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. - . . »>- — 619 — „Wenn sie uns aber Unvernünftiges befiehlt?" frug der Caplan, der um zehn Jahre jünger sein mochte, al« sein College. Er war eine rüstige Erscheinung mit offenem Gesichte. Er schob bei seinen Worten den Teller von sich und schaute finster d'rein, wie der Andere seinen Braten behaglich ver zehrte. Der Dechant sah den Jüngeren mit einem strafenden Blicke an; sagte aber nicht«. Am unteren Ende de« Tisches stand ein leere« Gedeck. ES wurde ein neuer Tischgenosse, der dritte Caplan, erwartet. Er sollte heute Abend aus dem Seminar kommen, wo er bereits Präfekt gewesen war. Sein freisinniges Wesen be stimmte den Bischof, ihn auf da« Land zu versetzen, um ihn zu demüthigen und zu bessern. Der Dechant hatte schon öfter unwillig auf den leeren Platz geblickt. Die Nichte des Dechants, eine ziemlich wohlgewachsene Jungfer von etwa dreißig Jahren mit intelligentem Gesichte, trat ein und überreichte dem Dechant Briefe. „Ist der Post-Omnibu« endlich hier?" frug er scharf. „Soeben ist er angefahren", antwortete die Nichte. Die Hausglocke ertönte, scharf, schärfer als eS der De chant gewohnt war. Sein Gesicht überflog eine zornige Röthe. Die Thür des Speisezimmers ging auf; der neue Caplan trat ein, grüßte die Gesellschaft, ging dann auf den Dechant zu und überreichte ihm eine Schrift. „Durch dieses Decret", sagte er kalt, „bin ich hierher al« Caplan befohlen worden." Der Dechant sah ihn erstaunt an. Die beiden Capläne ebenfalls. „Es ist einer der besten und ehrenvollsten Plätze", sagte der dicke Caplan, von seinem Teller auf den Ankömmling blickend. „Sie werden wohl dem Befehle freudig Folge geleistet haben?" frug der Dechant. „Ich habe ihm Folge geleistet, wie Sie sehen," erwiderte der junge Mann fest. „Aber nicht freudig, wie ich sehe?" sagte der Dechant scharf. „Das ist meine Sache!" bemerkte der neue Caplan. Der Dechant sagte nicht« darauf, sondern deutete mit der Hand auf den Stuhl vor dem leeren Gedecke. Der neue Caplan setzte sich und fing zu essen an. Der Dechant beobachtete ihn schweigend. Eine unheim liche Stille herrschte am Tische. Der junge Caplan unter brach sie endlich mit der Frage an seinen Nachbar zur Rechten, wie lange er bereits hier sei. „Fünf Jahre", antwortete der zweite Caplan. „DaS ist lange", sagte der junge Caplan. „Ich bin bereits zehn Jahre hier", bemerkte der dicke Caplan „und befinde mich sehr wohl." Der junge Caplan betrachtete ihn schweigend, nur ein seltsames Lächeln zog über seinen Mund. „Was bringen Sie aus der Stadt Neues?" frug der zweite Caplan, der an seinem neuen College« Wohlgefallen hatte. „Reformations-Gedanken!" antwortete dieser. „Doch nicht aus dem Seminar?" frug der Dechant. „Aus dem Seminar!" sagte der junge Caplan, und seine Augen leuchteten. „Solcher Geist herrscht im Seminar!" rief der Dechant aus. „Jetzt begreife ich", fuhr er nach kleinen Pause fort, „warum Sie mir besonders vom Bischöfe empfohlen worden sind!" Die beiden älteren Capläne sahen verwundert auf den Dechanten und dann auf den jungen Collegen. „Allerdings hat mich der Bischof Ihnen empfohlen", sagte dieser; „er hat es mir selbst gesagt." Der Dechant wurde verlegen. Er blickte eine Weile starr vor sich hin, dann erhob er sich, mit ihm erhoben sich auch die Capläne ; e« wurde ein stilles Gebet gebetet, der De chant wünschte kurz „Gute Nacht!" und ging fort. „Der gnädige Herr ist heute verstimmt", sagte der dicke Caplan. „Wer ist denn der gnädige Herr?" frug der Neue. „Nun, der Herr Dechant!" anwortete der Dicke. „Läßt er sich denn „Gnädiger" nennen?" frug der Junge. „Warum denn nicht!" entgegnete der Andere. „Weil Jesus seinen Jüngern verboten hat, sich „Gnä dige" nennen zu lassen", sagte der Junge scharf. „Der De chant wird doch wohl ein Jünger Jesu sein wollen?" Der zweite Caplan lächelte; der erste verließ unwillig das Speisezimmer. „Sie werden hier viel kämpfen oder leiden müssen!" sagte der zweite Caplan; „Sie sind in eine Zwingburg des Ultramontanismus gerathen!" „Voorrti 8umu8 nä militium vsi?" erwiderte der junge Geistliche. „Dieses Wort ist von Tertullian", bemerkte der Aeltere, „und steht als Motto auf Lenau'S „Savonarola!" - Er versank in Nachdenken. Dann stand er auf, reichte dem Collegen die Hand, sagte ihm gute Nacht und ent fernte sich. Die Nichte des Dechants trat mit einem Lichte ein und frug den neuen Caplan, ob sie ihm sein Zimmer anweisen solle. Sie führte ihn über eine dunkle Treppe, schloß eine Thür auf, überreichte ihm das Licht und entfernte sich mit einem kurzen Gruße. II. Der Dechant. Am andern Morgen stand der Dechant an seinem Pulte und schrieb. Sein Gesicht war noch finsterer, als gestern Abend. Er schrieb einen Brief an den Bischof, um ihm die Ankunft des Caplau« zu melden und seinen festen Vorsatz auszusprechen: den rebellischen Sinn desselben zu brechen, koste e«, was eS wolle. Die Nichte brachte ihm Kaffee. Der Dechant sah sie einige Augenblicke forschend an, dann sagte er: „Die Weiber beurcheilen die Menschen nach den ersten Eindrücken und meist richtig. Welchen Eindruck hat der neue Caplan auf Dich gemacht, Margareth?" „So mögen Sie in Ihrer Jugend gewesen sein, Onkel!" sagte sie kühn und sah ernst in sein finsteres Gesicht. „Du hast Recht", sagte der Dechant etwas erregt; „er könnte mein Neffe und Dein Vetter oder Bruder fein. Er ist hartes Holz; ich werde ihn aber dennoch beugen, so ge wiß, wie — „Wie mich!" unterbrach ihn die Nichte. „Gegen ihn haben wir schärfere Mittel!" erwiderte der Dechant unwillig. „Er steht im Dienste der römischen Kirche. Verstehst Du das?" Hierauf sagte die Nichte bitter: „Ja Wohl!" Die Kirche weiß die Schmerzen zu verwalten, Das Herz bis in die Wurzel aufzuspalten. Sie wartete eine Erwiderung nicht ab, sondern ging raschen Schrittes fort. Der Dechant schlug mit der Faust auf das Pult. Die Nichte hat es getroffen. Der Dechant war in einer Jugend ebenfalls widerspenstig gewesen und hatte sich wider alle Ordnungen der Kirche aufgelehnt. Da er aber in hohem Grave herrschsüchtig war, entdeckte er bald, daß er eine Herrschsucht am sichersten befriedigen könne, wenn er ich fanatisch dem Dienste der herrschsüchtigen Hierarchie wid men würde. So wurde er, wie er war und was er war: der gefürchtete Dechant des Sprengel-, der Commandant einer Zwingburg des Ultramontanismus, in welche der Bi- chof unruhige Köpfe schickte, um sie zu bezwingen oder zu brechen. (Fortsetzung folgt.)