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Mittwoch, äen 2S. August 1S2S 23. Jahrgang Auer Tageblatt «»» Nir M»,>»ürU,» »I, p,st»«st«U,<, rot,,,«». — «rfthrtxt »rrktö-Uch. Zrrnspttch.finschlu- Ur. SS. Anzeiger M öns Erzgebirge W--» krl»sramm,r Lagedia« flo,»rsg«btrg« Erühalteu- -le amtliches öekaootmachuageu -es Rates -er Sta-t ua- -es Amtsgerichts flur. poysch-ck'Konivr Eütpztg Nr. 202 Der Kries ist ein VervreGen Vie vnterzeicknung cles Kellogg-Paktes. Lange vor Beginn deS UnterzsichnungSakteS hatte sich eine große Menschenmenge nicht nur vor dem Git ter, Vas Ne Vorgärten des Quai d'Orsay einfaßt, ein- gefunden, sondern auch längs des Seine-Kais Aufstel lung genommen, um die Anfahrt der Minister und Be vollmächtigten zu beobachten. Im Uhrensaale des französischen Außenministe riums Hatten sämtliche Mitglieder der französischen Re gierung, das Diplomatische Korps, der Kammer- und der Senat-Präsident sowie diele Parlamentarier Platz genommen. Für die Presse war in dem anschließen den Botschaftersaal Platz geschaffen worden. Als die Uhr drei schlug, erschienen in feierlichem Zuge, unter Vorantrttt Briands, die Delegierten. Zur rechten Seite Briands nahm Reichsminister des Aeußeren Tr. Stresemann, zu seiner linken Staats sekretär Kellogg Platz. Sofort erhob sich dann Briand und verlas seine Rede, die schweigend.angehört wurde. Die Stellen sei ner Ausführungen, in denen er die Tendenz des Paktes kennzeichnete, wurden in besonders feierlichem Tone vorgetragen. Tann wurde eine englische Ueberfetzung der Rede Briands von dem Dolmetscher des französi schen Außenministeriums Camerlink verlesen. Hierauf erhob sich Briand nochmals, um den Text des Vertrages in französischer Sprache zu verlesen, und der Dolmetscher trug die englische Ueberfetzung des Pak tes vor. Unmittelbar daraus forderte Briand die Bevoll mächtigten der Erstunterzeichnung auf, in alphabeti scher Reihenfolge der Länder (in französischer Benen nung) den Pakt zu unterzeichnen MS Erster unterzeichnete um 3.45 Uhr Reichs minister deS Aeußern Dr. Stresemann. Als er sich erhob, um sich zu dem Lisch begeben, auf dem der Vertrag niedergelegi war, wurde er von den Anwese.nden mit starkem herzlichen Beifall begrüßt. Während er mit der goldenen Feder die Unterzeichnung vollzog und auch bei seiner Rückkehr an seinen Platz an der rechten Sette Briands wiederholten sich! Liese Kundgebungen in verstärktem Maße. Dann folgten: Staatssekretär Kellogg für Ame rika, Minister Hymans für Belgien, Briand für Frankreich, Lord Cush en dun für England, Premier minister Mackenzie King für Kanada, Senator March lan für Australien, Oberkommissar Sir E. V. Parr für Neuseeland, Oberkommissar Smith für die Südafrikanische Union, Cosgrave für Irland, Bot schafter Graf Manzoni für Italien, Lord Cush en- dun für Indien, Graf Uchida für Japan, Minister Zaleski für Polen und Minister Bene sch für die Tschechoslowakei. Bei jeder Unterzeichnung wurde von den im Saal Anwesenden Beifall geklatscht. Alsdann begaben sich die Bevollmächtigten in den Salon de la Rotonde, wo Tee serviert war. Briands Ansprache Tie Begrüßungsansprache, welche Minister des Aeußeren Briand im Uhrensaal deS Quai d'Orsay hielt, hat etwa folgenden Wortlaut: ,Hch würde Frankreich gegenüber meiner Aufgabe mich schlecht entledigen, wollte ich! nicht sagen, wie ge ehrt es sich dadurch! fühlt, die Delegierten für die Un terzeichnung eines allgemeinen Paktes zur Aechtung des Krieges zu empfangen. Wenn man als Ehrentitel die moralische Stellung, die sich! Frankreich! durch seine ständigen Bemühungen im Dienste des Friedens (!) geschaffen hat, anerkennen will, so nehme ich! eine der artige Ehrung im Namen der Regierung der franzö sischen Republik an und gebe der Genugtuung des gan zen Volkes Ausdruck, das glücklich ist, sich endlich im Innersten seiner nationalen Psyche verstanden zu fühlen. Kann der zivilisierten Welt eine bessere Lehre geboten werden als dieses Schauspiel einer Zusammen kunft, in der zur Unterzeichnung eines Paktes ge gen den Krieg Deutschland aus freien Stücken und ohne Zögern zwischen sämtlichen anderen Unterzeich nern, seinen Früheren Gegnern, Platz nimmt? Gibt cs noch eine schlagendere Illustration, wenn auf diese Weise dem Vertreter Frankreichs, der zum erstenmal seit mehr als einem'Jahrhundert einen deutschen Außen minister aus dem Boden Frankreichs empfängt, Gelegen heit gegeben wird, ihm den gleichen Empfang zu be reiten wie all Feinen ausländischen Kollegen? Ich glaube nicht, meine Herren, über die Ansicht irgend eines von Ihnen hinauszugehen, wenn ich er kläre, daß das Ereignis dieses Tages ein neues Datum in der Geschichte der Menschheit darstellt. Zum ersten Male tut auf einem allgemeinen, sämt lichen Nationen der Welt zugänglichen Gebiet ein Friedenskongreß etwas anderes, als politisch.die un mittelbaren Bedingungen eines Sonderfriedens zu regel«, so wie sie sich aus den Entscheidungen des Krieges ergeben. ES handelt sich nicht um eine Li quidation des Krieges. Der Pakt von Part», geboren aus dem Frieden und durchdrungen von einer freien juristischen Auffassung kann und muß ein wirklicher Vertrag der Eintracht sein. Die Abkommen von Lo carno nach dem TaweSplan hatten bereits von diesem neuen Geist, der heut« seinen vollen Ausdruck findet, Zeugnis ablegt. Welches ist letzten Endes die neue Auffassung, die das wesent lichste Kennzeichen des Paktes gegen den Krieg darstellt? Zum ersten Male wird vor der Welt in einer feierlichen Handlung, die die Ähre der großen Nationen ver pflichtet, dir alle eine schwere Vergangenheit poliii- scher Kämpfe hinter sich haben, der Krieg ohne Bor- behalt als Werkzeug nationaler Politik verurteilt, d. h. in seiner spezifischen und fürchterlichsten Form: der egoistische, der gewollte Krieg. Ein solcher Krieg, der früher als ein Ausfluß göttlichen Rechtes galt und in der internationalen Ethik als ein Vorrecht der Souveränität fortlevte, wird endlich! von rechts- wegen dessen entkleidet, waS seine größte Gefahr darstellte: seiner Legitimität. Von nun an als rechtswidrig gebrandmarkt, unterliegt er dem vertraglichen Regime einer wahren Rechtlosigkeit, die den Rechtsbrecher der sicheren Verleugnung, der wahr scheinlichen Feindschaft aller seiner Mrtkonträhenten aussetzen wird. Die Einrichtung des Krieges als solche wird so unmittelbar in ihrem eigenen Wesen ange griffen. ES handelt sich nicht mehr lediglich um eine Verteidigungsorganisation gegen diese Geißel, sondern um die Bekämpfung des Nebels an seiner Wurzel. Somit wird die Berechtigung -er Inan spruchnahme des Krieges als Mittel willkürlicher und egoistischer Handlungen aufhören, mit ihrer Drohung auf dem wirtschaftlichen, politischen und sozialen Leben der Völker zu lasten. Befreit von einer solchen Knechtschaft werden die Völker, die dem neuen Vertrag beigctreten sind, sich nach und nach daran ! gewöhnen, den Begriff nationales Prestige, nationales Ja« teresse nicht mehr mit dem der Gewalt zu verbinden. Und diese eine psychologische Tatsache wird nicht der geringste Gewinn in der notwendigen Entwicklung zu einer wirklichen Stabilisierung des Friedens darstellen. Dieser Pakt sei nicht realistisch!? Ihm fehle die Erzwingbarkeit? Aber ist es wirklich realistisch ge dacht .aus dern Gebiet der Tatsachen die moralischen Kräfte, darunter diejenigen der öffentlichen Meinung, auszuschließsn? In der Lat, der Staat, der sich über die Mißbilligung aller seiner Mitkontrahenten Hinweg setzen wollte, würde sich der Gefahr aussetzcn, nach und nach und freiwillig eine Art allgemeiner Solidarität entstehen zu sehen, deren fürchterliche Wirkungen er bald verspüren würde. Und in welchem, dem Pakt angehörenden Lande, möchten leitende Staatsmänner die Verantwortlichkeit für die HcrausbcWvörung einer solchen Gefahr übernehmen? Das moderne Gesetz der Jnteressenverflechtung der Nationen macht «S jedem Staatsmann zur Pflicht, sich die denkwürdigen Worte des Präsidenten Coolidge zu eigen zu machen: „Eine Kriegshandlung, wo immer in der Welt sie auch stattfindet, ist eine Handlung, welche die Interessen meines Landes schädigt." Darin, meine Herren, liegt die ganze Bedeutung, dir sich an die Ausdehnung dieses großen Strome» moralischer Solidarität knüpft, dessen ideale- Ziel die allgemeine Geltung des PatzeS ist. So erweitert sich in unserem Geiste die feierliche Versammlung der Erst- Unterzeichner des allgemeinen Paktes zum i^rzicht auf den Krieg, und über die Mauern diese« Saale» und über alle Land- und Seegrenzen hinaus wird dies« weite menschliche Gemeinschaft fühlbar genug, daß wir wufrirytig das Recht haben, uns als mehr denn 14 an diesen: Tisch zu betrachten. Deshalb haben Sie auch bemerken können, daß bis Regierung dar Republik da« Gebäude, das uns beherbergt, in den Farben aller Nationen geflaggt hat. Meine Herren! Im nächsten Augenblick wird der Telegraph der Welt das Erwachen einer großen Hoff, nung mitteilen. ES wird für uns eine heilige Pflicht sein, nunmehr alles zu tun, wa» möglich und not wendig sein wird, damit diese Hoffnung nicht ent- täuscht wird. Den Frieden zu proklamieren, ist gut, ist viel. Aber man wird ihn organisieren müssen. An die Stelle der Gewaltordnungen wird mau Rechtsord nungen setz müßen. Das ist die Arbeit von morgen! In dieser denkwürdigen Stunde schwingt sich da« Gewissen der Völker, geläutert von jeder nationalen Selbstsucht, in aufrichtigem Streben zu den reinen Ge filden aus, wo dis menschlich« Brüderlichkeit sich im Schlagen desselben Herzens auSdrückt. Suchen wir einen gemeinsamen Gedanken, in dem wir unseren Eifer und unsere Hingabe vereinigen können. ist unter den Wer vertretenen Nationen nicht eine, die nicht ihr Blut auf den Schlachtfeldern de« letzten letzten Krieges vergossen hätte: Ich schlage vor, den Toten, allen Toten des großen Kriege», da« Ereignt« zu weihen, das wir durch unsere Unterschrift besiegeln werden.« I i ls' I LV «W'W» Kundgebungen für Stresemann. Noch eindrucksvoller als die im Uhrensaals gestalteten sich die Ovationen, welche dis raußen wartende Volksmenge dem Reichsminister des Äeußern darbrachte, als er nach Schluß der Zeremonie ziu deutschen Botschaft zurückfuhr. Ein Teil der Menge klatschte in die Hände, andere riefen: „Bravol" Diese Sympathiekundgebung wirkte auch noch stärker als die bet der Ankunft Dr. Stresemanns am Nordbahnhof. Vinev un- Empfang lm Huai -'Grfap. Abends gab Außenminister Briand im Quai d'Orsay im Namen der französischen Regierung ein Diner, zu dem u. a. erschienen die bevollmächtigten Unterzeichner der verschiede:»« Mächte, darunter Dr. Stresemann, das Diplomatische Korps, die Präsidenten von Kammer und Senat, Ministerprä sident Poincarä und die Mitglieder der französischen Regie rung, eine Reihe von Parlamentariern und höheren Beamten des Ministeriums. Im Anschluß an das Esten fand in den Räumen des Quai d Orsay ein Empfang statt, zu dem sich außer den Teilnehmern des Essens zahlreiche Vertreter der Politik, Presse, Kunst und Wissenschaft sowie der Pariser Ge sellschaft eingefunden hatten. . unä bei vrianä. Urbrr die Unterredung, die ReichSaußemninlste^ Strc-s-m-mn gestern mit dem srang^schen Aubennnnis^ BA and hatte, berichtet »Petit Pariste< di« beiden Minister -ät- Or. Stresemann bei PoinearL Reichsaußenminister Dr. Stresemann stattete gestern vor mittag gegen 11 Nbr dem französischen Ministerpräsidenten PoincarS im Finanzministerium einen Besuch ab. Die Unter redung beider Staatsmänner dauerte Itt Stunde. Dr. Stress- mann, der sich in Begleitung des Dolmetschers Dr. Schmidt Se- fand wurde bei keine: Ankunft und Wssdrt von einer be trächtlichen Menschenmenge, welche die Einfahrt zum Finanz ministerium umlagerte, achtungsvoll begrüßt. An Berliner zuständiger Stelle liegt ein eingehender Be richt über die Unterhaltung mü Poincarö noch nicht vor. Der RetchSllusjenmtnister hat offenbar den Weg der direkten Unter richtung gewählt. Er hat heute früh Paris verlassen und wird nachmittags in Baden-Baden eiatreffen, wo er am Mittwoch mit dem Staatssekretär von Schubert zusam- mentrifft, der seine Reise nach Heus dort unterbricht. Ebenso wird auch Reichskanzler Hermann Müller für einige. Stunden ans seiner Genfer R"!se in Baden-Baden aussteigen, um Dr. Stresemann zu sprechen. Es besteht nach wie vor die Absicht, in Genf das RheinlandprodAm anzu schneiden, wobei der Kanzler naturgemäß auf den Ergebnissen der Pariser Unterredungen Stresemanns seinen Vorstoß aus- ^^^AngefichtS dieser Dispositionen ist eine Sitzung de« ReichskabinetteS vor der Abreise des Kanzlers nicht mehr zu erwarten.