Volltext Seite (XML)
Muer Tageblatt 20. Jahrgang Nr. 266 Sonntag» üen IS. November I92S — . -—.. — Hindenburg für Locarno. vrr öesuch bei Ser huschen Staatsregierung und ln Frankfurt am Main auf Ihrer Hetmat lasten. Ich weiß, baß diese Ihre Sorgen schwer und ernst sind. Ist doch Hessen dps Land, das von allen deutschen Ländern.verhältnismä ßig am härtesten von der uns auferlegten Besetzung! be troffen ist und in besonders schwerem Maße die Last fremder Truppenbesatzung und Einquartierung trägt. Lausende von Wohnungen, viele Tausende von Ginzel- ztmmLrn. zahlreiche öffentliche Gebäude und Schulen sind für Besatzungszwecke beschlagnahmt, und groß sind die Entbehrungen und Beschränkungen, die aus sol chem Zustand der Bürgerschaft in Stadt und Land entstehen müssen. Tas Reich hat dieser Notlage stets volles Verständnis tintgegengjebracht und sich nach Kräften bemüht, Ihrem Lande, insbesondere Rhein hessen, sein schweres Los zu erleichtern. ES hat Wohn bauten für die Besatzung wie für die Bevölkerung er richtet, in Mainz eine neue Schule erbaut und überall geholfen, wo Hilfe am dringendsten war, und wird es auch künftig an hilfsbereiter Mitarbeit nicht fehlen lassen. Wir wollen hoffen, daß die schwer sten Zeiten nunmehr überstanden .sind, und daß die in Locarno ungebahnten Ver handlungen u. a. auch dazu führen mögen, dem besetzten Gebiet und in ihm auch Hes sen Befreiung von den schlimmsten Lasten zu verschaffen und die zUM Leben notwen dige Bewegungsmöglichkeit wiederzuge ben. Mit aufrichtigem Tank und stolzer Anerkennung spreche ich es hier aus, daß die Hessen jn der Zeit harter Bedrückung und großer Not immer ihr Deutsch tum als höchstes Gut erkannt und bewahrt haben, daß .sie sich in den Tagen der Sanktions- und Pfän derpolitik sowie während der Unruhen des separatist'- schen Spuks stets als treue Deutsche bewährten und lieber Verbannung und Gefangenschaft auf sich nah men, als ihrer Pflicht gegen Vaterland und Heimat untreu zu werden. Und ich brauche nur der großen Januarkundgebung des JahreS 1923 zu gedenken, um daran zu erinnern, daß die gesamte Bevölkerung in all ihren Ständen und Schichten einmütig in der Ver teidigung ihrer Rechte als Menschen und Deutsche zu sammenstand. Gern nehme ich von Ihnen, Herr Staatspräsident, die Versicherung entgegen, daß die Rheinhessen auch in Zukunft unwandelbar fest in ihrer Treue zum Vaterland beharren werden. Ich wünsche und hoffe, daß der Geist selbstloser Vaterlandsliebe und brüderlichen Zusammenhaltens, der damals in der Zeit der höchsten Not geherrscht hat, uns jetzt und in der Zukunft Beispiel und Wegweiser sein wird. Dann wird auch diesem Lande und uns allen neue Kraft und Stärke und unserem Vaterlands eine lich tere Zukunft beschteden sein! An die Begrüßungsansprachen schloß sich die Vor stellung der zu dem Empfang geladenen Gäste an. Kurz vor 11 Uhr verließ der Reichspräsident da« Alte Palais, um nach einem kleinen Imbiß im Hotel Traube die Wetterfahrt nach Frankfurt a. M. mit dem fahrplan mäßigen Zuge um 12.24 Uhr anzutreten. Auf der Rück fahrt vom Palais und auf der Fahrt nach dem Bahnhof war der Reichspräsident immer wieder Gegenstand leb hafter Ovationen. Der Reichspräsident in Frankfurt. Frankfurt a. M., 13. Nov. Schon seit den frühen Morgenstunden steht das Straßenbild der alten Reich«, stadt völlig untey dem Eindruck des Besuche« deü Reichs präsidenten, obwohl dessen Eintreffen erst für die Mit- tagSstunde in Aussicht steht. Die starke Bewegung unter der Menge zeigt gegen 1 Uhr an, daß der Zug, der den Reichspräsidenten und seine Begleitung von Darmstadt dringt, soeben etngelaufen ist. Nur «in kleiner Emp fang ist auf dem Bahnsteig selbst vmMsehen. Im Auto wird dann über den Bahnhofsplatz und die breite Kai serstraße di« Fahrt nach dem Römer angetreteu, während die Kirchenglocken läuten und ein Flugzeug über der Straße feine Kreise zieht. ——. Nach einer Vorstellung der Vertreter der Reiche«, Staats« und städtischen Behörden sowie der Arbeiterschaft im Katsersaal sand dann im Kurfürstenzimmer ein Früh stück statt, auf dem Oberbürgermeister Landmann dem Reichspräsidenten namens der Stadt Frankfurt herzli« chen WtllkommenSgrutz entbot.' Er warf einen Rückblick auf dis große ««schichte Frankfurt, auf ihre Jahrhunderte alte Stellung als deutsches« Handelsemporium, al« Bör senplatz und Messestadr und wie« darauf hin, dqß dies« Stadt sich ni«, gebeugt unter der Last ihrer vergangen« hett, in «iy« rückwärts gewandt« Träumerei.etngespon« nsn -ab«, sondern im Wellenspier der Leiten Jet« jung (Fortsetzung Seite 9.) j Darmstadt, 13. Nov. Tie Stadt hatte sich während der Nacht in winterliches Gewand gehüllt, da« aber schon in den frühen Morgenstunden einem zähen, unan genehmen Grau zu Weichen begann. Trotzdem belebte sich der Verkehr in den Straßen bald, und die Menschen menge harrte tapfer an den Punkten aus, dis der Reich«. Präsident auf seiner Rundfahrt berühren würde. Vor dieser stattete per Reichspräsident, wiederum begleitet von Staatssekretär Tr. Meißner und seinem Persönlichen Adjutanten Major v. Hindenburg, der hessischen Regte- rung im StaatSmtnistertum einen Besuch ab, wo gleich zeitig ein Empfang einer Abordnung aus dem besetzten hessischen Gebiet stattfand. Von 10.15 bis M45 Uhr unternahm der Reichspräsident eine ausgedehnte Rund fahrt, die ihn durch die archetektonisch besonders sehenSi- würdigen Teile der Stadt führte, überall freudig be grüßt von der die Straßen dicht besetzt haltenden Menge. Im Alten Palais hatten sich inzwischen das Ge- samlministerium, der Landtag, die Stadtverwaltung, Abordnungen der Stadtverordnetenversammlung, die Spitzen der Reichsbehörden, die Vertreter von Kunst und Wissenschaft, der Wirtschaft, der Arbeitnehmerorganisa tionen und der Presse eingefunden. Staatspräsident Ulrich begrüßte den Reichspräsidenten im Namen der Regierung mit folgenden Worten: Herr Reichspräsident! Im Namen der Regierung des Volksstaates Hes sen Heiße ich Sie herzlich willkommen in Darmstadt. Ihr Besuch gereicht uns in gleicher Weise zur 'Ehre wie der Besuch des ersten Präsidenten des Reiches!. Er gibt uns Gelegenheit, Ihnen durch die berufensten Ver treter der Wirtschaft, Verwaltung und Politik die Schmerzen und Nöte der Bevölkerung vortragen zu lassen und deren Wünsche und Hoffimngen zu Ihrer Kenntnis zu bringen. Unser Land leidet unter der Besetzung durch die Alliierten erheblich. Mehr als ein Viertel der Ge samtfläche ist besetzt und mehr als ein Drittel der Bevölkerung erträgt die Besetzung!. Die wirtschaftliche und steuerliche Leistungsfähigkett im besetzten Gebiet ist weit über den allgemeinen Rückgang hinaus zurück gegangen. Unser sehnlichster Wunsch geht deshalb da hin, dieser Bevölkerung sobald als möglich Erleichte rungen der furchtbaren Lasten zu bringen. Die Ver handlungen in der Richtung der Verständtgungi in Lo carno haben die Hoffnungen der Volksgenossen der be setzten Gebiete in dieser Richtung ganz besonders er weckt. Diese sowohl als auch die Regierung sind der Reichsregierung für ihre Bemühungen in Locarno dankbar und hoffen bestimmt, daß sich dieselben als bald derart auswtrken, daß wir deutlich Besserungen wahrzunehmen imstande sind, zumal gerade Hessen am längsten. 15 Jahre lang, die Besetzung zu tragen hat. Die unerschütterliche deutsche Haltung unserer Rheinhessen hat schon in den verflossenen Jahren trotz aller Not und Anfechtung den Beweis dafür erbracht, daß nichts, aber auch absolut gar nicht«, imstande ist, ihre Treue zum deutschen Volk und zur deutschen Re publik wankend zu machen. Sie werden auch in der Zukunft in dieser Richtung unwandelbar fest stehen. Die Hessische Regierung wird, was in ihren Kräften liegt, tun, um diesen Geist zu fördern und zu stärken, wie sie e« schon bisher al» ihre vornehmste Aufgabe angesehen hat, in Gemeinschaft mit der Masse de» Volkes die Verfassung von Weimar zu hegen und zu Pflegen und die Einheit de« deutschen Volke« als die Grundlage für den Wiederaufbau unseres Vaterlande» zu sichern. Möge der Besuch Eurer Exzellenz dazu beitragen, die Hoffnungen der Rheinhessen zu be« friedigen. ' > Landtagspräsident Adelung entbot dem Meich»- Präsidenten Gruß und Willkommen de« hessischen Par. lamentes. Nachdem auch Oberbürgermeister Gl äs sing di« Grüß« und Wünsche der Hauptstadt tiderbracht hatte, ergriff der RetchSpräftdvnt da» Wort zu folgen- der Antwort» Hochverehrter Herr Staatspräsident, mein« Herren! Dio freundlich« Begrüßung, die SW, Herr Staats präsident, ww der Herr Landtagspräsident und der Herr Oberbürgermeister an mich gerichtet Haben, er widere ich mit Gefühlen und Worten herzlichen Dankes, die ich in gleicher Weise auch der Bevölkerung in Stadt und.Sand für dw mir allenthalben bezeigten Will- kommengrütz« «ntgegenvrtng». ES ist mir «in Bedürf. ntS gewesen, auf meiner Reise nach Süddeutschland auch Hessen und sein« Hauptstadt zu besuchen, um hier ««kanntschast mit den führend«» Persönlichteiten d«» Land«» anzuknüpse«, mW ihn«» Aussprache z» pkt«. g«n und di« Sorgen und Ms tzsnn»tt W Sem». Uw Justiz unä Politik. Von Dr. Külz, M. d. R. Justiz und Politik — was haben die beiden Dinge mit einander zu schaffen? Das beste würde sein, wenn man dar auf antworten könnte: garnichts. In Wirklichkeit kann man diese Antwort freilich nicht geben, denn Rechtsprechung und Politik zeigen gerade in politisch bewegten Zeiten die manni». faltigsten Berührungspunkte. Die Staatsumwälzunq des Jahres 1918 hat die Zuver lässigkeit und Unparteilichkeit der deutschen Justiz, wenn man diese als Ganzes betrachtet, nicht berührt. Gewiß sind in der nachrevolutionären Zeit bis auf den heutigen Tag schwere Fehlsprüche nicht ausgeblieben, die auf politischen Motiven oder auf Verkennung politischer Zustände beruhten, aber im großen und ganzen darf man doch mit Befriedigung feststellen, daß die deutsche Revolution des Jahres 1918 die Handhabung der Rechtsprechung viel weniger beeinflußt hat als irgendeine frühere Revolution in einem anderen Lande. Bei den meisten Revolutionen lagen die Dinge doch einfach so, daß eine mehr oder weniger lange Zeit hindurch die Funktionen der Recht sprechung überhaupt aussetzten, und daß rein politische Tribu nale anstelle unparteiischer und unabhängiger Gerichte traten. In Deutschland hat sich eine solche Erscheinung niemals ge zeigt. Der Rechtsbegriff und die Achtung vor der Justiz sitzen so tief, daß selbst in der Revolution sie nicht ausgeschaltet werden konnten. Daß es manchem Richter, der jahrzehnte- lang im Namen des Königs Recht gesprochen und ein langes Leben hindurch in der Staatsauffassung der Monarchie ge wirkt hatte, nicht ganz leicht wurde, nunmehr im Namen des Volkes Recht zu sprechen und sich mit der Republik, als der Grundlage der staatlichen Ordnung, abzufinden, ist menschlich verständlich, aber man darf der Gesamtheit des deutschen Rich terstandes die Anerkennung doch nicht versagen, daß sic sich mit den Notwendigkeiten des neuen Staates bei Handhabung der Rechtsprechung abgefunden hat. Gewiß wird mancher Richter noch nicht mit dem Herzen bei der Deutschen Republik sein, aber der Verstand wird ihm sagen, daß das Wohl der Gesamtheit und das Wohl des Staates von ihm die Einstellung auf die neue Ordnung des staatlichen Lebens verlangen. Alles in allem: die Justiz in ihrer Gesamtheit ist trotz einzelner aus politischer Atmosphäre herausgeborener Verfehlungen und Verirrungen in Deutschland unversehr geblieben. Neuerdings macht sich nun innerhalb der Rechtspflege eine Mißerscheinung bemerkbar, die in ihrer Bedenklichkeit allge mein noch gar nicht erkannt worden ist, und die gerade jetzt in dem sogenannten „Dolchstoßprozeß" in München ihre sinn- fälltigste Verkörperung findet. Es scheint in Deutschland Sitte oder Unsitte werden zu wollen, daß große politische und zeit geschichtliche Streitfragen im Rahmen eines Gerichtsverfahrens zur Entscheidung gebracht werden. Vom grundsätzlichen und vom praktischen Standpunkte aus ist ein solches Verfahren auf das entschiedenste abzulehnen. Ueber geschichtliche Vorgänge kann niemals ein Jurist als solcher entscheiden, auch niemals ein Gericht, und sei es noch so sorgfältig zusammengesetzt; über die geschichtlichen Vorgänge entscheidet letzten Endes immer wieder die Geschichte selbst. Juristen, Historiker, Politiker, Parlametarter usw. können ein solches Urteil der Geschichte durch Beschaffung des notwendigen Materiales und durch kri tische Sichtung und Beleuchtung zwar vorbereiten, aber das Urteil selbst können sie allein niemals fällen, vor allem nicht in einer Zeit, die räumlich den großen Ereignissen noch so nahe steht, um ein unbeeinflußtes Urteil abgeben zu können. Die Geschichte urtellt regelmäßig nur in großen zeitlichen Distanzen. Es müßte geradezu als grober Unfug bezeichnet werden, wenn das, was sich jetzt in München vollzieht, vor deutschen Gerichten sich einbürgcrn sollte. Die Fähigkeiten und die Ur teilskraft des deutschen Einzelrichters in allen Ehren, aber dazu ist er nicht berufen, die letzten und tiefsten politischen Probleme an der Hand von Sachverständigen - Gutachten zu entscheiden. Wohin sollen wir kommen, wenn in einem poli tischen BelctdigungSprvzeß nunmehr vor irgend einem Amts gericht sämtliche Sachverständige aufmarschieren, die von den Parteien für solche gehalten werden und in großen politischen Plädoyers, jo nach ihrer Politischen Einstellung, da» Tribunal zur politischen Szene machen. Sachverständige in Politischen Dingen ist überhaupt eine eigenartige Sache, innerhalb »ine» Gerichtsverfahrens aber die Meinungsäußerung politischer Sachverständiger zur Grundlage eine» Rechtsspruche« zu neh men, wird den stärksten Bedenken begegnen müssen. Im vor- liegenden Münchner Fall« kommt hinzu, daß di« Bedeutung 'de» dort schwebenden Prozesse» in gar keinem Verhältnis steht zu dem vom Richter seit vier Wochen aufgezogenen Appa rat. TS will un« scheinen, all ob an der Hand viel schlich terer und einfacherer Hilfsmittel der München« Richter er kennen könnte, ob sich der für di« „Süddeutschen Monatshefte* verantwortlich« mit seinen Ausführungen gegen die Wahrheit und gegen da« Verechtigte Maß der Kritik vergangen hat. Jedenfalls muß vom Standpunkt der Politik wie der Recht sprechung au« die schärfste Verwahrung dagegen eingelegt werden, daß Politisch« Tatbestände zum Gegenstand« der Recht sprechung gemacht werden. - «.sch.i»! »««„ach. MU I I »WM» SMS» MM Seensprech-stnfchlu- N». S». »m«, »,u« «e lelegeamm», «ageblatt stueeezgedieg». Enthalten- -I» amtlichen -«ktMNtMNchNNgeN -«« NtÜ«» -W GtN-t NN- -«« ^Mt-gtticht« stl». Postscheck-Konto statt Leipzig Nr.1«»«