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Was Ot /^Xur wenige ff Menschen, die heute Eltern pflichten erfüllen, werden von sich behaupten können, dab sie immer Musterktnder ge wesen seien. Die Meinung darüber, was Sinder nicht tun dürfen, hat sich im Lause der Zeiten gewandelt. Diese Wandlung ist all gemein, sie ist auch dort erfolgt, wo man sich ihrer kaum bewußt geworden ist. Neben die strenge Autorität ist ein gegen seitiges, frei ¬ mütiges Vertrauen zwischen Eltern und Kindern getreten — und im all gemeinen darf gesagt werden, daß beide Teile dabei ge wonnen haben. — Der Grund zu dieser Wandlung war Wohl mein Mnd? die durch die fort schreitende Wissen schaft herbei geführte Erkenntnis, dab manche Wünsch« und die aus ihnen erwachsenden Handlungen d«S Kinde», die man früher nicht ver stand, auf bio logisch begründeten Ansprüchen des Kinde» beruhten. So entsinne ich mich au» meiner eigenen Kindheit, dab ich mit großer Vorliebe rohe Möhren ab- Meine Mutter konnte dar über verzweifeln. „Das gute Esten läßt der Junge stehen — und heimlich ver zehrt er in der Küche diese rohen Dinge, die be stimmt nicht gut für ihn sind . . ." Das war zu einer Zeit, als noch niemand di« Ergebnisse der modernen Vtta- . wie schön, wenn man darf!" Mineforschung kannte und anch eine gescheite Mutter nicht aus den Gedanken kommen konnte, etwas Rohkost im täglichen Nahrungsplan des Kindes für un bedingt notwendig zu erachten. Auch zu dem, was man früher schlechthin als Naschhaftigkeit bezeichnete, steht man heute anders. Der Drang des Kindes nach Süßigkeiten, namentlich Bonbons, Torten, Schokolade und auch nach blankem Zucker, wurde einst als reine Genußsucht, als Naschhaftigkeit, als Schleckeret gedeutet. Das übertriebene Schlagwort vom Jahrhundert des Kinde» hatte daö Gute, daß man auch über die Naschhaftigkeit nachdenklich zu werde» begann, daß man einsaft, dab ost ein wichtiges Nahrungs- bedür'niS die Hand des Kindes nach der Zuckerdose greifen ließ. Die Wissenschaft stellte fest, daß die chemischen Voraussetzungen für den Ausbau eines wachsenden Körpers die Wunschinstinkte des Kindes dirigieren, daß eine noch unvoll ständige Erkenntnis vom innersten Wesen des Ernährungsvorganges durchaus nicht dazu berechtigte, den Selbsthilsedrang des kleinen Wesens als minder wertige Veranlagung zu verdächtigen. ES wäre falsch, hier von« Recht des KindeS auf Plünderung der häuslichen Vorräte zu sprechen. — Wohl aber war eS an der Zeit für die Einsicht, dem kindlichen Bedürfnis eine Lehre für die Umgestaltung der täglichen Ernährung abzugewinnen. Bestätigte doch die Wissenschaft, was das Nach —« Bild links: „Ich möcht' doch so gern!" denken des Laien schon zuwege brachte: daß der wachsende Körper besonderer Krksteziisuftr bedarf, der Keine Magen jedoch, was die Menge betrifft, geschont werden will. Die Leistungen des Kindes in Spiel, Lernen und Arbeit werden meist unterschätzt, aber schon das stärkere Schlafbedürfnis des Kindes und die größere Neigung zu Temperatur schwankungen weisen darauf hin, wie hoch der Kräfteverbrauch des Kindes durch die tägliche Leistung nnd die Anforderungen des Wachstums ist. Weiß man nun, daß der einst als Naschwerk verpönte Zucker wie kaum ein andrer Nährstoff in konzen triertester Form für den Aufbau des Körpers und seine Leistungsfähigkeit unerläß liche Werte enthält, so wird das Verlangen der Kinder nach Süßigkeit ohne weiteres verständlich. Man sieht: der Weg zu besseren Erkenntnissen ist mit Irrtümern gepflastert. So selbstverständlich es ist, daß wir mit allem, was wir sind, aus den Schultern der Vorfahren stehen — so richtig ist es anch, daß wir Erwachsenen manches Wistensgut erst der schärferen Beobachtung unserer Kinder verdanken! Svnderbericht für unsere Beilage von Friedrich Lauenstein Instinktiv greift das Kind zur rohen Mohr rüde, der Trägerin von Süßigkeit und Bitaminen