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— 598 — Frankreich. Nach dem Friedensschlüsse 1871 machte sich unter den französischen Offizieren das Bestreben geltend, militärische Studien, welche bisher fast ganz vernachlässigt waren, allgemein zu pflegen. Die Gefangenschaft in Deutsch, land hatte den einsichtsvolleren Offizieren die Augen darüber geöffnet, daß die Siege Deutschlands nur die Frucht einer langjährigen ausdauernden Arbeit seien. Um solche Studien zu Pflegen, trat zunächst eine kleine Gruppe von Offizieren in Paris zusammen und gründete die „Reunion der Offiziere." Neben einer Leihbibliothek und Lesezimmer, in denen militärische Werke und Zeitschriften in allen Sprachen der civilisirten Welt vorhanden sind, wurde auch ein militärisches Blatt gegründet, welches u. A. auch eingehende Studien über militärische TageS- fragen und über abweichende Einrichtungen fremder Armeen bringen sollte. Obgleich daö Blatt von vornherein auf vielen Widerstand stieß, verbreitete es sich bald über ganz Frankreich und es entstanden in fast allen Garnisonstädten ähnliche Re- unionS mit den gleichen Einrichtungen. Jetzt nach vier Jahren zeigt sich aber, daß dieselben ihren Zweck so ziemlich verfehlt haben. Die Reunions sind Klubhäuser geworden, in denen man alles Andere, nur keine Studien treibt. Das Bestreben, sich zu unterrichten, ist bei den Offizieren längst wieder ver schwunden. Die letzte Hoffnung auf eine Besserung dieses beklagenswerthen Zustande« setzt man jetzt noch auf das in Vorbereitung begriffene Avancementsgesetz, welches kenutniß- reichen Offizieren besonders gute Aussichten eröffnet. Rußland. In der Umgebung von Petersburg stehen mehrere größere Waldungen in Brand, und die Gefahr nimmt noch immer zu. — Von Sebastopol wird gemeldet, daß daselbst am 26. Juli ziemlich starke Erderschütterungen verspürt wurden. — Die Untersuchung gegen die, in ganz Rußland in großer Anzahl verhafteten Anhänger der Socialistenpartei ist soweit beendet, daß nächstens die Schlußverhandlung des Prozesses in Petersburg stattfinden wird. Die Zahl der An geklagten beträgt ca. 650, nachdem von der Gesammtzahl der Verhafteten etwa 1350 wieder in Freiheit gesetzt worden. Welche Wichtigkeit man in den Petersburger leitenden Kreisen dem Prozesse beilegt, beweist die Thatsache, daß der Großfürst Konstantin zum Präsidenten des Gerichtshofes ernannt ist, Spanien. Vom Kriegsschauplätze erfährt man nichts Gewisses. Bisher ging es den Regierungstruppen gut; nun aber wird aus San Sebastian wieder von einem karlistischen Siege berichtet, indem die Regierungslruppen aus den von ihnen behaupteten Stellungen vertrieben worden wären. Die zwei kühnsten Unternehmungen unserer Tage. Kein Zeitabschnitt der Weltgeschichte kennt eine so allge meine und so tief eingreifende Entwickelung der Natur- und mechanischen Wissenschaften und zugleich ihre praktische An wendung auf Kunst, Gewerbe und Industrie, als unser Jahr hundert. Welche Kräfte sind da dem Menschen dienstbar ge macht worden, von welch' unwiderstehlicher, dämonischer Stärke, und doch füg- und lenksam für den leisesten Fingerdruck, blitz- und gedankenschnell und doch beharrlich und ausdauernd! Wir können und brauchen hier nur auf einige wenige jener großen Erfindungen hinzuweisen, die auf unsere ganze Cultur und alle Lebensverhältnisse unserer Tage in ganz unberechenbarer Weise eingewirkt haben. Wir denken hierbei an die Dampf maschine, an die Verwendung des Dampfes als belegende Kraft auf Eisenbahnen und Schiffen, an seine mannichfal- tigsten Dienste bei der feinsten mechanischen Spinnerei und Weberei, wie bei der Bearbeitung der Erze im Maschinen bau zur Herstellung zahlloser anderer Maschinen, die da schneiden, hämmern, walzen, bohren, hobeln, drehen, sägen, feilen, fräßen, prägen, nieten, nähen, stricken, sticken; — lauter bewundernswerthe Automaten, die mit einer Schnelligkeit, Regelmäßigkeit, Genauigkeit, Unermüdlichkeit Arbeiten aus führen, wie es Menschenhänden ganz unmöglich ist. Wir denken hierbei an die Erfindung der Apparate electro-magne- tischer Kraft als blitzschnellen Botenläufer über die weitesten Fernen, als gedankenflüchtigen Briefträger unter dem Welt meer. Bedarf cs mehr? — Wir bauen Schiffe aus Eisen, Paläste aus Glas; wir sprengen granitene Urgebirge mit Baumwolle. Wir zeichnen mit dem Strahl des Lichts und leuchten mit Luft. Wir machen Diamanten aus Kohlen, Rubinen aus Alaun, die brillantesten Farben aus schmutzigem Theer. Wir trennen Erdtheile von einander und verbinden Weltmeere mit einander. Wahrlich, mehr denn jemals bewähren sich in unseren Tagen die erhabenen Worte des Sophoklei'schen Chors: „Viel Gewaltiges giebt es ; aber nichts ist gewaltiger denn der Mensch." Zu den kühnsten Unternehmungen, an welche sich der Mensch in nächster Zeit wagen will, zählen unzweifelhaft die: das Meer in die Sahara zu leiten, und einen Tunnel unter dem Meere zu bauen. Betrachten wir zunächst Das Meer in der Sahara. Südlich und südwestlich der tunesisch-algerischen Grenze dehnen sich unabsehbare, aus Sand und Schlamm, mit Bei mischung salziger Bestandtheile, gebildete Einöden aus, welche sich zu gewissen Jahreszeiten mit Wasser bedecken und von den Umwohnern „Schotts" oder „Sebkha's" genannt werden. Der Schott Mel-Rir liegt 70 Kilometer südlich von Biskra und seine Oberfläche ist ungefähr 150 Quadrat-Lieues groß. Im Osten hängt er mit dem Schott Schellen zusammen, und zwischen letzterem und dem, 24 Lieues weiter östlich be ginnenden Meerbusen von GabäS findet sich eine ganze Reihe solcher Vertiefungen, unter denen die Schotts Rharsa und El-Djerid obenan stehen. Der östliche Rand ist nur noch 18 Kilometer von der Küste des Mittelländischen Meeres entfernt. Alle diese Tiefscen sind oftmals trocken und gleichen, mit Niederschlägen von Magnesiumsalzen bedeckt, auf's Haar ungeheuren Schneefeldern. Im Inner« des Schotts herrscht eine drückende, überwältigende Hitze. Das Auge wird durch die, von den zahlreichen Salzkrystallen zurückgeworfenen Son nenstrahlen geblendet; die Spiegelungskraft der Magnesia gleicht der des klarsten Wassers und die Illusion ist so vollständig, daß man sich an einen wirklichen See versetzt wähnen möchte. Für die Cultur sind diese Strecken absolut unbrauch bar; sie sollen aber der Boden werden für das — Wüsten meer der Zukunft, denn hierher sollen die Wasser des Mittelländischen Meeres durch einen Canal geleitet werden! Die Idee und den Plan dazu gab der französische General- stabs-Capitain Roudaire, ein anerkannt tüchtiger Ingenieur und Mathematiker. Roudaire meint, daß jene Tiefseen nichts Anderes seien, als der Rest der im Alterthum unter dem Namen der „großen Bai von Triton" bekannten Meereseinbuchtung, welche erst im Anfang der christlichen Zeitrechnung dadurch trocken gelegt wurde, daß sich ein neuer Isthmus bildete. Fünftehalb Jahrhunderte vor Christi Geburt lieferte Herodot eine ausführliche Schilderung der großen Bai von Triton, damals noch durch eine weite Mündung mit dem Meere communicirend. Aber eine, im Laufe der Jahrhunderte zu 18 Kilometer angewachsene Sandbank hat die Wasser des Tritonsees von dem Mittelmeere geschieden, und zur Wieder herstellung des ersteren bedürfe es immer eines Kanals durch diese Sandbank. Die Ausführung desselben würde, kaum mehr, als eine mäßige Eisenbahnanlage, etwa 20 Millionen Francs, erfordern. Dieses algerische Binnenmeer würde sich über eine