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— 1010 — licher Weise wie Krankheiten des Körpers zuweilen in großem Umfange epidemisch auftreten, giebt eS auch geistige Epidemien, Stimmungen, Meinungen, welche daö Publikum fast aus nahmslos afficiren, und wie es der ärztlichen Wissenschaft nur in den allerwenigsten Fällen gelungen ist, die Entstehungs- Ursachen der verschiedenen Krankheiten unserer Leibesorgane zu ermitteln, so wird es niemals den Philosophen gelingen, die Endursache der geistigen Strömungen zu ergründen, welche die Menschheit in ausgedehntem Grade zeitweise beherrschen. Die bedeutendsten Capocitäten, namentlich unserer deutschen Nation, haben seit Jahren nach Heilmitteln gegen die Schäden unserer wirtschaftlichen und socialen Verhältnisse vergeblich gesucht. Neuerdings ist das bereits langsam wiederkehrende Vertrauen der Börsen stark erschüttert worden durch die großen Bankerotte in England. Daneben haben die ungewöhnlichen Geldbedürfnisse der englischen Regierung für die Kriege in Afghanistan und im Caplande einen großen Druck auf den Geldmarkt auSgeübt, und so haben im Laufe des Jahres tausenderlei Ursachen mitgewirkt, das Vertrauen und somit den Unternehmungsgeist nicht zur Entwickelung kommen zu lassen, ungeachtet auf dem Gebiete der Politik tiefere Ruhe herrschte und kein Wölkchen sich zeigte, welches den Frieden in Europa stören könnte. Von Zeit zu Zeit haben große Handelskrisen in den Verkehr der Nationen störend einge griffen, aber wohl noch niemals hat eine solche Krisis so lange angehalten, als die gegenwärtige. Es scheint uns da raus hervorzugehen, daß die durch die Schwindelunterneh mungen der Jahre 1871 bis 1873 herbeigeführte Capital- zerstörung so tiefgreifend und allgemein gewesen ist, daß es einer längeren Zeit bedarf, ehe die verursachten Schäden durch Fleiß und Sparsamkeit wieder ausgeglichen werden. Sind sonach die Aussichten für das neue Jahr nicht gerade rosig, so wäre es andererseits doch auch verkehrt, sich der Muth- losigkeit hinzugeben. Die Gestaltung von Handel und Verkehr entzieht sich, wie die aller menschlichen Dinge, der Voraus sicht und der Berechnung. Ein einziges, vielleicht sogar an sich minder bedeutendes Ereigniß kann einen ganz plötzlichen Umschwung in der Stimmung, welche dermalen die Menschen beherrscht, hervorbringen, die Mutlosigkeit in kühnes Ver trauen verwandeln und dem Handel und Wandel einen Auf schwung geben, von dem sich heute noch Niemand träumen läßt. Darum schließen wir unsere kurzen Betrachtungen mit dem alten Spruche: „Mit Gott hinein ins neue Jahr!" Tagesgefehichte. Dippoldiswalde, den 30. December. Wir stehen am Jahresschlüsse. Weder der Rückblick auf den vergangenen, noch der Hinblick auf den kommenden Zeitraum ist befrie digend. Die herrschende Stimmung ist Unzufriedenheit und Entmuthigung. Von rosigen Hoffnungen ist nicht die Rede. In volkswirtschaftlicher Hinsicht verweisen wir auf den diese Seite der Zeitgeschichte ins Auge fassenden, ausführlichen Artikel. Was das politische Leben anlangt, so gilt es auch hier: „Trübselig ist's noch allerwärts!" Allüberall in Europa, vom Ural bis zu den Pyrenäen, gährt und wühlt es, und es hat ja an Ausbrüchen des Vulkans im nun vergangenen Jahre nicht gefehlt. Der Gährungsproceß hat eine Ausdehnung angenommen, daß das, was die Gesetzgebung, insonderheit die deutsche, ent gegenzustellen versucht hat, nimmermehr hinreichen kann, die Fluchen zurückzudrängen und — verstechen zu machen. Von der Weisheit, der unermüdlichen Arbeitslust und dem guten Willen der europäischen Negierungen muß erwartet werden, daß sie neben den vorbeugenden Maßregeln auch Mittel unv Wege auffinden werden, welche geeignet sind, die Bewegung in unschädliche Bahnen zu lenken, die Quelle der tiefen Unzufriedenheit und Volksverstimmung zu verstopfen, Achtung vor Gesetz und Autorität herzustellen und den Sinn für Sittlichkeit und Religiosität neu zu beleben. — Zur Mit wirkung ist Jeder berufen, der die Zeit der Roth erkennt. Können wir darum das neue Jahr auch nicht mit bestimmten Hoffnungen antreten, die sich baldigst verwirklichen sollen, so wollen wir es doch mit dem Vorsatze beginnen, dazu nach unserer Kraft mitzuhelfen, daß Wahrheit, Ehre, Liebe, Treue, Uneigennützigkeit, Aufopferung-, Gottesfurcht, nicht untergehen, „daß nicht das arge Reich der Nacht, Der Freiheit Sieg verderbe!" Zurückdrängen, verzögern läßt sich dieser Sieg wohl, aber daß er einst doch durchdringen müsse, das sei die Hoff nung oder vielmehr die Ueberzeugung, mit der das deutsche Volk, und auch unsere Gemeinde das neue Jahr beginnen möge! — Dippoldiswalde. Am zweiten Weihnachtsfeiertage ist in WendischcarSdorf hinter einem Gehöft ein unbekannter Mann, anscheinend Handwerksbursche, erfroren aufgefunden worden. Er war von mittlerer Statur, ca. 30 Jahre alt und trug einen schwarzen Vollbart. Nach erfolgter Auf hebung ist er am 28. December auf dem Kirchhofe zu Possen dorf beerdigt worden. m Frauenstein, am 27. December. Das Weihnachts fest, das Fest der Freude, ist hier mehreren Familien durch plötzliche und unerwartete Todesfälle sehr verbittert worden. In der kurzen Zeit vom 19. bis 26. ds. Mts. waren nicht weniger als sechs Begräbnisse, darunter drei Kinder, wovon eins an Gehirnlähmung und zwei, welche an Gehirnhautentzündung, Scharlach und Bräune verstorben sind. Die Zahl der Kranken ist zur Zeit immer noch ziemlich groß. Hoffen wir, daß der gute Gesundheitszustand, dessen wir uns bis vor Kurzem immer noch zu erfreuen halten, bald wieder eintrete, damit die Eltern sowohl der erkrankten als auch der zur Zeit noch gesunden Kinder von ihren Sorgen um ihre Lieblinge befreit werden. — Der hier allgemein hochgeschätzte Lohgerbermeister Carl Käsemodel, welcher am 23. d. M. nach kurzem Krankenlager am Magenkrebs verstarb, wurde gestern von einer sehr zahlreichen Trauerversammlung zur letzten Ruhe begleitet. Sein allbekannter biederer, ehren- werther Character sichern ihm ein dankbares Andenken bei Allen, die mit ihm jemals im Verkehr standen, auch über das Grab hinaus. Es werde ihm die Erde leicht. Maxell. Am 23. December sind vor der, in Parade uniform aufgestellten Knappschaft der hiesigen Kalkwerke zwei treuen Arbeitern: dem Kalkbrenner Bretschneider aus Mühlbach, der 42 Jahre, und dem Kalksteinbrecher Grund, der 38 Jahre unausgesetzt in genannten Kalkwerken gearbeitet, durch Herrn Rittergutsbesitzer Lieut. Serre im Auftrage der kgl. Amtshauptmannschaft die großen silbernen Medaillen für langjährige Treue und Arbeit überreicht worden. Jeder der Decorirlen erhielt noch von Hrn. Serre 10 Mark, die anderen 40 Arbeiter je 1 Mark als WeihnachlSgabe. Dresden. Aus den zuletzt erschienenen Restanten-Listen der sächsischen Staatspapiere geht hervor, daß nicht weniger als 1,300,000 Mark Capital unerhoben geblieben ist und den Besitzern hieraus ein ZinSverlust von zusammen 53,000 Mark jährlich erwächst. — AuS Dresden wird gemeldet, daß die Verlobung einer Tochter des Prinzen Georg mit einem Mitglieds eines der erlauchtesten deutschen Fürstengeschlechter bevorstehe. Die „Südd. Presse" nennt als Bräutigam den Prinzen Arnulph von Bayern, das Münchener „Vaterland" dagegen den Kron prinzen Rudolf von Oesterreich. — Die Mindereinnahme der Eisenbahnen in den letzten Jahren sind Ursache zu verschiedenen BerkehrS-Ein- schränkungen gewesen, und hat sich dabei auch ergeben, daß die Wagen erster Classe meistens leer fahren; man will die selben deshalb ganz ausscheiden, und sollen dann 3 Classen bestehen, von welchen die erste gepolsterte, wie die jetzige zweite, die zweite ungepolsterte, wie die jetzige dritte, nur etwas comfortabler auSgestattet, die dritte keine Sitze enthält, verkehren.