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Dienstag» äen 23. Hpnl 1929 24. Jahrgang Nr. 94 Mer Tageblatt AEM Anzeiger für öas Erzgebirge WM «vomm«: «ag.bla« Enthalten- -le amtlichen Vekanntmachuvgen -es Rate» -er Sta-t UN- -es Amtsgerichts Hue. p-ftsih,«.ll»at«r ftmt 1-p^e a,. 1— Dr. Schacht und Dr. Bögler in Berlin Sie berichten -em Nekchskablnett Die beiden Sachverständigen Reichsbankpräsident Schacht and Dr. Bögler weilten am Sonntag in Berlin und haben di« Mitglieder des Reichskabinetts über den Staad der Sachver. stänwgenberatungen t« Berlin unterrichtet. Sie berichteten insbesondere über di« Bedeutung und Behandlung der deut schen Denkschrift. Die Sachverständigen stellten dabei fest, datz keinerlei politische, sondern nur wirtschaftliche Anregungen in ihr enthalten seien, ferner datz derjenige Teil der Denkschrift, dem von anderer Seit« poltischer Charakter betgemessen wor den ist, weder im Unterausschuß noch im Plenum erörtert wur^e, sodaß die Denkschrift genau so wie die übrigen M«mo» ranten als Aussprachegrundlag« dienen sollte. Di« Minister nahmen den Bericht entgegen und erklärten, datz sie auch fernerhin den Sachverständigen ihre unveränderte Berhaudlungsfreiheit zu belassen wünschten. Der Neichsbankpräsülent hofft aus Einsicht in Paris Kur!z vor feiner Ausreffe nach Paris gewährte Reichsbank präsident Dr. Schacht einem Vertreter des „Montag" auf dem Bahnsteig sine Unterredung, in der Dr. Schacht u. a. aus führte, daß er mit der gleichen Ruhe, mit der er nach Berlin gekommen sei, auch wieder nach Paris zurückkehre. Er werde dort die Verhandlungen wieder aüfnchmen und abwarten, wie die Vertreter der übrigen Staaten in der Vollkonferenz zu den Vorgängen im Unterausschuß sich einstellen würden. Wörtlich sagte Dr. Schacht am Schluffe seiner Ausführungen: „Ich fahre mit dem Gedanken, daß ich in Paris selbst die ungläu bigsten Dhomaffe noch davon Überzeugen werde, daß wir nicht mehr leisten können, und daß man Deutschlands Leistungs fähigkeit nur steigern kann, wenn man seine Produktions fähigkeit fördert." Eine Erklärung Dr. Schachts Ein Mitarbeiter des ,Lournal" in Paris wurde am Freitag Pom ReichSbanchräsidenten Dir. Schacht empfangen. Nach einem warmen Nachruf für den so plötzlich verstorbenen Lord Revelstoke soll Dr. Schacht gesagt haben: „Ich lege Wert darauf, Ihnen Folgen des zu erklären: Ich habe niemals gesagt, daß die deutschen Vorschläge, die ich den Gläubigern am ver gangenen Mittwoch unterbreitete, das letzte Wort der deutschen Delegation sind. Ich habe die gegenwärtige Konferenz niemals als einen Markt angesehen, aus dem um Angebot und Nachfrage gefeilscht wird. Dies bedeutet, daß meine letzten Vorschläge, die genau in dem gleichen Geiste abgefaßt sind wie das Memoran dum der Alliierten, eine der Phasen der langen Er örterung über die Ziffern gewesen sind, die wir offi ziell in der voraufgegangenen Woche angeschnitten hoch tenl" „Also wollen Sie den Abbruch nicht?" fragte der Besucher. „Ich habe," erwiderte Dr. Schacht, „stets den bren nenden Wunsche gehabt, zu einem offenkundigen Er gebnis zu gelangen, und ich habe immer erklärt, daß ich die Konferenz als letzter verlassen würde. Ich bin bereit, sämtliche Anregungen zu erörtern, welche die alliierte Antwort auf die von mir unterbreiteten Vor schläge geben könnte." Auf den Vorwand, daß man die Vorschläge für unbefriedigend halte, erwiderte Dr. Schacht: „Glau ben Sie mir, die Kritik, die ich in der Pariser Presse gefunden habe, ist durchaus Verfrüht-, Ich unterstreiche dieses Wort." Neparationskonferenz erst am Dienstag? iMSttenmchrichten zufolge dürfte die vertagte Repara- ttonskonferenz kaum vor Dienstag vormittag wieder aufge nommen werden. Die Verschiebung fft durch die Beisetzung Lord Revelstoikes erforderlich geworden. RövefftokeS Leiche, die am Sonnabend nachmittag nach BouIogue-fur-Mer über geführt wurde, soll am Montag auf dem englischen Landgute des Verstorbenen beigosetzt werden, und da eine Anzahl Delo gierte der Reparationskonferenz den Wunsch geäußert «hat, an den Beisetzungsfeterlichkoiten tüilzimehmen, wird sich der Wie- derzufammentrttt der VoNoafsrmch vor DienStag kaum er« «LMchea lasst«. Amerikas Meinung Zur Krisle der Pariser Konferenz Wir haben am Freitag auf Grund unserer Infor mationen davor gewarnt, die Pariser ReparationSkon- ferenz schon als gescheitert zu betrachten-. Zur Stunde, als wir diese Warnung niederschrieben, unterhandelten bereits die amerikanischen Delegationssüh- rer mit Dir. Schacht, bald erschienen auch die euro päischen Delegationsführer der Reihe nach wieder, so daß man geradezu eine offiziöse Sitzung der Konferenz im Hotel Georg ,V- abhielt. Draußen in der Welt tobte indessen der Pressesturm gegen Dr. Schacht und die deutsche Denkschrift weiter. Das kann nicht verfangen. Ein Vergleich liegt nahe und drängt sich auf. Wer je einmal an Taris- Verhandlungen teilgenommen, weiß, daß bei ihrem Be ginn die Forderungen der Arbeiter und die Zugeständ nisse der Unternehmer sich schroff und scheinbar un überbrückbar gegenllberstehen. Man spricht sich aus. Tie Aussprachen sind in der Regel äußerst lebhaft. Nahezu regelmäßig kommt es zu scharfen Konflikten. Das eine Mal stehen die Unternehmer auf und grei fen nach ihren Hüten, ein anderes Mal ziehen die Ar beitervertreter ihre Mäntel an. Schließlich kommt doch ein neuer Tarif zustande^ Man kennt das. Was haben wir jetzt in Paris erlebt? Zunächst kamen die Sachverständigen der europäischen Gläubi gerstaaten mit einem Memorandum heraus, das die deutschen Kriegsschulden mit einen Gegenwartswert von 40 Milliarden Goldmark ansetzt. Tiie deutsche Öffentlichkeit lehnte dieses ungeheuerliche Ansinnen geschlossen ab und machte einmütig Front gegen den ultimativen Charakter der alliierten Forderungen. Tie französische Regierungspresse dagegen zitterte und befürchtete, daß hie deutsche Delegation das Memoran dum der europäischen Gläubigersachverständigen zum Anlaß nehmen könnte, die ganze Konferenz zu spren gen und die Schuld für das Scheitern der Verhand lungen den europäischen Alliierten zuzuschieben. Was zu erwarten war, ist eingetroffen, daß sich nämlich die Lage vollständig umdrehte. Die Deutschen boten unter Führung Dir. Schachts eine Reparations summe an, die einen Gegenwartswert von 2 6 Mil liarden Goldmark hat. Darüber geraten die Franzosen, die Engländer, die Belgier und ihre angel sächsischen Freunde in den Vereinigten Staaten völlig aus der Fassung und ergehen sich in tollen Verdäch tigungen und Beschimpfungen Dir. Schachts. Bei dem angeblich ultimativen Charakter des deutschen Me morandums könnten keine weiteren Zugeständnisse ge macht werden, die Konferenz wäre gescheitert und die Deutschen trügen die Schuld daran« Selbstverständlich war das deutsche Memorandum nicht das letzte Wort und ebenso selbstverständlich trug es keinen ultimativen Charakter., Nicht minder selbst- verständlich erscheinen uns auch! die Wutausbrüche der französischen Presse. Damit ist jedoch das letzte Wort auf der zweiten TaweSkonferenz noch nicht gesprochen. Am Freitag, Sonnabend und Sonntag wurde wei ter verhandelt. Im Mittelpunkt der .Besprechungen standen die .amerikanischen Delegationsführer Owen Aoung und Pierpont Morgan. In ihrem Rücken tauchten die Vertreter des Weißen Hauses in Washington auf, Herbert Hoover und Senator Bor ah. Die Erklärung de» Vorsitzenden de» Senats- Ausschusses für die Auswärtigen Angelegenheiten der Vereinigten Staaten Nordamerika», daß Deutsch land» Angebot „vernünftig und fair" war, ist von größter politischer Bedeutung. Nicht minder bedeutungsvoll ist die amtliche Erklärung des Weißen Hauses, die hofft, daß noch ein Vergleich ge funden wird. Sie beruft sich auf die Erklärung -es Staatssekretärs Hughes vom Dezember 1922, nach der Amerika nicht wünscht, daß Deutschlands Schulden ge strichen oder Frankreich seiner angemessenen Ansprüche beraubt wird. Auf der anderen Seite, fährt die Ey> klärung wörtlich weiter, will aber Amerika nicht, daß Deutschland unter der Reparationslast zusammenbricht. Europa kann sich wirtschaftlich nur erholen, wenn Deutschland wieder auf die Beine kommt und wirtschaftlich selbständig wird, Industrie und Volk in Deutschland müssen die Hoffnung auf Be lohnung ihrer Arbeit Haben, sonst wird da» Ergebnis schließlich nicht Nep arationStzaHlungen, sondern »in« Katastrophe lebe. Die Nüstungsfreuä'igkett äer Wett und «in« Erklärung der Sowj«tdtl«gatton in Genf Tie Sowjetdelegatton in Genf veröffentlicht eine lange Erklärung, zu der durch die Behandlung des Sowjetentwurfes über einen teilweisen Abbau der Rü stungen für sie entstandenen Lage.» In der Erklärung wird daraus hingewiesen, daß der Entwurf eine» teil weisen RüstungSabbaueS in drei Sitzungen behandelt wurde, wobei sich an der Aussprache nur sieben Dele gierte beteiligt hätten. Sämtliche Sitzungen, an denen die Sowjetdelegation teilgenommen habe, hätten sich als gänzlich fruchtlos erwiesen, indem sie keinen ein zigen Beschluß gebracht hätten, welcher das Abrüstungs problem auch nur einen Schritt der Lösung näher ge bracht habe. Diese Tatsache lasse den Pessimismus und das Mißtrauen, mit dem die Sowjetunion die Ein ladung zur Teilnahme an den Arbeiten des Vorbe reitenden Abrüstungsausschusses angenommen habe, al» durchaus berechtigt erscheinen. Die Sowjetdelegation sei gegenwärtig mehr denn je davon überzeugt, daß die durch den BorbereitungSauSschuß sestgelegtsn Wege und Methoden nicht zur Lösung der vor ihm stehen den Aufgaben führen können. Der VorbereitungSauS- schuß werde, indem er die Verantwortung der Regie rungen für ihre Untätigkeit in der Sache der Abrüstung aus sich nehme, gleichsam zu einer Deckung für die Weigerung der Regierungen, ihre Rüstungen abzu bauen. Tie Erklärung schließt: Die Feststellung die ser Tatsachen müßte die Sowjetdelegation dazu bewegen, ihre Teilnahme am BorbereitungSauSschuß aufzugeben. Wenn die Sowjetdelegation dennoch beschließt, im Bor- bereitnngsausschuß zu verbleiben, so läßt sie sich hier bei von demselben Gedanken leiten, der seinerzeit die Sowjetregierung bei all ihrer negativen Einstellung zum Völkerbund und seinen Organen dazu bewogen hatte, eine Vertretung in den BorbereitungSauSschuß zu entsenden. Tie öffentliche Meinung der Welt soll wissen, daß die Sowjetregierung alles von ihr ab hängige zur Förderung der Sache der Abrüstung tut und tun wird. Tie Sowjetdelegation ist gewillt, diese ihre Aufgabe auch weiterhin zu erfüllen.« Sie ist sich dabei vollkommen im klaren über die Nutzlosigkeit der Arbeit des Ausschusses, solange die durch die Sowjet delegation eingebrachten Vorschläge außer acht gelassen werden. Tie Sowjetdelegation verbleibt im Borberei tungsausschuß in der Hoffnung, daß die anderen in ihm vertretenen Regierungen unter dem Truck der öffentlichen Meinung und vor allem der Forderungen der Arbeiterorganisationen sich gezwungen sehen wer den, ihre Zustimmung wenn nicht zu der vollen Ab rüstung, so doch zu einem wesentlichen Abbau der Rü stungen zu geben und daß ihre Vertreter im Ausschuß unvermeidlich zu denselben Sowjetvorschlägen werden greifen müssen, welche sie bisher infolge der gegen wärtigen Instruktionen ihrer Regierungen ablehnten. Diese grundsätzliche Erklärung ist vom Führer der Sowjetdelegation, Litwinow, unterzeichnet. Grzesinski über Sozialismus unä Staat Auf der Jahreskonferenz des dritten Bezirks der Sozialdemokratischen Partei Schleswig-Holsteins am Sonntag hielt der preußische Innenminister GrzesinSkt einen Vortrag über das Thema „Der heutige Staut und wir". Der Minister gab einen geschichtlichen Rück blick über die wachsende politische Bedeutung der Par tei, wobei er betonte, daß die Sozialdemokratie der Vorkriegszeit zwar im Gegensatz zum damaligen Staat, nicht aber zum Vaterlands gestanden habe. Auf die Gegenwart übergehend, bemerkte der Minister, datz ge genüber 1914 auf wirtschaftlichem Gebiete ungeheuer viel in Deutschland ander» geworden sei. Zwar sei der heutige Staat kein sozialistischer Staat, genau so wenig aber sei er auch ein kapi talistischer, denn der Kapitalismus sei eingeschränkt durch den Staat und die staatlichen, genossenschaftlichen, kommunalen und gemetnwirtschaftlichen Unternehmun gen. Der Minister betonte eindringlich die Notwendig keit, daß die Sozialdemokratie ihren politischen Ein fluß ausübt, indem sie in die Verwaltung eindringt und die Verwaltung zu beherrschen suchte „Je mehr wir," betonte GrzesinSki, „die Verwaltung de» Staates für uns erobern, desto mehr wird sich die Machtstellung des Staates auch in WirtschaftSkämpfen in ihren Aus wirkungen für die Arbeiterschaft zeigen. Da» ist aber nur möglich, wenn die Behörden de» Staate» geleitet werden von Männern, die «in» soziale Einstellung -» b«r. Well wir in vreutze» diese Wtchiiakett «fasst ha»