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Mer Tageblatt --ZM Anzeiger für das Erzgebirge MM r.i.-ramm,, rag.blatt EvkhaUeaö die amtUchr« Srßa«tt»achimg«a de« Kates ösr Stadt oad das Matsgarlchts fwa. p*ßM»s-K««w M" r-psk M.1-» Nr. 191 Mittwoch» äen IS. August 1926 21. Jahrgang Der Zusammentritt der Studienkommission. Aas der Arbeit des Völkerbundes. — Eine saarländische Denkschrift. Neber den voraussichtlichen Zusammentritt der Stu- dtenkvmmission in Genf sind bisher in Berlin zwei Mitteilungen eingegangen. Nie eine nennt den 24., die andere den 30. August als Lutum des Zusammentritts LaS am 27. August zusammentretende ReichSkabinett wird, je nach dem Stand der Dinge, entweder den ein gegangenen .Bericht der Kommission prüfen und auf Grund dieses Berichtes die Entscheidung über die Ent sendung einer Delegation nach Genf treffen, oder aber die Richtlinien für die deutschen Vertreter in der Stll- dienkvmmtssion aufstellen. Aus dem Jahresbericht über die Arbeiten des Völ. kcrbundsrates und des Sekretariates, der heute vom Lölkerbundssekretariat veröffentlicht worden ist, geht hervor, daß die Zahl der beim Völkerbund nach! Art. 18 des VöllerbundSvaltes registrierten internationalen Ver träge stündig zunimmt; sie betrug im letzten Jahre 305 und insgesamt seit Bestehen des Völkerbundes 1169. Am letzten Jahre, das heißt bis zum 19. Mat 1926,- haben England mit 45, Ungarn mit 40„ Deutschland mit 36 und Frankreich mit 32 Verträgen die meisten internationalen Verträge registrieren lassen; im übri gen sind beteiligt Lettland mit 24, Schweden, Dänemark und Finnland mit je 20, Italien und Holland mit je 15, Polen mit 14, Norwegen und die Tschechoslowakei mit je 11 Verträgen. 25 Verträge des letzten Jahres betreffen politische Abmachungen, 8 sind SchiedSoerträge, 36 betreffen Rechtshilfe- und AuSlteferungSsragen, und der größte Teil der Verträge sind naturgemäß HandelN-, Wirtschafts., postalische und sonstige Verkehrsabmachun- gen. Japan, China, Finnland, Lettland, Dänemark und Polen haben auch Verträge mit der sowjetrussischen Re publik etntragen lassen. Nach einer Meldung aus Saarbrücken haben die Landesratsfrattionen des Zentrums und der deutsch saarländischen Volkspartet dem VölkerbundSrat eine Denkschrift zugehen lassen, die sich gegen den vorherr schenden Einfluß Frankreichs in der Saarregterung richtet und den Völkerbund bittet, diesen Zustand bal digst zu beseitigen, da er dem Geiste des Saarstatutes und dem so ost bekundeten Willen des Landesrates wi derspreche. Serotung -er Nelchsreglerung. Einer Berliner Meldung zufolge wird die Reichs regierung am 27. August zu einer neuen außenpoli tischen Beratung zusammentreten. GS sei dgmtt zu rechnen, daß die RetchSregierung ihre Vertreter bet den Kommissionsberatungen des Völkerbundes beauftragen werde, an den bisherigen Vorschlägen der Studtenkom« mission für die künftige Ausgestaltung des Völkerbunds rates sestzuhalten. vr 6üiz zu -em potemkin-verbot. Berlin, 16. Aug. Auf eine Anfrage von Mit. gliedern der sozialistischen Fraktion des Reichstages we gen des seinerzeitigen Verbots des Films „Panzerkreu zer Potemktn" hat ReichSinnenmintster Tw. Külz fol gende Antwort erteilt: Der ständigen Uebung der Berliner Filmprüfstelle entsprechend wird bet der Vorprüfung von Filmstreifen, die zu Beanstandungen aus innerpolitischen Gründen Anlaß geben können, ein Vertreter des Reichskommissars für Ueberwachung der öffentlichen Ordnung als Sach? verständiger geladen. So hat auch auf Ersuchen dieser Stelle bei der Vorführung des Bildstreifens „Panzer kreuzer Potemkin" in sämtlichen Instanzen ein Beam ter des ReichskommtssarS sein Gutachten über die Frage erstattet, ob die Vorführung des Bildstreifens geeignet fei, die öffentliche Ruhe und Sicherheit zu gefährden. Tie pflichtgemäße Ausübung feiner Sachverständigkeit gibt mir zur Beanstandung keinen Anlaß, Nach der dienstlichen Aeußerung des Herrn Reichskommissars ist es unrichtig, daß Beamte seines Amtes in irgend einer We!se auf die in der Öffentlichkeit geführte Polemik ooer auf die Entschließungen der Landesregierung we gen Stellung eines Antrages auf Widerruf der Zulas sung des Bildstreifens Einfluß genommen haben. Ebenso wenig sind Beamte des RetchsministertumS in dieser Richtung tätig gewesen. Die Uebertragung der Film- Prüfung an Persönlichkeiten, die die Gewähr für eine unparteiische, allen gesetzlichen Vorschriften und dem Leiste der demokratischen Republik entsprechende Tättg- steit bieten, betrachtet die RetchSregierung als ihre selbstverständliche Pflicht. Kwkfchenfall am Grabe -es unbekannten Sol-aten. Ein Lob der Deutschen. Parts, 16. Aug. AM „Grabe des unbekannten Soldaten" hat ein sinnlos betrunkener Amerikaner eine Mampagnerflasche über die Gedenktafel ausgeleert, was wei d^r nervösen Erregung der öffentlichen Meinung besonder» böses Blut machte. Ein Berichterstatter des „Paristen" hat daraufhin den Wächter bei dem Monu ment, einen KrtegSinoaltden, über die Haltung befragt, die die gegenwärtig zahllos in Paris weilenden aus ländischen Besucher am Grabe des unbekannten Soldaten einnehmen. Der Wächter erklärte, daß eS schon mehrfach! zu Zwischenfällen, hervorgerufen durch geisteskranke oder betrunkene Individuen, wie es z. B. gestern der Fall gewesen sei, gekommen sei; daß sich aber im großen und ganzen die Besucher taktvoll benehmen. Die kor rekteste Haltung nehmen die deutschen Besucher ein; sie entblößten ihr Haupt und verweilten zwanglos und doch mit sichtbarem Respekt an dem Grabe. Ihr Beneh men habe noch niemals auch nur zu der geringsten Be merkung -lala- geg-bea. Frontkämpfer un- Ehrenmal. Die großen Frontkämpferverbände haben heute dem Reichspräsidenten, der RetchSregierung und dem Prä sidenten des Reichstages Mitteilung gemacht, daß sie nach wie vor an dem Gedanken des EhrenhatneS, der in Berka bet Weimar errichtet werden soll, festhalten. Gleichzeitig betonen die Verbände, daß jode äußere Eh rung ihrer gefallenen Kameraden nur dann Sinn hat und verstanden werden wird, wenn auch das §oS der durch den Krieg schwer betroffenen Kriegsbeschädigten. KriegSwttwen und Krtegswatsen, sowie -Hinterbliebenen fühlbar gebessert wird. Abgegeben haben diese Erklä rung: Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Stahlhelm, der NeichSkriegerbund Khffhäuser, Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten, Reichsvereinigung ehemaliger Kriegsge fangener, Neichsvcrband der Kriegsbeschädigten, Reichs bund der Kriegsbeschädigten und Zentralverband der Kriegsbeschädigten. Vie Schmähschrift -es Stahlhelms zum N. August. Wie der „Reichsdienst der deutschen Presse" erfährt, Wird sich der Oberreichsanwalt mit den im „Stahlhelm" erschienenen Artikeln, besonders mit dem letzten Aufsatz über die Weimarer Verfassung vom 15. August, beschäf tigen, in dem das Werk von Weimar in. der heftigsten Weise mit solchen Ausdrücken angegriffen wurde, daß von mehreren Stellen der RetchSregierung ein Verbot des Blattes gefordert wird. Ver Nekchsverban- -er Khelnlän-er zur öefetzungsfrage. Köln, 16. Aug. Auf der Generalversammlung des Reichsverbandes der Rheinländer wurde p. a. eine Entschließung gefaßt, in der die bestimmte Erwartung ausgedrückt wird, daß die längst zugesagte Herabmin derung der Besatzungstruppen auf die N.ormalztffer der deutschen WorkrtegSgarntsonen nunmehr unverzüglich en, folgt und daß die gänzliche Räumung der zweiten und dritten Zone als die logische Konsequenz der allseits proklamierten Verständigungspolitik beschleunigt nach folgt und so die Scheidemauer niedergelegt wirt^ die die Besatzung zwischen dem deutschen Volke und den Völkern der besetzenden Staaten auftürmt. Verhaftung eines mexikanischen Generals in Kalifornien. San Franzisko, 16.Aug. Wie aus San Diego (Kalifornien) gemeldet wird, wurden von Beamten der Regierung der mexikanische General Estrada und 150 mexikanische Staatsangehörige verhaftet, die Vorberei tungen für eine Revolution in Mexiko getroffen haben sollen. Große Mengen von Waffen und Munition sol- len beschlagnahmt worden sein. KatboUzismus, Protestantismus, Sozialismus. von Dr. Han» Ehrenberg, Professor an der Universität Heidelberg. Alle Glaubenssysteme sind auch Lebenssysteme, und jede» echte Lebenssystem ist auch GlaubenSsystem. E« genüat aller- dtngs nicht, daß ein System von einem einzelnen Menschen gelebt und geglaubt wird; dann verdient es den Namen »Sy stem" nicht. Kein einzelnes Lebenssystem ist ausschließlich, das ist den Menschen nicht gegeben. Aber das führt zu keiner Skepsis, zu keinem öden Relativismus, daß der Mensch eine Mehrzahl von Lebenssystemen hervorbringen muß. Er ist n'cht Gott; nur Gott bat ein einziges Lebenssystem. Me nah, wie verwandt das einzelne menschliche Lebensshstem dem göttlichen ist, das steht nicht für uns zur Entscheidung. Wohl aber Mnen wir auch dem einfacheren Gemüt zumuten, sich außer mit dem eigenen, auch mit fremden Lebenssystemen zu beschäftigen, wenn diese sowieso in einem gemeinsamen Lebens- roman mit dem eigenen wohnen und von einem allein gemein- samen Dache überdacht werden. Bet Katholizismus, Prote stantismus, Sozialismus ist «S der Fall; sie bewohnen gemein, ame Häuser, z. B. des Haus des deutschen Volke». Das Sh st em des Katholizismus entstammt dem Mittelalter; in ihm erfuhr eS seine reinste und nicht umkämpfte Ausbildung. DaS System de« Protestantismus kommt aus der Neuzeit und, obschon immer mit dem Gegen satz zum Katholizismus behaftet, hat eS doch für Jahrhunderte fast unbesehdet, auchüber den Katholizismus, wenn auch über ihn mehr indirekt, geherrscht. DaSSy st emde «Sozia- ltsmusist das Gegenwartssystem und hat seine Gewalt auch über seine Feinde. Der Vorzug des Katholizismus besteht darin, daß er der erste war; er hat seine Epoche ohne Neben buhler leben dürfen; die Antike, die ihn allerdings zur An erkennung zwang, war — so wenig wie heute — kein Lebens- system, daher auch kein Glaubens-, sondern nur ein geistige» pstem. Der Nachteil de« Sozialismus besteht darin, daß er nie zur Ruhe des Alleinseins gelangt. Jedes Glaubens- und Lebenssystem wird wie ein Kirchen- bau von einer irdischen Grundlage getragen. Beim System des Katholizismus ist es das Leben des Landmannes, das bäuerische Leben. Es ist dies Leben ein zuständliches Leben, untertan dem Gesetze ewiger Wiederkehr. Das System des Katholizismus ist ein statisches Lebenssystem. Jedes Jahr rundet sich der Ring der Jahreszeiten, die Folge von Pflü- gen, Saat, Ernte und Drusch, die den Gezeiten entspricht. Und dem natürlichen Jahr des Landbaues entspricht das aetst- ltche Jahr der Kirche, das in ständiger Wiederholung Jahr um Jahr, von Advent zu Advent, den Kreis der göttlich heiligen Personen und Ereignisse durchläuft. In allem ist der Protestantismus entgegengesetzt. Ob wohl der Quellpunkt der gleiche, scheint er doch stets das Ent gegengesetzte zu sein und zu wollen. Sein irdischer Baustoff ist nicht der Bauer, sondern der Bürger, daher der protestan tische Bauer etwas ausgesprochen Bürgerliches, der katholisch« Bürger etwas ausgesprochen Ländliches an sich hat. Der Bürger lebt nicht mehr in der Natur, diese sinkt ihm zum Standort herab. Perioden und Gesetze empfängt sein Leben aus dem einmaligen Ablauf des beruflichen Schaffens. ES ist die Berufsidee daher überall die hervortretende protestan tische Lebensidee. Der Beruf hat nicht das Symbol deS Preises, sondern das der der geraden Linie. Als Karriere deS Beamten, als Ziellinie des geistig freien Berufes, als Ent wickelungslinie des industriellen oder merkantilen Wirtschafts berufes ist das Gesetz des bürgerlichen Lebens zielhaft linear. Die Biographie, der Lebenstag — der große von der Geburt bis zum Tod, der kleine vom Morgen bis zum Feierabend — tritt an die Stelle des ewig wechselnden und doch ewig gleichen Tages der Natur. Das Lebenssystem des Protestan tismus ist durch und durch dynamischer Natur. Bewegung, Bewegtheit, Bewegen sind seine Formen. So haben sich Protestanten und Katholiken die moderne Welt geteilt. Jene haben die Dauerkraft des Bestandes au» alter Zeit, diese auch heute noch — man gedenke der angelsäch* fischen Welt — die Spannkraft des Erschaffens zu neuen Dingen. Dort die Romanen, hier die Germanen in führen der Stellung. Da tritt mit dem Sozialismus das Slawentum, obschon die Väter des Sozialismus noch Mittel- und West europäer waren, hinzu und kompliziert das Bild deS gegen wärtigen Daseins um in seinen Körper allerdings auch da» Gegeiigift wider die Erschlaffungsgefahr einzusprttzen, die von dem Dauerwiderstrrit der beiden anderen Systeme ausgeht. Das System des Sozialismus stammt au« der „Welt der Arbeit". Nicht wie Katholizismus und Protestantismus ist ,S ein ursprüngliches System, eS ist vielmehr abgeleitet, ein Not- und Notwehrsystem, ein Antwortsystem auf Zerrüttung der Wirklichkeit. Deshalb ist es den beiden anderen Systemen an originärer Kraft nie gleichwertig, gleichwohl hat es heute die S'ärke der Gegenwärtigkeit, die ihm von den beiden anderen Systemen nicht geraubt werden kann. Der Lebensstosf des sozialistischen Lebenssystems lagert in der „Welt der Arbeit". Was der Bauer für den Katholizis mus, der Bürger für den Protestantismus, ist der Arbeiter für den Sozialismus. Insofern aber der Sozialismus kein Glaubenssystem zu sein vorgtbt, ist der Bund zwischen dem ge- sellschaftlichen Substrat des Lebenssystems und dem System hier am engsten. Jene beiden Systeme sind von oben her er baut; daher muß man bei ihnen ihre Baustoff» erst entdecken; da» sozialistisch« ist von unten her errichtet, daher tut e- not,