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— 799 — sie bringen einen freiem Blick, gereistere Anschauungen zu rück in das heimathliche Dorf. Die Meinung de» schmucken Soldaten bleibt nicht ohne Einfluß auf die Schönen de» Dorfe», und auch seine Aeltern und Geschwister horchen mit Aufmerksamkeit auf seine Berichte. Und wenn sie auch an fänglich den Kopf schütteln bei seinen Erzählungen, mit der Zeit werden sie doch inne, daß sie bisher im Jrrthum waren, wenn sie Deutschland für eine Einöde, seine Bewohner für Barbaren hielten; denn alle die heimgekehrten Soldaten stimmen ja in ihren Aussagen völlig überein. Und wenn erst die nächsten Quoten Elsässer au» dem Kriegsdienste heim gekehrt sind, werden die bisherigen von dem franzosenfreund lichen katholischen Klerus genährten verschrobenen Ansichten der reichsländischen Bevölkerung gar bald vernünftigem An schauungen Platz machen, und sie werden stolz sein, daß ihre Söhne in den Reihen de» deutschen Heere» dienen, daß sie sich al» Angehörige de» Deutschen Reiche» betrachten dürfen. Gut Ding will Weile haben! Rußland. Da» neue russische Gesetz über die all" gemeine Wehrpflicht hat unter den Kosaken viel böse» Blut erregt. Lange Zeit verschwieg man in Petersburg da» Faktum de» Widerstandes der Kosaken gegen da» neue Ge setz; heut gestehen jedoch die russischen Zeitungen selbst, wenn auch nicht ganz offen ein, daß unter den Kosaken Unordnungen und Ungehorsam ausgebrochen seien. Es wird namentlich gemeldet, daß 200 Kosaken per Schub nach dem Amudarja lande geschafft worden sind, wo sie Sträflingsarbeiten zu verrichten haben. Neuerdings sollen wieder Insubordination und Aergernisse unter den Kosaken vorgekommen sein, in Folge dessen neue Deportationen verhängt worden sind. Der Herr Präsident. Original-Novelle aus der Gegenwart. (2. Fortsetzung.) H. Rückblicke. Oswald Mörner und Ludwig Elbert waren schon seit früher Jugend Freunde. Als sie Beide nach das Gym nasium ihrer Vaterstadt besuchten, wurden sie oft von ihren Mitschülern Orestes und Pylades oder auch Kastor und Pollux genannt, denn selten sah man Einen ohne den Andern. Der verschiedene Beruf trennte sie zwar auf mehrere Jahre, aber ein günstiges Geschick fügte es, daß sich Ludwig in derselben Stadt etablirte, in welche Oswald nach bestandener iiakultats- und Staatsprüfung als Referendar versetzt wurde. Beide hatten in verhältnißmäßig kurzer Zeit eine rasche Carriere gemacht. Oswald Mörner war, kaum dreißig Jahre alt, jüngster Rath in dem Justiz-Collegium des Landes, und Ludwig, dem einige Spekulationen geglückt waren, der Besitzer eines sehr blühenden FabrikgeschäflS. — Die Freund schaft der beiden Männer war auch in ihren verschiedenen Lebensstellungen dieselbe geblieben, ja sie hatte sogar einen noch innigeren Charakter angenommen. Es gab zwar viele Leute, die nicht begreifen konnten, durch welche Bande und Berührungspunkte zwei solche ungleiche Naturen wie Oswald und Ludwig an einander gefesselt wurden: Oswald, der junge Rath, ein geist- und gemüthvoller Mensch von mehr innerlicher als äußerlicher Natur, still, sinnig, und Elbert ein lustiger, munterer Lebe- und Geschäftsmann, der außer für sein Geschäft nur für die Freuden und Annehmlichkeiten des Frühstücks in einem italienischen Keller und die Amüse ments eines Opern-Abends zu leben schien; — aber die guten Leute verstanden es nicht, Kern und Schale von einander zu unterscheiden. Eine einzige Thalsache, deren inneren Zusammenhang die Welt freilich nicht kannte, wird hinreichend sein, Ludwig Elbert zu charakterisiren. Als Oswald Mörner noch Assessor war, hatte er Fanny Lammers kennen gelernt, eine der reizendsten Mädchengestalten der Residenz und Tochter eines wohlhabenden, aber etwas wunderlichen, ehemaligen Kaufmanns, der sein Geschäft aufgeqeben und von seinen Renten lebte. Oswalds Schüchternheit Frauen gegenüber hatte ihn bis zu dem Augenblicke, wo er Fanny Lammers kennen lernte, kein innigeres Berhältniß mit einem Mädchen anknüpfen lassen, bei Fanny aber überwand er seine Be fangenheit und er gestand die Gefühle seines Herzens. Fanny war schön, aber auch sehr kokett. Der Antrag des jungen interessanten Mannes schmeichelte ihrem Selbstgefühl, und wenn sie außerdem noch ein wenig aufrichtig sein wollte, so mußte sie gestehen, daß sie Oswald unter allen jungen Männern ihrer Bekanntschaft am meisten zugethan und er ihr längst nicht mehr gleichgültig war, wenn auch da», waS sie für ihn fühlte, nicht in da« Reich jener glühenden, mächti gen Leidenschaften gehörte, die unser Dasein in seinen innersten Tiefen erschüttern. Das Erröthen Fanny'» und die Art und Weise, wie sie das Geständniß von Oswalds Liebe aufnahm, gaben indessen diesem den Muth, mit de» Mäd chens Vater zu sprechen und denselben um die Hand seiner schönen Tochter zu bitten. Herr Lammers hörte ihn ruhig an, nahm dann eine große derbe Prise, ging mehrere Minuten schnupfend und schweigend in der Stube auf und ab und antwortete dann dem in quälender Erwartung harrenden Oswald, seine sammetne HauSmütze verlegen hin- und her rückend: „Bedaure, Herr Assessor, bedaure, aber das Mäd chen ist schon verhandelt, versprochen wollte ich sagen, aber'» Geschäft ist schon glatt und rund. Glatt und rund, sage » ich Ihnen, ist das Geschäft, kommen zu spät; ist schon Nach frage gewesen und habe zugesagt; Herr Elbert, kennen ihn vielleicht." Herr Lammers, der selten oder nie aus seinen vier Pfählen kam, kümmerte sich wenig um die Welt und wußte nicht im Entferntesten, daß Elbert Oswald's Freund war. „Junger Geschäftsmann, solide» Haus, hat Offerten gemacht und 's Mädel verlangt, ich habe gemachte Offerte acceptirt und 'S Geschäft war glatt. S' ist zwar alles noch unter unS; Fanny weiß selbst noch nicht« davon, und soll es auch erst in vier Wochen, zu ihrem Geburtstag, erfahren; aber 's Geschäft ist abgeschlossen. Bedaure also recht sehr, nicht dienen zu können, Herr Assessor; vielleicht ein andere» Mal, danke für gütige Nachfrage!" Oswalds Betäubung bei dieser in so barocker Form gemachten Mittheilung, die wie ein eisigkalter Hagelschauer auf seine junge aufblühende Liebe fiel, die Verzweiflung, welche ihn erfaßte, als er hörte, daß das Mädchen, welche» er so innig liebte, diejenige sei, welche Ludwig zur Gattin auserwählt. — Alles das läßt sich nicht so in Worten schil dern, als es in der Wirklichkeit ihn hart traf. Und wa» das Quälendste war: Oswald mußte diesen Schmerz in seiner Brust verschließen, er durfte seine Leiden weder der Geliebten, noch dem Freunde klagen. Eins kränkte ihn noch besonders, daß Ludwig so verschwiegen und geheimnißvoll in dieser Angelegenheit gewesen war, ein Vorwurf, welchen Elbert freilich zurückgeben konnte, da Oswald gleichfalls niemals ein Wort über seine Gefühle gegen seinen Freund geäußert hatte. Gegen Fanny mußte Oswald aber auch schweigen, da er Herrn Lämmer» sein Ehrenwort hatte geben müssen, über diese Unterredung nichts seiner Tochter mitzutheilen. Aber selten kann ein Mensch ein so tiefe» Seelenleiden vor der Welt verbergen. Wider seinen Willen kommt es an den Tag. Die sich bleichenden Wangen, der trübe matte Blick des umflorten Auges, die gebrochene Ge stalt, Alles verräth den Wurm, der am Lebensmark nagt und es aufzehrt. Auch Oswald« jugendliche Gestalt ver fiel sichtlich. Sein Schlaf wurde fieberhaft und unruhig von bösen, wirren Träumen zerstört, die Farbe seiner Wangen bleichte sich, und mit schmerzlicher Besorgniß betrachtete Ludwig des Freundes verändertes Aussehen, dem kein, auch