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/luer Tageblatt Donnerstag, äen S. Juli IS28 23. Jahrgang MNM Mnzeiger Mr öas Erzgebirge »k -m«Ich«. S«k-»»«m.chu»„<>N°,„ »n «.».»„ Nm.«,«Ich,. Mu«. ... ». Nr. iss Die IregierungüertMrung Berlin, 3. Juli, nachm. 3 Uhr. Haus und Tribünen sind stark besetzt. Das Kabi nett hat mit Ausnahme de» Außenministers vollzählig am Regierungstisch Platz genommen. Zu Beginn der Sitzung verliest der Präsident das Schreiben, in dem Reichskanzler Müller dem Reichs tag seine Ernennung mitteilt und die Mitglieder sei- ne, Kabinette» aufführt. (Abg. Torgler (Komm.) ruft: Lauter Namen, .aber keine Köpfe! Heiterkeit.) Als der Schriftführer bei der Verlesung der eingegangenen Vorlagen das Viehseuchengesetz anführt, rufen die Kom munisten: Das paßt gerade! (Heiterkeit.) Reich*! auzler Müller führte u. a. aus: Der Wahlkampf hat der Welt be wiesen, daß das Deutsche Reich! nach den schweren NachkrtegSjahren in eine Periode ruhiger und steter Entwicklung getreten ist. Die Fundamente des neuen Staates der deutschen Republik stehen sicher und un- erchütterlich. Entschiedenes Weiterarbeiten aus dem Wege des sozialen und politischen Fortschrittes ent spricht dem Willen, den das deutsche Volk bei der Reichstag-Wahl bekundet hat. Solchem Ziele tnent die Zusammensetzung der Retchsregierung. Beruht sie auch noch nicht auf koalitionsmäßiger Grundlage, so hat doch ihre Zusammensetzung die Zustimmung der in Betracht kommenden Härteten gesunden. Zn der Außenpolitik werden wir an der bis herigen Grundlage, dem Willen zur friedlichen Ver ständigung .unter Verzicht auf den Gedanken der Re vanche sesthaltcn. Im Völkerbund, an dessen Aufgaben wir loyal Mitarbeiten wollen, sehen wir einen der wichtigsten Faktoren des internationalen Lebens und damit auch der Förderung der nationalen Interessen. Die nächste Bundesversammlung im September muh Klarheit über den Weg schaffen, den der Völkerbund künftig in dieser ernsten Frage gehen will. Von ent scheidender Bedeutung für die gesamte Wirtschafts- und Finanzlage Deutschlands auf lange Jahre hinaus ist auch die Reporationsfrage Deutschland hat nach! dem Sachsverständigenplan seine Verpflichtungen regelmäßig und pünktlich erfüllt. Tie Sachverständigen aber haben selbst diesen Plan nur als vorläufige Regelung bezeichnet. In der Innenpolitik erfordern die Ausfüh rung des Sachverständigenplanes, der Wiederaufbau der Weltwirtschaft und eigene Interessen der deutschen Volkswirtschaft gleichermaßen Erleichterung und Pfleg« des Handelsverkehrs. Die neue Reichsregierung nimmt die vorbehaltlose Anerkennung der Ergebnisse der Gen fer Weltwirtschaftskonferenz durch! die bisherige ReichS- regterung auf. Sie wird sich insbesondere für die Sen kung der Zolltarife durch! internationale Vereinbarun gen etnsetzen. Lie Retchsregierung sieht Handelsver träge mit den östlichen und südöstlichen Staaten als «ine wesentliche Aufgabe an. Sie begrüßt, daß di« .Ver handlungen mit dem stammverwandten Oesterreich ein gesetzt haben und wird auch den Weg autonomer Maß nahmen auf dem Gebiete deÄ Zolltarifs beschreiten. Mit besonderer Sorgfalt verfolgt die Retchsregierung die Entwicklung der Verhältnisse im Steinkohlenberg bau. Sie wird bereitwtlltgst beim ökonomischen Ko mitee des Völkerbunde» an der Klärung dieses inter nationalen Problems Mitarbeiten. Auch durch! organi sche Weiterentwicklung der Verkehrsmittel sollen die günstigsten Bedingungen zur Hebung des Absatz«» ge schaffen werden. GS gibt nur eine einheitlich« deut sche Wirtschaft, .deshalb müssen die deutschen Grenz gebiete, die besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt sind, sine erhöhte Fürsorge erfahren. Die Wiederherstellung der Rentabilität der Land wirtschaft ist im Interesse eine« gesunden Aufbaue» deutschen Volkes unumgänglich! notwendig. Deshalb sol- len die Maßnahmen des Reiches zur Förderung der Bodenverbesserung und Hebung der technischen Grund lagen der landwirtschaftlichen Erzeugung fortgeführt werden, ebenso alle modernen Mittel zur Steigerung der Erträge. Die Reichsregierung vertraut dabei auf die Unterstützung durch die lebendigen Kräfte der Selbschilfe in der Landwirtschaft. Sie wird die Zer splitterung de» landwirtschaftlichen Genossenschaftswe sen» bekämpfen und die Selbsthtlfeeinrichtungen mit dem Ziele stärken, die Herstellung einer den Anforde rungen des Verbrauches entsprechenden guten Markt- Ware durch Sicherung deS Absätze» zu ermöglichen. Di« Umwandlung der kurzfristigen in langfristige Verschul dung und die Senkung der Zinssätze wird angestrebt. GS soll werd««. ibirtn-ltt "no gerechte Verteilung der öffentlichen Abgaben und La sten der Landwirtschaft erreicht werden kann. Der vom ReichSrat bereits verabschiedete Entwurf eines Arbeitsschutzgesetzes soll alSbald vor den Reichs tag kommen und zu seiner Ergänzung ein BergarbettS- gesetz. Rechtzeitig vor dem Winter muß die Frage der Stellung der Saisonarbeiter in der Arbeitslosenver sicherung geklärt werden. Die Tauer der Krisenunter, stützung für ältere Angestellte und Arbeiter soll ver längert und Wetter geprüft werden, ob rücksichtsloser Entlassung älterer Angestellter wirksam gesteuert wer den kann. Das Los der Kriegsbeschädigten und Kriegs hinterbliebenen zu bessern, entspricht dem einmütigen Empfinden des deutschen Volkes. Auch' die segensrei chen Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege sollen weiter gefördert werden. Die Reichsregierung wird die Kleinrentnerhilfe auf eine von dem Ermessen der ört lichen Fürsorgestellen unabhängige gesetzliche Grundlage stellen. Die Wohnungsnot veranlaßt eine besondere Fürsorge für die Erhaltung des AltwohnraumS und den Bau neuer Wohnungen, wobei di« Bedürfnisse der unbemittelten und minderbemittelten wohnungslosen Volkskretse, vor allem der neugegründeten und der kinderreichen Familien sowie der unmittelbaren Kriegs opfer, .hervorragend zu berücksichtigen sind. Die Neu- baumieten sollen auf erträglicher Höhe gehalten werden. Fruchtbare Arbeit aus allen Gebieten ist nur möglich aus dem Fundament eines festen Staatsge füges, dessen Grundlage unsere Weimarer Verfassung ist. Es ist die vornehmste Ausgabe der Retchsregierung, auf dieser Grundlage unser Staatswesen in demokra tischem Sinne auszubauen und für die Ehrung und Achtung der Republik und ihrer Symbole einzutreten. Sie wird die vom ReichSrat beschlossene Jntttatiivvor- lage über den Verfassungstag unverzüglich! beim Reichstag einbringen. ES ist selbstverständlich', daß sie die Verfassung gegen jeden gesetzwidrigen Angriff, gleichviel von welcher Sette er kommen Mag, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln schützen wird. Das geltende Wahlrecht weist Mängel auf, di« zu einer Entfremdung des Gewählten von den Wählern und zu einer Zersplitterung des Parteiwesens.führen. Aufgabe der von der Retchsregierung in Angriff.zu nehmenden Wahlrechtsreform wird die Aufrechterhaltung deS verfassungsmäßig fest gelegten Systems der Verhältniswahl, aber zugleich die Sicherstellung einer engeren Beziehung des Abgeord neten zu den Wählern sein. In der Schulpolitik wird die Rcichöregterung -te Lösung des weitragenden Problems des RcichsschulgesetzeÄ im Sinne der Hebung und Verbesserung des hochwertigen deutschen Schul wesens anstreben. Hierunter fällt die Pflege der Lei besübungen. Auch Technik, Forschung, Wissenschaft und Kunst sollen unter Abstellung der Notstände auf diesen Gebieten gefördert werden. Die Wehrmacht der deutschen Republik wird ihre Aufgaben nur dann wirksam erfüllen können, wenn sie im Volke wurzelt und vom Vertrauen aller Be- völkerungskreise getragen wird. Dafür ist eine rein vaterländische und überparteiliche Einstellung erforder lich'. Bei der Fortführung der Strafrechtsreform wird namentlich die Frage der Beseitigung der Todes strafe zu-entscheiden sein. Schon jetzt wird die Reichs regierung bei den Landesregierungen anregen, bis da hin das Begnadigungsrecht gegenüber Todesurteilen an zuwenden. Bet dem StrafrechtSreformwerk reichen sich zum ersten Male seit langer Zett Oesterreich und Deutschi land die Hand zu gemeinsamer Gesetzesarbett, die uns den ersten großen Schritt zur Rechtsgleichheit der Deutschen bringen soll. Bet den Amiwstieanträgen hofft die Reichsregierung, daß der Reichstag sich über Um fang, Art und Grenzen verständigen wird, und legt besonderen Wert darauf, daß durch ein« beschleunigte Behandlung der Anträge die gesetzgeberische Lösung der Aufgabe noch vor dem AuSetnandergehen des Reichs tages zum Abschluß gelangt. In der Steuerpolitik wird zu prüfen sein, inwieweit die drückende Steuer- last der mittleren und unteren Schichten der Bevöl kerung eine Erleichterung erfahren kann. Die Reichsregierung stimmt mit der Länderkon- ferenz und der Gesamtheit des Volks darin überein, daß die gegenwärtige Regelung d«S Verhältnis^ zwi schen Reich! und Ländern einer grundlegenden Reform bedarf. Sie erstrebt eine starke Reichsgewalt mit Be- rückstchtigung -er Besoldung der vielgestaltigen Eigen- deutschen Kolksl«b»n». Der Kanzler schloß mit der Erklärung, daß dieses eingehende Programm nur dann in die Tat umgesetzt werden könne, wenn die Aera der Krisen beendet und die politische Lage gesichert und fest ist. Di« Regierung, so erklärte er, nimmt für sich die Führung auf dem Wege des Wiederaufbaues in Anspruch und vertraut daraus, daß 'die Mehrheit dieses höhen Hause» hinter dem Programm der Retchsregierung steht. Die Regierungserklärung wurde oft durch Bei fallskundgebungen der Sozialdemokraten und der Mit- telparteien, wiederholt auch durch! höhnisch« Zuruf« der Kommunisten und Nationalsozialisten unterbrochen. Der Kommunist Leow hatte ein Stück Seife auf den Tisck des Hauses gelegt, während di« Kommunisten riefen: Die SPD. seift euch ein! Bet der Ankündigung einer Erweiterung der Unfallversicherung rief AHg. Torgler (Komm.): Das Kabinett nehmt nur mit hin ein! (Heiterkeit.) Bet der Erörterung deS Wohnungs wesens riesen Kommunisten: Sie haben ja da» Reich», kanzlcrpalais! Reichskanzler Müller rief zurück: Ha ben Sie den Kreml schon gesehen? Abg. Torgler rief dann: Das ist ja allgemeiner SchmuS! Präsident Löbe ruft schließlich' den Abg. Torgler wegen fortgesetzter Unterbrechungen zur Ordnung. Am Schluß der etnstün- dtgen Rede des Kanzlers kommen von den Sozial demokraten und den Mtttelparteien lebhafte Beifalls kundgebungen. Auf Vorschlag des Präsidenten vertagt der Reichs- tag um 4V, Uhr die Aussprache über die Regierungs erklärung auf Mittwoch 12 Uhr. Damit verbunden wird die Beratung einer Anzahl von Anträgen der Kommunisten, die u. a. die Aufhebung des gesetzlichen Schlichtungswesens und die Aushebung der Lohnsteuer verlangen. Eventuell soll -te Lohnsteuer gesenkt wer den. VleKReglerungserklärung km Spiegel öer Berliner presse. Zu der gestern im Reichstag von Reichskanzler Müller- Franken abgegebenen Erklärung der neuen Regierung bemerkt der „Vorwärts": Die sozialdemokratisch geführte Regie- rung ist keine sozialdemokratische Regierung. Das Regierungs programm ist kein sozialdemokratisches Parteiprogramm, kann es nicht sein, denn die Sozialdemokratie hat nicht die Mehrheit. Sie ist unter Zurückstellung mancher weitergebenden Wünsche zur loyalen Mitarbeit an der Ausführung dieses Programms bereit, und die Massen, die zu ihr stehen, find politisch genug geschult, um zu verstehen, daß es besser ist, Einiges zu verlan gen und Einiges zu erreichen, als Einiges zu verlangen und Nichts zu erreichen. Das „Berliner Tageblatt" be- tont: Die Regierung, die ein solches Programm verkündet und durchführt, ist, obwohl keine Koalitionsregierung im eigent lichen Sinne, viel stärker konsolidiert, als das ihr vorangegan gene Koalitionskabinett. Die „Voss. Ztg." erklärt: DaS Entscheidende ist und bleibt, daß wir jetzt eine Regierung am Ruder haben, an deren Entschlossenheit zu einem festen republi kanischen Kurs, zu einer Politik des wirtschaftlichen und sozia len Ausgleichs und zu einer friedlichen verständigungsbereiten Außenpolitik nicht zu zweifeln ist. Die „Germania" sagt zu den außenpolitischen Ausführungen der Erklärung: Außen- politisch wird der Kurs fortgesetzt, das bedeutet den Willen Deutschlands zur Politik der Verständigung. Wenn dabei die Regierung aus die Notwendigkeit der endgültigen Rheinland- räumung und auf die erforderliche Begrenzung der uns aufer legten Reparationsleistungen hinwetst, so hat sie damit ohne Zweifel nicht nur das Parlament, sondern das ganze deutsche Volk hinter sich. Zusammenfassend schreibt das Blatt: Das De büt war nicht schlecht. Mögen auch hier und da SchönheitS- fehler sein, die Linie weist im allgemeinen einen geraden Weg nach vorwärts in die Zukunft. Wir wünschen der Regierung praktischen Erfolg. Auch das Zentrum hat die Absicht, aktiv und positiv in ihr zu wirken. Rechtsaussthuß -es Reichstags. Berlin, 3. Juli. Nach Schluß der Plenarsitzung trat der Recht-auSschuß de« Reichstages -usammen^um sich zu konstituieren. Zum Vorsitzenden wurde Abg. Dr. Kahl (D. Bp.) gewählt, -um Stellvertreter des selben Abg. Landsberg (Soz.). ES wurde beschlos sen, die nächste Sitzung für den Donnerstag.anzube- raumen, wobei die Amnestiefrag« beraten werden soll. Initkatlvvorlagr zur Lohnstruerfenkung. Berlin, 3. Juli. Während die Regierung di« allgemeinen SteuersenkungSplän« erst im H«rbst in Angriff nehmen will, wird von den Sozialdemokraten beabsichtigt, die Lohnsteuersenkung entsprechend der LA Brüning noch vor den Sommerferien, vielleicht in Form einer Jnitiativvorlage zur Erledigung zu brin gen