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— 654 — oder die sich in Vorbereitung befinden. Von nationallibe raler Seite ist der bemerkenswerthe Vorschlag gemacht worden, daß eine starke Mittelpartei angestrebt werden möge, welche nicht nur die Nationalliberalen und Freikonservativen, son dern auch die gemäßigten Elemente der Sezessionisten und Fortschrittler umfassen und gegen die Richtungen „Stöcker und Richter" entschieden Front machen soll. Ob aber schon jetzt die Zeit für eine derartige Mittelpartei gekommen ist, möchten wir bezweifeln, denn zur Gründung einer Partei, welche alle gemäßigten Elemente von den Freikonservativen bis zu den Fortschrittlern der Hänel'schen Richtung umfassen soll, treten die Widersprüche in den Anschauungen der Parteien noch zu stark hervor. — In der „Staatspfarrer- Frage" ist von der preußischen Regierung noch keine Ent scheidung getroffen worden. Bekanntlich hat der Fürstbischof Robert von Breslau an die sogenannten Staatspfarrer die Aufforderung gerichtet, sofort ihre Aemter niederzulegen, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, daß die Staatspfarrer von der preußischen Negierung eingesetzt worden sind und daß er sich demnach durch diesen Schritt in einen schroffen Gegensatz zur Regierung setzt. Augenscheinlich ist man an leitender Stelle in Berlin noch unschlüssig, wie man sich zu dem rücksichtslosen Vorgehen des schlesischen Kirchenfürsten ver halten soll. Einerseits ist sich die preußische Negierung der Pflicht bewußt, die von ihr eingesetzten Staatspfarrer zu schützen, anderseits ist sie bestrebt, jeden Konflikt mit dem Fürstbischof möglichst zu vermeiden, woraus sich für die Regierung eine schwierige Stellung ergiebt. Wie verlautet, wollen die Staatspfarrer an den preußischen Kultusminister, Herrn v. Goßler, eine Eingabe richten, in welcher sie sich über die ihnen zugegangene Aufforderung des Herrn Robert beschweren; die Regierung wird dann wohl aus ihrer bis herigen Reserve heraustreten müssen. — Die Anwesenheit des Herzogs von Edinburgh, des zweiten Sohnes der Königin von England, in Gotha, hat zu den verschiedensten Gerüchten über die Nachfolge des Herzogs von Koburg- Gotha Anlaß gegeben. Bald heißt es, es werde eine Ab lösung der Erbansprüche des Herzogs geplant, bald wird versichert, daß die Koburg-Gotha'sche Erbfolge-Angelegenheit im Reichstage zur Sprache gebracht werden solle und was dergleichen Gerüchte mehr sind. Indessen handelt es sich hierbei wohl nur um Erzeugnisse der „oawon rnorto", denn die Koburg'sche Successionsfrage ist bereits durch das von sämmtlichen sächsischen Fürstenhäusern Ernestinischer und Albertinischer Linie angenommene Hausgesetz geregelt. Oesterreich-Ungarn. In Oesterreich wird die leidige Nationalitätenfrage durch das provozirende Auftreten der Czechen, Slovenen u. s. w. immer wieder in Fluß gebracht. Nachdem es den Czechen gelungen ist, das deutsche Element in Böhmen gänzlich in die Defensive zu drängen, gehen sie nun daran, auch Mähren, wo bis jetzt das Deutschthum entschieden das Uebergewicht hatte, für das Czechenthum zu erobern. Klugerweise setzen die Czechen, um zu diesem Ziele zu gelangen, ihre Hebel bei der Schule an. Schon haben es die Czechen durchgesetzt, daß der bisherige deutsche Landes- Schul-Jnspektor für Mähren einen slavisch gesinnten Nach folger erhalten hat und auch die Bezirks-Schul-Jnspektoren werden nur noch aus den Reihen der „Nationalen" ge nommen. Da bei der bekannten „Versöhnungs-Politik" des Kabinets Taaffe nicht zu befürchten steht, daß den czechischen Agitationen wirksam entgegengetreten werde, so erscheint die gänzliche Slavisirung des Verwaltungs-Organismus in Mähren nur als eine Frage der Zeit. Frankreich. Seit der Neubildung des Kabinets Duclerc und dem hierauf unmittelbar erfolgten Schluffe der franzö sischen Kammer ist endlich auch in Frankreich die Zeit der politischen Stille eingetreten. Das Ministerium Duclerc hat während derselben hinreichend Muse, seine Stellung so zu befestigen, daß es nicht gleich wieder von dem ersten parla mentarischen Sturme über den Haufen geworfen wird und der neue Ministerpräsident hat denn auch einem Reporter gegenüber die Hoffnung ausgesprochen, daß sein Ministerium kein sogenanntes Geschäfts- oder gar Verlegenheits-Mini sterium sein werde. Nach den vielen Ministerkrisen der letzten Jahre wäre es allerdings zu wünschen, daß in Frank reich einmal ein Ministerium festen Halt fände, aber bei der unberechenbaren Stimmung der französischen Deputirten- kammer beruht diese Hoffnung nur auf schwachen Füßen. England. Die zwischen England und der Pforte schwebenden Verhandlungen wegen Abschlusses einer Militär- Konvention haben immer noch zu keinem Resultate geführt. England verlangt vor Allem die Unterordnung der an der türkischen Expedition nach Egypten theilnehmcnden Truppen unter englisches Kommando, wogegen sich die Türken sträuben, die außerdem ihrerseits verlangen, daß nach Wiederherstellung der Ordnung in Egypten die englischen Truppen zugleich mit den Türken das Land verlassen sollen. Hierauf will aber wiederum England nicht eingchen, da es beabsichtigt, seine Truppen noch längere Zeit in Egypten zu belassen; trotzdem zweifelt man aber nicht an dem schließlichen Zu standekommen der Konvention. — Die englische Regierung beschäftigt sich ernstlich mit dem Gedanken, Cetewayo, den gegenwärtig in England weilenden Exkönig der Zulus, unter gewissen Bedingungen wieder auf seinen Thron zurückzuführen. Nach Mittheilungen, welche die Regierung in dieser Ange legenheit dem Unterhause kürzlich machte, werde ein Distrikt des Zululandes für denjenigen Theil der Häuptlinge und des Volkes reservirt werden, welcher nicht mehr unter die Herrschaft Cetewayo's zurückkehren will. Ferner wird im Zululande ein britischer Resident wohnen; die Wiederher stellung des früheren militärischen Systems der Zulus soll nicht mehr gestattet werden. Türkei. Nach wochenlangen Verhandlungen hat end lich die Konferenz wenigstens eine Frucht gezeitigt, nämlich die am vergangenen Montag erfolgte Annahme des italie nischen Antrags auf gemeinsamen Schutz für den Suezkanal. Es soll demnach die Polizei auf dem Kanal gemeinsam aus geübt werden und werden zu diesem Behufs die Geschwader- Chefs oder Schiffskommandanten am Suezkanal seitens ihrer respektiven Regierungen angewiesen werden, sich wegen des Ausführungsmodus mit einander in's Einvernehmen zu setzen. Eine praktische Bedeutung wird man aber der An nahme dieses Antrags nicht zusprechen können, da die Eng länder tatsächlich Herren des Suezkanals' sind und sich schwerlich einer gemeinsamen europäischen Kontrolle auf dieser wichtigen Wasserstraße unterordnen würden. — Die türkische Regierung hat die Gouverneure von Syrien angewiesen, auf das Strengste alle etwaigen Ausschreitungen gegen die syrischen Christen zu bestrafen; in Beirut ist die Ruhe nicht gestört morden, da die dortige christenfeindliche Stimmung sich wieder gebessert hat. Egypten. Das kriegerische Drama in Egypten wird sich nun wohl bewegter gestalten, nachdem im Anfang dieser Woche auch der Oberbefehlshaber des englischen Expeditions korps, General Wolseley, in Alexandrien eingetroffen ist. Da auch die englischen Verstärkungen zum größten Theil in Egypten gelandet sind, so kann man einer energischeren größeren Aktion der Engländer entgegensetzen, zu welcher allgemach auch Zeit wird, denn Arabi Pascha führt vor den Augen der Engländer, namentlich bei Namleh, immer neue Verschanzungen auf und seine Truppen bedrohen sogar Js- mailia (in der Mitte des Suezkanals). — Arabi Pascha soll von einer Versammlung von Ulemas zwei Fetwas ausge wirkt haben, in denen der Sultan für abgesetzt erklärt und der Großscherif von Mekka zu seinem Nachfolger ernannt würde, doch muß man vorläufig diese Nachricht bezweifeln. Tagesgeschichte. Dippoldiswalde. Kaum 10 Wochen sind vergangen, daß ein wegen Vergehens gegen die Sittlichkeit Angeklagter