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V213. Donnerstag, den 12. September. 1861 Ät>g»llrmr»t,prr«st: ULUrUok: 5 1'blr. 10 di?r. ln ^jüdcl.: 1 „ 10 „ „ .. ^oo»tlieb iu vr—<i«u; Id 8xr. lüiurslo« biuiulueru- 1 kixr. Iw «u»l—s« tritt ?»»t uo» 8t«u»p«l»» KI»»«. »aseratr-prelsr: k^lr ck«o 8»uw einer e«»p»>teu«u 1 kt«r. Unter „Liuxeeauat" Ni« 2«U«: 2 ktxr. «rschrttre«: l'it^IIek, mit «u»o»1>u>« <i«r 8ono »»6 k'eiertuE«, «beock» kiir äeu kolxeuäeu l'»? DresdnerIomMl. Verantwortlicher Redactenr: I. G. Hartmann. »asrratriuluilLhmr au »Wärt«: I^tpitU: k*u. öeeuverirri», OoinmieeiouLr <le» vresckoer ^ouruele; edeuckeeelbet: tt. Uv»»»»; Lltoo»: Ilnsinir^i» L NerUu: Ouvrive'sobe üuebti., ItiirLuiiri!«'» Lureeu; Lreweu: L. 8vui.urr»; rreuLwrt ». N.: ^Liioüit'sodv öuebkendlunx; Xvill: Xooi.r Itauciit:»; kart»: v. t,ücvn«rLl.e (2v, rue <ie» dooe eutaue); krez: t u. Lam-ro»', LuebbencOunx. Herausgeber: Itöuixl. kipeckitiou cke» Dreeckuer Journal«, Vreeäev, Uerieuetr»»»« dir. 7. - s— Nichtamtlicher TheU. Uebersicht. rele,r«»hische Nachrichten. Zetluvgsschaa. (Spener'schc Zeitung. Constitutionnel. Patrie. Preß. Russische Akademie-Zeitung.) Tagksgeschichte. Wien: Kammeiverhandlungen. Aus- schußanträgr jur Sicherung der persönlichen Freiheit. Lemberg: Die Verurtheilungen wegen Prrßvrrgehen. — Pesth: Zeichen eines Umschlag- der öffentlichen Meinung. — Berlin: Die bevorstehenden Krö- nungSfrierlichkeitn. Ernennungen. Die KctrgS- hasenbautrn auf Rügen aufgegeben. Di» Unter suchung gegen Patzke. — Vom Rhein«: Manöver. München: Generalversammlung der katholischen Vereine. — Stuttgart: Vom Kongreß deutscher Volktwirthe. — Bremerhaven: Dieprnißtschen Ka nonenboote. — Pari»: Verstärkung de» Geschwader- in Amerika. Römische Angelegenheiten. — Bern: Anerkennung Italien» in Aussicht. — Genf: Bon der evangelischen Allianz. — Brüssel: Der König von Preußen. — Turin: Reise de» König». Brasilien anrikeant Italien. — Neapel: Zur Lage. Genu«: Neapolitanische Recruten. Trupyrnetnschif- fungrn. Dürre. — Kopenhagen: Der Nichtbrsuch de» Könitz» von Schweden. — Konstantinopel: Audienz de» Grafen v. Montebello. — Rew-Pork: ThLtitzteit der Werbebüreaur. Meuterei. Der Ver kehr mit den Eüdstaaten verboten. Dresdner Nachrichten. Provinzitzlnachrichten. (Leipzig. Plauen. Zittau.) vermischtes. Eingesaudte». Feuilleton. Inserate. Tagesnenigkeiten. Bsrsrv Nachrichten. Tele-raphische Nachrichten. Stuttgart, Mittwoch, 11. September. In der heutigen Sitzung deS volkswirthschaftlichrn LtznareKes entspann sich rin lebhafter Conflict zwischen Freihändlern und SchutzzSllarrn. Dazv erregte Lette» Antrag auf eine permanente Com mission für Zollvereinsrrform, wegen des gleich zeitig colportirtev Hansemanu'schrn Projekt» eines parlamentarischrnZollvereinsmitpreußischerSpitze, Argwohn wegen politischer Hintergedanken, weshalb Larnbühlrr und Schaffte dagegen sprachen, wäh rend Böhmert dafür auftrat. Löwe von Calbe be- autragte Einschränkung der Commisfionsthätigkeit auf Sammlung von Tarfimaterial nach gesunden, volkswirthschaftlichen Grundsätzen. Urber alle» dies wurde schließlich mit 115 gegen 104 Stimmen zur Tagesordnung übergegaugen. D»r Antrag auf Verallgemeinerung des Zollvereins wurde unter stützt- London, Dienstag, 10. September. Nachrich ten aus Rew Uork vom 31. v. Mts. melden, daß Missouri iu Belagerungszustand erklärt und den Tclaven der Insurgenten die Freiheit versprochen worden sei. — Die von Monroe abgrgangrve Er pebition Buttler s ist für das Cap Hatteras be stimmt. — E» wird eine Schlacht am Potomac rrwartet. — Daß der dem Unionsheere angehörige Oberst Tyler bei Summersville in West Birginirn eine Niederlage erlitten, bestätigt sich. Die Son derbündler waren im Besitze der Straßen von Raillry CrosS bei Springfi ld. Die UnionStrup- prn marschtrtrn ihnen entgegen. Einem vielvrr- breiteten Gerüchte zufolge wollte General Mac Culloch an der Spitze von 10,000 Mann gegen Feuilleton. Mendelssohn-Bartholdy über Goethe.*) I. Gestern Abend war ich in einer Gesellschaft bei Goethe und spielte den ganzen Abend allein: Concect- stück, Aufforderung, Polonaise in 6 von Weber, drei welsche Stücke, schottische Sonate. Um zehn Uhr war eS au»; ich blieb aber natürlich unter dummem Zeug, Tanzen, Singen u. s. w., bi» zwölf, lebe überhaupt ein Heidenleben. — Der Alte geht immer um neun Uhr auf sein Zimmer, und so wie er fort ist, tanzen wir aus de« Bänken und find noch nie vor Mitternacht aus einander gegangen. Morgen wird mein Porträt fertig; eS wird eine große, schwarze, sehr ähnliche Kreidezeichnung; aber ich sehe sehr brummig au». Goethe ist so freundlrch und liebevoll mit mir, daß ich'» gar nicht zu danken und zu verdienen weiß. Vormittag» muß ich ihm ein Stündchen Clavter Vorspielen,, von allen verschiedenen großen Kom ponisten, nach der Zettfolge, und muß ihm erzählen, wie sie die Sache weiter gebracht hätten; und dazu sitzt er in einer dunkeln Ecke Wie rin Jupiter ionan, und blitzt mit den alten Augen. An den Beethoven wollte er gar nicht heran. — Ich sagte ihm aber, ich könne ihm nicht helfen, und spielte ihm nun da» erste Stück der L-moll Symphonie vor. Da» berührte ihn ganz seUsam. — Er sagte erst: „Da- bewegt aber gar nicht; da» macht nur staunen; da» ist grandios;" und dann brummle er *) An« den eben erschienenen Reisebriefen Krlir Mendellsohn- Bariholbv's au« den Jahren lSZV-I8S2 Mendelssohn war damals »1 Jahr alt. Jeffersoa-City «arschiren, welche Stadt die An hänger der Union zu vertheidigen entschlossen waren. Dresden, ll. September. Angesicht» der bevorstehenden Aammecwahlen in Preu ßen erörtert die „Spener' sche Zeitung" in einer Reih« von Artikeln, welche „vom Rheine" datirt sind, die deut sche nationale Frage, nam ntlich im Hinblick auf die neuerdings aufgetanchten Bestrebungen, dieselbe einer raschen Lösung zuzuführen. Sie beschäftigt sich bei die ser Gelegenheit in eingehender Weise mit dem Nativ- naivere in und seinem Bestreben: die diplomatische und militärische Leitung der deutschen Angelegenheiten in der Hand Preußens zu vereinigen. Die Artikel der „8pe- ner'schen Zeitung", denen man das »ino ira ei eiuckio in vollem Maße zugeben muß, weisen dem National verein die Unhaltbarkett seine- Programm- schlagend nach. Sie sagen: „Man mache sich keine Illusionen. Die preu ßische Regierung, die preußische Armee und das preußische Volk stad im übrigen Deutschland nicht sehr populär. E» ist überflüssig, zu untersuchen, ob diese Antipathien gegründet sind, ob insbesondere die Politik unsrer Re gierung im italienischen Kriege, dieser größte Stein de» Anstoßes, eine richtige und mit den Wünschen de- Lan de» harmonirrnde gewesen ist; diese Antipathien find ein mal da, e» kann sie Jeder hören und sehen, der sich nicht selbst die Ohren verstopfen und die Augen verbinden will. So wie die Dinge jetzt liegen, bedürfte eS noch ganz anderer moralischer Eroberungen von unserer Seite, um die preußische Spitze in Deutschland beliebt zu ma chen Fast überall in den einzelnen deutschen Staaten befindet sich der Bürger materiell Wohl; die Steuerlast ist wohl überall geringer, daS Maß politischer Rechte ziemlich da» gleiche wie bet uns." Und an einer andern Stelle: .„Man braucht nur mit realen Ziffern zu rech nen, nur die thaifächlichen Zustände unbefangen auszu fassen, um zu der Ueberzeugung zu gelangen, daß den Bestrebungen de» Nationalverein» auch die volkSthümliche Unterlage fehlt. Man beruft sich dagegen auf die fort währende Zunahme seiner Mitglieder. Wir appellircn gegenüber dieser Behauptung auf daS ^ussrage universal einfach an die nämliche Instanz; man lasse einmal ab stimmen in Deutschland über die preußische Spitze; sie wird die Majorität nicht erlangen. Was wollen übrigen» 15,000 Mitglieder bedeuten nach einer zweijährigen Agi tation unter den günstigsten Verhältnissen! Wir nennen die Verhältnisse günstig, und eS ist in der Thal unsre Ansicht, daß nicht leicht eine politische Agitation unter so glücklichen ArUpicien begonnen und fortgesetzt wurde, wie die des Nationalvereins. Bei der allgemeinen Ver stimmung nach dem italienischen Kriege, und an diese hat sich der Nationalmr.in zunächst angelehnt, griff man begierig nach Allem, was irgendwie einer Stärkung glich. Der Bruch des Friedens von Villafranca, die italienisch französischen Annerirungen, die Annäherung zwischen Frankreich und Rußland, der KriegSpräsenzstand der fran zösischen Friedensarmee al» praktische Demonstration zu der Theorie von den natürlichen Grenzen ; im Innern die VerfassungStragödie in Kurhcssen, der leichtfertig ge nug heraufbeschworene Unfriede zwischen Volk und Re gierung in Hannover, die schleSwig - holsteinische Ange legenheit; welch ein Material zur Bearbeitung de» Vol ke- in der Presse und in öffentlichen Versammlungen! Dabei die freie Hand, die man den Publictstrn und Rcisepiedigern des Nationalvereins gelassen, und damit auch da» letzte Vehikel des Gelingen- nicht fehle, da und dort ein polizeiliche- oder gerichtliche- Einschreiten, ein Bischen Druck, nicht ernstlich bedrohlich, aber doch stark genug, um durch den Beitritt zum Nationalverein eine wohlfeile Probe bürgerlichen MutheS ablegcn zu können." ... „Handelt es sich blos darum, in einem organistrten Staate an einer bestehenden Verfassung aus parlamen tarischem Wege Reformen drnchzusehen, der National verein wäre auch dazu schwach genug, aber cs wäre doch eher die Möglichkeit eine» Gelingens. Der National verein will aber einen Staat, eine Verfassung, ein Parla ¬ ment erst schaffen. So weit unsre geringe Keantniß de» Staats leben- reicht, ist, von astatischen Zuständen abge sehen, ein derartiges Ziel noch von keiner politischen Partei erreicht worden, die sich nicht auf die Masse stützte, und an dieser wesentlichen Bedingung deS Gelingens, der Fähigkeit, auf und durch die Masse zu wirken, ge bricht c» dem Nationalverein. Die Masse kann sich für jedes Ideal begeistern, die abstractesten religiösen und rechtephilosophischen Ideen sind schon die Grundlage ko lossaler Massenbewegung geworden; die Puritaner und die Jakobiner sind dafür ein naheliegendes Beispiel, aber eine Massenbewegung für einen verstandsmäßig abgeleite ten Begriff, wie der kleindeutsche BundeSstaat einer ist, inS Werk zu setzen, die Masse für ein Programm zu gewinnen, welche» ihrem angeborenen nationalen Bewußt sein widerstreitet, wo auf Schritt und Tritt Argumente und Gegenargumente abgewogen weiden müsfrn, Da» ist noch Niemand gelungen." Ueber die Presse des Na- tionalverein» heißt eS: „Wie wenig die Bestrebungen des Nationalvereins Wurzel gefaßt haben, dafür liefert da- Schicksal der von ihnen gegründeten Tagesblätter einen deutlichen Fingerzeig. Dec Verein hat den Sitz dieser Organe nach Süddeutfchland verlegt, theilS um da auf die Bevölkerung in unmittelbarer Nähe einzuwirken, wo man da» größte Widerstreben gegen sein Programm voraussetzen konnte, theilS um gewissen Blättern von ultramontan-reaktionärer Tendenz dadurch eine sichrere Konkurrenz zu machen; der zweite Thril der Aufgabe schien leicht genug. Erwägt man aber, daß diese TageS- blätter des Nationalvereins wenigstens nach einer Seite, nämlich der konsequenten Festhaltung des konstitutionellen Systems, die Ansichten der überwiegenden Mehrzahl deS deutschen Volke» vertreten, so kann man den geringen Eindiuck, den sie auf bas Volk, ja selbst auf die gebil deten Stände machen, nur daraus erklären, daß die Pro fessoren Politik in Deutschland kein Vertrauen mehr ge nießt, daß die Haltung dieser Blätter in der deutschen Frage mit den Volksgesinnungen nicht übereinstimmt." Der „Constitutionnel" wurde wegen seiner neuer lichen Artikel gegen die picmontesischen Invasionen im Kir chenstaate und Ricasoli'S Circulardcpcsche von den ratiralen Blättern, z. B. „Opinion nationale" und „TcmpS" hart angegriffen. Der „Constitutionnel" bringt nun eine aber malige Auseinandersetzung der kaiserlichen Politik in ihren Beziehungen zu Italien und Rom. Das Kaiser reich, sagt der „Constitutionnel", sei in einer äußerst de- licatrn Lage zwischen seinen politischen und katholischen Pflichten ; dasselbe sei der Undankbarkeit, den Beschwerden, den Forderungen der Ultras der Parteien ausgesetzt, aber die Vernunft Frankreichs werde sich durch unüber legtes Geschrei nicht bcirren, die kaiserliche Politik werde sich nicht in Aufregung versetzen lassen. Der Kaiser habe Alles für die Unabhängigkeit Italiens und auch Alles für den Schuh deS PapsteS gcthan. Diese beiden großen Angelegenheiten, diesen beiden heiligen Jateressen habe der Kaiser vielfache und glänzende Beweise ciner gleich großen Sympathie gegeben, und der Kaiser habe wohl daran gelhan. — Die „Patrie" kommt auf die Lage Finnlands zurück und rechtfertigt den Angriffen deS Brüsseler „Nord" gegenüber die Theilnahme, die sie dieser Sache zuwendct. Die russische Regierung habe 50 Jahre lang nicht einmal den finnischen Landtag etnbcrufen, die theuersten Interessen des LandeS bei Seite gesetzt, und dieselben reaktionären Commissionen überliefert; sie ver walte auch jetzt noch Finnland in ungesetzlicher Weise und mit Beiseitesehung der Verfassung, die sie selber an genommen. Die Londoner „Preß" enthält über die Reise des Königs von Schweden nach Paris „Enthüllungen", denen von anderer Seite gewiß widersprochen werden wird. Sie sagt, cs sei zwischen Karl XV. und Louis Napoleon eine Vergrößerung Schwedens zunächst durch Dänemark und Finnland verabredet worden, und fährt dann fort: „Während daher dem König von Dänemark gegenüber der allmächtige Einfluß seiner morganatischen Ehehälfte benutzt wirb, damit er, vermittelst einer letzt ¬ willigen Verfügung, einer AbdankungSacte, oder auf an dere Weise, den im Jahre 1852 in London abgeschlos senen Erbfolgrtractat annullire, — während bei den Dä nen alle nationalen Vorurtheile und Antipathien gegen Deutschland im Interesse ihrer Nationalität geschürt wer den, wurde auch in Finnland eine thätige allgemeine Propaganda organifirt, die Früchte zu tragen anfängt. Die halboffikielle Pariser Presse hat neuester Zeit die Klagen Finnland» gegen Rußland wie jene Polens unter stützt. Aber die Protection, welche die kaiserliche Presse den Finnen angedrrhrn läßt, wird unmittelbarere Folgen haben, weil die Polen auf keinen Souverän ihrer eigenen Nationalität rechnen können, während Finnland im Kö nig von Schweden einen Ritter dieser Gattung besitzt. Die Politik, welche darauf abzielt, Finnland von Ruß land loSzureißcn, wird sich zuerst unter dem Deckmantel von Traktaten offenbaren; man wird zuerst von Rußland die Beobachtung deS Traktat» von FrcderikShamm for dern, durch den Finnland von Schweden losgelöst und mit Rußland vereinigt wurde (1809), der aber den Fin nen ihre Gesetze und ihre Verfassung garantirte — eine Garantie, welche die Einverleibung Finnlands in das russische Reich nicht überlebte. Wir sich von selbst ver steht, ist man darüber einig geworden, daß diese Rekla mation zuerst von den Finnen, und zwar auf dem Wege einer Petition, zu geschehen habe. Wird ihre Forderung gewährleistet, dann werden sie durch ihre alten konstitu tionellen und municipalen Gesetze in den Stand gesetzt sein, die Macht Rußland» auf kaum nennenSwerthe Pro portionen zu reduciren; Finnland würde auf diese Weise für Rußland eine Last ohne äquivalenten Werth werden, während der ganze Vorthetl den Schweden zu Gute kom men müßte. Ueberdie» würde sich Finnland in einem gegebenen Momente, vermöge de» -.utlcage univer-cel, an Schweden annectiren, und wofern Rußland sich dem widersetzte, würde Frankreich den Schweden, wie den Sar diniern im Jahre 1859, zu Hilfe kommen. Wofern an derrrseit» die russische Regierung sich weigern sollte, die Bedingungen des FrederikShammer Vertrag» zu Gunsten Finnland» zu verwirklichen, müßte e- in Finnland eine starke Armee auf den Beinen halten, um der Agitation, wenn nicht gar einem wirklichen Aufstande, die Spitze zu bieten. Finnland wird gegen diese Bedrückung seine Stimme laut werden lassen, und wenn Schweden nicht stack genug ist, r» zu befreien, wenn der Spruch Karl Albrrt's: „Italia iara cka »e" von Karl XV. vergebens parodirt werden sollte, dann wird Frankreich den Schwe den gegen Rußland zu Hilfe kommen und wieder einmal einet „Idee" zu Liebe in» Feld rücken. DaS Alle» ist, wie bemerkt, mündlich arrangirt worden." Ja einem der französischen Politik gewidmeten Artikel sucht die russische „Akademie-Zeitung" nachzuwci- sen, daß das Verfahren de» Tuilerien - Cabinet» Rom und dem päpstlichen Stuhle gegenüber einzig und allein durch dir Haltung deS französischen CleruS bedingt ist, die sich um so feindseliger zu zeigen beginnt, je weiter die Experimente mit der Kirche und ihrem Oberhaupte einer entscheidenden Wendung zuzuneigen scheinen. „WaS auch die verschiedenen Organe der Presse sagen und welche Gerüchte sie noch verbreiten mögen — so schließt die „Akademie-Zeitung" ihren Artikel — die Soldaten Frank reich» bleiben in Rom und werden dort bleiben, denn ein Zurückziehen derselben kommt einer offenen Kriegser klärung gleich, welche die französische Regierung gegen die gesammte Geistlichkeit der katholischen Kirche erlassen hätte. Alle erdenklichen Verhandlungen und Unterhand lungen zwischen Frankreich und Rom können daher zu keinem Resultate führen und werden in der gegenseitigen Stellung so lange keine Veränderung Hervorrufen, bi» die Interessen deö Papstes hinlänglich verbürgt sind, um die klerikale Partei in Frankreich zufrieden zu stellen. Die französische Regierung kennt aber die Macht und den Ein fluß der Geistlichkeit und ihrer Anhänger zu Wohl, al» daß sie leichtfertig einen Kampf herrufen sollte, welcher die sichersten und mächtigsten Stützen der Dynastie rau ben würde, die gegenwärtig den Thron Frankreichs inne hat." so weiter, und fing nach langer Zeit wieder an: „DaS ist sehr groß, ganz toll, man möchte sich fürchten, daS HauS fiele ein; und wenn das nun alle die Menschen zusammenspielen!" Und bei, Tische, mitten in einem andern Gespräche, sing er wieder damit an. Daß ich nun alle Tage bei ,hm esse, wißt Ihr schon; da fragt er mich denn sehr genau auS, und wird nach Tische immer so munter und mittheilend, daß wir meistens noch über eine Stunde allein im Zimmer sitzen bleiben, wo er ganz ununterbrochen spricht. DaS ist eine einzige Freude, wie er einmal mir Kupferstiche holt und erklärt, oder über „Hernant" und Lamartine's Elegien urtheilt, oder über Theater, oder über hübsche Mädchen. Abends hat er schon mehrere Mal Leute gebeten, was jetzt bei ihm die höchste Seltenheit ist, so daß die meisten Gäste ihn seit Langem nicht gesehen hatten. Dann muß ich vi l spielen, und er macht mir vor den Leuten Compli- mcnte, wobei „ganz stupend" sein LicblingSwort rst. Heute hat er mir eine Menge Schönheiten von Weimar zusammen gebeten, weil ich doch auch mit den jungen Leuten leben müsse. Komm ich dann in solcher Gesell schaft an ihn heran, so sagt er: „Meine Seele, Du mußt zu den Frauen hingehen und da recht schön thun." — Ich habe übrigen- viel Lcben-art, und ließ gestern fragen, ob ich nicht doch vielleicht zu oft käme. Da brummte er aber Ottilie an, die eS bestellte, und sagte: „er müsse erst ordentlich anfangen, mit mir zu sprechen, denn ich sei über meine Sache so klar, und da müsse er ja Diele- von mir lernen." — Ich wurde noch einmal so lang, als Ottilie mir da» wiedersagte, und da er mir'» gestern gar selbst wiederholte und meinte, e» sei ihm noch Viele» auf dem Herzen, über da» ich ihn aus klären müsse, so sagte ich „O ja" und dachte, ,,e» soll mir eine unvergeßliche Ehre sein." Oester geht es um gekehrt. Felix. H. München, 6. Juni IböO. Nun will ich Euch abor auch erzählen, warum ich Euch so spät schreibe. Einige Tage nach meinem letzten Briefe auS Weimar wollte ich, wie ich Euch geschrieben hatte, hierher abreisen, und sagte da- auch an Goethe bei Tische, der dazu ganz still war. — '.> ach Tische aber zog er aus der Gesellschaft Ottilie in ein Fenster und sagte ihr: „Du machst, daß er hier bleibt." Die ver« suchte denn nun, mich zu bereden, ging mit mir in dem Garten aus und ab; ich aber wollte ein fester Mann sein und blieb bei meinem Entschlüsse. Da kam der alte Herr selbst und sagte, da» wäre ja Nicht» mit dem Eilen; er hätte mir noch viel zu erzählen, ich ihm noch viel vorzuspielrn, und was ich ihm da vom Zwecke meiner Reise sagte, da» sei gar Nichts. Weimar sei eigentlich jetzt da-,Zicl meiner Reise gewesen, und Wa ich hier entbehrte, das ich an meinen wklen ck'Küte» fin den würde, könne er nicht einsehcn; ich solle noch viel Gasthäuser zu sehen bekommen. — So ging'» rvriter, und da mich da» rührte und Ottilie und Ulrike auch noch halfen und mir begreiflich machten, wie der alte Herr niemals die Leute zum Bleiben und nur desto öfter zum Gehen nöthigte, und wie Keinem die Zahl der frohen Tage so bestimmt vorgeschrtebrn sei, daß er rin Paar sicher frohe wegweifen dürfte, und wie sie mich dann bi» Jena begleiten würden, so wollte ich wieder nicht ein fester Mann sein und blieb. Selten in meinem Leben habe ich einen Entschluß so wenig bereut, wie diesen, denn der folgende Tag war der allerfchönstr, den ich je dort im Hause erlebt habe. Nack, einer Spazierfahrt de» Morgens fand ich den alten Goethe sehr heiter; er kam ins Erzählen hinein, gerirth von der „Stummen von Portici" auf Walter Scott, von dem aus die hübschen Mädchen in Weimar, von den Mädchen auf die Studenten, auf die „Räuber" und so auf Schiller; und nun sprach er wohl über eine Stunde ununterbrochen heiter fort, über Schiller'- Leben, über seine Schriften und seine Stellung in Weimar; so gerieth er auf den seligen Groß herzog zu sprechen und auf das Jahr 1775, das er einen geistigen Frühling in Deutschland nannte und von dem er meinte, c- würde es kein Mensch so schön beschreiben können wie er; dazu sei auch der zweite Band seine» Lebens bestimmt; aber man käme ja nicht dazu vor Botanik und Wetterkunde und all' dem andern dummen Zeug, da» Einem kein Mensch danken will; erzählte dann Geschichten aus der Zeit seiner Theaterdirectton, und al» ich ihm danken wollte, meinte er, „ist ja nur zu fällig ; das kommt Alle» so beiläufig zum Vorschein, her vorgerufen durch Ihre liebe Gegenwart." Die Worte klangen mir wundersüß; kurz eS war eins von den Ge sprächen, die man in seinem Leben nicht vergessen kann. De« andern Tag schenkte er mir einen Bogen seine- Manuskripts von „Faust" und hatte darunter geschrieben: „Dem lieben jungen Freunde F. M. B., kräftig zartem Beherrscher de- Piano-, zur freundlichen Erinnerung froher Maitage 1830. I. W. v. Goethe", und gab mir dann noch drei Empfehlungen hierher mit. — Finge nur der fatale „Fidelio" nicht bald an, so könnte ich noch Manche- erzählen; so aber nur noch den Abschied vom alten Hrrrn. Ganz im Anfänge meine- Aufenthalt- in Weimar hatte ich von einer betenden Bauernsamilie von Adr. v. Ostade gesprochen, die vor neun Jahren großen Eindruck aus mich gemacht habe. Al» ich nun Morgen» htneinksmme, um mich ihm zu empfehlen, sitzt er vor einer großen Mappe und meint: „Ja, ja, da geht man nun fort, wollen sehen, daß wir uns aufrecht erhalten bi» zur Rückkunft; aber ohne Frömmigkeit wollen wir hier nicht auseinander gehen, und da müssen wir un» denn da- Gebet noch einige Male zusammen ansrhrn."