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Sonntag» äen 2S. April 192S Vr. 97 Auer Tageblatt 8--7ÄLL KNMMtt für öas EkMLvirar r«s^latt Eothaltra- -l» amtlich«» Sekarmtmachuasra -r» Nate» -er Gta-t aaö -es Amtsgericht» ^«r. p»mch«r.«°t», fmu Lripzig m. i«e 20. Jahrgang An Aller Die ANrnveraer SnnEreve. Jür Wilhelm Marx. von Dr. Gustav Radbmch, NetchSjufttMinister o. L. Welche Eigenschaften fordert die Reich-Verfassung vom Reichspräsidenten? Der Reichspräsident soll dm Staat, d. h. die Nation und ' Mi» Red«, di« Reichskanzler Marx, der Präsident- b-aftManbidat de» volk-blocks, van Nürnberg au» für Am Nundfurck hält, hat folgenden Wortlaut: „AW Wir vor sechs Jahren in Weimar die schwarz- p?dulden» glagge hißten, war damit iveder eine Mitz- K-tung noch ein Mißverstehen der alten Karben schwarz weiß-rot bmbsichtigt. Unter den neuen Farben grotz- Mutscher Einheit, die schon im Jahre 1813 beim Be freiungskämpfe gegen Napoleon eine Rolle spielten, sollte vielmehr »-ine Zusammenfassung aller nationa len Kräfte unternsrnmen sverdsn. Das ganze deutsche Volk mußte in 'der Stunde der höchsten Csfahr zum Wiederaufbau zusammenwirken, und darin besteht die nationale Leistung der Demokratie. Die Demokratie er möglicht eS, daß der Sraat und die Zukunft der Nation pvn den breiten Massen des Volkes verstanden und ge tragen werden. Larin liegt die sicherste Gewähr für die wirtschaftliche und nationale Erholung unseres schwer geprüften Vaterlandes. Zur nationalen und wirtschaftlichen Erholung des deutschen Volles gehört aber eine friedliche Entwicklung Europas. Sie wissen alle wie ungeheuer schwer der Weg Deutschlands in den letzten Jahren geivesen ist. Sie wissen aber auch,, daß wir fühlbare Erleichterungen und Fortschritte erzielt haben. Die Wohltat einer stabilen Währung, einer neuen Anknüpfung internationaler Wirtschaftsbeziehungen, kurz alles, wa» immerhin nach dem furchtbaren Ruhrkamp* langsam erreicht worden ist, war nur durch eine friedliche Entlastung der europä ischen Politik möglich. Las neue Deutschland, das Deutschland der nationalen Demokratie, hat diese Fort schritte erzielt und ein gewisses Vertrauen bei vernünf tigen Kreisen des Auslände» gewonnen, ein Vertrauen, das wir nicht leichtherzig aufs Spiel setzen dürfen. Immer geht der nationale mit dem wirtschaftlichen Wiederaufbau Hand in Hand. Lenken Sie alle an die ersten Monate nach, dem Zusammenbruch. Damals war die Einheit Deutschlands "ebenso bedroht wies der Fort bestand seiner großartigen ivtrtschastlichen Anlagen. Da mals drohte eine kommunistische Revolution, drohte der Zerfall des Reiches. Die Nationalversammlung von Weimar hat beide Gefahren, die nationale und die wirt schaftliche besiegt durch die Verfassung, der Sie alle viel mehr verdanken, als die Gegner der Verfassung es zu geben wollen. Sie alle kennen die tiefen Gegensätze," die zwischen den deutschen Staatsbürgern sich aufgetan haben. Nur eine Ueberwindung dieser Gegensätze, ein vernünftiger Ausgleich der Interessen ist imstande, die nationale Kraft Deutschland» zu erneuern. Ich frage Sie, ob nicht die demokratische StaatSfovm am geeignet sten ist, den Ausgleich der Gegensätze herbeizuführen. Nur eine politische Horm, die allo Kräfte, die der ürt- schaftlichen Führer, die de» hart geprüften Mittelstan des, die der arbeitenden Dürften zu vereinigen weiß, ist wahrhaft national. Die demokratische StaatSfsrm gibt die Möglichkeit, daß 'alle Gruppen immer wieder durch Russische Streiflichter. Durchbrechung de» Achtstundentage». — Die Lag« mit Finnland. Die Regierung hat einen Gesetzentwurf auSgearbei- tet, der die Gründung privater Industrieunternehmen mit nicht mehr als 20 Arbeiter zuläht. Bei Abschluß von Konzession-Vertragen werden mit Erlaubnis der Gouvernement-behörden mehr als 200 Arbeiter z»ge lassen. Lurch ein kürzlich veröffentlichte» Dekret wird den Landwirten die Anwerbung von Arbeitskräften erleich tert, das Erfordernis schriftlicher Kontrakte beseitigt und die Ueberschreitung der AchtstundenarbettSzeit in ein zelnen Perioden der landwirtschaftlichen Arbeiten zu gelassen. In der Nähe von JrkutSk entwaffnete ein Eisen bahntransport von Schwerverbrechern, die sich im Ge fangenenwagen befanden, di« Wache, und beraubte die im gleichen Zug« mttfahrende Etsenbahnkvmmtssion. Nachdem der Zug von ihnen -um Halten gebracht wor den war, gelang «S 34 von den Verbrechern, di« Flucht -u ergreifen. Auf Grund de» in der Sitzung des Zentralexekuttv- komiteeS ,in Tiflis ergangenen Amnostteerlasse» ist bi» jetzt von ISO Gefangenen 110 die yveihett wiederge geben worden. Die Gefängnisstrafe der übrigen ist auf di« Hälfte herabgesetzt worden. In Kutais wurden S1 Gefangene befreit und SO Gefangenen wurde di» Strafe auf di» Hälfte ermäßigt. vernünftige Auseinandersetzung sich auSgletchen. Nur diese StaatSsorm verhindert es, daß die eine Klasse durch die ander« Klasse unterdrückt werde. Damit aber ent- bindet die demokratische 'StaatSsorm erst di« nationalen Kräfte der Zukunft. Auch die heutigen Gegner der Wei marer Verfassung haben im 'Jahre 1918 und 1919 er kannt, daß nur die Einberufung der Nationalversamm lung die nationale «Rettung bringen kann. Und vergessen Sie nicht, daß einst die Lützowschen Jäger gegen Napo leon für Deutschlands nationale Befreiung auszogen unter den Farben, die heute die Flagge Deutschlands sind Wir brauchen zu unserer wirtschaftlichen Erholung den Beistand mächtiger auswärtiger Staaten, Wir brau chen einen europäischen Frieden, damit uns die Luft zum Atmen bleibt. Alle die Länder, auf deren heutige und künftige Einstellung gegenüber Deutschland wir am mei sten angewiesen sind, haben schon seit langer Zeit demo^ kratische Staatsformen. Das gesamte politische und wirtschaftliche Denken dieser «Länder ist geradezu gewohn heitsmäßig demokratisch. Wir dürfen in dieser Welt, von der wir uns politisch und wirtschaftlich in keiner Weise abschließen können, nicht wie ein Fremdkörper da stehen. Wenn aber die nationale Zukunft Deutschland» und gleichzeitig sein 'Rang und seins wirtschaftliche Stel lung in der Welt durch die Demokratie am besten ge- fördert wird, dann ist wohl für jeden Deutschen ohne Unterschied der Partei Vie Entscheidung leicht. Sie selbst verdanken 'es ja der demokratischen Staats- form, daß Sie als Wähler einwirken können auf die Ge stattung der deutschen Schicksale. 'Sie haben damit keine geringe Macht, aber auch keine geringe Verantwortung. BiS in Ihr eigenes Privatleben hinein, in die Zukunft! Ihrer Kinder wird die Entscheidung eingreifen, die Sie als Wähler fällen. Lassen Sie sich also nicht durch Schlagworte zu einer unüberlegten Entscheidung hinret- hen. Lassen Sie sich nicht durch bloße Stimmungen Hinwegtäuschen über die sehr materielle Verantwor tung, die Ihnen das Wahlrecht zuschtebt. Wer über Deutschland» Zukunft mit heißem Herzen, aber gleich zeitig kühlem Kopf sich eine Meinung bilden WM, wer über diese Zukunft ernsthaft zu Ihnen sprechen will, der kann keine berauschenden Worte sagen. Er kann nur wiederholen, daß wir Vie Gegensätze auSgletchen müssen. Las gilt vor allem auch auf konfessionellem Gebiet. Die Politisierung der konfessionelles Gegensätze war einer der schwersten Fehler der Vorkriegszeit. Tas neue Deutschland hat sich bemübt^diese Fragen auszuschalten. Ter Geist des Zwiespalts ist nicht der natürliche Geist de» deutschen Volkes. LaS hat sich in den Augusttagen de» Jahres 1914 gezeigt, in den Jahren de» großen Kriege», als deutsche Söhne ohne Unterschied der Well anschauung für das Vaterland ihr Leben opferten. Die übergroße Mehrheit unsere» Volkes will in besonnener Arbeit neue Wege gehen Ku neuen Zielen für Deutsch land und für Europa. Ich.grüße «ine glückliche Zu kunft Deutschlands." ' Di« Meldungen der ausländischen, u. a. der fran zösischen Presse, über 'eine angebliche Spannung in den sowjetistisch-finnländtschen Beziehungen werden amtlich dementiert. Die Beziehungen -wischen den beiden Staa ten sind normal. > 1 . dir Sewrrkjchaften gegen -kr Mletstelgeroag. Die Spitzenorgcmtsationen der freien, christlichen und Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften haben gemeinsam mit dem Retchsbund deutscher Mieter an die Reichsregierung, den Reichstag und die Regierungen der Länder ein Schreiben ge richtet, in welchem sie erklären, der Ausgleich der öffentlichen Haushalte müsse durch stärkere Heranziehung des Besitzes und der höhere« Einkommen herbeigeführt werden. Au» der Miet« dürfen nur Mittel für den Wohnungsbau und für Er haltung der Men Wohnungen aufgewendet werden, und zwar unter Schonung zahlungsschwacher und zahlungsunfähi ger Mieter. Die tzausrente dürfe nach Wegfall de» weitaus größten Teiles der Hypothekenlasten nicht aus Kosten der Mieter weiter gesteigert werden. Jede Steigerung der Miete, die vorwiegend als Erhöhung der Grundrente diene, wirke al- weitere einseitige Belastung der deutschen Wirtschaft zugunsten der kleinen und durch die wirtschaftlichen Verhältnisse be reits besonder- begünstigten Gruppe der Gtund« und Hausbe sitzer und verhindere die Wettbefähtgung der Wirtschaft. Ein« wettere Mtetesteigerung sei zurzeit für den größten Teil der Mieter untragbar, außerdem aber bet Berücksichtigung der oben ausgestellten Sestcht»-uakte au- wirtschaftlich nicht gerachtsertigt. die Republik vor dem! Volke und vor der Welt in seiner Per son verkörpern. TM und Würde einer repräsentativen Per sönlichkeit find da- erste, wa» wir von ihm erwarten — aber nicht da- Wichtigste. Die Reichsverfassung will, daß das Amt de- Reichspräsi denten nicht nur ein repräsentatives Amt, sie will, daß es et« politisches Amt sei. Sie würde neben daS vom Reichstage getragene Kabinett nicht einen unmittelbar vom Volke ge wählten Präsidenten gestellt haben, wenn besten Aufgabe keine andere hätte sein sollen, als jeder Retchsregterung für jede Amtshandlung seine Unterschrift unbesehen zur Verfügung zu stellen. Keine Amtshandlung de- Reichspräsidenten ohne Ein verständnis der Retchsregierung, aber auch keine, in der nicht die eigene politische Einsicht und der eigene politische Wille des Reichspräsidenten zur Geltung kommen sollte! Reichs präsident kann also keine noch so ehrwürdige, aber politisch unerfahrene Persönlichkeit sein — sie würde nicht- sein als die'spanische Wand, welche die in Wahrheit entscheidenden Hintermänner unsichtbar machte —, Reichspräsident darf nur ein bewährter Politiker sein. Der Reichspräsident muß andererseits mit Kabinetten von wechselnder parteipolitischer Zusammensetzung in immer glei cher Sachlichkeit zusammenarbetten. Er darf also nicht nur ein PmAipolttiker, unfähig über die Mauern keine» Partei programms hinauSzublicken, er muß ein Staatsmann sein, der jeher politischen Ueöerzeugung das abzugewtnnen vermag, was sie zum Heile der Staatsganzen beitragen kann. Ueberparteiltch bedeutet aber nicht gesinnungslos. Staats mann sein heißt, sich nur dem Gedanken des Staates verant wortlich fühlen, den man leitet. Aber nur, wer den Staat, der ihm anvertraut ist, bejaht, vermag ein getreuer Sachwalter dieses Staates zu- lein. Der Präsident der deutschen Re publik muß nicht nur ein guter Deutscher, er muß auch ein unbedingt zuverlässiger Republikaner sein, den wechselnden Kabinetten wohl elastisch sich anpassend, aber unbeugsam zäh, wo es den Bestand der deutschen Republik gilt. Den wechselnden Kabinetten gegenüber, die sich aus die real« Macht hinter ihnen stehender parlamentarischer Koaliti onen stützen, können, muß der Reichspräsident, gestützt aus keine reale Macht, vielmehr nur auf die mehr ideelle Grundlage der Volkswahl, immer von neuem sich und seinem Amte Autorität verschaffen. Das Amt des Reichspräsidenten, wie die Reichs verfassung es sich denkt, ist deshalb das schwierigste Amt der ge samten Reichspolttik. Es hat nur genau so viel Autorität, wie die Persönlichkeit, die es trägt, und die Sache, die sie ver tritt, ihm zu geben vermag. .Nur eine starke Persönlichkeit von strengster Sachlichkeit ist ihm gewachsen. Und doch muß der Reichspräsident ganz frei sein von einer Eigenschaft, die eine Haupttriebskraft aktiver Persönlichkeiten zu sein Pflegt. Er muß gewillt sein, seine Amtstätigkeit unsichtbar, kaum fühlbar auszuüben, er muß der jeweiligen Reichsregierung Vertretung und Verdienst der Reichspolitik überlasten, er muß auch dann schweigen können, wenn noch so gehässige Angriffe sich gegen ihn, den verfassungsrechtlich nicht Verantwortlichen und deshalb verfassungsrechtlich Wehrlosen richten. Er muß frei fein von jedem Ehrgeiz, jeder Eitelkeit. So war Friedrich Ebert, und deshalb konnte er dem Amte des Reichspräsidenten von vornherein die starke Prägung geben, welch« die Reichsverfassung verlangt. Sein Nachfol ger hat die Aufgabe, das Amt, daS der erste Reichspräsident stark gemacht hat, in dieser Stärke zu erhalten. Ich habe die feste Zuversicht, daß Wilhelm Marr dazu fähig und gewillt! ist. Ich ehre in ihm den gut deutschen Mann von. erprobter republikanischer Zuverlässigkeit, einen Staatsmann von Erfahrung und Weitblick, streng sachlich und rechtlich, ohne Ehrgeiz, dafür mit einem tief religiös veran kerten Pflichtgefühl, einen Mann von Herzenswärme und gelegentlich gemütvollem Humor, der den Weg zum Herzen unseres Volkes schnell finden wird. Ich habe auch die be gründete Ueberzeugung, daß Wilhelm Marx es verstehen wird, seine kulturpolitischen Auffassungen den überparteilichen Pflichten des RetchSpräfidentenamtes ebenso unterzuordnen, wie ihnen Friedrich Ebert seine sozialistische Weltanschauung stet» untergeordnet hat. Zu meinen schönsten parlamentari schen Erinnerungen gehört die Mitarbeit an dem au- der Ini tiative dÄ» Reichstage« hervorgegangenen Entwurf eine» ReichSgesetzeS über die religiöse Kindererziehung, eS gelmig damals, trotz der heiklen Aufgabe, im Reichstaasaulschuß nahezu alle Parteien auf dem Boden eines Entwurfs zu eini gen, der Führer zu dieser Einigung aber war Wilhelm Marx. Man. muß es der Sozialdemokratischen Partei zur Ehre anrechnen, daß sie, die im ersten Wahlgang sich als zweitstärkste Partei bewährt hat, im zweiten Wahlgang ihre 8 Millionen Wähler dem Kndidaten de» VolkSblockZ zuführen will. Wieder zeigt sie, daß sie ihre Sonderausgaben hinten den großen ge meinsamen Zielen zurückzustellen weiß: Republik und Nation. Nicht nur die Partetdifztpljp, die tn der Soztaldemkratte alte Überlieferung ist, wird alle Sozialdemokraten für den voll»- block an di« Wcchlurn« führen, sondern vor allem warme» Ved- trauen zu Wilhelm Marr reiner und fester Persönlichkeit und da» -«vußtftta, da- die va-l seine» von einfi-G- oder der-