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20. Jahrgang Sonntag» den 25. Oktober 1925 Nr. 250 Kirgramm», Lag,blatt fluttrzg.b'rg,. Enthalten- -le amtlichen Erkaantmachungen -es Rate» -er Sta-t an- -es Amtsgerichts ^ve. p»ght)»ck.5»ni, Nm, L,tp,tg Nr. 1»», Nuer Tageblatt für ftnz«t»«n »»» uni Um,«g«at « G»l»ps«anl«,, au.« »Setiz« Hnz.tg.a « ».löpf.nnt,., X«klam,.p,tU,«U« »« «,l»pf«nnl», amtlich« -ill« »» <»l»pstnnl-i. ZM -- Anzeiger für öas Erzgebirge Einberufung des Mkerbundsrates zur Schlichtung des griechisch-bulgarischen Konfliktes. Eine bulgarische Note an öen Völkerbund. — Telegramm Sriands. — Sondersefflon des Völker- bunösrates in Paris. — Darstellung der griechischen und bulgarischen Negierung. - Sofia, 23. Okt. Wie die Bulgarische Telegrapheu- Agentur meldet, hat die bulgarische Regierung an Pas Generalsekretariat des Völkerbundes in Genf eine Note gerichtet, in der die Vorgänge bei dem Grenzzwischsu- sall dargelegt werden und dann wörtlich gesagt wird: „Sofort nach Empfang der Nachricht beauftragte die Bulgarische Negierung ihre Gesandtschaft in Athen, der Griechische« Negierung die Bildung einer Gemisch ten Kommission rorzuschlagen, die die Verantwortung für den Zwischenfall festzustcllen hätte. L. fer Vor schlag wurde durch die Vermittlung der griechischen Gesandtschaft in Sofia dreimal wiederholt. Bevor sie unseren Vorschlag beantwortete, befahl die grie chische Regierung ihren Truppen, in Bulgarien ein- zumarschicren. Zahlreiche, mit Artillerie versehene griechische Abteilungen stießen bis zu einer Tiefe von acht Kilometern auf bulgarisches Gebiet vor. Die bul garischen Grenzposten erhielten den Befehl, keinen Wi derstand zu leisten. Der griechische Vormarsch dauert an. Tie griechische Artillerie schoß mehrere Grana ten gegen die offene Stadt Petritsch. Ein griechisches Flugzeug warf mehrere Bomben. Die bulgarische Re gierung legt >nit äußerster Energie gegen. den -offen sichtlichen Angriff seitens des Heeres eines Mitgliedes des Völkerbundes Verwahrung ein und bittet gemäß - den Artikeln 10 und 11 der Völkerbundssahung das > Sekretariat, den Völkerbund wat unverzüglich zusum , menzurufen, um die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Sie ist überzeugt, daß der Rat seine Pflicht erfüllen wird. Sie hält den an das Heer erteilten Befehl aufrecht, dem Angreifer keinen Widerstand zu leisten." Genf, 23. Okt. Der Generalsekretär des Völker bundes le.rhielt heute, 23. Oktober, ein zweites Tele- grampi der bulgarischen Regierung mit ' folgendem Wortlaut r ,Hm Anschluß an mein Telegramm vom.22. d. Mts. glaube ich zur Kenntnis des Völkerbundes brin gen zu müssen, daß die griechischen Truppen hie Ope rationen am gestrigen Nachmittag und während der Nacht fortgesetzt haben und auf einer Front von 32 Kilometer Länge und in einer Tiefe von 10 Kilometer auf bulgarischem Gebiet vorgedrungen sind. Unsere Verluste betragen bis jetzt: drei Soldaten wurden ge tötet, sechs Soldaten und ein Offizier wurden ver wundet, während sieben Soldaten vermißt werden und ein Techniker schwer verletzt wurde. Von den Einwohnern von Petritsch. einer Stadt ohne irgend welchen Schutz, welche von der griechischen Artillerie beschossen wurde, wurden sieben verwundet. Namens der bulgarischen Regierung erneuere ich mein.gestriges Gesuch, Sie möchten die Güte haben, den Völkerbund dringend einzuberufen, gez. Kalfoff, Minister des Aeußeren." Dieses Telegramm wurde vom Generalsekretär des Völkerbundes sämtlichen Mitgliedern des Völkerbunds rates und auch sämtlichen Mitgliedern des Völkerbundes zur Kenntnis gebracht. Der französische Minister des Aeußern Briand, am tierender Vorsitzender des VölkerbundsrateS, hat fol gendes Telegramm an die bulgarische und griechische Regierung gerichtet: „Der Generalsekretär des Völkerbundes berief, ge stützt aus Artikel 11 des Paktes, den Rat für den näch sten Montag zu einer Sondersession nach PariS ein. «In , dieser Tagung wird der Rat zusammen mit den Ver tretern Griechenlands und Bulgariens den ganzen Fragenkomplex prüfen. Indes bin ich gewiß, einen Wunsch meiner Kollegen zu interpretieren, wenn ich die beiden Regierungen an die Verpflichtungen, die ihnen als Mitglieder des Völkerbundes auferlegt sind, an ihre feierlichen Verpflichtungen auf Grund de» Artikels 12, nicht zum Kriege zu schreiten, und an die schwerwiegenden Konsequenzen, welche nach dem v hoesch wieSer in Paris. Part», 23. y,kt, Botschafter von Hoesch, der heute von seiner Reise nach Berlin hierher zurückgekehrt ist. hat heute nachmittag Außenminister Briand einen Be such abgestattet und tn dessen Verlauf mitt Briand die durch die Paraphierung der Abkommen von Locarno geschaffene Lage besprochen. Ter deutsche Botschafter verhandelte hieraus mit dem Generalsekretär tm Mi nisterium de» Auswärtigen Philippe Berthelot. Pakte aus dessen Verletzungen sich ergeben werden, erinnere. Ich ermahne daher die beiden Regierungen, unverzüglich die nötigen Instruktionen zu erteilen, damit die Prüfung des Streitfalles durch den. Rat nicht durch neue militärische Operationen unterbrochen werde, sondern daß die Truppen jeder Regierung so fort hinter ihre Grenzen zurückgezogen werden. gez. Briand." Ter Generalsekretär des Völkerbundes brachte die ses Telegramm sämtlichen Mitgliedern des Völkerbund rates sowie sämtlichen Mitgliedern des Völkerbundes zur Kenntnis. Ter Generalsekretär des Völkerbundes hat im Einver ständnis mit dem amtierenden Vorsitzenden im Völkerbunds rat, Briand, den Rat aus Montag, den 26. Oktober um 4,30 Uhr nachmit ags nach Paris einbcrusen, nm sich mit dem zwischen Griechenland und Bulgarien ausgebrochenen Ron- üikt zu beschäftigen. London, 23. Okt. Staatssekretär Chamberlain wird sich am Sonntag nach Paris begeben, um -n ber für Montag angesetzten Sitzung, des Völkerbundsrates, die sich mit dem bulgarisch-griechischen Zwischenfall beschäf tigen wird, teilzunehmen. Athen, 23. Okt. Wie amtliche Kreise mitteilen, hat die griechische Regierung, sowohl durch ihre diploma tischen Vertreter im Auslande als in Besprechungen mit den Vertretern der Mächte in Athen ihre friedlichen Absichten betont, die sie übrigens dadurch bewies, daß sie ihren Schritten bei der bulgarischen Regierung den Charakter eines Ultimatums zu geben vermied. Sie ist nach wie vor dazu bereit, einer friedlichen Lösung.zu zustimmen, unter der Bedingung, daß ihr Ansehen durch die verlangte Genugtuung, und die Zahlung eines Scha denersatzes, worauf sie zu bestehen entschlossen ist, ge währleistet werde. Derselbe Standpunkt wurde dem bulgarischen Geschäftsträger in Athen klargelegt, denk außerdem erklärt wurde, daß vor der Ausführung der in der griechischen Note enthaltenen Bedingungen und der Räumung des von den Bulgaren besetzten griechischen Postens jede Erörterung unnötig sei. Ter Oberbefehlshaber der griechischen Armee in Mazedonien telegraphiert: „Da die Bulgaren in der Gegend von Demir Hissar auf griechischem Gebiet stan den, wurde ich. um die großen Verluste zu vermeiden, die ein Frontalangriff nach sich gezogen hätte, sowie aus anderen strategischen Gründen dazu gezwungen, meine Kräfte bis Petritsch und nördlich von Kula Vvr- zuschieben, was die Bulgaren nötigte, das griechische Gebiet zu räumen." Die griechische Regierung erteilte darauf den strengen Befehl, den Vormarsch der Trup pen einzustellen, falls die Bulgaren keinen neuen An griff unternehmen. Sofia, 23. Okt. Gestern abend, vier Tage nach dem Grenzzwischenfall, sprach der griechische Geschäftsträger bet dem hiesigen Departement der Auswärtigen Ange legenheiten vor und überreichte im Namen seiner Re gierung eine Note. Dieses Schriftstück enthält eine Reihe von Forderungen, verlangt Genugtuung und versucht, Bulgarien für den Zwischenfall verantwortlich zu ma chen. Wie verlautet, versucht die bulgarische Regie rung seit drei Tagen vergebens, die Zustimmung der griechischen Regierung zu ihrem Vorschlag zu erhalten, eine Untersuchung über den Zwischenfall einzuleiten, und lc'hot jede Verantwortlichkeit für diesen Vorfall, den sie als durch Griechenland herbeigeführt betrachtet, ab. Da die Sache gemäß den Satzungen des Völkerbundes dem VHlkerbundSrat schon unterbreitet wurde, beabsich tigt Bulgarien nicht, die griechische Note zu beantwor ten. vielmehr will sie mit Vertrauen auf die Entschei dung de» Rates warten. Tie Tätigkeit der griechischen Truppen auf bulgarischem Boden entwickelt sich auf einem Gebiet von 20 Kilometer Läng« und 8 Kilometer Tief«. veuisch-ägpptlscher han-elsvrrtrag. Paris, 23. Okt. Ter ägyptische Ministerpräsident Ztwer-Pascha, der sich seit einiger Zett in Frankreich aufhält, ist von .hier nach Berlin gereist, um sich mit dem Reich-Minister de» Aeußeren über den Abschluß eine» Handelsvertrages zwischen Deutschland und Aeghp- ten zu unterhalten. Ter Ministerpräsident wird An- fang nächster Woche nach Parts -urückkehren. Die Bilanz von Locarno. Von Dr. Külz, M. d. R. Die Regie der offiziellen Berichterstattung war diesmal gut. Wohl hatte sich auch Schmok unter die Berichterstatter gemischt und erzählte mit breitem Behagen, wie Luther und Briand bei der vollbusigen Wirtin in der Osteria Weintrauben gegessen und die Hauskatze gestreichelt hatten, und wie der im Gegensatz zum abgespannten und bleichen Reichskanzler son nengebrannte Stresemann bereits wenige Stunden nach seiner Ankunft am Arme seiner rosenspendenden Gattin einen Ball zierte, aber im großen und ganzen klappte die Sache, und am Schluß erklag fast unisono der Dithyrambus der Regierungs- presse in allen beteiligten Ländern über das große Ereignis von Locarno. Doch gar bald ließ sich auch der Chor der Opposition vernehmen, und so klingt's noch heute, nicht n-r bei uns, in den verschiedensten Tonarten. So sagt der „Petit Parisien": „Der Vertrag ist ein Meisterwerk juristischen Scharf sinns und politischer Weisheit." Das „Echo de Paris" aber meint: „Die Männer, die den Vertrag gemacht haben, kennen Europa entweder nicht, oder sie kennen es zu gut!" Ueber die wirkliche Bedeutung von Locarno wird man sich am ehesten und besten klar, wenn man sich einige ganz nüchterne Fragen vorlegt. Was haben wir gegeben; was haben die anderen uns gegeben; was hat man nicht gegeben? Was haben wir gegeben? Mit einem kurzen Wort ist's gesagt: Dis Anerkennung der im Gewaltakt von Versailles uns aufgezwungenen Westgrenze und damit den Verzicht auf Elsaß-Lothringen. Das Entscheidende dabei ist, daß ein einseitiger Gewaltakt, der uns bei unserer Wehrlosig- kett Elsaß-Lothringen nahm, jetzt ersetzt worden ist durch einen beiderseits freiwillig vollzogenen Rechtsakt. Darüber hinaus haben wir in Aussicht gestellt den Bei tritt zum Völkerbund und schließlich haben wir uns hinsicht lich aller Streitigkeiten, die zwischen uns und Frankreich oder Belgien entstehen können, zu schiedsrichterlichem Verfahren verpflichtet. Was haben die andere nuns gegeben? Durch Anerkennung des Schiedsgerichtsgedankens auf französischer Seite wird uns gegenüber eine Abkehr Frankreichs von der Politik der Sanktionen und Diktate gewährleistet. Materiell ist am Akt von Versailles nichts geändert worden, aber die Handhabung der Folgen von Versailles ist eine andere, schieds gerichtlich geordnete und dadurch der brutalen Willkür ent zogene geworden. Durch Garantie der Westgrenze Deutschlands auch durch England ist das tatsächliche Ende der einseitig gegen uns ge richteten Ententepolitik herbeigeführt, durch Einbeziehung Deutschlands in den Kreis des weit ausgebauten Schieds gerichtsgedankens werden faktisch die übelsten Folgen von Ver sailles abgebogen. Was hat man uns nicht gegeben? Die Räu mung der Kölner Zone ist in bindender Form nicht zugestan den worden. In Aussicht gestellt worden ist jedoch eine Mil derung des Besatzungsregimes und eine Verminderung der Besatzung. Mit keinem Wort ist die Abkürzung der in Ver sailles bestimmten Räumungsfristen erwähnt worden, mit vie len schönen Worten hat man in unverbindlicher Form die Hoffnung, auf baldige Räumung der Kölner Zone erweckt. Mit Hoffnungen aber ist weder Deutschland im allgemeinen noch dem Rheinland im besonderen gedient, und für das Schicksal der Annahme oder Ablehnung der Abmachungen, von Locarno will es uns deshalb ausschlaggebend erscheinen, ob bis zum 1. Dezember die Hoffnung auf Räumung durch eine realpoli tische Gewißheit ersetzt wird. Nicht gegeben hat man uns ferner die von uns verlangte Befreiung von den Durchmarschverpflichtungen des Artikels 16 von Versailles., In einem dem Schlußprotokoll im Ent wurf beigefügten Briefe der anderen Regierungen an die deut sche ist eine für Deutschland erträgliche Auslegung dieser Be stimmung versprochen worden. Welche Fragen sind umgangen worden? Die Cchiedsverträge Deutschlands mit Polen und der Tschecho- slovaket sollten nach französischem Wunsch unter die Garantie Frankreichs gestellt werden. Eine Entscheidung hierüber ist unterblieben. Das Ostproblem ist also völlig ungelöst. Nach alledem liegen die Dinge so, daß dercinzige r e - alpolittsche Erfolg für Frankreich in dem frei willig erklärten Verzicht Deutschlands auf die im Westen a raubten Gebiete zu buchen ist, aber starke moralische Erfolge sind für alle Beteiligten, einschließlich Deutschland, zu ver zeichnen; sie sind in dem weiteren Ausbau des Schiedsgerichts- gedankrnS, in der Abkehr von den Maximen einseitiger Ge waltpolitik, in der allgemeinen Entgiftung der europäischen Atmosphäre zu erkennen. Ob sich weiterer realpolitischer Äc- winft für Deutschland ergibt, kann erst die Zukunft' zeigen. — Die Engländer haben sehr schnell den lieben Gott zur Hand, wenn er ihnen in das politische Geschäft paßt. Und so hat auch Chamberlain vor kurzem gesagt: „Ich bete zu Gott, der Sonnenschein von Locarno möge sich in den Herzen und Sinnen der Menschen wtödersptegeln." Wir sind nüch terner und bescheidener. Mögen die schönen Worte, mit denen in Locarno vor allem am Schluß der Franzose und der Belte - nicht geizten, sich recht bald in Laten ihrer Regierungen um setzen. Für Deutschland, besteht trotz der bescheidenen realpoliti schen Erfolge in Locarno kein Zweifel daran, daß eS den