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21. Zrchrgrmy Nr. 7S Dienstag, Sen 30. März 1926 /luer Tageblatt U . VMM, De »»«Ick», WW M Anzeiger für -as Erzgebirge k^egra«»», lagebiau ftueerzgedirg». Enthalte«- -k amtlichen BekaaakmachtMA«» -es Kate» -« Elast aas -es fimlrgrrichl» Mr. p«ßM»s-E«a» ftm ra,B, Dr. Ramek bei Reichskanzler Dr. Luther. Ein neues Europa ist im Wersen. Berlin, S8. März. Dr. Luther gab am Sonntag abend zu Ghren de» österreichischen Bundeskanzler» Dr. Slamet ein Essen, an dem die Reich-mtnister Dr. Strese- mann, Stingl, HaSlinde, Marx, Braun» und Reinhold teilnahmen. Bon österreichischer Seite waren neben Bundeskanzler Tr. Ramek und dem österreichischen Ge sandten Dr. Frank noch Gesandter Iunkar, General« sekretär Dir. Peter, die SekttonSchefS Dr. Schüller und Hortcky, mehrere andere Herren de» österreichischen Ge folges und der österreichischen Gesandtschaft, sowie der Vorsitzende des deutsch-österreichischen Klubs Schmidt er schienen. Unter den Gästen befanden sich u. a. der Reichsbankpräsident Tr. Schacht, Preußischer Kultusmi nister Tr. Becker. Gesandter von Keller, die Staats sekretäre von Schubert, Kempner und Meißner und ver schiedene Mitglieder des Reichsrates. Im Verlaufe des Essens hielt Kelche kanzlcr dr. Luther folgende Ansprache; „Herr Bundeskanzler! Lassen Sie mich mit eini gen Worten den Gedanken Ausdruck geben, die uns alle in diesen Tagen beseelen, indem Sie als Vertreter des uns so herzlich befreundeten Nachbarstaates bei uns weilen. Wie immer, wenn Vertreter der beiden Staa ten in größeren Veranstaltungen zusammenkommen, wer den in uns die großen gemeinsamen Erinnerungen und die Gefühle.treuer Freundschaft lebendig, die unzerstör bar zwischen dem deutschen Reiche und Oesterreich be stehen. Wir gedenken besonders der starken und wechsel« fettigen Kulturströme, die fett alter Zeit verbindend und befruchtend zwischen den beiden Staaten geflossen sind. Wir gedenken in Deutschland Wiens als eines der frucht barsten Ausgangspunkte deutscher Kultur. Wie sich auf literarischen und künstlerischen Gebieten die schöpferische Kraft Oesterreich» und des Reiche» gegenseitig fördernd ergänzen, so ist e» auch auf dem Gebiete der Wissen schaft und des praktischen Leben». Ich darf insbesondere an den großen Gedanken der RechtSangletchung erinnern, die Handel und Wandel in den beiden Staaten möglichst unter die gleiche Rechtsnorm stellen will. Bei all dem wird un» zur tröstlichen und festen Gewißheit, daß un ser« geistige Einheit ein unverlierbare» Gut ist, wa» auch immer die politische Entwicklung den Staaten sonst bringen mag. Seit vor zwei Jahren mein Herr Vor gänger und der Herr ReichSaußenmintster in Wien fest lich empfangen wurden, hat sich Wr ihr Land wie für da» unsere sie allgemeine Lage zweifellos gebessert. Sie hatten damals gerade die erste Stufe de» schweren finanziellen Wiederaufbaugedankens unter der weisen Führung ihres Herrn Vorgängers, des Bundeskanzlers Seipel, hinter sich. Wir unsererseits steckten noch mitten im ersten Ringen um die Selbstbehauptung auf dem glücklich wiedergewonnenen Boden einer festen Währung. Es ist unverkennbar, daß seit der damaligen Zeit sich die wirtschaftlichen Verhältnisse sowohl in Oesterreich als auch im Reiche wesentlich gebessert haben, doch auch, heute noch bedrängt uns hüben wie drüben t-irtschaftliche Not und stellt höchste Anforderungen an das vaterländische Pflichtgefühl aller Volkskreise. Allmählich hat auch in Europa.nach den starken Gegensätzen der Kriegszeit die Erkenntnis der Notwendigkeit verständnisvoller Zu sammenarbeit an Boden gewonnen. Lassen Sie. mich der Hoffnung Ausdruck geben, daß die Entwicklung si cher und stetig fortschreitet, wenn sie auch langsamer sich vollziehen mag, als wir es wünschen. Sie wird zum Heile sowohl Oesterreichs wie de» Reiche» dienen und ich bin gewiß, daß sich unsere beiden Länder dabet stet» in gemeinsamer Front befinden werden. Zn diesem Sinn bitt« ich Sie, die besten und herzlichsten Wünsch« de» Reiche» für Oesterreich entgegenzunehmen. Ich, Erhebe mein Gla» und trinke auf Ihr Wohl, Herr Bunde», kanzler." Hierauf erwiderte Sun-rskanzler Vr. Kämet r .Herr Reichskanzler! Ich danke Ihnen von Herzen für die freundlichen Worte der Begrüßung, die Tie an mich zu richten die Güte hatten und für all die Liebens würdigkeit, die mir hier in der lebenskräftigen Haupt" stadt de» großen deutschen Reiche» in so überwältigendem reichen Matz« zuteil wird. Sie haben, Herr Reichs kanzler, in Ihrem Trtnkspruch an den Wiener Besuch Ihre» hochverehrten AmtSdorgänger», de» Herrn Dr. Marx, und de» au»g«zetchneten Manne» erinnert, der heute an Mr« Lett» schon damals die Last für di» Per, antwortung der Außenpolitik de» Reiche» trug. Wenn wir von jenem für Oesterreich so erfreulichen Datum weiter zurückdenken an die beängstigenden und bedrücken den Sommertage von 1922, al» Dr. Seipel vor Ein leitung des Genfer Sanierungswerkes zu Dr. Wirth nach Berlin kam, al» Oesterreichs Staats- und Privat- miitschafi niedergebrochen schien, al» Deutschlands Lage sich immer schwieriger gestaltete und wenn wir dann mit dieser Erinnerung die heutige Situation dieser bei den Staaten vergleichen, dann glaube ich, dürfen wir wohl den zurückgelegten Weg überblickend, eine gewisse Genugtuung empfinden. Unsere Staatshaushalte sind in Ordnung, unsere Währungen gesichert, unsere Wirt schaften haben den Tiefpunkt einer schweren Genesung und AnpassungSkrtse bereits durchschritten, unsere Be ziehungen zu den fremden Staaten haben sich bedeu tend gebessert und wenn die Hoffnung nicht trügt, nähern wir uns unaufhaltsam einem von allen ersehnten Zu stand eine» ! auf wahrer Völkerverskhnuog verankert»« europäische« Zrle-e«». Ttte ganze Welt legt nunmehr Wert darauf, der deut schen Mitarbeit im Wege dieser herrlichen Ziele teilhaft zu werden. Ist es nicht ein Zeichen mehr und vielleicht das schönste, daß jahrelange Finsternis dem Lichte zu weichen beginnt, und wenn auch zögernd und schwankend, »in nrues Europa im werden ist! E» geht vorwärts auf allen Gebieten de» .Leben» in unseren beiden Staaten. Wer ist e», der die» bewirkt! hat, dem die Ehre gebührt, die gewaltig« Aenderung in der internationalen Stellung unserer Staaten voll bracht zu h aben? E» ist da» deutsche Volk, da» in V«n Werkstätten und Laboratorien, in den Kontor» und auf den Aeckern Deutschland» und Oesterreich» mit Hammer und Metsel, mit.Feder und Pflug die Geschichte seine» Wiederaufstieges aus tiefster Not verzeichnet. Jever Stamm des deutschen Volkes schreibt ein eigenes Kapi tel dieser Geschichte. Tier Rhythmus ist verschieden, aber die Sprache ist gleich und gleich, ist der Glaube an eine bessere freie deutsche Zukunst. Auf diese Zu kunft erhebe ich mein Gla». Ich trinke auf da» Wohl Ew. GNellenz und Sr. Exzellenz de» Außenminister», auf da» Wohl Gr. Exzellenz de» allverehrten Reichs- Präsidenten von Hindenburg und auf da» Blühen und Gedeihen de» Reiche». dr. Kamek über -le Gerüchte -er Mstelluag Oesterreichs. Tier österreichische Bundeskanzler Dr. Ramek hatte gestern abend eine Unterredung mit einem Vertreter des „Tag", in der er zu den immer wieder auftauchenden Nachrichten über eine angeblich, beabsichtigte Auftellung Oesterreichs erklärte, diese Nachrichten seien von allen leitenden Staatsmännern Europa», die sich an der Frage interessiert fühlen, auf da» energischste dementiert Worden. Tie österreichische Regierung verfolgt trotzdem alle derartigen Nachrichten, um in der Lage zu sein, ernsteren dahin gchenden Bestrebungen entgegenzutre ten. Zu der Frage de» Anschlusses Oesterreichs an Deutschland erklärte Dr. Ramek, die österreichisch« Re gierung stehe auf dem Boden der Friedensverträge und werde darüber hinaus keine Bindung etngehen, welche die im Friedensvertrag enthaltene EntscheidungSmög- lichkeit beeinträchtigen könnte. Eine Nachricht über eine Konferenz für ein osteuropäische» Locarno sei bisher von irgendeiner maßgebenden Sette an die österreichi sche Regierung noch nicht gelangt. Die österreichische Regierung habe sich, wie Dr. Ramek auf eine wettere Frag« aussührte, bereit erklärt, Anregungen von ita lienischer und jugoslawischer «eite, ähnliche «ertrüge wie mit der Tschechoslowakei abzuschließen, nachzukom- men. Zu einer Vereinbarung zwischen Oesterreich und Italien sei keine staatsrechtliche Möglichkeit geboten. Die kulturelle Lage aller deutschen Minderheiten werden aber stet» vom gesamten deutschen Volke mit größtem Inter esse wahrgenommen werden. Eia -rutsche» Echallplatl»«kart»ll. Berlin, 29. März. Die führenden deutschen Schall« plattenfabrikanten haben sich, wie der Montagmorgen von gutunterrichteter Seite erfährt, zu einem Kartell zusammen geschlossen. Zweck de» Verbandes ist eine Verbindung der Produktion. Die Reform äes Dölkerbunäes. Es ist auffallend und bedauerlich, daß die deutsche Oes- sentlichkett sich bisher so wenig mit der Frag« der Reform der Völkerbundssatzung befaßt hat. Wir haben uns solange gegenseitig die Köpfe eingeschlagen um der Frage willen, ob wir überhaupt in den Völkerbund etntreten sollen oder nicht, daß wir jetzt ziemlich ungerüstet dem allerdings etwa» über raschend aufgetauchten Problem gegenübersteh«», ob und wie die in Genf aufgetauchten Schwierigkeiten durch eine Lende« rung des DölkerbundSstatut« behoben werden Wimen. Do» ist um so bedauerlicher, als Deutschland sicher ganz besondere un wettgehende Forderungen und Wünsche in dieser Richtung vor« zubringen hat, über die wir uns aber noch nicht in entfernt»« sten klar geworden sind. Jetzt heißt es nun, schleunigst Stel lung zu nehmen, um in der von dem VölkerbundSrat für diesen Zweck eingesetzten Kommission nicht völlig in» Hinter« treffen zu geraten. Denn, ob wir uns nun offiziell, inoffiziell oder überhaupt nicht an den Arbeiten dieser Kommission be teiligen, auf jeden Fall werden dort Fragen aufgeworfen, die die deutschen Leben»tnteressen aufs stärkst« berühren und an denen wir nicht Vorbeigehen können. Daß der Völkerbund reformbedürftig ist, dafür bat man jetzt anscheinend auch auf der Gegenseite verständni«. Ge rade auf «eiten der großen völlerbundsmächte ist ja do» Wort gefallen, daß es sich in Genf nicht um »inen Streit zwischen Deutschland und den Alliierten gehandelt hab«, sondern um eine Krise de» Völkerbunde». Brtand hat selbst das Wort von der Wachstumskrise des Völkerbünde» geprägt. Auch mit Plänen für die Umgestaltung de« Genfer Bunde» kann man bereit» besonder» auf französischer und tschechoslo wakischer Seite aufwarten. Mit der ihm eigenen Gewandtheit und Geistesgegenwart hat Brtand bereit» eines der Stichwörter für die Reform da» VölkerbundSrats ausgegeben. E» bezieht sich auf di, Bestim- mung der Satzungen, wonach alle Beschlüsse des Rat» in den wichtigen Fragen einstimmig erfolgen müssen. In der Lat liegt hier eine große Schwierigkeit für ein schnelle» Arbeiten des VölkerbundSrats. Gewiß würde der Rat in manchen Fragen schneller vorwärts kommen, wenn do» Erfordernis Einstimmigkeit nach den Wünschen Brtand» stark eingeschränkt würde. Dieser Vorteil würde aber erkauft werden durch schwere Nachteile, die besonder» Deutschland in voller Schärfe treffen würden. Für Deutschland ist dieser Au»weg vollkom men ungangbar, weil wir damit der Majorisierung durch di« Ententemächte ausgesetzt würden und alle die Sicherungen, die wir besonders in der Frage des Artikels 16 un» auSbe- dungen haben, hinfällig würden. Die Einstimmigkeit der wichtigen Entscheidungen muß also aufrecht erhalten bleiben, weil sonst der Eintritt in den Völkerbund jeden Wert für Deutschland verlieren würde. Daraus ergibt sich die Folge rung, daß auch die Zahl der Rat-sttze nicht beliebig vermehrt werden kann, weil sonst di« Arbeitsfähigkeit dieser Körperschaft allzu sehr gehemmt würde. Wir befinden unS in dieser Be ziehung in Uebereinstimmung mit der englischen Regierung, die am Dienstag durch den Mund de« Premierministers Bald win verkündet hat, daß Einstimmigkeit die Grundlage der Entscheidungen des Rate» sein müsse und daß ständige Sitz« nur an Großmächte vergeben werden dürfen. Ein anderer -wichtiger Plan ist die Einteilung de» Völ kerbundes in geographische Gruppen. Dies« Idee wird be sonders von dem tschechoslowakischen Außenminister Dr. Be- nesch vertreten. Sie berührt sich mit den Gedanken de» früheren österreichischen Bundeskanzlers Dr. Seipel Über die Einteilung des Völkerbünde» in Sektionen. Auch der frühere Chefredakteur der Londoner „Times" Wickham Steed hat sich dafür ausgesprochen, eine föderative Dezentralisation de» Völkerbundes einzufühven, so daß Staatengruppen mit ver wandten Interessen örtliche Verständigungen vielleicht unter eigenen regionalen Räten Herstellen können. Auch der der französischen Regierung nahestehende „Petit Pariften" fordert Schaffung kontinentaler VMevbundsräte. Dieser Gedanke ist also bereits weit verbreitet und hat sicher manches für sich. Er begegnet sich mit der Paneuropa» Idee des Grafen Coudenhove. Man führt dafür besonder» ins Tressen, daß es auf diese Weife leichter gelingen würde, Amerika für den Eintritt in den Völkerbund zu gewinnen. Die Schwierigkeiten find aber überaus groß, sobald man den Plan weiter durchdenkt. Besonder» die Eingliederung de» britischen Weltreiche» würde kaum zu überwindende Schmie- rigkeiten machen, vollständig undiSkutabsl ist vom deutschen Standpunkt der Gedanke, England au» der europäischen Setz- tion des Völkerbundes auSzuschetden, weil dann jedes Gegen gewicht gegen Frankreich und seine Gefolgschaft fehlen würde. Die von alliierter Sette bisher angeregten RHormpläne sind also entweder kaum von heute auf morgen durchzuführen, oder, wie die Einschränkung der Einstimmigkeit bet den Ratsbeschlüssen für Deutschland völlig unannehmbar. Es er- scheint überhaupt zweifelhaft, ob mit rein formalen oder ge- schäftSordnungsmätzigen Aenderungen ein« Besserung zu er zielen wär«. Nicht di« Paragraphen der Satzung waren in Genf das Hindernis für einen Erfolg, sondern der Geist, von dem sich di« Hauvtakteure leiten ließen. Der wahre Völker- bundSgeist kam jedenfalls viel stärker in der Vollversammlung als im Rat zum Ausdruck. Deshalb sollte da» Bestreben Deutschland» in erster Linie darauf gerichtet fein, da» Schwer- gewicht der Entscheidung «i» dem Rat in dt. vollmrsam».