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»HA 27. Sonnabend, V. In«. 1906. Aettetrißische Aeitage zum sächfischcu Erzähler. Zur gemeinnützigen Unterhaltung für alle Stände. (Wird jeder Sonnabends Nummer ohne Preiserhöhung des Hauptblattes betgegebrn. WarKbilö. MS- Beratmendes Schweigen — dämmernde Stille, Blühende Jugend in üppiger Fülle, Tief im Gebüsch eine steinerne Bank, Fern eines Brunnens verschlafener Sang; Rankende Winden über den Zaun, Heimlich lächelt und lacht der Faun. Mit kleinen Händen ein Streicheln und Rosen, Mit glühenden Lippen wie leuchtende Rosen, Tin zärtliches Flüstern in süßer Scheu Bon selbstloser Liebe und — ewiger Treu' . . . Zerflatternde Blüten über dem Zaun, Heimlich lächelt und lacht der Faun. Lugen Stangen. Herzensftürme. Roman von C. Wild. (Schluß.) (Nachdruck verboten.) Green und Charlotte bereiteten dem jungen Mann einen überaus herzlichen Empfang. Paul von Ruhland, wie er jetzt hieß, verlebte an genehme, heitere Tage bet ihnen, uno es war schon Herbst geworden, als er sich entschloß, leine neue Heimat aufzusuchen. So oft und dringend er auch Charlotte gebeten hatte, ihm Heddas Aufenthaltsort zu verraten, so war es ihm doch nicht gelungen, diesen zu erfahren. „Ich habe Hedda versprechen müssen, darüber zu schweigen," lautete stets die Entgegnung der schönen Frau, „und ich werde mein gegebenes Wort unter allen Umständen halten. Sie lebt jetzt ruhig und zu frieden, wenn auch nicht glücklich — wozu also diesen Frieden stören?" Und damit hatte sich Paul zufrieden geben müssen. Jetzt lebte er als Schloßherr auf Ruhland; er hatte sich leichter in seine neue Lage gefunden, als er selbst gedacht. So lange es noch in Wald und Feld zu tun gab, war er täglich draußen gewesen, um prak tische Kenntnisse zu sammeln. Diese Art von Tätigkeit tat ihm wohl und ließ ihn an Geist und Körper ge funden und erstarken. Das war nicht mehr der sanfte, willfährige Paul, der stets so leicht zu lenken gewesen war, das war ein Mann im vollsten Sinne des Worts, ernst und fest dem einmal bestimmten Ziel zuschreitend. Die längeren Abende machten aber doch in dem jungen Mann das Bedürfnis nach Gesellschaft rege. Es lebte sich doch sehr einsam auf dem hübschen Gut, daS wohl reich an landschaftlichen Reizen, aber ziem lich weit von dem regen Stadtverkehr entfernt war. Anfänglich hatte Paul nicht daran gedacht, Besuche zu machen; jetzt ging er mit dem Gedanken um, das Ver säumte nachzuholen, als ihm der Zufall zu Hilse kam. Sein Gutsnachbar war ein Herr von Hollenegg, dessen Forstgebtet an dasjenige Ruhlands grenzte. Paul hätte gern noch einen Teil desselben an sich gebracht, um den Besitz abzurunden, doch wollte er nicht Herrn von Hollenegg einen Antrag machen, von dem er nicht wußte, ob er willkommen sei. Da brachte ihm sein Verwalter eines Tages die Nachricht, daß Herr von Hollenegg selbst die Absicht geäußert habe, einen Teil des Woldes verkaufen zu wollen, und Paul zögerte nun nicht länger, den einmal gefaßten Entschluß aus zuführen. Herr von Hollenegg war ein alter, etwas verlebt aussehender Mann, der sich trotz seiner Jahre mit einer gewissen Geckenhaftigkeit kleidete, die zu seinem verfallenen Aeußern einen halb Mitleid erregenden, halb lächerlichen Gegensatz bot. Die geschäftlichen An gelegenheiten waren bald erledigt; an einem der nächsten schönen Tage wollte Herr v. Hollenegg mit Paul in den Wald hinaus, um an Ort und Stelle alle Be dingungen festzustellen. Die ruhige, ernste Art seines neuen Nachbars schien dem alten Herrn zu behagen, und er lud Paul ein, den Rest des Tages bet ihm zuzubringcn. Ruhland sagte zu und betrat an der Seite des Hausherrn den Salon. In dem Augenblick, als die Herren eintraten, kam aus einer Seitentür eine schlanke Frauengestalt herein, die Herr v. Hollenegg dem Gast als seine Frau vorstellte. Paul hatte Mühe, den Ausdruck des Erstaunens zurückzudrängen, der sich über seine L-ppen Bahn brechen wollte, denn in gewählter reicher Toilette stand — die schöne Irma vor ihm. Sie war nicht minder überrascht als er, das sagte ihm der Ausdruck ihres schönen, sich mit einer leichten Röte färbenden Gesichts. Paul dachte daran, wie er sie zum letztenmal ge sehen, die großen schwarzen Augen erstaunt weit ge öffnet, als Frau Winkelmann ihm mit schonungslosen Worten das Geheimnis seiner Geburt enthüllte. Ein eiskaltes Gefühl überschlich ihn plötzlich und dämpfte die erste freudige Wallung des Wiedersehens. Er ver beugte sich stumm und förmlich, ohne rin Zeichen deS Erkennen- von sich zu geben.