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Löbau. Der hiesige Restaurateur Israel ist um Mitter nacht des 21. April vor seiner Wohnung schwer verwundet aufgefunden worden und bald darauf, ohne eine Mittheilung machen zu können, verschieden. Inmitten der Stadt, auf freier noch belebter Straße, bei Mondschein, ist der Unglück liche, während er die Gaststube verlassen, um sich am nahen Brunnen ein GlaS Wasser zu holen, durch einen Messerstich getödtet worden. Ueber den Thäter ist man noch im Un klaren; man vermuthet einen Act der Rache. Die Müller-Toni. Erzählung von S. von der Horst. (9. Fortsetzung.) Der Müller seinerseits, entzückt von solchem Entgegen kommen, schlug sofort auf das Pult des gelehrten Mannes, wie er auf den Schenktisch zu schlagen pflegte und schwor, daß kein Anderer als der Herr Doctor die Gesammtheit der Opponenten vertreten solle und müsse er, Conrad Steffen, auch Alles allein bezahlen, er könne es ja! „Ja, Sie sind ein kleiner Krösus, Müller! Md neben bei beherrschen Sie durch Ihre geistige Ueberlegenheit, Ihre riesige Energie daS ganze Dorf; ich weiß es wohl!" warf der Advocat hin, „Sie sollten längst Schulze sein!" „Pah, will ich nicht! habe Schererei genug, ohne Bettler einstecken und Wanderbücher visiren zu müssen — ist mir Alles schief gegangen in der letzten Zeit; nun kommt noch diese verwünschte Geschichte hinzu! Also Sie meinen, daß wir unseren Willen durchsetzen werden, mein Herr Advocat?" „DaS meine ich! man muß freilich strenge nach dem Princip handeln, welches ich Vorschläge. Jeder Einzelne der betreffenden Grundbesitzer muß den Verkauf verweigern und einen Rechtsbeistand wählen, wozu —" „Natürlich! natürlich! abgemacht! Punktum, streu' Sand um!" rief der Müller. „Sie sind unser Anwalt; Conrad Steffen hat's gesagt." „Ja, dann ist's in der Thal abgemacht," lächelte der Gelehrte, und die beiden Männer trennten sich mit gegen seitiger größter Zufriedenheit. Hätte freilich der Müller das Lächeln sehen können, mit dem vom Fenster aus der Advocat seinem Wagen nachblickte, hätte er die Gedanken desselben in deutlichen Worten hören können, so würde er minder siegesgewiß heimgekehrt, minder redselig gewesen sein als in der Dorfschenke. „DaS giebt eine Anzahl fetter Prozesse!" mcnologirte der Advocat; „alle diese Bauern haben Geld, der Müller nun gar schweren Reichthum — lass' sie bluten! sie sind die starren Gegner des Fortschrittes, da ist es nur billig, daß Ihnen der Fortschritt einmal Eins versetzt. Entstehen aber Schwierig keiten, Zeitverlust für den Bau der Bahnlinie, so sinken die Actien, und der Gewinn ist später um so größer! Durchgeführt wird der Plan höchst wahrscheinlich, auch ohne Herrn Conrad Steffen'S freundliche Bewilligung! Ja, ja, mein lieber Müller, gern möglich, daß du mir per Dampf den Rest der Advocaturgebühren hierher bringen mußt! Ha, ha, ha! verrückte Welt, das!" Der Müller aber konnte nicht schnell genug nach Hause kommen und haranguirte dann in der Schenke seine Zuhörer, daß ihm die Hellen Perlen auf der Stirn standen. Am nächsten Tage schrieb er dem Advocaten unter Toni's Beistand einen Brief, der diesem die Einwilligung sämmtlicher Bauern brachte. Seine ganze Seele war ausschließlich mit dieser Angelegenheit beschäftigt, so daß der dritte Obergeselle nach Gott hold die besten Tage hatte und nicht begriff, warum zwei Vorgänger so kurz hintereinander davongelaufen; der Müller war ja ganz lammfromm und ließ ihn machen, was er wollte, er selbst dachte und wußte nichts, als die verhaßte, verfehmte neue Eisenbahn. Berlin. Aus Wiesbaden wird gemeldet, daß die Großherzogin von Baden (Tochter des Kaiser«) dort zum Besuche eingetroffen ist. Der Kaiser macht täglich Spazier fahrten und Fußpromenaden. — Fürst Bismarck mußte in den letzten Tagen das Bett hüten; doch hofft er, Ende der Woche auf seine Be sitzungen in Lauenburg reisen zu können. Gotthold hatte eine angenehme, lohnende Stellung gefunden und meinte jetzt schon selbst, daß es doch wol für einen jungen Mann sehr nützlich sei, einmal verschiedene Art und Weise kennen zu lernen ; es werde so Manches hier anders angegriffen, als daheim, und viele nennenswerthe Verbesse rungen gebe es, von denen der alte Papa Steffen noch gar keine Ahnung habe. Toni solle nur guten Muthes bleiben; in ein paar kurzen Jahren könne er sie beimführen. „Ein tüchtiger Mann findet überall Brod, heizliebstes Mädchen!" schrieb er, „sei Du nur nicht besorgt um mich und lasse den lieben Gott walten ; ich bleibe Dir treu und mein sollst Du werden, ob auch die ganze Welt sich gegen mich verschwören möge! Der gute Pater Clemens hat uns ja eingesegnet, da kann's gar nicht schief gehen!" In diesem Tone schrieb Gotthold immer, und das Mädchen war fast getröstet über die harte Trennung aus'« Ungewisse hin; auch daß sie nicht persönlich des Geliebten Briefe erhielt, machte nur geringen Unterschied, denn der junge Wagehals richtete es allmähiig so ein, daß nur Adresse und Anrede dem Geistlichen galten, der Brief selbst aber vollständig an Toni gerichtet war. Der ehrliche Pater Clemens machte sich im Stillen Vorwürfe darüber; jetzt aber ließ sich an der Sache nichts wehr ändern; er konnte doch nicht gut dem Gotthold die Schreibweise zudictiren! Wie gewöhnlich im Leben, halten ihn die Verhältnisse mit sich fortgezogen. Was er im Grunde beabsichtigt, war nur ein gelegentlicher Gruß gewesen, ein moralischer Anhalt, den er dem erbitterten, gekränkten jungen Manne mit auf den Weg geben, ein Trost, den er seinem Liebling, der blonden Toni, in ihrem ersten herben Schmerz gewähren wollte — nun waren es Liebesbriefe feurigster Natur, die er übermitteln mußte, noch dazu in jeder Woche gewiß ein-, oft sogar zweimal. Wa« nützte es, daß er sie Alle gewissenhaft behielt, keinen Einzigen sich abschmeicheln ließ? DaS, was in seinen Secretär wanderte, war ein todtes Blatt Papier, dessen Geist sich die lauschende Zuhörerin vorher zu eigen gemacht, während gerade ein Auseinandergehen, ein Vergessen, des alten Müllers Absicht war. „Das ist doch unmöglich! doch ganz unmöglich!" dachte er dann wohl, „wem gelang es schon, ächte wahre Liebe zu ersticken? Der Müller vergiebt mir'« zwar nicht, aber vor meinem Gewissen kann ich es getrost verantworten." Und wenn er so einen seitenlangen Brief, wie ihn ein Bursch von Vierundzwanzig zur Zeil erster Verliebtheit schreibt, glücklich vorgelesen, ibn eben mit einem Seufzer der Erleichte rung zusammenfalten wollte, dann faßte mitunter Toni bittend seine Hand und flüsterte: „Ach, Hochwürden, liebster Herr Pfarrer, les't doch noch einmal, ich möcht' gern Alles auswendig behalten; der Gotthold schreibt so schön, g'rad wie ein Buch!" Dann konnte er den flehenden blauen Augen nicht wider stehen, seine Rechte legte sich auf des Mädchens blonden Scheitel und er las Wort für Wort Alles zum zweiten, ost zum dritten Male. Toni war ihm theuer, wie ein eigenes Kind; er kannte sie seit ihrem ersten Athemzuge, hatte sie auf den Armen getragen, sie getauft, confirmirt; war Der, dem sie kindlich zutraulich entgegensprang bis zum heutigen Tage, so ost er in die Mühle kam. Zum ersten Male in seinem Leben schmerzte es ihn em pfindlich, kein reicher Mann zu sein, wünschte er sich das todte