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24. Jahrgang Reichsaußenmimfler Or. Stresemann Trauerkundgebung im Reichstag Berlin. Der Roichsaubenminister Dr. Stresemann ist heute nacht ver storben. llch mit der Unterzeichnung des Kellogapaft«» in Pari» Md mit seinen planmäßigen Arbeiten auf dem Gebiete der Abrüstung, der Minderheitenpolitik, des wirtschaftlichen Zusammenschlusses der europäischen Mächte in eine immer sichtbarere führend« Rolle unter den Geistern errang; er war mit den Staatsmännern wie Briand, Chamberlain, zuletzt Maobonalb und Henderson- in gleichgerichteten Bestrebungen verbunden. D.r Stresemann war seit 1903 mit Frau Käte ged. Kleefeld verheiratet und hatte zwei Söhne. Sm Jahre 19S7 erschien «In» zweibändige Ausgabe seiner Reden. Vor nicht langer Zeit bat Dr. Stresemann in Erkenntnis seines Gesundheitszustandes bereits die Absicht zu erkennen ge geben, sich nach der vollständigen Erledigung der Haager Ver ¬ stellung der Weltgelttmg Deutschlands durch Betonung seiner zentralen Stellung in der Mitte der europäischen Völker. Die Einzelheiten dieses staatsmännischen Werdeganges sind bekannt: Wie Stresemann durch den fast einstimmigen Willen des deut schen Volkes in den kritischsten Tagen des Jahres 1923 als Reichskanzler der großen Koalition an die Spitze der Negierung berufen wurde, wie er den Nuhrkampf abbaute, wie er das -^awesgutachten als die wirtschaftliche, den Locarnovertrag als die politische Lösung des brennendsten Konfliktes mit den West- machten herbeiführte, wie er im Berliner Vertrag von 1920 mit der Sowjetunion die politische Gleichgewichtslage und die Ver meidung einseitiger Bindungen Deutschlands sicherstellte, wie er » 3um Tode Dr. StresemaNns erfahren wir folgende Einzel heiten: Dr. Stresemann war gestern den ganzen Tag über durch die Verhandlungen über die Arbeitslosenversicherung stark in An spruch genommen. Zwischen 10 und ^11 Uhr abends erlitt er einen Schlaganfall. Die Aerzte hofften jedoch, daß Dr. Stresc- mann am Leben erhalten bliebe, obgleich der Schlaganfall so schwer war, daß die reckte Seite völlig gelähmt wurde. Heute früh 5,25 Uhr ist Dr. Stresemann einem gleichen Anfall erlegen. Seit dem ersten Anfall ist Dr. Stresemann ohne Bewusstsein ge wesen. Von den Aerzten wurde seit langem damit gerechnet, dast dieses Ereignis eintreten würde. In den letzten Tagen war Dr. Stresemann durch einen Katarrh ans Bett gefesselt, erschien aber gestern vormittag zu einer wichtigen Fraktivnssitzung der Deutschen Volkspartei, in der die Arbeitslosenversicherung ver handelt wurde. In dieser Sitzung hielt er eine längere Rede. Den Nachmittag über stand er mit der Fraktionsleitung dauernd in telephonischer Verbindung. Gerade die letzten Tage seines Lebens waren für Dr. Stresemann mit ungeheurer Arbeit aus gefüllt. Frau Dr. Stresemann und die beiden Söhne weilten die Nacht über am Krankenbett. Welche politischen Auswirkungen der Tod Dieses deutschen Staatsmannes haben wird, lässt sich im Augenblick natürlich nicht übersehen. Es ist anzunehmen, das; der Reichskanzler, dem von dem Ableben des Neichsauszenminnisters sofort Mitteilung ge macht wurde, heute such eine Kabinettssihung einberufen wird. Die öffentlichen Gebäude flaggten sofort Halbmast, auch das Auswärtige Amt, die Wirkungsstätte Dr. Stresemanns während der letzten Jahre. Die für heute um 10 Uhr angesetzte Vollsitzung des Reichs tages erfuhr infolge des plötzlichen Ablebens des Reichsaußen- ministers eine 'Verspätung um eine Viertelstunde. Der Minister platz Dr. Stresemanns war mit schwarzem Flor umhüllt. Aus dem Matze selbst lag ein Blumenstrauß. Auf dem Abgeordneten platz Dr. Stresemanns war ein großer Strauß weißer Chrysan themen niedergelegt worden. Am Negierungstische hatten Reichskanzler Müller und die anderen Mitglieder des Neichskabinetts Platz genommen. Kommunisten und Nationalsozialisten wohnten der Sitzung nicht bei. Vizepräsident Dr. Esser eröffnete die Trauersitzung mit folgenden Worten, während welcher der Reichstag sich erhob: .Meine Damen und Herren! Trauer läßt heute die Herzen des deutschen Volkes erbeben. Ein treuer Hüter seines Lebens- und Gcltungswillens ist in den Sielen gestorben, unser Gustav Strcse- mann, Reichsminister des Auswärtigen. Der Deutsche Reichs tag trauert um eins seiner hervorragendsten Mitglieder. Dr. Stresemann gehörte dem Reichstag von 1914 bis zum Zusam menbruch an; er wurde auch in die verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung gewählt, und war seitdem ununterbrochen Mitglied des Reichstags. Seine überragende politische Befähi gung und seine ausgezeichnete Rednergabe brachten ihm auch die Führerschaft; schon im alten Reichstag war er Vorsitzender der Nationalliberalcn Fraktion. Von 1920 bis 1923 leitete er die Fraktion der Deutschen Volkspartei, die heute den Heimgang ihres langjährigen Führers beklagt. Mit außerordentlichem poli tischem Geschick übernahm seine hervorragende Persönlichkeit am 13. August 1923 das Reichskanzleramt, in einem Augenblick, als der Ruhrkampf abgebrochen werden mußte. Daß Dr. Streße- mann vor schweren Aufgaben nicht zurückschreckte, und daß er mit zäher Willenskraft denen, die ihn in der Innen- und Außen politik ablehnten, gegenübergcstandrn uns pch für seine Politik eingesetzt hat, bleibt sein geschichtliches Verdienst. Nach der Riederlegung des Neichskanzleramtes blieb er in der Regierung und war Minister des Äcußeren bis auf den heutigen Tag. Was er auf diesem schwierigen Posten für Deutschland geleistet hat, steht in ehrenden Blättern in das Lebensbuch unseres Volkes und Vaterlandes eingetragen. Das deutsche Volk dankt dem Dahingcschiedenen, daß er bis zum Ende seiner körperlichen Kräfte das Werk der Befreiung Deutschlands weitergeführt und zum innerpolitischcn Wiederaufbau unseres Vaterlandes sehr viel getan hat. Der deutsche Reichstag hat diesem Danke hiermit tiefbewegt Ausdruck gegeben. Darauf nahm Reichskanzler Müller das Wort, um Folgendes auszuführen: „Tieferschüttert steht die Reichs regierung, stehen die Regierungen der Länder mit dem Reichstag an der Bahre Gustav Stresemanns, dieses Tatmannes, der seine Kraft im wahrsten Sinne des Wortes für sein Volk und für sein Land verzehrt hat. Es ist ein tragisches Geschick, daß er den Abschluß des Werkes nicht erlebt, dem er die letzten Jahre und die letzte Kraft seines Lebens gewidmet hat. Es war immer sein Ziel, die Befreiung Deutschlands zu erreichen. Gerade nach dem Abschluß der Konferenz im Haag, die der Regelung der Kriegs schulden und die der Räumung der besetzten Gebiete gewidmet war muß ein unerbittlicher Tod ihn aus unseren Reihen reißen. Stresemann war ein Streiter und ein Kämpfer; ihm tat der Kampf wühl; er war ihm Lebensbedürfnis und er hat, wie alle Streiter und Kämpfer, Gegner und Feinde die Menge gehabt. Die Neichsregierung ist der Ueberzeugung, daß dereinst die Ge schichte, die weniger beeinflußt sein wird vom Streite der Par- eien in der schweren Nachkriegszeit, ihm gerecht werden wird als einem Manne, der erfolgreich gearbeitet hat für sein Volk, der fi"r sein Land und für sein Volk gelebt hat und gestorben ist. Möchten nicht nur seine Gattin, nicht nur seine Kinder, sondern die weitesten Kreise des deutschen Volkes trauern um diesen Mann. , Vizepräsident Esser: Wenn wir nicht unter so außergewöhnlichen.Umständen tagten, würde ich dem Hause vor- UbE die Sitzung zum Zeichen der Trauer aufzuheben. Da wir aber ein dringend notwendiges Geschäft heute zu verabschie- ?en haben schlage ich ihnen vor, die Sitzung jetzt als Zeichen Trauer bis 11F0 Uhr pünktlich auszusetzen. Das Haus war damit einverstanden. Um XII Uhr wurde die Sitzung unterbrochen. ' Vom ersten Tage ab sagte er dem Vertrag^ »"mok an. Vom ersten Tage ab setzte er sich die Ziele, die er in oer yoige, soweit ihm ein tragisches Schicksal ie Ze Z lieb mit bewunderungswürdiger Konsequenz und venoirklicht -al: Die Befreiung des Rheinlandes eine mtb endgültig» Regelung der Reparationsfrage, die Wiederher Vas Settel- -es Nekchspräfl-ealea Der Reichspräsident, der zurzeit in der Echorshekb» »«ilt, hat an Frau Stresemann das nachfolgende Beileidstelegramm gerichtet: „Tiefbewegt sende ich Ihnen und den Ihren den Ausdruck meiner herzlichen Teilnahme an dem plötzlichen Tode Ihres Gat ten, der bis zum letzten Atemzuge so treu für sein Vaterland gearbeitet hat. gez. v. Hindenburg. Außerdem hat Im persönlichen Auftrage des RÄchsprDbrn- ten Staatssekretär Dr. Meißner den Söhnen des verstorbe nen Neichsministers heute vormittag im Trauerhause bas tief empfundene Beileid des Reichspräsidenten an dem schweren Ver lust, den Frau Stresemann und ihre Söhne so plötzlich erlitte» haben, zum Ausdruck gebracht. Der Reichspräsident hat sich aus Anlaß des Tode» Dr. Stre- semanns entschlossen, seinen Aufenthalt auf dem Land« abjzubre- chen. Er wirh. morgen vormittag nach Berlin zurückkehren. > die Vertretung Vr. Stresemanns Die Vertretung des verstorbenen Reichsaußenminkster» ist offenen Sarge noch nicht geklärt worden. Voraussichtlich Die Todesursache Heber bis Todesursache und dem letzten Krankheitsverlauf Dr. Stresemanns machte Professor Hermann Condek dem WTD- auf Anfrage folgende Mitteilungen: Dr. Stresemanns Nierenleiden hatte sich in der letzten Zeit ' erheblich gebessert, dagegen zeigte das Allgemeinbefinden schon seit Längerem starke Ermüdungssymtome und der Blutdruck war in die Höhe gegangen. Professor Cvndeck führt diese Erschei nungen auf die aufreibende und aufregende Tätigkeit Dr. Strese- manns zurück. Er hat den Außenminister immer wieder ein- dinglich zur Zurückhaltung gemahnt; so ließ er ihn nur schweren Herzens zur Haager Konferenz fahren und bat ihn noch gestern früh, doch unter allen Umstanden im Bett zu bleiben. Diese Mahnung war, wie so häufig, vergeblich bei dem aufopfernden Pflichtbe-wußtsein und dem Temperament, mit dem Dr. Strefe- mann sich seiner verantwortungsschweren Tätigkeit hingab. Immerhin ging es dem Minister gestern abend verhältnismäßig gut. Er sagte, daß er sich ganz wohl fühle. Um 'Uhr erlitt er dann aber den ersten Schianfall, der zu einer tiefen Bewußt losigkeit führte. Dieser Anfall war so schwer, daß weitere Blu tungen befürchtet werden mußten. Deshalb blieben die Pro fessoren, Geheimrat Kraus und Dr. Condek, die ganze Nacht am Krankenlager. Um 546 Uhr morgens traf mit einem neuen schweren Schlaganfall Atemlähmung ein, die den Tod zur Folge hatte. Nach der Ansicht Pros. Condeks mußte mit diesem schmerzlichen Ereignis bereits seit zwei Jahren gerechnet werden. '.L!' Gustav Stresemann ist am 10. Mai 1878 zu Berlin ge° ' Horen, besuchte hier bas Andreasgymnastum und studierte in i Berlin und Leipzig Rechts- und Staatswissenschaft. Er promo- Ä vierte in Leipzig als Doktor der Na lonalokonomie. Von 1901 ab war er in verschiedenen wirtschaftlichen Verbanden, so ms- besondere Verbände sächsisch er Industrieller Hals Syndikus tätig. Der junge Volkswirt Dr. Stresemann zog schon im Jahre 1907 im Alter von 29 Jahren in den Reichstag und binnen kur zem in den Zentralvorstand der Nationalllberalen Partei. Me beste Rednergabe, verbunden mit Gründlichkeit,und Zuverlässig keit in der Bearbeitung aller Aufgaben, denen er sich unterzog, dazu eine ausgesprochene Führerqualität, brachten ihn beim Tode Bassermanns nach dessen eigenen Bestimmungen an die Spitze der Partei, die er nach der Katastrophe des Krieges al» Deutsche A Dolksparte! erneuerte und um seine Person, seine Staatsaus- F fassung neu gruppierte. den Kampf an. Vom ersten Tage ab setzte er er in der Folge, soweit ihm ein tragisches Schi' »Lanäesverrat!« Die völkischen ,/veutschen Nachrichten" schreiben unter der Lieberschrift ,/Husarenritt nach Frankreich" u. a.: Die von Herrn Stresemann beeinflußte volksparteilich« „Na tionalliberale Korrespondenz" hat ihren ,)Freundi-.n" im deutsch nationalen Lager eine böse Suppe serviert, die uns In ihrer Zu sammensetzung nur wieder beweist, daß innere Unwahrheit stet» ans Tageslicht kommen muh. , Wie haben die deutschnationalen Parteiblätter unter Füh rung des Hilgenberg-Konzerns über den Versuch Mahrauns (Iungdeutscher Orden) geschmäht, mit Frankreich in irgendeiner Form zu einer Verständigung zu kommen! Landesverräter, Vaterlandsverräter waren die Iungdeutschen. Und nun bestätigt sich, was bas .^Deutsche Tageblatt^ schon vor Monaten in einer Pariser Meldung mitteilte, baß der Ge neralleutnant a. D. von der Lippe gemeinsam mit Herrn Arnold Nechberg in Paris mit Franzosen und Engländer» über den Abschluß eines Militärbündnisses Deutschland—Frankreich gegen Rußland verhandelt hat. Als das „Deutsche Tageblatt" dies« Verhandlungen seinerzeit bekanntgab, erhob sich das gerühmt« Schweigen im Walde. Jetzt kommt dieser „Husarenritt" der Deutichnationalen nach Paris vollständig ans Rampenlicht. . . Wir haben immer die Ansicht vertreten und vertrete» st« auch jetzt -, daß n! cht in der Tatsache irgendwelcher Dechaad- lungen an sich ein „Landesverrat" gesehen werden Ian». Wir haben in diesem Sinne die seinerzeitigen Verhandlungen Mcch- rauns für politisch falsch gehalten, ohne freilich In das Geschrei des Hugenberg-Kreises über Hochverrats u. a. einzustimmen. Und nun Ist, was vir schon längst wußten, endgültig bestä tigt, daß die politischem Fabrikanten aus dem Haus« H«ge«berg durchaus — allerdings nur helmÜch! — da» Gleich« tat«», »« sie Mahraun in der tollsten Fon» zum Vvnvmrf machten: Um mit der Scherl-Presse zu rede», also,Landesverrat" beging««. Das ist es, was wir diesem an geistig-pottttscher Unfruchtbarkeit und Unfähigkeit absterbenden h rerkrei»" «d „Ve i t , r- zirkel" »um Vorwurf mache«: Nicht mtt »ss«»»« Bist«» ,« kämpf»», i» D«Hchi«ch feidst als» Vowb*gch»« »V» im Völkerbunde sich und damit uns eine in Anbetracht der Macht-! Verhältnisse außerordentliche Autorität gewann und wie er schließ-1 einbarungen ins Privatleben zürückzuziehön. -WM Anzeiger für -as Erzgebirge UM »I- amtlichen s-k-m°tm°chu°g-m Nate» Ser Statt an» S-- Hin,»,-richt» Hm. !».>«. Nr 2^2 " :—- Freitag, cken 4. Oktober 1S2S am l„, ... . „ , , wird Reichskanzler Müller dem Reichspräsidenten morgen dar über berichten. Ob der Zeppelinflug stattfindet, steht dis zur Stunde noch nicht fest. Ebenfalls sind alle angesetztea Feierlich keiten abgesagt worden. Me Sehörüen flaggen holbmofl Auf Anordnung der Reichsregierung werden die Behörde» aus Anlaß des Todes des Reichsaußenministers bis einschließlich Sonntag halbmast-,flaggen.