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Mer Tageblatt Nr. ISS Dienstag, äen S. August 1422 N. Jahrgang feit I«, tz«W» «oatttch MM Merl. »,tz»«r »I» Sa»«»«»»» »»t D, » — «rschrillt »riNSzUch. -<rusp»»ch - ftafihtuß Nr. SS. d' MMssrn ,»«t,»ch«r»„ »«»«tt. tt»gn»mm,, Lagedlatt Aoettzgrdirgr. Eathatteaü -le amtliche« Sekaantmachuagr« -es Kates -er Sta-t UN- -es Amtsgerichts Kue. p»ggtz«ck.g»ni»> ftmt L»ip,ig Nr. 1<», Anzeiger für -as Erzgebirge WWW Das Wichtigste vom Tage. Sine Ehefbespvechungtndpr Rstckskanzlei Ve- ft»V» sich gestern mit der Kohlend i so und der E nt. scheit düng der Reparationskommisfi on bezüg,- lich derHerabsetzungd-r Reparationskohlen- Keserungen von 19 auf 17 Millionen Tonnen. Mr Vertreter der Times deutet an, daß eine sem- sativnelle Kundgebung hetz Reparativ ns. iamtntssion unmittelbar zu erwarten sei. ES dürfte sich Mm den Zahlungsaufschub für Deutsch, land handeln. Di« internationale Frontkommtssion be. wist vom 12. bis 21. Ok.ober die neue deutsch polnische Grenze in Oberschlesien und' befragt die Bevölkerung, ob die neue Grenze den wirtschaft lichen Erfordernissen entspricht. Die irischen Freist aat-Tr »Ppen haben vor der Stadt Corr den Generalangriff.gegen die Anhänger de Baleras eröffnet. ! i . Die Morningpost meldet aus Konstantinopel, das; die g rtech ischenTr uppen sich von der Tscha« inldscha-Linie zurückgezogen haben. Ter Dollar stand heut« vormittag in Ber- ltn vorbörslich auf 7 56. Durch äie Derfaslung zum Staatsvolk. Von Dr. Johanne» Richt«, Leipzig. Wir Deutsche!? vmren immer eine Kulturnation ersten iltanges, aber kein Staatsvolk. Zum Staatsvolk erhebt >uan sich nicht durch Philosophie, Kunst, Wissen schaft und Technik, sondern nur durch den Willen izur politischen Form. Daran aber hat es uns seit den älte sten Tagen unserer Geschichte gründlich gekehlt. Ger manische Eigenwilligkeit wirkte von Anbeginn zentri- fllgäl, deutsches Stammesbewußtsein wurde von selbst süchtigen Dynasten ebenso geschickt wie bedenkenlos a<uS- A-beutet, zum Separatismus verunstaltet und Mußte fol gerichtig zur Zersplitterung führen. Tas Zusammen gehörigkeitsgefühl der Deutschen ilvar und blieb Höchst kümmerlich entwickelt. Nur gemeinsame Not wandte von Zeit zu Zett bis von ^deutschen Fürsten mißleiteten StammeSinstinkte dem gesamten Deutschland zu. Die Blüiezeit unserer klassischen Literatur und Philosophie unterstrich noch einmal unseren, Charakter als Kultur» nalion. Tie napoleonische Fremdherrschaft erzwang dann zwar hoffnungsvolle Ansätze zu genieindeutschem Denken und Fühlen, aber die Macht einer Verhängnis^ vollen Tradition und der Widerstand der deutschen Für sten erstickten auch diese Regungen eines nationalen Empfindens. Selbst das geniale Werk, das der eiserne .Kanzler einem wtderwilligen Schicksal abtrotzte, wär eine halbe Lösung, ein Vorläufiges, nur eine Brücke zum besseren Ufer. Es ist müßige darüber zu streiten, ob i.'iiw daüerhastere Lösung zu Bismarcks Zeit möglich war. Da.sächlich sahen die meisten Tratschen in der Bismarck- scheu Reichsgründung die endgültige Lösung. Erfolg und Mach; suggerierten dem deutschen Volk die inner lich gar nicht vorhandene deutsche Einheit. Es «war überzeugt, ein für allemal seine politische Form ge funden zu haben. Das war ebenso ein Irrtum, wie die Annahme, innerhalb der schvarz-weiß-roten Grenzpfähle 'wohne eine Nalion, ein Staatsvolk. Wir watren nicht einmal auf dem Wege, es zu werden; denn ein Staatsvolk entsteht nicht durch gemeinsame Armee und Floite. auch nicht durch gemeinsame blühende Wirtschaft. Mau wird nicht 'Nation durch militärische oder finan zielle Macht, so eindringlich das. auch die Geschichte zu predigen scheint. Machtblldung äst nur der Exponent der Nation, die zuvor da sein mutz. Hier ruht die Tra gik der neuesten deutschen Geschichte seit etwa 1864. Wir hielten uns für politisiert, weil wir in Bismarck! einen großen politischen Führer besessen hatten. Wir hielten uns für eine Nation, ive.il wir in einem Reich'! lwvhnlen. Wir spielten Staat, ohne ein Staatsvolk zu sein. ES ist «keine Schande, aber.ein lebensgefährlicher Mangel, nur eine Külturnattvn zu sein. Tvch selbst der Ruhm der Kulturnation fing an, km Wilhelminischen Reich zu verblassen, als unser Kulturwille sich immer entkchieoener aus wirtschaftlich« Größe, auf Tingwerte ei «stellte. Tie deutsche Seele blieb trotz aller Teklama. tionen vom deutschen Idealismus wett zurück. So fand der große Moment unserer jüngsten Geschichte zwischen 1864 und 1918 ein kleines AeschlM. GS leuchtet ein, datz un» mit einer Systemänderung nicht geholfen werden konnte, -aß wir vielmehr einen Sijein'schen Reformwillen brauchten, eine Erneuerung -ves deutschen Menschen. Bedeutet dann aber nicht die Reichsvevfassung vom 11. August 1919 einen Irrtum? Hat nicht die deutsche Nationalversammlung in naiver Systemgläubigkeit an Stelle «der monarchischen eine re publikanische Staatsverfassung gefetzt? Ein Volk kann nicht durch Shstemwechfel erlöst werden. Aber die Reichsverfässung stellt Mr uns nicht ein System dar, mit dem ein Versuch gewagt werden soll, sondern un sere politische Lebensform schlechthin. In dem Abschnitt der deutschen Entwicklung, in dem wir stehen, isr die Republik der Inbegriff unserer Staatlichkeit. Ob Republik oder Monarchie mag sonst eins sekundäre Frage fein, seit 1918 ist sie primär und einfach entscheidend. Nichts ist bezeichnender für dis Schwäche des deutschen politischen Instinktes als die Tatsache, daß heute noch Millionen nicht begreifen, warum sich, an dieser Frage die Geister scheiden müssen. Ist der Zusammenbruch nur die Folge eines Dolchstoßes in, den Rücken, und die Revolution ein Rummel, dann freilich hat nur der Zu fall die Republik geboren und sie wird Episode bleiben. Tvch der ungetrübte Blick erkennt unschwer die Zwangs läufigkeit des Zusammenbruches und der Ablösung durch die Republik. Ein Volk, über das die Katastrophe so verheerend hereingebrochen ist wie über uns, kann nicht anders, sofern es noch.gesunden Lebenswillen 'besitzt, als sein Geschick selbst in die Hand zu nehmen- ES wird nicht den Angstruf nach dem starken Mann aus stoßen, es könnte damit nur seine.Minderwertigkeit be weisen. Es wird erhobenen Haupte- an die Neugestal. cung seines staatlichen Lebens gehen- Nur sittliche Er. Neuerung vermag aufzubauen, pnd nur auf breitester Grundlage aus den Kräften der Tiefe kann sie empor« wachsen, aber nun und nimmer von einer wenn auch), noch so gewaltigen Persönlichkeit befohlen werden- So ist die demokratische Republik feit '1918 sittliche Not wendigkeit. Auch der Verfassung von 1919 haften ohne Zweifel Unvollkommenheiten an. Aber das ist ihr unbestce.it- bartvs Verdienst, daß sie unzweideutig für Reich 'und Länder die Republik setzt, und darin besteht ihre Grütze, daß sie den Staat als eine, sittliche Macht er faßt. Jedes politische Verhalten ist Dienst ach Ganzen, an Volk und Vaterland. Ter Pflichtgedanke zieht durch die ganze 'Verfassuni. Der junge Freistaat er scheint als höchstes GemeinschaftSgut der Teutschen. Ter Staat war den Deutschen selten etwas anderes als ein lästiger Tyrann, im' besten Falle ein eigensinniger Patriarch. Auch de,r Bismarckische Staat, so sicher es sich unter seinem Schirm wohnte, wenn man die Sorge uch dis Zukunft einsch'läser.te ^wirkte als Vormund. Tier! republikanische Staat der Weimarer Verfassung, der erste, ddr der Initiative des deutschen Volkes entsprun gen ist. löscht den Begriff des Untertan endgültig aus, gründet sich aus den Willen der Staatsbürger lind Will von der Volksgemeinschaft getragen sein. Das Merkmal einer guten Verfassung ist dis erzieherische Kraft', die von ihr ausgvht. Eine Verfassung, die nur ordnet und veglementiert, ist kein«.' Die echte Verfassung fetzt Zieles und weist Wege. Die Reichsverfassung von 1919 ist von produktivem Geiste erfüllt. Es gilt, den politischen Deut sch e n zu erzeugen, der sich'weder gleichmütig von oben regieren läßt, noch sich szähneknirschend der Obrig keit beugt, sondern der das frivole Wort deS Autokra ten L etal, c'est moi! zum Bekenntnis freudiger Dienst pflicht dem Staat gegenüber adelt. Nur ausgesprochener Uniertancuverstand kann dass verkennen und sich zu überlebten politischen Formen zurücksehnen, weil sie zufällig bequemem Lebensgenuß nicht hinderlich waren. Tvr .zäheste Feind der deinokrattschen Republik heißt politische Tenktrüghe'tt und Widerwillen gegen harte Pflichterfüllung. Sie überwinden heißt den politischen Deutschen schassen, die Volksgemeinschaft bauen und da mit ein Staatsvolk bilden. Die beste Verfassung ist nichitg, wenn sie bedrucktes Papier bleibt, sie Mutz «r- irungpn werden. Die Verfassung von 19i 9 ist kein Zu- latlsprodukl, sond- rn die Frucht einer langen inühselt» gen Entwicklung. Es lohnt der Mühe, sie ,yl erwerben und zu erleben, wir Deutschen können an ihr zum Staatsvolk, zur Nation heranreifen. - Dor der Entscheidung, lvo» unlrrrm Berlin»» Vtttarb«it»r.l Die Bedeutung der in London zusammengetrete- neu neuen Alliiertenkonferenz für die Zukunft Deutschlands wird sich' Viel unmittelbarer und schneller Herausstellen, als da« bei früheren ähnlichen AlliieAen- Tagungen der Fall war. Wird nämlich die jetzige Kon- ferenz kein Moratorium und keine wesentlichen Zah- lungscrletchterungen bringen, so Wird sofort die Mark entwertung noch tiefer« Sprünge in den Abgrund hinunter tun, die unerträgliche Teuerung ivird sprunghaft wetterwachssn und der Ruin Deutschlands kann als besiegelt gelten. Wenn dagegen eine längere Atempause oder gar ein langfristiges Moratorium ge währt wird, so bleibt wenigsten« die Hoffnung, daß spätere Verhandlungen doch poch der, Vernunft -um Siege verhelfen. Fast ebenso Wimm, wie di« Verwei gerung .jeder Entlastung wär« freilich die dritte Mög-! lichkeit einer ganz kurz begrenzten provisorischen Regelung. Tenn sie würde neue Enttäuschung und ver stärkte Hoffnungslosigkeit Mr das deutsche Volk bedeu ten, das ohnedies heute schxn drum weiß, wie SS sein Leben weiter stiften soll. ' ' Vorläufig ist die Aussicht auf ein günstiges Er gebnis der Londoner Konferenz trotz aller Tröstungs artikel der englischen Presse npr sehr gering. Poincar« hat durch die unglaublichen fünf neue sten Retorsionen, die ebenso viele glatte RechtSi- brüche bedeuten, aufs 'klarste bewiesen, in welcher Ge sinnung er nach London gefahren ist. Tie Proteste selbst der Bundesgenossen und des deformeren Teile» der französischen Presse haben ihm von seinen kleinlichen Rache maß nähmen nicht adziMaltpn Vermocht Die An-, dvohuug weiterer und schärferer Retorsionen zeigt, daß er nach wie vor die Politik der Tirvhvng und vier rück sichtslosen Vergewaltigung immer noch Mr die zweck- Wäßigste hält.* In einem Berliner Montagsblatt sucht der bekannte Herr v. Verlach Uauben zu machen, day Poincar« trotz alledem ein überaus kluger Staatsmann sei, der durch seine Tirohgesten die nationalistischen fran zösischen Revanchepolitiker nur von Schlimmerem 'zu rückhalt«. Mer Herr V. Gerlach' wird' sicherlich wenig gläubige Leser Mr diese seine Darstellung finden. Poin- oare hat ununterbrochen, seit «r wieder am Ruder ist, nicht nur durch Gesten, sondern durch! brutale Gewalt taten bewiesen, datz er ohne Rücksicht aus Reckt und Ver träge und ohne Rücksicht aus den' Einspruch seiper Ver bündeten gradlinig auf die Demütigung unv den Ruin !d«S deutschen Volke« losmarschiert. , Er wird auch in London der bleiben, der er ist, per rücksichtslose Ge ivoltpolitiker. ' * ' ' Deshalb gewinnt die neueste französische Darstel lung viel Wahrscheinlichkeit, daß er mit keinem ande ren Plan zur Konferenz gekommen ist, als mit der Fvr- Ider-ung, vorerst einmal die Bedingungen und die Pfänder 'zm erörtern und 'festzustellen, die die Voraus setzung für jegliche Erleichterung gegenüber Deutschland fein sollen. Für diese Bedingungen und Pfänder hat en natürlich genaue Etnzelvorschlägfe mitgebracht. Erst! trenn man sich aus sie geeinigt hat, wirb er vielleicht unter dem Truck der scharfen französischen Finanznöte bereil sein, einer kurzen provisorischen Neuregelung zuzustimmen, die ihm die Hoffnung läß, später, zu geeigneterer Zeit seine alten Methoden wieder auszu nehmen. Ganz anders sind die englischen Vorschläge. SW verlangien, daß infolge der Überaus ungünstigen deutschen Finanzlage bis zum 'Schlüsse des Jahres 1932 alle Barzahlungen, die Deutschland zu machen hat, so weit sie aus ReParaktonSkonto gehen, «ufzufchieben sind. Auch die Ausgleichszahlungen sollen aus die monatliche Summ« von 500 000 Pfund Sterling herabgesetzt wer- den, die aber nicht mehr an die einzelnen Regierungen, sondern an die Nepar ativnSkommissi'on direkt ab'zusüh- yen wären. Diese Vorschläge sind vom englischen De legierten Bradbury in Der Rcparatwnskommission bereits zur Prüfung vorgelegt worden. 'Sie hat mit drei Stmmen gegen eine beschlossen, daß eine Entschei dung .erst n a ch der Konferenz von London gefällt wer den soll. Frankreich hat sich also allein in der Repa- ralionSkommtssivp gegen die vernünftigen Vorschläge ausgesprochen. TaS war um so selbstverständlicher, ÄS Bradbury außerdem noch beantragt hätte..Mr das Mb- i ratorium des Jahres 1922 in anbetracht der Gefährlich, kett der augenblicklichen Lage keine Neuen Bedingungen vorzuschreiben. Eine Atempause für Tieutschland ohne neue Auflagen und Bedingungen ist für Vie französische Politik natürlich undiskutabel. In London stehen sich nun die französischen und die englischen Vorschläge wie Neuer und Wasser gegenüber. Die Beratungen werden entweder kurz sein; wenn man sich nämlich in keiner Weise ewigen kann. Oder st« werden längere Zeit, vielleicht die ganze Woche, in An spruch nehmen, wenn sich, bald ein«. Au-sichi auf Eini gung ergibt. Daß diese Einigung eine, mittlere Linie darstellt und in den englischen Wein viel französischi.'» Wasser gießen wird, dürfte kaum 'zu bezweifeln sein. Der italienische Außenminister 'S Ich a nzer und die bel gischen Minister Th en ni S und Jaspar sollen schon vorher Pvineare gut zugeredel haben, sich , mit Lloyd Georg« und dem englischen Wnanzminlster Hörne zu verständigen. Aber der französische Ministerpräsident wirs schon mit Rücksicht aus die nationalistischen Schreier, di« hinter ihm ste'hen, gutem Zureden kirum zugänglich