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— 571 — darum Kaiser Wilhelm neu gestärkt mit dem klaren Blick und der festen Hand, die ihn bisher ausgezeichnet haben, von Gastein zurückkehren in sein Winterquartier der Residenz! — Wenn auch die Gerüchte von einer beabsichtigten Mehrforderung für den Militäretat des deutschen Reiches ziemlich verstummt sind, so bleibt die Thatsache bestehen, daß der KriegSwinister mit den ihn vom Reiche bewilligten Geld mitteln nicht auskommen kann. Man bemüht sich deshalb, einen anderen Ausweg zu finden, auf welchem die Anforde rungen des Kriegsministers sich mit der zahlreich fixirten Maximalpräsenzziffer vereinigen lassen. Es soll nun die Ab sicht herrschen, für das Jahr 1876 umfassende Beur laubungen eintreten zu lassen, wie dies auch schon inner halb des früher bewilligten Pauschquantums in den Jahren 1868 und 1869 geschehen ist. Die durchaus friedliche poli tische Constellation erleichtert wesentlich die Ausführung dieser Maßregel, welche zugleich geeignet ist, aus dem NeichshauS- haltetat das Deficit verschwinden zu machen. Es ist dies unter den obwaltenden Verhältnissen jedenfalls die verstän digste Beseitigung des Deficit«. — In der Nacht vom Freitag zum Sonnabend hat auch in Mainz und Umgegend ein wolkenbruchartiger Regen stattgefunden, durch den ein Theil der Bahnböschung der Hessischen Ludwigsbahn in der Gemarkung Ober-Ingel heim weggerisse» wurde. In Folge dessen ist ein Güterzug mit Lokomotive und drei Wagen entgleist. — Europa, Du kannst ruhig sein! Was kein Ver stand der Mächtigen — sieht, übt oft in Einfalt ein kindlich Gemüth. Wir treten in eine lange ersehnte Aera des Welt friedens, — die allgemeine Entwaffnung hat be gonnen. Der souveräne Fürst von Lichtenstein (die Weltgeschichte nennt ihn Johann II.) hat sein getreues Kriegs heer, bestehend aus 90 Mann und einem Trommler, aufge löst und ganz und gar entlassen, weil die Landesvertretung von Lichtenstein (15 Mann) wiederholt die revolutionäre An sicht ausgesprochen hatte, daß das Heer sich weit besser und nützlicher bei den Feldarbeiten verwenden lasse. Sämmtliche kommandirende DivisionS- und Brigade-Generale, die Obersten, Majore und Hauptleute der Armee, eben so wie der ganze Stab, welche alle zusammen durch die Person des Oberlieutenants R. repräsendirt wurden, sind damit ihrer blutigen Funktion entkleidet. E« ist gut für den Lieutenant R., daß er neben diesen kriegerischen Aemlern auch noch das eines „Landestechnikers" bekleidet, welches ihm auch für die Zukunft eine ehrenvolle Beschäftigung zusichert. Ihr Großen, nehmt Euch ein Exempel d'ran! Bayern. Hier sind die Urwahlen für die vorzunehmende Landtagswahl vollzogen worden, und haben dabei die Liberalen in fast nie geahnter Weise gesiegt ; so wurden in München von den 284 zu wählenden Wahlmännern 220 Liberale gewählt. Es hat die Sache der Wahrheit und der Freiheit gesiegt; wie der Wahltag in der Geschichte Münchens mit glänzenden Lettern eingetragen ist, so hat der Ultramontanismus in Deutschland seine wichtigste Position für immer verloren: Rom hat in München sein Sedan ge funden. Der Sieg der liberalen Sache in München ist zugleich ein Triumph der nationalen Sache, ein neuer Pfeiler zur unerschütterlichen Festigkeit der Einheit und Macht des deutschen Reiches! Würtemberg. Die Vorbereitungen zum 5. deutschen Bundesschießen in Stuttgart nahen sich ihrem Ende. Die Zahl und der Werth der Festgaben wird immer groß artiger; von allen Seiten strömen sie zu, und man behauptet: daß auf keinem der früheren Bundesschießen so viele und so bedeutende Preise zusammengekommen seien, denn jede, irgend nennenSwerthe Corporation und Gemeinde im Lande hält eS für Ehrensache, sich mit einer Ehrengabe zu betheiligen. Ein vollständiges Gelingen des schönen Festes tritt in immer zu verlässigere Aussicht. Nicht nur, was das Technische der Sache, die Dispositionen zu dem Schießen selbst betrifft, sondern auch nach der künstlerischen Seite hin wird man den wohlerwogenen Plan, der dem Ganzen zu Grunde liegt, loben müssen. Und wie der Plan glücklich und geistvoll entworfen ist, wie er gleichzeitig allen praktischen Verhältnissen Rech nung trägt, so bürgen auch die Namen der an der Spitze des Komitees stehenden Persönlichkeiten dafür, daß er mit vollgenügender Kraft und strenger Präcision durchgeführt werde. Stuttgart, im lieblichen Kranze seiner Wald- und rebenbewachsenen Berge glänzend, beginnt zum Empfange seiner lieben Gäste sich zu rüsten; der Schieß- und Festplatz gehen ihrer Vollendung entgegen, die decorative Arbeit ist in vollem Zuge. Die im Hallberger'schen Verlage erschienene Festschrift, von Prof. I. Klaiber sehr volkSthümlich verfaßt, ein elegante» Oktavbändchen mit Illustrationen in Tondruck, jedem Schützen als Gratisgabe jetzt schon zu Diensten stehend, faßt die Hauptmomente des Festes übersichtlich zusammen und giebt dem Fremden ein orientirendeS Bild über Stuttgart und seine Geschichte. Nachdem am Sonnabend, 31. Juli, der feierliche Empfang der ankommenden Schützen auf dem Bahnhofe stattgefunden, wird am Sonntag, I. August, die eigentliche Eröffnung des Festes durch den Festzug, die Fest tafel und das Festconcert erfolgen. Der Festzug wird ein Unikum in seiner Art sein. Er umfaßt erstens Darstellungen der in den einzelnen LandeStheilen von Würtemberg heutzu tage noch ländlichen Trachten, aus je 24 entsprechenden Paaren gruppirt, und zweitens eine Nachahmung des FestzngS, den Herzog Christoph im Jahre 1560 bei dem großen Armbrust schießen in Stuttgart veranstaltete, und wobei die malerischen mittelalterlichen Trachten, sowohl bei Berittenen wie Fuß gängern zu schönster Wirkung gelangen werden. Von den Unterhaltungen der folgenden Tage, als da sind Militärcon- certe, Gesangsproductionen, Besuche in den königl. Schlössern, Festball u. s. w. heben wir noch hervor die am Donnerstag, 5. August, slattfindende Vorstellung der lebenden Bilder auf der eigens zu diesem Zwecke in der Festhalle erbauten Bühne. Die Bilder stellen dar: Barbarossa im Kyffhäuser, die Be gegnung von Schiller und Göthe in der Karlsschule und die Kaiserkrönung in Versailles. Um die fremden Gäste mit einigen der historisch unv landschaftlich interessantesten und anziehendsten Punkte des Landes bekannt zu machen, werden Festfahrten nach der Hohenzollern'schen Stammburg, nach Hechingen, Tübingen und Reutlingen einer-, und nach Weinsberg zur Weibertreu und nach Heilbronn andererseits veranstaltet. Die Wohnungsfrage ist nunmehr in einer Weise geregelt worden, daß auch der größte Andrang von Fremden bequem und in entsprechender Weise bewältigt werden kann. Oesterreich. Nach dem Testamente des Kaisers Ferdinand tritt Kaiser Franz Joseph in den Besitz sämmt- licher Herrschaften und des beweglichen Vermögens ein, aus genommen eine Herrschaft in Nieder-Oesterreich, welche Erz herzog Franz Karl, der sich dieselbe schon zur Zeit der Thron entsagung ausbedungen hatte, übernimmt. — (Zur Situation in Böhmen.) Böhmen ist jetzt ein ganz „verseuchtes" Land. Während unter den Deutschböhmen die „Preußenseuche" grassirt, eine Seuche, an welcher die Wiener TageS-Presse auch schon die Altczechen participiren ließ, ist jetzt unter den Czechen insgemein die „Königsseuche" ausgebrochen. Seit Ferdinand V. gestorben ist, rufen sie laut nach einem neuen Könige, und gegenwärtig wird auf dem Lande ein förmlicher Petitionssturm organisirt, durch den Kaiser Franz Joseph bewogen werden soll, den Kronprinzen Rudolf zum Könige von Böhmen krönen zu lassen. Diese Angelegenheit hat jedoch ihre sehr ernste Seite. Es ist nämlich, wie die Czechen selbst ganz offen versichern, ihr letzter loyaler Versuch, mit Wien ein Abkommen zu treffen. Sollte man ihren Königswunsch auch in dieser be scheidenen Form abweisen, so wollen sie in ihren Blättern