Suche löschen...
Dresdner Journal : 11.09.1860
- Erscheinungsdatum
- 1860-09-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-186009118
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-18600911
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18600911
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Journal
-
Jahr
1860
-
Monat
1860-09
- Tag 1860-09-11
-
Monat
1860-09
-
Jahr
1860
- Titel
- Dresdner Journal : 11.09.1860
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
»LbrUeb: 5 10 Kxr. io s Io» zL)iil»rl.: 1 „ 10 „ „ „ (»ritt k»,t r»oä Man»tli«b io vr—<t«o: Id lsxr. ( 8t«wp«l»M Lio««Io, Komioero: 1 ti^r. 1 »«lü»x b»ft««. »»stnrtrntzrrts«: ?ür ä«o Lftllw «lo,r »,»p»It«o«o 2«u«: 1 Ktzr v»t«r ,,Liox,„oat" äl« L«U«: 2 Lrschtt«r«: 1°IxNeN, mit «»»»»bme ä«r Soft»- ooä k'olottftff», ^d«ock» kiir ä«» ttl^ooäoo DresdnerMnnal. Verantwortlicher Redakteur: I. N. Hartmann. »»seratrnannahmr <nr,«llrt,: I^ipri^: k->. SoL»v,v,rr»», 6omwi»,iooLr <t«» Vr«»<ioer ^vurvLi»; ^I»»n6i»,«Ib»t: tt. UL»»-»»; LIU»»»: tt»»»»»c»r«r« ü Lore»»; Lr,w»o: K. 8oo».orr»; kr»ftL1»rt ». H.: -»ebe Uuckb»n>IIun^; Ni>U»: Loor.» ö»v»»»ft; k»ri«: v. I-ö«rxr«l.4 (2v, ru« 6e» Koo» «ok»o»); kr»x l'n. kioni.»»»'» Nuriiksnckluox. Kkransgebrr: Nöoixi. k!rp«aitiov <i«» I)re»<Iosr ^auc»»I», O>l «<Io», »»»« Nr. 7. -ik--- ÄmtLicher Theil. Bek»nntmach««g. Das Ministeri»m de« Innern hat der Oldenburger Feurrverficheru«g»ges«llschast auf Grund der von derselben eingereichten Statuten, VerfichrrungSbedingungrn und Agenteuiustructiou zur Annahme der nach 8- ? de« Ge setze« vom 14. November 1835, die alterbländischeBrand- versicherungSanstalt betr., und 8- 62 der Vollzirhung»- verordnung von demselben Tage noch zulässigen Versicher ungen innerhalb de« Königreich« Sachsen unter de« durch die Generalverordnung vom 13. Deeember 1836 vorgr schriebrnen Bedingungen und Beschränkungen, sowie unter Vorbehalt der etwa künftig in Betreff de- Mobiliarseuer- verficherung«wesrn« und der Privaifeuerverstchrrung-gr- stllschaft.n noch zu treffenden allgemeinen Bestimmungen bi« auf Widerruf die nachgesuchte Concesston crtheilt, was hierdurch zur öffentlichen Kcnntniß gebracht wird. Dresden, am 1. September 1860. Ministerium des Innern. Für den Minister : vr. Weinlig. Schmiedel, 8. Nichtamtlicher Theil. U-tz-rst»t. Telegraphische Nachrichten. Aeitvva-schav. (Der Nationalverein.) Tagtgefchichte. Wien: Urlaub-reise des Polizeimini sters. Vernehmung zweier ZeitungSredacteure. Ver ordnung bezüglich der Recurse gegen gerichtliche Ent scheidungen. — Berlin: Die Warschauer Reise de- Prinz-Regenten. Vorarbeiten für den Landtag. Prof. vr. Eimson nach Frankfurt berufen. — Kassel: Ernennungen. — Schwerin: Die v. Pogge'sche Klagesache entschieden. — Strelitz: Großherzog Georg s. — Paris: Reise der Majestäten. Ossi- ciöse Dementi-. Eine Note Thouvrnel'S nach Turin abgegangen. Von der China-Erprdition. — Turin: Fanlt nach Florenz. Mobilifirung der Nationalgard«. Die Politik gegen Oesterreich. Aufregung in den Marken, s Genua: TruppenauSschiffungrn in Livorno.— Mai land: Vorbereitungen zum Angriff auf Venetien. — Haag: Generalstaatensesfion geschloffen.— Madrid: Marokkanische Kriegüentschidigupg. Permanente SchistS- stationen. Dau neuer Dampfer. — London: Vice- königthum Canada in Aussicht. Werbungen für Ga ribaldi. — St. Petersburg: Zur Reise de» Kai ser-. Unterricht in der polnischen Sprache. Von der Marine. Persien: Eisenbahnbauten. — Ame rika: Zur Reise drS Prinzen von Wale«. Eine Scha denforderung an Paraguay für unbegründet erklärt. Ernennungen, Versetzungen rc. im öffrntl. Dienste. Dresdner Nachrichten. Telegraphische Nachrichten. Pari-, Montag 10. September. Der „Con- stitntionnel" jbringt einen Artikel Grandguillot'S, der mit Schmerz ans die neue Politik Piemont- blickt, welche »S der kaiserlichen Politik entfremden werde. Er hofft noch, Piemont werde sich nicht von den Principien de- Völkerrecht- lo-machen wollen, deren Beobachtung allein ihm Arankreich- Bünduiß erhalten könne, und der König Victor Emanuel einen Kehler vermeiden, der da- Unglück Italien- wäre. Ueber Genua, Sonntag v. September, wird au- Neapel gemeldet, daß Garibaldi dort eiuge- zogeu ist. Die königl. Marine hat sich geweigert, nach Gaeta zu steuern. Die telegraphische Verbindung mit der Ro magna ist unterbrochen. — Au- Terni (im In nern des Kirchenstaates auf der Straße von Rom Feuilleton. Literatur. Theodor Storm, auch als lyrischer Dichter durch einige innig empfundene Lieder dem Literaturfrrunde bekannt, hat schon früher durch kleine Novellen im lyrischen Genre sein Talent für eine feine künstlerische Modellirung und rin poetische», zart elegische» und sauber auSgrführteS Colorit seiner Darstellung be wiesen. I« einfachsten Umriffen einer kleinen Kompo sition, im inner« Stillleben seiner Figuren offenbart er ihr Gemüth, da» Gemälde ihrer Umgebung, ihrer Ver hältnisse schließt sich in jeder Nüance harmonisch an, und er versteht am bedeutendsten in Dem zu wirken, was er verschweigt und ahnen läßt. Namentlich die weibliche Natur ist seiner poetischen Beobachtung und Auffassung in verborgensten Zügen erschlossen. Ein kleine» Büchelchen: „In der Sommermondnacht", (Berlin bei Schindler) bringt al» Hauptinhalt eine No velle: „Im StaatShof", welche von eben so reizender als rührender Wirkung ist. Zwei Neine humoristische und gehaltlosere Beiträge hätten besser bei Seite gesetzt werden sollen. Um den Leser mit Storm » eigrnthümlichem Talent bekannt zu machen und zugleich zu veranschau lichen, in wie knapper Form sich rin novellistische» Bild voll HerzrnSinnigkeit und tiefer Wirkung darstellen läßt, theilrn wir hier die vierte, kürzeste Geschichte diese» Mindchen» mit. Ein Grabgeleite betrat den Kirchhof; ein schmaler Sarg, ein Blumenkranz darauf, sech« Träger und zwei Folger. E» war stille Sommerfrühe, der größte Theil de« Kirchhofe» lag noch in feuchtem Schatten; nur an dem Rande einer frischen Grube war die aufgeworfene Erde schon von der Sonne ««geschienen. Hier sank der Sarg «ach Perugia) vo« 8. September wird gemeldet, dnß dir italienischen Offiziere gegen die fremde« Offiziere ei» Eompl-t aagezrttelt haben. Letztere s»Le» ia ernstlicher Gefahr schweben. Neapel, Sonvtag S. September. Garibaldi bat de» König Victor Emanuel und seine Nach kommen al- König von Italien proclamirt. Turin, Sonnabend 8. September. Rach hier rinßetroffenen Berichten an- Bologna vom heuti gen Tage ist m der Delegation Urbino-Pesaro eine aufständische Bewegung entstanden. 400 Jafar- aentra haben die päpstlichen Truppen verjagt. Zwischen Turin und Neapel ist die telegraphische Verbindung gestört. Turin, Sonntag 0. September. Hier einge troffene Nachrichten au- Bologna vom heutigen Tage melden, daß iu Montefeltro und in andern Städten (die „Kölner Zeitung" nennt auch Urbino) die dreifarbige Kahne entfaltet sei und der Ruf: „ES lebe der König Emanuel" gehört werde. Pergola (vier deutsche Meilen südöstlich von Ur bino) und der Distrikt ist im Aufstande. LuS Sivigaglia (6 Meilen nordwestlich vou Ancona, zu dessen Delegation r» gehört, und ebenfalls an der Küste gelegen) und von andern Seiten find Bewaffnete zum Beistände herbeigeeilt. Au- den Marken find Deputirte abgrreift, vom König Emanuel Hilfe zu erbitten. Mailand, Sonntag v. September. > Die „Per- sevrranza" meldet: Rach au- Kloreuz hier einae- troffeneu Nachrichten vom gestrigen Tage hat Ge neral Eialdini die römische Grenze (zwischen der Romagna und Umbrien) bei Cattolica überschritten und eilt Pesaro (2 deutsche Meilen südöstlich von Cat tolica in der Delegation Urbino, am Foglio nahe bei dessen Mündung ins adriatische Meer) zu Hilfe, da- um Intervention gebeten. Umbrien und die Mar ken seien zum Aufstande bereit. Die „Persevr- ranra" behauptet wiederholentlich, daß die sardi nischen Truppen die Grenzen überschritten hätten, um Umbrien und die Marken zu occupiren, weil der Papst die fremden Truppen Lamoricidrr- bei behalten. Turin, Sonntag, 9. September. Die sardi nischen Truppe» haben die Grenzen nicht über schritten. ES wird behauptet, die Regierung er warte die Antwort auf ein an den Staat-secrr tär Cardinal Antonelli abgrsandte- Ultimatum. London, Montag 10. September. Die heu tige „Time-" enthält ein Telegramm au- Wien vom Sonntag folgenden Inhalt-: Eine tags zuvor dort eingeaangrne officielle Depesche aus St Pe tersburg oesage, daß Kaiser Alexander aufrich tig eine Aussöhnung und dir Wiederherstellung drS EmverständniffrS wünsche, welche- nie hätte unter brochen werden sollen. ES dürften Arrangement bet einer persönlichen Zusammenkunft der Kaiser von Rußland und Oesterreich getroffen und Maß regeln ergriffen werden, um dem gegenwärtigen Stande der Dinge, der nicht länger zu ertragen sei, ein Ende zu machen. Dre-den, 10. September. Unlängst glaubte die „Constitutionelle Zeitung" darauf aufmerksam machen zu müssen, daß das „Dresdner Journal" sich schon seit einiger Zeit einer „Behandlung" des „Nationalveteins" in Leitartikeln und in der ZeitungSschau enthalte. Dies ist unzweifelhaft richtig. Der Grund dafür liegt aber in etwas ganz Andcrm, als die „Constitutionelle Zeitung" glaubt, indem sie sagt, die Betrachtungen des „Dresdner Journals" in dieser Beziehung hätten geendet, „seitdem Bayern aufgchört, die selbe Trompete zu blasen". Es ist von einem so elegan ten und glücklich gewählten Bilde schwer zu sagen, wa» eigentlich damit gemeint sein soll. Sollte c» die Absicht gewesen sein, damit zu verstehen zu geben, Bayern habe sich von der bisher cingehaltenen deutschen Politik, welcher man auf Seiten der Partei der „Constitutioncllen Zeitung" sicherlich keine Neigung für die Tendenzen des National vereins beilegen möchte, in neuerer Zeit getrennt, so bliebe es dem Scharfsinn der „Constitutionellen Zeitung" und dem Maße, in welchem sie in die Geheimnisse der deutschen Politik eingeweiht ist, überlassen, ihre Entdeckun gen in dieser Beziehung dem Publicum nicht vorzuent- halten. Es hat, nach dcvobcrwähnten Phrase der „Con stitutioncllen Zeitung" zu schließen, wirklich den Anschein, al» ob wir dann Dinge zu hören bekämen, von denen wir noch nichts wissen. Ob sie wahr sind, kommt freilich bei der Partei, von welcher wir eine so große Zahl fal scher Nachrichten über das seit den Tagen von Baden in erfreulichem Fortschritte begriff ne Einvcrständniß aller deutschen Bundesregierungen gehört haben, weniger in Betracht. Vielleicht hat aber die „Constitutionclle Zeitung" die Gerechtigkeit, anzuerkcnnen, daß sich da» „Dresdner Journal" in seinen Urtheilen über deutsche Angele genheiten nicht von dem Vorgänge der Presse in Bayern oder irgend einem andern bundcsverwandten Staate ab hängig zu machen pflegt. Will sie der Geschehnisse recht sich i erinnern und die gegenwärtige Lage richtig beurtheilen, so wird sie sowohl zu der Anerkenntniß gelangen müssen, daß die von dem „Dresdner Journal" inne gehaltene Richtung von der officiellen Presse Bayerns wie anderer Mittelstaaten bisher stets gctheilt worden ist, als zu dem Einsehen, daß nicht nur das „Dresdner Journal", son dern überhaupt alle jene Blätter, welche früher die Ten denzen des Nätionalvereins ziemlich häufig zum Anlaß polemischer Betrachtungen nahmen, seit einiger Zeit in dieser Beziehung Ruhe gepflegt haben. Und dies ist denn auch Wohl erklärlich genug. So lange im National vereine noch die Möglichkeit einer Kraft vorhanden zu sein schien, das unläugbar im deutschen Volke vorhandene Gefühl des MißmuthS über den Mangel an Eintracht der deutschen Staaten in einer so bedrohlich sich gestal tenden Weltlage und an einer Deutschlands Macht, Ehre und Freiheit nach allen Seiten-hin sichernden deutsche» BundcSpolitik auf Abwege zu führen; so lange man dcS halb noch auf mancher Seite befürchten mochte, den deut schen Volksgeist mit Vorstellungen ««gefüllt zu sehen, deren Verwirklichung den Bürgerkrieg, die Zerreißung und die schmählichste Hingabe der deutschen Freiheit an da» Aus land zur Folge haben müßte: so lange haben mit Recht alle, die Untrennbarkeit und Größe deS deutschen Vater landes, wie die rechtliche Fortentwicklung seiner Zustände vertretenden Prcßorgane laut und energisch ihre Stimme erhoben, um das deutsche Volk vor Verirrungen möglichst sicher zu stellen. DaS „Dresdner Journal" hat dabei seine Pflicht nach Kräften gethan. ES kann sich aber heute die Genugthuung nicht versagen, darauf hinzuwei sen, daß cs den verfehlten und eindruckslosen Verlauf der darum nicht minder gesetzwidrigen und deshalb tadelns- werthen NationalvereinS-Tcndenzcn öfter vorauSgesagt hat, sowie daran zu erinnern, daß es schon vor der Badener Zusammenkunft prophezeite, es bereite sich in Deutsch land durch die angebahnte aufrichtige bundcsgenossenschaft- liche Einigung der Regierungen eine Beruhigung der Ge- mülher vor und eine gedeihliche Fortentwicklung im Bun deswesen, wobei Niemand weiter an Einfluß verlieren würde, als die Parteien. Die Parteiprcsse hat dagegen lebhaft gestritten. Nach ihr zu schließen, sollte in Baden, in Würzburg, in Teplih und wo und wie auch sonst noch immer die Anbahnung eines innigcrn Einvernehmens der deutschen Regierungen Fortschritte machte, die Unmöglich keit zu einer Verständigung zu gelangen immer mehr sich gezeigt, die äußern und inncrn Gefahren, denen Deutsch land entgegengingc, sich immer drohender dargestcllt haben. Die Erfahrungen weniger Wochen haben nun genugsam geredet. Wer sehen will, kann sehen, was bereits in Deutschland geworden ist und welche Einwirkung das Gewordene schon auf die Weltlage geäußert hat. Die Recriminationcn zwischen Süd und Nord haben aufgc hört, der feindselige Ton ist verschwunden au» der offi ciellen Presse; preußische Blätter, welche durch ihre früher« Haltung einen sehr bedauerlichen Einfluß für Anreizung der Nationalvereinspartei-Agitation ausübtcn, sprachen warm für eine Solidarität deutscher Interessen von der Adria bis zur Nordsee. Die Parteiblätter suchen sich noch nach Möglichkeit der Anerkenntniß dieses „Um schwunges" zu entziehen; sic machen immer neue Ver suche, die öffentliche Meinung durch Vorspiegelungen i^re zu leiten und davon zurückzuhaltcn, Vertrauen auf di« Einigung der deutschen Regierungen zu sehen. Umsonst! Der Drang, die deutschen Interessen durch Eintracht aller Regierungen mächtig geschirmt zu sehen, bricht sich sieg reich Bahn, die Einsicht, daß Deutschlands Interessen zu groß und mannichfaltig sind, um von einer Parteipolitik Befriedigung zu erlangen, wird allgemeiner, mit ihr die Unlust am Parteiwescn und eine gerechte Bcurtheilung der Bestrebungen der Regierungen. Bei diesen Fort schritten der Dinge und der Meinungen mußten also die Tendenzen des NationalvercinS immer mehr in den Hin tergrund gedrängt werden. Und dies ist in der That denn auch während der letzten Zeit schon bis in dem Maße geschehen, daß die ganze, der Partei ches Nationalverein» nicht zugehörige Presse einen so unwichtigen und unin teressanten Gegenstand wie den Koburger „Nationalverein" fast ganz ignorirc. Hierin liegt die wahre Erklärung deS Schweigens der Presse über den Nationalverein. Und obgleich der Nationalverein in seiner jüngsten General versammlung sich die möglichste Mühe gegeben hat, wie der cttvas von sich reden zu machen, wird er dies dauernd nicht wieder erreichen können, da er von den Interessen der deutschen Politik und ihren realen Bedingungen immer weiter abkommt. Wer die Entstehung dcS Nationalverein- mit Auf merksamkeit verfolgte, dem konnte die Wahrnehmung nicht entgehen, daß die Urheber und leitenden Geister sich der Hoffnung Hingaben, cs weide Preußens Regierung sich verlocken lassen, die zu organisirende Agitation im In teresse einer particularistischcn Politik auszubeuten. Die Neugothacr zählten darauf, daß Preußen die zu schaffende Bewegung schon zu meistern wissen werde; die demokra tische Fraktion aber hoffte, daß die Bewegung Preußen meistern werde, wenn Preußen sich nur erst darauf ein- laffc. Beide Hoffnungen blieben unerfüllt. Enttäuschung nach beiden Seiten hin. Was nun thun? Eine erste Generalversammlung rückt heran. Man will e» nicht Wort haben, daß man überflüssig geworden. Man will fortbestrhen, Deutschland aber auch den Beweis geben, daß das erste Jahr nicht unbenützt geblieben sei und daß man dahin gewirkt habe, Ziel und Mittel der verbreiteten Bewegung immer klarer im „Volksbewußtsein" hervortreten zu lassen. Der Beweis ist schlecht ausgefallen. Die erste Generalversammlung hat ein neues „Nothprogramm" an die Stelle des ersten gesetzt. Nicht mehr und nicht we niger. Man proclamirt al» Ziel der Agitation den Bun desstaat, die einheitliche Ccntralgewalt und das Parla ment. Dem Bundesstaate der Phantasie soll eventuell auch das österreichische Bundesgebiet angehören, wenn es möglich ist, wo nicht, auch nicht. Die preußische Central gewalt wird nicht proclamirt. Wie könnte man DicS, nachdem Preußen seit September 1859 die gehegten Hoff nungen nicht erfüllt hat! Allein als Apfel der Ver suchung wird sie ihm doch hingchalten und das preu ßische Volk wird aufgcsordert, sich mehr al» Theil be be u Ischen Volkes zu fühlen, d. h. dahin zu drängen, daß seine Regierung dem Apfel der Versuchung nicht zu lange widerstehe. Und dann, meint man, dann könnte wohl auch der für Proclamirung der verunglückten RrichS- verfassung von 1849 geeignete Zeitpunkt eintretrn! Vor erst aber würde ihre Proclamirung „nur eine Reihe von Streitigkeiten über Principienfragen Hervorrufen, ohne irgend einen praktischen Nutzen zu schaffen." DaS also wäre das neue Nothprogramm, das seit einem Jahre „klarer hervorgetrctcne Ziel des VolksbewußtseinS." Traurige Fiction der Verlegenheit! Dinge, die so weit ab von aller Realität liegen, wie die Reichsvcrfassung von 1849, wieder hervorziehen, beweist, daß die Partei, hinab; die Männer nahmen die Hüte herunter, neigten einige Augenblicke den Kopf hinein und gingen dann plaudernd ihren Weg zurück, dem Todtengräber den Rest überlastend. — Bald war die Erde aufgeschüttet, und es wurde wieder Stille, einsamer Sonnenschein; nur die Schatten der Kreuze und Gedenktafeln, der Urnen und Obelisken rückten unmerklich über den Rasen. DaS Grab war in dem Viertel der Armen, wo keine Steine auf »den Gräbern liegen; erst ein niedriger Erd hügel, dann kam der Wind und wehte den losen Staub in den Weg; dann fiel der Regen vom Himmel und verwusch die Ecken; an Sommerabenden liefen die Kinder darüber jveg. Endlich wurde e» Winter ; und nun fiel der Schnee darauf, dichter und dichter, bis cS ganz ver schwunden war. — Aber der Winter blieb nicht; es wurde wieder Frühling, cs wurde Sommer. Auf den andern Gräbern brachen die Schneeglöckchen auS der Erde, das Immergrün blühte, die Rosen trieben große Knospen. Nun hatte auch hier das Grab sich über wachse«; erst ein feines Grün, Gras und Marienblatt, dann schossen rothe Nesseln auf, Disteln und anderes Gewächs, was die Menschen Unkraut nennen; und an warmen Sommcrmittagen war e» voll von Grillen gesang. — Dann wieder eines Morgens waren alle Disteln und alle» Unkraut verschwunden und nur das schöne Gra» war noch da. Wieder einig« Tage später stand an dem einen Ende rin schlichtes schwarzes Kreuz; endlich war auf der Rückseite de» Kreuze», vom Wege abgrkehrt, ein Mädchenname eingcschnitten, mit kleinen Buchstaben, ohne Färbung, nur in der Nähe erkennbar. ES war Nacht geworden. In der Stadt Ware« die Fenster dunkel, eS schlief schon Alle»; nur oben in den hohen Zimmern eine» großen Hause» wachte noch rin jungrr Mann. Er hattr dir Krrzrn auSgethan und saß mit geschlossenen Augen in einem Lehnsessel, horchend, ob unten Alles zur Ruhe gegangen sei; in der Hand hielt er einen Kranz von Weißen Moosrosen. So saß er lange. Draußen ward eine andere Welt lebendig; daS Ge thier der Nacht strich umher, es wimmerte etwas in der Ferne. Als er die Augen aufschlug, war das Zimmer hell; er konnte die Bilder an den Wänden erkennen; durch's Fenster sah er die gegcnübcrstehende Wand des Seitenflügels in Heller Mondschcinbeleuchtung. Seine Gedänken gingen den Weg zum Kirchhofe. „Das Grab liegt im Schatten;" sagte er — — „der Mond scheint nicht darauf." Dann stand er auf, öffnete vorsichtig und stieg mit seinem Kranz die Treppen hinab. Auf der Hausflur horchte er noch einmal, und nachdem er geräuschlos die Thür aufgeschlossen, ging cr auf die Straße und im Schatten der Häuser zur Stadt hinaus; eine Strecke fort im Mondschein, bis er den Kirchhof erreicht hatte. ES war, wie cr gesagt; das Grab lag im tiefen Schatten der Kirchhofsmauer. Er hing den Rosenkranz über das schwarze Kreuz; dann lehnte er den Kopf daran. — Der Wächter ging draußen vorüber; aber er bemerkte ihn nicht; dir Stimmen der Mondnacht er wachten, das Säuseln der Gräser, daS Springen der Nachtblüthrn, da» feine Singen in den Lüften; er hörte «S nicht, er lebte in einer Stunde, die nicht mehr war, umfangen von zwei Mädchenarmen, die sich längst über einem stillen Herzen geschloffen hatten. Ein blasses Ge sichtchen drängte sich an seins; zwei kinderblaue Augen sahen in die seinen. Sie trug den Tod schon in sich; noch aber war sie jung und schön; noch reizte sic und wurde noch begehrt. Sie liebte ihn, sie that ihm Alle». Oft war sie seinet wegen gescholten worden; dann hatte sie mit ihren stillen Augen drein gesehen, cS war aber deshalb nicht anders geworden. Nachts im kalten Vorfrühling, in ihrem ver tragenen Kleidchen kam sie zu ihm in den Garten; er konnte sie nicht anders sehen. Er liebte sie nicht, er begehrte sie nur und nahm achtlos das ängstliche Feuer von ihren Lippen. „Wenn ich geschwätzig wäre," sagte er, „so könnte ich morgen erzählen, daß mich das schönste Mädchen in der Stadt geküßt hat." Sie glaubte nicht, daß er sie für die Schönste halte, sie glaubte auch nicht, daß cr schweigen werde. Ein niedriger Zaun trennte den Fleck, worauf sie standen, vou der Straße. Nun hörten sie Schritte in ihre Nähe kommen. Er wollte sie mit sich fortziehen; aber sie hielt ihn zurück. „Es ist einerlei," sagte sie. Er machte sich von ihren Armen loS und trat allein zurück. Sic blieb stehen, regungslos; nur daß sie ihre beiden Hände an die Augen drückte. — So stand st« noch, al- draußen die Menschen vorüber gegangen waren und als sich das Geräusch der Sebritte unten zwischen den Häusern verloren hatte. Sie sah cs nicht, daß cr wieder zu ihr getreten war und seinen Arm um ihren Nacken legte; aber als sie cS fühlte, neigte sie den Kopf noch tiefer. „Du schämst Dich!" sagte sie leise, „ich weiß cs Wohl." Er antwortete nicht; er halte sich auf die Bank ge setzt und zog sie schweigend zu sich nieder. Sie ließ e» geschehen, sie legte ihre Lippen auf seine schönen vor nehmen Hände; sie fürchtete, ihn betrübt zu haben. Er hob sie lächend auf seinen Schooß und wunderte sich, daß er keine Last fühle, nur die Form ihre» zarten, elfrnhasten Körper»; er sagte ihr neckend, sie sei eine Here, sie wiege keine dreißig Loth. — Der Wind kam durch die nackten Zweige; er schlug seinen Mantel um
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite