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19. «omeabond, IS Mai. 190ß Aettetrißische Aeitage zum sächsischen Erzähler. Zur gemeinnützigen Unterhaltung für alle Stände. (Wird jeder Sonnabends-Nummer ohne Preiserhöhung des Hauptblattes betgegeben. Ker Kühling blüht. Der Frühling blüht! Her; — war er je so schön? Lag je ein solcher Schimmer auf den Höhn Und in den Tälern solch ein lieber Glan;? Lin jeder Baum trägt seinen Blütenkran; — Auch du, mein Haupt, willst unter grünen Zweigen Dich ahnungsvoll dem Glück entgegen neigen! Die beiden Hände drück' ich auf die Brust — Zst's Schmer;, der drinnen lodert, ist es Lust? Ach, wunderlich verwoben und verwebt Zst Beides mir, und meine Sehnsucht schwebt Darüber hin, aus dieses Frühlings Zagen Zn der Erfüllung Frieden mich ;u tragen. Anna Ritter. Herzensstürme. Roman von C. Wild. (Nachdruck verboten.) In dem kleinen Landstädtchen herrschte tiese Stille, obgleich der kühle Septemberabend erst bis zur neunten Stunde vorgerückt war. In den wenigsten Häusern brannte noch Licht, nur hie und da war ein spärliches Flämmchen sichtbar, das seinen matten Schein aus die stille, menschenleere Straße warf. Am hellsten erleuchtet war das Hau» de» Kauf manns Winkelmann, das schönste und stattlichste auf dem kleinen holprigen Marktplatz, an dem nur die reicheren Familien des Städtchens wohnten. Franz Winkelmann, ein behäbig auSiehroder Mann von mittleren Jahren, hatte seinem Gehilfen, soeben den Befehl gegeben, den Laden zu schließen, als Ihn daS Rasseln eines Fuhrwerks aus seiner stillen Behaglich- leit riß. Ein Wagen um diese Zeit — das hatte etwas Besonderes zu bedeuten! Mit der leicht erreg baren Neugierde des Kleinstädters trat Winkelmann schnell vor die Tür. Im selben Augenblick hielt das Gefährt, und aus demselben stieg eine dichtverschlrierte Frau, die eilig auf den Kaufmann zutrat. „Sind Sie Herr Winkelmann?" fragte eine tiefe, wohllautende Stimme. Der Erstaunte bejahte. „Dann nehmen Sie," sagte die Fremde hastig, ihm einen ziemlich große« Korb reichend. Ehe Winkelmann ein Wort entgegnen konnte, war die Dame wieder ringrsttegrn und der Wagen bereits seinen Blicken entschwunden. Der Kaufmann stand ganz verblüfft da, den Korb krampfhaft sesthaltend. Der gute Mann! ES war das erste Abenteuer seines Lebens und Franz Winkelmann war auch durchaus nicht dafür angelegt. — Ein leiser Ton, der aus dem Korbe drang, brachte ihn zur Be sinnung zurück. Er trat in den Laden und hob den Deckel — ein kleines rosiges Kind lag zwischen weißen spitzenbesetzten Kissen, aus großen, blauen Augen neu gierig in die Welt blickend. Franz Winkelmann fuhr erschrocken zurück. „Ein Kind," murmelte er, „waS wird Amalie dazu sagen?" Amalie war die Frau Kaufmann Winkelmann. Sie war ihm leit drei Jahren angetraut und hatte während dieser Zett recht hübsch das Zepter schwingen gelernt. Auch sie hatte daS Rollen deS Fuhrwerks vernommen und war neugierig an» Fenster getreten, aber sie sah nur noch, wie der Wagen in rasender Eile weiterfuhr. Wenige Minuten später trat Winkelmann etwas kleinlaut ins Zimmer. „Was hast du da, Franz?" forschte die kleine Frau, als sie den Korb in seinen Händen sah. „Ach, Amalie, wenn du wüßtest, WaS mir soeben begegnet ist!" — Der erschreckte Mann stand mit einer wahren Armensündermiene vor ihr, als sühle er sich einer schweren Schuld bewußt. Aber die blonde, hübsche Amalie war eine tatkräftige Frau. Sie trat schnell auf ihren Gatten zu und nahm ihm den Korb aus der Hand. „Ein Kind!" rief auch sie, als der Inhalt desselben sichtbar wurde. „Mann, waS soll daS heißen?" Winkelmann zuckte die Achseln, dann sagte er ganz zerknirscht: „Du brauchst es ja nicht zu behalten, wenn du nicht willst, Amalie; daS kleine Geschöpf ist auf eine seltsame Weise in meine Hände gekommen." Und etwa» freier Atem schöpfend — denn Frau Amalies Stirn war ja noch wolkenfrei — begann er von der verschleierten Dame zu erzählen, die ihm den verhängnisvollen Korb so ohne olle Umstände in die Hände gedrückt hatte. Während er sprach, hatte Frau Amalie daS Kind auS seinen Kissen gehoben. Unter der seidenen Decke, mit welcher eS bedeckt gewesen, log rin großes Kuvert. „Halte," sagte Amalie kurz, dem Gatten daS Kind reichend. Gehorsam kam dieser dem Befehl nach. Die KausmannSfrau öffnete schnell daS Kuvert; einige Banknoten fielen heraus und ein Brief, dessen Inhalt lautete: „Ich vertraue den kleinen Knaben Ihrer Fürsorge an, er ist aus den Namen Paul getauft. Jedes Vierteljahr wird Ihnen die Summe von zweihundert