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Nr. 2VS Dienstag, ckea 7. September 1S2S 2t. Jahrgang Mer Tageblatt r-v-u—« r.g'biall rathalleat Nr amtlich.» arlarrtmachoogra tr» Not« trr Statt ovo tr» Mttt-gttichtt ftll». - mm «r. I«r Nie dMe MWe bekennt lilh M Rennblik. Eine Regierung ohne die Mitarbeit der Sozialdemokraten unmöglich. Eine Rede Dr. Paul Gilserbergs. Dresden, 2. Sept. Beute hielt der rheinische Großindustrielle Dir. Paul Silverberg vor deut Reichsverband der deutschen Industrie eine Rede, der Wir folgende bemerkenswerte Aeußerungen entnehmen: MaS deutsche industrielle Unternehmertum in der Nachkriegszeit in seinem Tun und Unterlassen, seinem Wollen und Streben, seinen Irrungen und Wirrungen vollständig zu schildern, würde die Grenzen einer Be-! richterstattung an dieser Stelle weit überschreiten. Ich! kann mich nur darauf beschränken, das, was der Epoche der Nachkriegszeit für das Unternehmertum und vom Standpunkt eines Unternehmervertreters aus gesehen daS Gepräge gibt. Dte politische Revolution, mit der nach dem KriegS- verlust die Nachkriegszeit anfing, wurde sehr bald zu einer wirtschaftlichen und sozialen Revolution. Tas deutsche Unternehmertum, bis zum Kriege und, von ein zelnen abgesehen, auch im Kriege politisch indifferent, jedenfalls nicht aktiv, sch sich plötzlich als Objekt de4 politischen Kampfes. Es sah als seine unmittelbaren! Gegner die revolutionäre Arbeiterschaft und den von ihr beherrschten Staat. ES hatte einen Kampf um seine Existenz nach vielen Seiten zu führen: Gegen die wirt schaftlich-finanzielle Entwicklung, von der es gleicher maßen mit dem ganzen Volke getroffen wurde, dazuj gegen die den Staat repräsentierenden revolutionären Regierungen. Gegen sie in ihren auf Sozialisierung! und Gemeinwtrtfchaft hinzielenden Tendenzen mußte es um seinen Besitz und die Grundlage seiner Existenz den Kampf führen. ES folgte daraus, daß da» deutsche Unternehmertum gegen den neuen Staat, wie er sich in der ersten Zeit noch der Revo lution darf eilte und gebärdete, geschlossen eine ablehnende Stellung einnahm. Während auf der einey Seite die Exponenten des Staates jede gute Tradition negierten und jede Erinne rung an eine ruhmvolle nahe und fernere Vergangen heit in den Staub zogen, Überboten sich andere, die Grundlagen des deutschen Unternehmertums aus bös williger Zerstörungswut oder idealistischem Unverständ nis zu vernichten. Dieser Kampf mußte ausgekämpft oder wenigstens so weit geführt werden, daß für Volk und Wirtschaft eine erträglich standfeste Basis erstritten und errichtet wurde. Dieses Ziel ist heute in gewissem Umfange erreicht, Und es ist von ganz besonderem In teresse, festzustellen, daß die politische Not des gesamten Volkes — ich nenne Reparattonsfrage. und Ruhrkampf — und damit die Außenpolitik es waren, die Unterneh mertum und nachrevolutionäre Regierungen zu aktiver Zusammenarbeit für den Staat brachten. Und trotz aller besonderen neuen Schwierigkeiten und Kritiken aM Tun oder Unterlassen hatte diese Zusammenarbeit daS gute Ergebnis, daß die Einstellung des Unternehmertums auf den heutigen Staat aus eine klare Linie gebracht wor den W: Vas deutsche Unternehmertum steht restlos auf staatsbejahendem Standpunkt. ES mag der eine oder "der andere noch mehr oder weniger beeinflußt von Ressentiments mehr persönlicher Art sein: stlle ernsthaften und pflichtbewußten Menschen haben stch auf dem Soden des heutigen Staates und der Neichsverfastung gestellt. Ter Neichsverfassung, das sei aber auch aller Oeffent- ltchkett gesagt, mit allen den Bestimmungen, die ihre Aenderung in manchen gewollt oder ungewollt unklaren Punkten vorsehen. Ebenso wie das deutsche Unternehmertum alle Sie extremen Elemente rechts und links ablehnt, deren offenes oder geheimes Ziel die verfassungswidrige, gewaltsame Aenderung der Reichsverfassung darstellt, so lehnt das deutsche Unternehmertum auch diejenigen Verteidiger der Republik ab, die in der Verfassung heute noch vornehmlich ein Instrument wtrtschaftsrevolutio- närer Ziele sehen. Tenn darüber müssen stch diese Freunde der Republik yar sein: Bet allen ernsthaften Menschen tm Inlands und tm Auslande wtogt dte An erkennung der deutschen Republtk und ihrer Verfassung durch das deutsche Unternehmertum tausendmal schwerer, als der ganze parteitakttsche Rummel, der nur Miß? trauen sät, Unruhe schafft und Kräfte absorbiert. Ge.. ««d- MWMmF d<** HMsch«n Unt«rmchms«tum» G die Grundlage für das Vertrauen des Auslandes auf die Stabilität der deutschen Verhältnisse. Nachdem Tr. Silverberg dann andere Fragen be rührt hatte, fuhr er fort: Ich komme nunmehr zum letzten Teil meines Berichtes: Vas industrielle Unternehmertum und die Arbeiterschaft. ES ist nicht der Zweck, hier sozialpolitische Exkurse' vorzutragen, vielmehr in erster Linie eine kritische Wür digung dessen, was geschehen ist und soweit sich daraus der eine oder der andere Hinweis auf in Zukunft Not-1 wendiges ergibt und Ihre Billigung findet, umso besser.! An der Besitzschichtung stellt das Eigentum an der Arbeiterschaft einen besonders zu behandelnden Kom plex dar. Tabei muß ich die Auffassung von der Hand weisen, als wenn ich damit lediglich die Handarbeit meinte; im Gegenteil, ich will damit alle diejenigen Individuen zusammenfassen, im weitesten Sinne gedacht, dte durch Verwertung und in Betätigung ihrer körper lichen und geistigen Arbeit ein aus dieser fließendes Einkommen ziehen. Bet uns in Deutschland, wo weite Kreise mehr oder weniger an einer starken Ueberschätzung des organisatorischen Gedankens leiden, drückt sich diese umfassende Auffassung auch schließlich darin auS, daß fast alle Berufe, sogar die öffentlichen Beamten, sich ge werkschaftlich organisiert haben. Ich möchte glauben,, daß manch einer hierbei dem Truck von unten und der' Stimmung gefolgt ist, die nun einmal bet uns als Aus wirkung der Revolution geherrscht 'hat, und daß manch' einer heute mit Anstand aus dieser Ueberspannung des Organisattonsgedankens heraus möchte. Wie dem aber, auch sei, es muß rückhaltlos und dankbar anerkannt wer-, den daß die alten Gewerkschaften, soweit sie Über einen; alten Stamm gewerkschaftlich geschulter und diszipli- vierter Mitglieder und charakterfester Führer verfügten — ich nenne hier, ihn und uns ehrend, den Namen Le gten — sich große Verdienste dadurch erworben haben, daß sie ernstlich mitwirkten, die revolutionäre Bewegung von den Arbeiter« und Soldatenräten wieder zu einer geordneten Staatsverwaltung zu führen. Uno dankbar sei an dieser Stelle und in diesem Zusamm-nhanq de» ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert gedacht. Aber wie die Gewerkschaften Manch unerwünschten Zuwachs aus den sogenannten Novembersozialisten er fuhren, so ist auch manche gewerkschaftliche Organisation als Novembergewerkschaft anzusprechen. Und wir wol len hoffen, daß die sogenannte ReinigungSkrise, in der wir uns heute befinden, hier nicht Halt macht. Ich! hoffe aber, daß sie auch bei den Ueberorganisationen, die sich in dem Berbandsrvesen des industriellen Unternehmertum» ausgebildet haben, ebenfalls nicht Halt macht. Es kann nicht züm Guten führen, wenn sich das Verbandswcsen tm industriellen Unternehmertum zum zunftartigen Fach verbandswesen entwickelt, das vom einseitigen Interessen standpunkt aus Spttzenverbände und Behörden mit An trägen und Wünschen überschüttet, deren Erfüllung ganz schön wäre, wenn der organisierte Erwerbszweig allein auf dieser Welt wäre, deren Befürwortung und Erfül lung aber für jeden Einsichtigen unmöglich, ist, wenn er die Notwendigkeit einer wirtschaftlich und politisch rich tigen Gesamtwtrtschaft pflichtgemäß im Auge behält. Hier wäre weniger mehr, und es ist eine besondere, zwar schwierige, aber um so bedeutsamere und dankbarere Auf gabe der Syndici, die eigenen Verbände immer darauf htnzuweisen, daß die in ihnen vertretenen Gewerbe zweige immer doch nur em mehr oder weniger kleiner oder großer Ausschnitt aus der Gesamtwirtschaft sind. Auch hier kann und mutz, um das modern gewordene Wort einmal zu gebrauchen, rationalisiert werden. Nach der Revolution war in der Arbeiterschaft dte Stimmung so, daß sie sich als die einzigen Gewinner au» dem Zusammenbruch betrachteten. Steigende Löhne bet verkürzter Arbeitszeit, Beherrschung der Regierun gen und der Aemter — kurz — Stegerstimmung. Ihr ist eine starke Ernüchterung gefolgt, und sie mußte fol gen, was von einsichtigen Arbeiterführern und Unter nehmern vorhergesagt wurde. Ueber steigende Selbst kosten, Eingriffe in den natürlichen Ablauf wirtschaft lichen Geschehens, ich, erinnere an die Drosselung der EtsenauSfuhr 1921, folgten nach scheinbaren Lohnerhö hungen Währungszusammenbruch und Arbeitslosigkeit in einem erschreckenden Ausmaß. Groh und schwer ist der Tribut, de« bis Arbeiterschaft zahlt, und wa» deM sogenannten Besitz und bet dem Unternehmertum sich als Verlust an Vermögen und mobilem Kapital dar stellt. das ist für die Arbeiterschaft das Verschwinden nutzbarer Arbeitsgelegenheit. Daß diese Lage, wie sie heute ist, für die Arbeiterschaft verschärft und vergrö bert wurde durch die schon oft gekennzeichnete Steuer- und Finanzpolitik nach der Markstabiltsterung, kommt jetzt nicht nur bei dem Unternchmertum, sondern auch in weiteren Kreisen und besonders bei der Arbeiter schaft zur Erkenntnis. Wenn aus Kapitalmangel die Produktion von Touren kommt, schwindet die Arbeits gelegenheit, verkümmert gleichzeitig die Konsumkraft de» inneren Marktes, folgt eine weitere Schwächung der Produktion und der Arbeitsgelegenheit. Hinzu kommt noch folgendes: Wenn Vor dem Krieg in Deutschland der Ordnungs-, oder, wie andere sagen, der Poltzeistaat ins Extrem geraten war, so sind wir heute tm Begriffe, in ein anderes Extrem, in den Für sorgestaat hinetnzuschlittern. ES ist doch schon von auf merksamen und nicht voreingenommenen Beobachtern er kannt, daß die quantitative und qualitative Ueberspan nung sozialer Fürsorge bet uns dte Selbstverantwortung tötet. Diese psychische Einwirkung auf dte Menschen, ihre Pflichtwertung gegen sich selbst, ihre Familie, ihre Um welt und den Staat ist wett schlimmer und gefährlicher als eine 'verhältnismäßig leicht abänderbare, lediglich quantitative.Ueberspannung sozialer Fürsorge. Dia» heute geltende System muß in der breiten Masse zu der Auffassung führen, daß sie gegenüber dem Staat und der Allgemeinheit nur politische und soziale Rechte, aber keine Pflichten habe, an die im Frieden immer noch dte allgemeine Wehrpflicht und dte in ihr wirksame Erzie hung in etwa» erinnert hat. Während das deutsche Un ternehmertum sich wirtschaftspolitisch, finanztechnisch und organisatorisch umgestaltete, läuft dte Sozialpolitik noch in den alten Gleisen der behördlichen Fürsorge und Bevormundung, der Arbeitszeit- und Lohnregelung ohne neue Ideen und immer mehr mechanisierend, statt geistig erneuernd und aufbauend. Diese Entwicklung, so wie sie stch mir darstellt, habe ich kurz umreißen müssen, um nunmehr die Stel lung des deutschen industriellen Unternehmertum» in ihr und zu ihr darzustellen. Rückwärts schauend, .wenn man vom Rathause kommt, kann man nicht sagen, daß dte Einstellung de» Unternehmertums zur Arbeiterschaft und ihren Organi sationen immer eine glückliche gewesen ist. Zwar hatten einsichtige Unternehmer und Arbeiterführer kurz vor dem Zusammenbruch die Zentralarbettsgemeinschaft ge gründet. Zu rechtem Leben ist diese Organisation nicht kommen. Wohl hemmten von der Arbetterseite politisch« Rücksichtnahmen auf politische Parteien und deren Ent wicklung die vorbehaltlose Mitarbeit. Die Verkennung der alten Erfahrung: on est tou^ours le rsscrionaire cie guelgu'un! ha> manchen Arbeiterführer zu Rücksichtnahmen auf zuerst Unabhängige, dann Kommunisten veranlatzt, die eine Zusammenarbeit Mit dem Unternehmertum nicht auskommen ließ. Auf feiten des Unternehmertums war im allgemeinen eine gewisse Aengstlichkeit und Unsicher heit bei ihrer Mitarbeit festzustellen, Aengftlichkeit vor den Auswirkungen, die ihren Zugeständnissen in dieser politisch und wirtschaftlich labilen Zeitpertode hätten folgen können. Viel mehr aber noch! pstrkte nach, daß da» Unternehmertum sich zu spät entschlossen hat, in den Gewerkschaften di« Vertretung der Arbeiterschaft anzuerkennen und den Führern den Rücken gegen dte eigenen Freunde zu stärken. Es kann sein, daß vorübergehend und in einzelnen Fällen die Stellung des einzelnen Arbeiter führers durch Anerkennung seitens des Unternehmer tums bet seinen Gewerkschaftsmitgliedern nicht gerade gestärkt worden wäre. Aber mit der Einsicht, die so nach und nach in Arbeitskreisen gekommen ist, wäre da» auf Etnzelfälle beschränkt geblieben. Dieser Fehler de» Unternehmertums liegt wesentlich in der Vorkriegszeit. Aber er hatte 'zur Folge, dah nach dem Kriege dte Füh rung der Arbeiterschaft wirtschaftspolitisch ungeschult, politisch stark nach links und ganz darauf eingestellt war, daß! auch! Notwendige» und Richtiges nur iM Kampf erreicht werden könnte und erreicht werden müsse, ein seitig ohne Rücksicht auf größere wirtschaftliche Zusam menhänge und die Auswirkung sogenannter Erfolge auf die Gesamtwirtschaft. , Es ist nun nicht zu verkennen, daß sich ln Sem -eutflhen Unternehmertum eine wan-lung -er Selfler vollzogen hat. Diese zu umschreiben ist nicht möglich^ oh!ne da» Poli-i tische Gebiet zu streifen. ES Hieße sich selbst etwa« vormachen, wollte man verkennen, daß dte überwiegende Mehrheit der deut schen Arbeiterschaft in der Sozialdemokratie, eine Min» dbhtit A ihre politisch« Vertve-