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28. Sonnabend, 1«. Juli. 1906. Aetletrißische Anlage zum siichfischeu Erzähler. Zur gemeinnützigen Unterhaltung für alle Stände. (Wird jeder Sonnabends-Nummer ohne Preiserhöhung des Hauptblattes betgegeben. L e H e «. von Mary Das Leben lebe! Ihm gilt mein Spruch! Es lebe des Lebens goldenes Buch, j Aus dem uns auf tausend und tausend Seiten tiederdurchklungene Glückseligkeiten, Drängender Wünsche verzehrendes Glühn Freuden und Wonnen entgegenblühn! Aus dem uns mit vollem, tiefernstem Klang Zum Herzen dringt ein wehvollcr Sang,- ; von allem, was Menschenseclen gelitten, , Von allem, um das so heiß sie gestritten, Was sie besessen, — verloren, — erstrebt, — Um das sie in mühvollem Kampfe gelebt Das Leben! Das unbarmherzig und kalt Den Willen dir bricht mit harter Gewalt. Das Beste in dir um des Brotes willen Erstickt und hemmt! Bis du mit stillen, Langsamen Schritten weitergehst, — Nicht mehr wünschest und nicht mehr flehst. Das Leben, das dir mit rauher Hand Alles entreißt, was dir seelenverwandt; Das vor tausend bitteren, heißen Tränen, vor edelster Herzen edelstem Sehnen, § Vor verzweifelter Menschen wildem Gebet Mit höhnendem, steinernem Lächeln steht. Du Leben! Ich hasse dein süßes Gesicht Mit dem Rätselblick. Ich diene dir nicht! , Warum soll ich leiden und Schmerzen tragen, Ums Tägliche Seele und Körper plagen? Narrst du mich nicht mit all deinem Tand, Den verlockend du breitest mit winkender Hand? ; H o l m q u i st. Du lockst uns vom Wege zu heißem Genuß, Raunst leise von irrem, verlangendem Kuß, von allem, was zwischen heut und morgen Berausche die Sinne, betäube die Sorgen, Und lässest den Armen verzweifelnd stehn, wenn er der Sünde ins Auge gesehn. Doch sind wir jung! Wir leben so gern, Und wähnen das Ende so meilenfern. Wir preisen das Leben, das wechselvolle, Das tränenschwere, das taumeltolle! Das uns durch Höhen und Tiefen führt Mit Adlerfittich die Stirn berührt. Nicht jener gedenkend, die matt und träg Behäbig wandern den täglichen Weg, Zufrieden und satt! Da ist kein Sterne-holcn-wollen, Kein nagender Wunsch, verzweifeltes Grollen. Kein jubelndes Lied aus dem Herzen bricht, Diese trotten ja nur! Sie leben nicht! Leben! Du schillerndes Rätselbild! Dämonisch verzehrend, weichhändig-mild! Wir können in Schmerzen von dir nicht lassen! Wir hangen dir an, wir wollen dich fassen! Wir wollen leben! Wir wollen sein! Wir wollen unsagbar glücklich sein! Wir alle, sie alle! Trotz Haß und Hohn, Trotz Händerecken und Angst und Droh'n, Trotz Leiden und heimlichen Kümmernissen, Trotz Elend und Not, — wer will dich missen? In Lachen und Weinen ein Wunsch erglüht: Leben, nur leben! — Die Erde blüht! — „Rache". Roman von Doris Freiin von Spättgen. (Nachdruck verboten.! 1. Kapitel. „Lory, — bist Du rS?" „Ja Mutter! Boscha sagte, Du wünschtest mich zu sprechen!" klang dir Antwort leise und sanft zurück. DaS Zimmer, in das eine schlanke, mittelgroße Mädchrngrstalt getreten war, schien, soweit sich bet der matten Beleuchtung einer Nachtlampr erkennen ließ, hoch und groß zu sein, so daß das breite Bett kaum nennenswerten Raum darin rtnnahm. Aber die mit Aethrr, Kampser und allerlei be lebenden Essenzen durchsetzte Atmosphäre bekundete nur zu deutlich das Krankenzimmer. Beinahe Herzbeklemmend legte sich die dicke Lust auf der EIntretrnden Brust. „Komm nur näher, Liebling! Du bist doch allein?" erscholl es wieder mit matter Stimme hinter der Bett gardine.