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Sonntag» äen S. September 192S Nr. 20? 21. Jahrgang /luer Tageblatt ».Olli«»«» »itz«« MM L E. IIS» - «-sch.,-/^KKMI^KLL^I/ DKLII LBLLK) DAKL^I)LK KK^ r»l»gra«W«, rag'blau fta««s,««es«, Eakhallrüö ök amttkchra arlaatUmachnagra -e» Rate» -er Stützt »atz tzr« ^mtrgrrlcht» ^tm. p»ftM«r-M»»t» st«, r.ipzis Nr. 1»,» Finanzminister Dr. Reinhold spricht zum Reichsoerband der deutschen Industrie. Wirtschaft, Steuerrvesen, Verrvattungsreform und Dawesplan. Dresden, 3. September. Auf der Mitgliederver» sammlung des ReichsverbandeS der" deutschen Industrie ergriff nach einer Rede des Geheimrates Kastl Neichs- sinanzminister Dr. Reinhold das Wort. Er gedachte zunächst der trostlosen Wirtschaftslage, die das zweite Kabinett Luther bei seinem Amtsantritt vorgefunden habe und führte weiter aus: In den vergangenen Jahren mußte die Sorge um die Stabilisierung und Erhaltung der Valuta in den Vordergrund gestellt werden, sodaß 1924 ein zu scharfes Angrecsen der Steuerschraube vielleicht berechtigt war. Aber daß trotzdem zu sehen war, wie bei ver. minderte! Wirtschaft die öffentlichen Kassen sich füllten, diese Steuerpflichten so layge aufrechterhalten wurden, das war wohl gegenüber der deutschen Wirtschaft und damit gegenüber dem Valerlande ein ganz schwerer Fehler. Die ganzen öffentlichen Gewalten, Reich, Länder und Kommunen breiteten sich mit ihrem Geld in die Privat» wirtschaft aus. Ueberall floß öffentliches Geld hinein, nicht immer zum Guten, und der Kreis der öffentlichen Steuer» zahler wurde dadurch außerordentlich eingeschränkt. Wir wissen, wie in diesen Jahren die Gemeinden mit den Steuergeldern sich außerordentlich viel Grundbesitz zuge legt haben. Die Wirtschaft mutz sich daran gewöhnen, daß da» Reich nicht di» Aufgabe hat, der Bantier der Wirtschaft z« fein, daß es ein ganz unerhörter Zustand ist, daß man den gut geleiteten Betrieben die Steuern abnimmt, um damit schlecht arbeitende und faule Konkurrenten zu stützen. Wir müssen den Bedarf einschränken auf das Minimum, aber dann müssen wir auch die Verpflichtung des Kredites der Wirtschaft den dazu geschaffenen sachverständigen Instanzen, in erster Linie den Banken, überlassen. Ich habe, als ich den Reichsetat übernahm, die vorübergehend aufgehobene Scheidung von Ordinarium und Extraordinarium dnrch» geführt und denke damit fortzufahren. Es erscheint mir für unser Volk, das im Augenblick unendlich hohe Lasten zu tragen hat, ganz falsch, wenn wir auch die Lasten, die wir mit Recht verteilen können aus spätere Zeiten und Generationen, jetzt auch noch zu den unvermeidlichen unserer Wirtschaft aufbürden. Ich habe deshalb nach hartem Kampfe mein Steuermilderungsprogramm singe» bracht und möchte darauf Hinweisen, daß erst dieses Programm die gefährlichste und sinnloseste Steuer, di« Lurussteurr, und damit die Besteuerung der deutschen Qualitätsarbeit beseitigt. Erst durch die Herabsetzung der Fusionssteuer baden wir den wirtschaftlich notwendigen Prozeß der Zu sammenfassung unserer Industrie nach gesunden Ee ichts» punkten ermöglicht. Daß wir weiter in dieser Ze t der Kredit» und Geldnot einen Termin der Vermögenssteuer ausfallen ließen, hat gewiß dazu beigetragen, daß dieses Frühjahr für viele Betriebe erleichtert wurde. Die Er mäßigung der Umsatzsteuer gehörte zu meinem Programm. 350 Millionen, die nicht in die öffentlichen Kassen geflossen sind, sind in der Wirtschaft geblieben, und ihr belebender Einfluß ist in der Wirtschaft sicher besser gewesen. Wir müssen uns endlich daran gewöhnen, daß wir die Ausgaben anpassen an die Einnahmen. Zur Frag« der Berwaltuugsreform bemerkte der Reichsfinanzminister, nachdem er die von der i Beamtenschaft in den letzten Jahren geleistete Arbeit an erkannt hatte: Wegen der schwierigen Struktur Deutsch lands, die einen viel zu großen Aufwand von Beamten apparaten erfordert, muß endlich ein Abbau eintreten, nicht in der Form, daß wir schematisch die Beamten ab- bauen, sondern daß wir die Aufgaben abbauen. Das «Retchskabinett hat gestern den von mir vorgelegten Plan Heiner organisatorischen Umbildung meines Ministeriums ^gebilligt, der davon ausgeht, daß wir die Hemmungen veseitigen müssen, die durch da» Neben- und Durchein ander der letzten Jahre geschaffen wurden. Die Ver- : wallungereform ist oor allem nötig auch in den Ländern . und Gemeinden. Wir werden zu einem vernünftigen Auf- H bau unseres gesamten Steuerwesens erst kommen, wenn man an diese Aufgaben trotz der großen politischen i Hemmungen, die sich jetzt auch wieder in Bayern zeigen, ; wirklich mit Energie herangeht. Die VerwaltungLreform s muß noch in diesem Jahre ihrer Lösung zugeführt werden. Eng damit in Zusammenhang steht der Finanzausgleich. Ich bin entschlossen, ihn durchzuführen, sobald die nötigen Unterlagen zu beschaffen sind. Die Grundzüge dieses großen Planes müffen in erster Linie darin bestehen, daß wir die finanzielle Selbstverwaltung der einzelnen Körperschaften, die das Geld bewilligen müffen, wieder stärken. Das kann geschehen in erster Linie durch die Einführung von Zu schlägen für die Einkommensteuer. Kommt es wieder dahin, daß, wenn ein Stadtparlament die Einkommensteuer von 145 auf 146 °/y in die Höhe setzen will, ein großer Kamps in der Bürgerschaft losgeht, dann wird kein gesunder Zu stand in den Gemeindefinanzen eintreten können. Es müssen auch Kautelen geschaffen werden, daß wir auS der Vielheit unserer Steuern herauskommcn. Es ist zweifellos sinnlos, wenn das Reich Steuern ermäßigt, und Länder und Gemeinden gleichzeitig eine Steuer erhöhen. Wir wollen deshalb in unserem Finanzausgleich das schwere Problem lösen, daß wir die realen Steuern in eine Relation bringen zu den Zuschlägen zur Einkommensteuer. Die realen Steuern sollen ferner durch ein Rahmengesetz vereinheitlicht werden. Wir müssen natürlich auch Kautelen cinschiebcn bet der Gewährung des Zuschlagrechtes, die eine wirt schaftliche und sozial gerechte Verteilung der Einkommen steuer ermöglichen. Mir scheint, daß es notwendig ist, mit den Ländern und Gemeinden zu einer vernünftigen und organischen Regelung der auf dem Grundbesitz lastenden Steuern zu gelangen, damit sie leicht errechenbar werden und die Beleihung nicht verhindern, ferner die Möglichkeit geben, auf dem Markte wieder den normalen Verkehr zu schaffen. Der Minister kam dann noch auf die Fragen der Verwaltung zu sprechen und erklärte: Es ist schon mehrfach betont worden, daß im Vordergrund unserer finanzpolitischen Erwägung die absolute Erhaltung unserer Währung steht. Vermutlich wird in der nächsten Zeit ein neues Ereignis eintreten, das beweisen wird, wie fest auch in der ganzen Welt unsere Währung. steht Die Reichsregierung hat den Willen, eine Neuaufrollung des Aufwertungsproblems nicht zuzulassen. Wir haben auch die Pflicht, dafür zu sorgen, daß wir keinen Uebcrschußetat bekommen. Die reduzierte Börsenumsatzsteuer hat im Juni und Juli das doppelte Ergebnis der Vormonate gebracht. Ich empfehle auch den Gemeinden, daraufhin mal gewisse Sätze ihrer Steuern zu prüfen. Vor der Einführung von Zuschlägen zur Einkommensteuer werden wir auch die Einkommensteuer selbst uns einmal ansehen müssen. Ich habe mich von jeher dafür interessiert, das in England beliebte System, das die Geschäftsbilanzen durch vereidigte Revisoren nach» prüft und feststellt, sodaß dann die Steuerbilanz indentisch ist mit der Geschäftsbilanz, auch in Deutschland einzuführen. Wir müssen den Finanzausgleich organisch aufbauen und werden deshalb mit der kurzen Zeit bis 1. April 1927 zu einem solchen großen Aufbau nicht auskommen. Ich per» sönlich bin entschlossen, die endgültigen Vorschläge zur Reform de» Steuerwesen» im Zusammenhang mit dem Finanzausgleich vorzulegen. Wir dürfen uns keiner Täuschung darüber hingeben, daß die Steuern noch eine ganz exorbitante Höhe haben werden, die sich eben aus den Lasten erklärt, die wir infolge des verlorenen Krieges zu tragen haben. Hinsichtlich de» Dawesplanes Rührte der Reichsfinanzminister unter Hinweis auf das Abkommen, das er mit dem Generalagenten für die Reparationszahlungen getroffen habe, aus: Mit voller Loyalität werde ich die Verpflichtungen aus dem Dawes, plan erfüllen, solange die wirtschaftliche Möglichkeit dazu gegeben ist, daß ich aber ebenso für die finanzielle Anpassung an die wirtschaftlichen Notwendigkeiten Deutsch lands auftreten werde, ist gewiß. Der Minister drückte die Uebcrzeugung aus, daß die ganze Welt einmal sich gegen die Daweszahlungen wehren wird. Man müsse daS ganze Problem aus dem politischen Gebiete herauS- bringen und auf das wirtschaftliche Gleis führen. Zum Schluß erklärte der ReichSfinanzmtnister: Ich sehe unend liche Schwierigkeiten und einen großen Leidensweg. Von einer günstigen Lage unserer Finanzen kann keine Rede sein, aber ich glaube an Deutschland und an Deutschlands Zukunft. Wir glauben an das Reich, an dessen Spitze jetzt der greise Führer steht, vor dessen vorbildlicher Treue zu Volk und Vaterland wir uns alle in Ehrfurcht beugen (Stürmischer Beifall.) Wir werden unser Reich durchretten zu einer besseren Zukunft und den schweren Weg der Arbeit gehen müssen, der zur Freiheit führt. Ich weiß, daß dieser Weg schwer ist, aber wir müssen, welch poli tischen Glaubens wir auch sind, gemeinsam den Weg gehen, weil meiner festen Ueberzeugung nach nur am Ende diese« WegeS da« Ziel steht, zu dem wir alle streben: ^der Wiederausbtirr unserer Ration, -i« alt» deutsch« Größe und di« neu« deutsch» Freiheit. (Die Versammlung erhebt sich und bringt dem Minister brausende Ovationen dar.) Geheimrat Duisberg dankte dem Minister für seine Ausführungen und sprach den Wunsch aus, daß es auch gelingen möge, bei den Landes finanzministern den gleichen guten Willen zu erzielen. Hierauf wurde einstimmig beschlossen, folgendes Telegramm an den Reichspräsidenten von Hindenburg abzusendenr „Die 3000 Vertreter der heute in Dresden zu ihrer diesjährigen Tagung versanimelten, im Reichsverband zusammcngeschlvsscnen deutschen Industrie entbieten Ihnen, hochverehrter Herr Reichspräsident, die ehrer bietigsten Grüße und geloben, alle ihre Kräfte in den Dienst der Wiedererstarkung der deutschen Wirtschaft zum Heile des Vaterlandes zu stellen." Die Verhandlungen wurden sodann auf Sonnabend vertagt. Italiens Wirtschaft. Das deutsche Volk hat ganz gewiß keinen Grund, den italienischen Diktator Mussolini zu loben, geschweige denn zu bewundern: denn seine gegen Deutschland gerichtete Außenpolitik, wie sie sich seinerzeit in der Tiroler Frage genügend kennzeichnete, dürfte Grund genug sein, Musso lini und die von ihm betriebene Politik mit großer Vor sicht zu verfolgen. Aber trotzdem dürfen wir nicht an dem vorübergehen, was er innenpolitisch geleistet hat. In Italien ist in aller Stille gearbeitet worden, während wir in Deutschland mit unnützem, nebensächlichen Gerede Uber alle möglichen Fragen die kostbarste Zeit verschwen deten. Mussolini ist von dem Ehrgeiz erfüllt, Italien und zunächst Italiens Wirtschaft groß und mächtig zu machen. Diesem Diktator war es möglich, den Arbeitstag um eine Stunde zu verlängern, da« Brot durch einen größeren Pcozenisatz von Beimischungen zu strecken, ein Streik» und Aussperrungsverbot zu erlassen, den Bau von Luxushäusern und Villen auf ein Jahr zu ver bieten usw. usw. In Anbetracht dieser einschneidenden Bestimmungen und Verfügungen fragt es sich jedoch, ob eS Mussolini gelungen ist, die italienische Wirtschaft merklich zu heben, oder ob die getroffenen Maßnahmen einen Schlag ins Wasser bedeuten. Es ist gewiß heute nicht leicht, sich ein zutreffendes Bild von der Lage der italienischen Wirtschaft zu machen. Die Presse in Italien kann schon gar nicht objektiv über die Lage, besonders der dortigen Industrie, berichten, ohne in den Verdacht zu geraten, die Dinge schwärzer zu malen, als sie in Wirklichkeit sind. Hinzu kommt, daß die meisten Industriellen mit der Regierung im engsten Konnex stehen und schon aus diesem Grunde überaus zurückhaltend sind. Immerhin sickern hier und da einige Meldungen aus italienischen Blättern durch, wonach in verschiedenen Industrien eine schwere Depression zu bemerken sei, das also trotz der einschneidenden Maß nahmen des Diktators. Nach Angaben des italienischen Blattes „Agenzia Volta" sollen Wollkämmereien und Wollspinnereien nur eine leidliche Beschäftigung aufzu weisen haben. Die Webereien sind allerorts mit Saison aufträgen für feine und mittlere Waren gut beschäftigt; jedoch beeinträchtigen die hohen Herstellungskosten die Rentabilität der Unternehmungen, auch die Einkassierung der größeren Außenstände bereitet durchweg ziemliche Schwierigkeiten. Das sind keineswegs Zeichen einer günstigen Wirtschaftslage. Eine Besserung wird wohl auch kaum durch Erhöhung der täglichen Arbeitszeit von acht auf neun Stunden eintreten. Somit hat daS Schlag wort der Regierung „Größere Sparsamkeit und erhöhte Produktion" nur eine bedingte Berechtigung als Sanierungs methode. Nicht allein die Frage der Produktion ist maß. gebend für die Rentabilität einer Volkswirtschaft, eine ebenso große Rolle spielen dabei das Problem des binnen ländischen Konsums und des Absatzes nach dem Auslands. Hier ist besonders zu berücksichtigen, daß nach Ansicht maßgebender italienischer Volkswirtschaftler der italienische Lebensstandard wenig über dem Existenzminimum liegt. Neben diesen Erscheinungen in der Wirtschaft treten auch merkliche Kredttschwiertgreiten ein. Auch der Export weist fallende Tendenz auf. So berichtet ein italienisches Blatt, daß sich ein starker Rückgang der Ausfuhr nach dem Orient fühlbar mache. Beispielsweise könne die Triko tagenbranche wegen der Schutzzollpolitik der Nachbarländer nur schlecht arbeiten, und die Aussichten für die Winter saison seien daher sehr unsicher. Auch die Gummiindustrie leidet unter der Wirtschaftsdepression, da der Export immer größeren Hindernissen begegnet und der inländische Konsum beschränkt bleibt. Alles in allem genommen, ist die Wirtschaftslage Italiens also nicht allzu rosig, trotz der drakonischen Maßnahmen Mussolinis, die an sich bewundernswert erscheinen mögen, aber nicht den erwünschten Erfolg haben.