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Weißerih-Aeitung. Dienstag. Nr. 76. 30. September 1873. Amts-Matt für die KeriPts-Aemter und Stadträtlje zu Dippoldiswalde und Krauenstein. Verantwortlicher Redacteur: Cart Jehne in Dippoldiswalde. Dieses Blatt erscheint wöchentlich zwei Mal: Dienstags nnd Freitags. Zn beziehen dnrch alle Post-Anstalten und die Agenturen. Preis Vierteljährlich 12 Ngr. 5 Pfg. Inserate, welche bei der bedeutenden Auslage des Blattes eine sehr wirksame Ver breitung finden, werden nut l Ngr. für die Spalten-Zeile berechnet. Tagesgefchichte. Dippoldiswalde, den 29. September. Sicher werden Manchem, der in letzter Zeit auf der Altenberger Straße am Vorwerk St. Nikolai vorübergekommen ist, die drei auf dem Gutshofe, an der Chaussee und auf der Wiese aufge- richteten hölzernen Träger mit Rollen aufgefallen sein, über welche hin sich etwa 12 Ellen hoch ein fingerstarkes doppeltes Drahtseil nach der Walkmühle hinzieht, in derem Dache es verschwindet, wie es auf der entgegengesetzten Seite in die große Scheune des Nicolai-Vorwerks führt. Unkundige mögen die Vorrichtung wohl für einen Telegraphen halten; Kinder haben gemeint, es sei die Vorrichtung für eine Seil tänzergesellschaft hergestellt worden. Jndeß ist diese Vorrich tung nur eine Transmission zur Bewegung einer Dresch maschine durch die bei der Walkmühle doch nur bisweilen be nutzte Wasserkraft. Die Vorrichtung ist sehr einfach, besteht z. B. auf der Wasserseite aus zwei Scheiben und zwei konischen Rädern; das Drahtseil ist fast 400 Meter lang. — Gestern wurde vom hiesigen Turnverein das Ab turn en durch ein Schauturnen und Abends darauf fol genden Ball gefeiert. Wenn auch im Ganzen die bei Beiden vorkommenden Leistungen befriedigen konnten, so läßt sich doch ein Befremden darüber nicht unterdrücken, daß, was Körperhaltung, Gang, Bewegung, äußere Erscheinung über haupt betrifft, der Einfluß geregelter Turnübungen bei Vielen — es waren 5 auswärtige Vereine vertreten — recht sehr zu vermissen war. Eine straffe, elastische Körperhaltung, maßvolle, abgerundete Bewegungen beim Turnen sowohl, als beim Tanzen, würden denn doch wohl als sichtbare, Jedem augenfällige Erfolge häufiger zu wünschen sein. Der Ball fand im Rathhaussaale statt, der eine neue äußere Ausstattung erhalten hat, die uns sowohl in Idee als Ausführung gleich verfehlt erscheint. Müßten wir nicht aus dem Umstande, daß der Saal dem Verkehr übergeben ist, darauf schließen, daß Nichts mehr an der Dekoration gelhan werden soll, wir würden das völlig Unbe friedigende des Eindrucks, den diese weißen und rosaen Flächen machen, eben auf das Halbfertige schieben. Es ist nicht genug, durch Helle Farben Licht zu schaffen: ein Saal, der zu frohen Festen benutzt werden soll, muß auch durch eine, in seiner Dekoration durchgeführte künstlerische Idee der all gemeinen festlichen Stimmung entgegenkommen; das aber vermissen wir vollständig. Fraucnstein. Am Sonnabend Vormittag ist unser Bürgermeister Göhler nach längeren Leiden gestorben. — Bei dem, am Einwethungstage unserer Kirche in derselben stattfindenden Gesangs- und Orgel-Concert werden außer vielen andern hiesigen und auswärtigen Kräften auch die beiden Oberclassen der hiesigen Schule und das Musikchor vom königl. sächs. Pionnier-Bataillon aus Dresden (Musikdirector Schuberth) Mitwirken. Dresden. Der sächsische Landtag soll bereits zum 13. Octbr. einberufen werden. — Die Dresdner Preßhefen- und Kornspiritus-Fabrik (sonst Bramsch) hat ihren Actionären für das verflossene Jahr 9l/r pro Cent Dividende gegeben. Leipzig. Der Schriftsteller Roderich Benedix ist am 26. Sept, nach langem Krankenlager hier gestorben. Er war 1811 in Leipzig geboren, seit 1838 Regisseur an mehreren Bühnen, später lebte er als Schriftsteller saft immer in Leipzig. Er zählt zu den fruchtbarsten Lustspiel-Dichtern Deutschlands. Unzählige hat seine Muse erheitert. Die Zahl seiner Stücke geht in die Hunderte. Berlin. König Victor Emanuel von Italien hat sich eines Empfanges in Berlin Seiten des Volkes zu er freuen gehabt, wie kaum je der Herrscher eines andern fremden Landes. Unter König Friedrich Wilhelm III., bald nach den Befreiungskriegen und später, wurde zwar dem Kaiser Alexander und Nikolaus von Rußland auch ein warmer Empfang; allein so gern man den Verbündeteten willkommen hieß, immer scheute man doch zu gleicher Zeit die zu warme Freundschaft für den absoluten Monarchen, den man, ob mit Recht oder Unrecht, als der Entwickelung konstitutionellen Lebens in Preußen hinderlich betrachtete. Unter Friedrich Wilhelm IV. erkaltete die Aufnahme der russischen Herrscher in Berlin noch mehr, und sie erhielt auch selbst dem jetzigen Kaiser Alexander gegenüber, dem persönlichen Freunde des Kaisers Wilhelm, dem Verehrer seines heldenmütigen Oheims, nicht mehr den früheren Wärmegrad. Mehr freudige Aufnahme fand Kaiser Franz Joseph, weil man in ihm den besiegten Gegner, der die zum Frieden dargebotene Rechte, wenn auch zugleich im eigenen Interesse, bereitwillig angenommen, ehren wollte; — aber an die des Königs Victor Emanuel konnte sie doch nicht heranreichen, weil eben bei diesem keinerlei Be rechnung in's Spiel kam, sondern daS Volk sich aus vollem Herzen des Verbündeten gegen den Feind auf militärischem, wie gegen den auf geistigem Schlachtfelde freuen konnte. Da Ersterer sich, mehr noch denn bisher, seit dem Besuche des Königs in Wien aus einem zögernden in einen offenen Freund verkehrt hat, handelt es sich nur um den Verbündeten gegen die Ultramontanen, gegen die schwarze Internationale, im Gegensätze zur rothen Internationale. Daß ihm die herzlich freudige Bewillkommnung König Victor Emanuels in Berlin zugleich mit galt, das fühlt sie an der Spree, wie an der Elbe, dem Rhein, der Seine und der Tiber, und darum wüthet sie, und darum möchte sie des Himmels Zorn auf die Gewaltigen dieser Erde herablenken, wenn der Himmel selbst nur etwas mit ihr zu thun haben wollte.