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N sckiedenen Kammern — nür noch die Dienstmädchen, und allem Anscheine nach mußte der Diebstahl von einem der Hausbewohner begangen sein. . Der Deichbauer hatte sofort die Koffer utid Kammer der Mädchen genau durchsucht, ohne das Geringste zu finden. Bereitwillig hatten sie selbst, um jeden Verdacht von sich ab zuwenden, ihre Sachen zur Untersuchung angeboten. Sie waren außerdem schon jahrelang im Hause und zuverlässig. Während man schon im Dose von dem Mißgeschicke deS Deichbauers sprach, schritt dieser selbst in seinem Zimmer auf und ab. Es war nicht der Verlust des Geldes, der ihm so sehr durch den Kopf fuhr; die Frage, wer die That be gütigen, beschäftigte ihn. Ehe er noch den Diebstahl entdeckt hatte, war ihm das bleiche, verstörte Aussehen seiner Frau ausgefallen. Er hatte sie gefragt, sie hatte Unwohlsein an gegeben. Jetzt mußte er wieder daran denken. Sie besaß den Schlüssel zu dem Vorrathsraume — ihr bleiches Aussehen kam hinzu — Etwas mußte vorgrfttllrn sein! Sollte sie um die That wissen, sollte sie vielleicht gar selbst — Er mochte den Gedanken nicht auSdenken. Er schritt schneller, um sich gewaltsam von ihm loszureißen; aber e« ging nicht. Gewißheit mußte er haben. Er rief seine Frau. Sie trat in da« Zimmer. Ihr bleiches, bekümmertes Aussehen fiel ihm jetzt noch mehr auf, vielleicht weil er einmal den Gedanken gefaßt hatte, daß sie in irgend einer Weise mit dem Verbrechen im Zusammen hänge stehe. „Was fehlt Dir?" fragte er. „Ich fühle mich unwohl," erwiderte sie. Sie hielt seinen Blick fest aus, aber eS kostete sie Anstrengung. „Ist das so schnell gekommen?" fragte er weiter. „Gestern Abend habe ich Dir nichts angesehen." „Es ist auch erst seit diesem Morgen." „Nicht schon diese Nacht?" Nein." ^Jch hörte Dich diese Nacht aufstehen, ich hörte Deine Kammerthür." Er blickte sie scharf an. Nicht eine Miene in ihrem Gesichte zuckte; indeß schien sie noch bleicher zu werden. Einen Augenblick zögerte sie mit der Antwort, dann er widerte sie fest: „Ich bin nicht aufgestanden." „Ich habe deutlich auf Deiner Kammer gehen hören; auch Deine Kammerthüre ist geöffnet." Sie wandte sich ab, um das Zimmer zu verlassen. „Bleib!" rief der Deichbauer. Sie schien es nicht gehört zu haben; denn sie schritt der Thür zu. Ueber des Bauers Wangen flog eine schnelle Röthe. Rasch trat er auf sie zu und legte die Hand auf ihren Arm. „Bleib!" rief er zornig. Sie wandte den Kopf zur Seite, ihr Auge leuchtete wieder auf, wie eS früher wohl gethan hatte; ihr ganzer Körper'zuckte bei seiner Berührung zusammen. Sie faßte sich. „Was willst Du noch von mir?" fragte sie ruhig. „Bleib', Du wirst es schon hören!" rief Homann. Ihre Ruhe steigerte seine Aufregung. Mit großen Schriten maß er das Zimmer. Dann blieb er dicht vor ihr stehen, und sein Blick war fest auf sie gerichtet. „Du weißt nicht, wer mich diese Nacht bestohlen hat?" „Nein! Ich würde es Dir bereit« gesagt haben." „Und Du hast auch keine Ahnung, keinen Verdacht?" „Nein!" „Die Thür war noch heute verschlossen — nur die Thür zur Vorrathskammer war nicht verschlossen, und zu ihr hast Du den Schlüssel!" „Ich habe ihn nicht von mir gegeben," entgegnete sie. „Gieb ihn her!" befahl der Bauer. Sie nahm den Schlüssel aus ihrer Tasche und über reichte ihn. „So — c« ist gut!" Sie wandte sich der Thür zu. Zögernd blteb sie an der selben stehen. Sie lchien noch etwas sagen zu wollen. Erst als der Deichbauer sich umwandte und kurz fragte: „Willst Du noch etwas?" verließ sie schweigend das Zimmer. Homann blieb allein. Er war noch unschlüssig, was er thun sollte. Noch hatte er dem Gerichte keine Anzeige von dem Diebstahl machen lassen. Was konnte eS ihm nützen? Alles Vertrauen zu demselben hatte er verloren, da es nicht einmal eine Spur Dessen, der seinen Sohn erstochen, auf zufinden vermocht hatte. Einen Tag wollte Homann doch zum Wenigsten noch abwarten und selbst die Augen offen behalten. Er verließ deshalb da« Haus nicht. — Am Nachmittag erfuhr er, daß der Waldhüter, wahrscheinlich in der Trunkenheit, von dem Stege gestürzt sei und sich aus dem Gestein den Kopf arg zerschlagen habe. Besinnungslos sei er aufgefunden und nach seinem Hause gebracht worden. Noch liege er in demselben bewußtlosen Zustande, und der Arzt hale erklärt, daß eS sehr schlecht mit ihm stehe, und wenig Hoffnung für sein Durch kommen vorhanden sei. In der Aufregung, in der er sich befand, machte die Nachricht weniger Eindruck auf ihn. Auch die Hoffnung, die er auf den Waldhüter gesetzt hatte, daß es ihm gelingen möge, den Mörder seines Sohnes zu entdecken, schien jetzt gescheitert. Wohl sagte er sich selbst: hättest du ihm kein Geld gegeben, so würde es vielleicht anders gekommen sein, er würde sich keinen Rausch angetrunken haben; allein sich selbst konnte er keinen Vorwurf über das Unglück des Mannes beimessen. Ruhig ging der Tag hin. Mit seiner Frau sprach er kein Wort. Sie setzte sich am Mittag und Abend mit zu Tisch, rührte aber keine Speise an. Ihre Züge waren fast verzerrt von Kummer. — Der Deichbauer erwartete, daß sie am Abend den Schlüssel zu ihrer Kammer zurückfordern werde — sie that eS nicht. In einem andern Zimmer begab sie sich zur Ruhe. Fester und fester hatte sich bei ihm der Gedanke gesetzt, daß sie das Geld entwendet habe. Er glaubte eS noch auf ihrer Kammer verborgen und hatte am Tage nicht den Muth gehabt, die Kammer zu durchsuchen. Sie war seine Frau — der Gedanke an die Schande hatte ihn zittern gemacht. Aber weshalb konnte sie diesen Schritt gethan haben? Für sich nicht, denn er hatte sie nie in ihren Ausgaben be schränkt. Er dachte an Franz. Er wußte, daß derselbe ein ausschweifendes Leben führte, daß er mit schlechten Gesellen in der Waldschenke zechte und spielte; er wußte, daß sie ihm öfter Geld gegeben hatte. Er hatte darüber geschwiegen, weil er sich der wenigen Thaler wegen nicht ärgern wollte. Sollte sie ihm das Geld geben wollen? Von diesen Vermuthungen geleitet, hatte sich in dem Deichbauer die feste Ueberzeugung ausgebildet, daß Franz in dieser Nacht kommen, oder daß seine Mutter versuchen werde, da« Geld von der Kammer zu holen, oder, wenn sie es an einem Orte verborgen hatte, aus dem Hause zu schaffen. Auch er begab sich endlich in seine Kammer und löschte das Licht au«. Er legte sich indeß nicht zur Ruhe. An gekleidet, wie er war, setzte er sich auf das Bett und lauschte. Es war so still im Hause, daß ihm kein Ton entgehen konnte, selbst va« leiseste Geräusch nicht. Es blieb auch still. Stunde auf Stunde verrann. Kein Schlaf kam ihm in die Augen. Aber da« aufmerksame Lauschen spannte seine Nerven an. Er wurde immer mehr aufgeregt. So brach der Morgen herein und sein Wachen and LauschLn hatte zu nichts geführt. Er war verstitnmt. Seine FLtm trat in da« Zimmer, blskch und mit eingefallenen WatiHen. Hätte sie ih'tn Alle« gestanden, er würde ihr ver- — 752 —