderath zu Bärenburg ausgeschiedenen Ge meindeältesten, Herrn Karl Wilhelm Kempe, ist der Gasthofsbesitzer Herr Wilhelm Julius Kempe in Bären burg vom dasigen Gemeinderath einstimmig gewählt und für gedachte Funktion am 2. Februar von der königlichen Amtshauptmannschaft in Pflicht genommen worden. — Der 24 jährige, des schweren Diebstahls be schuldigte und steckbrieflich verfolgte Dienstknecht und Stellmacher Adam Louis Liebscher aus Ammelsdorf ist auf Abth. 46 des Forstreviers Bärenfels erhängt aufgefunden worden. Furcht vor der zu erwartenden Strafe scheint den Genannten zum Selbstmord, welcher jedenfalls schon im vorigen Sommer erfolgt ist, ver anlaßt zu haben. Reichstädt. Am 2. Februar ist der beim hiesigen , Gutsbesitzer Köhler in Diensten stehende Knecht Rei che lt aus Ammelsdorf durch das Balkenloch in der Scheune gestürzt und hat sich dadurch eine Gehirner schütterung zugezogen. Altenberg, Am 1. Februar, früh gegen 4 Uhr, brach in dem auf der Teplitzer Straße gelegenen Wohn hause des Schnittwaarenhändlers C. E. Reinhold ein Schadenfeuer aus, wodurch dasselbe total einge äschert wurde. Infolge der starken Luftströmung waren die angrenzenden Gebäude in großer Gefahr, doch ge lang es den städtischen Feuerwehren und der herbeige eilten freiwilligen Feuerwehr aus Geising, die gefähr deten Häuser zu erhalten und das Feuer auf seinen Heerd zu beschränken. Die Entstehungsursache ist zur Zeit noch unermittelt. Dresden. Im Befinden der Frau Prinzessin Georg war seit Sonnabend einige Besserung einge treten. Die hohe Kranke hatte ziemlich viel geschlafen und noch wenig delirirt, hatte etwas Nahrung zu sich genommen, und das Bewußtsein war klar, aber große Schwäche war vorhanden. — Die Bulletins vom Sonn tag aber klingen leider nicht sehr ermuthigend: die hohe Temperatur wird als ein sehr ernstes Moment betrachtet, und auch die häufig angewendeten kalten Bäder haben nicht mehr die Wirkung, die Fiebertem peratur herabzudrücken, was überhaupt vor Ausgang dieser Woche nicht zu erwarten ist. Die hohe Patientin soll das Nervenfieber schon über 14 Tage mit sich herumgetragen haben, und ist es also schon die dritte Woche, daß sie vom Typhus befallen ist. Das Fieber war auch am Sonntag Abend noch auf der bisherigen Höhe. — Der jetzt vorliegende Bericht der Finanzdeputa tion der 2. Kammer über die Vollendung der Schwarzen berg - Johanngeorgenstädter Eisenbahn empfiehlt die von der Regierung gestellte Nachtragsforderung nach Höhe von 940 000 Mark der Kammer zur Annahme. Ferner beantragt dieselbe Deputation mit besonderer Rücksicht auf die Stadt Lausig k, für welche die Bahn frage eine Lebensfrage ist, die Kammer wolle die Her stellung einer normalspurigen Sekundäreisenbahn von Geithain über Lausigk nach Leipzig zur Einmündung in d:n Dresdner Bahnhof daselbst genehmigen und die da rauf gerichteten Petitionen der Regierung zur Kenntniß- nahme überweisen. Ferner wird die Herstellung einer schmalspurigen von Niederhermsdorf, bez. Potschappel nach Wilsdruff, desgleichen einer schmalspurigen Se kundärbahn von Station Wilischthal der Chemnitz- Annaberger Staatseisenbahn nach Ehrenfriedersdorf