Volltext Seite (XML)
— . — »..>> »V -^W. Dienstag. Nr. 68. 2. September 1873. Weißerih-Ieitung. I Amts-Atatt für die Kerichts-Aemter und SLaKirätije zu Dippoldiswalde und Arauensteiru Verantwortlicher Redactcur: Carl Zehne in Dippoldiswalde. Dieses Blatt erschein! wöchentlich zwei Mal: Dienstags und Freitags. Zu beziehe» durch alle Pbst-Anstalten und die Agenturen. Preis vierteljährlich 12 Ngr. 5 Pfg. Inserate, welche bei der bedeutenden Auslage des Blattes eine sehr wirksame Bkr breitnng finden, werden mit 1 Ngr. für die Spalten-Zeile berechnet. I Zum National-Fest. » Wir können es heute als feststehende Thatsache betrachten, daß aus der eigenen Initiative des Volkes heraus I der 2. September zu einem nationalen Festtage L erhoben worden ist. Denn es wird wenig Städte und Dörfer im deutschen Reiche geben, in denen heute nicht das nationale I Banner lustig flatterte und den zerstreuten Wanderer aufmerksam machte, daß es heute einen Fest- und Ehrentag giebt im E deutschen Reiche. Und in ächt germanischer Weise ist die Festseier zwar eine mannichsaltige allerorts, gewiß aber in dem -> einen, das deutsche Herz heute besonders bewegenden Punkte eine gleichmäßige, — in der Erinnerung an die gefallenen I Held en söhne, die ihr Alles gesetzt an des Vaterlandes Ehre und Freiheit. Seit drei Jahrhunderten haben unsere raub- und > eroberungssüchtigen Nachbarn, die Franzosen, Deutschland mit Krieg überzogen und ein Stück nach dem andern, zuletzt die Städte < Luxemburg und Straßburg, vom Reiche abgerissen, und abermals wurde im Jahre 1870 ein Raubzug unternommen, um die L französische Grenze durchgängig bis an den Nheiw vovzuschieben und Mainz zu einer französischen Festung zu machen. I Da erhoben sich auf den Rus ihres Heldenkaisers die deutschen Fürsten und Völker und schlugen in heißen Schlachten ohne Bundesgenossen den Erbfeind auf seinem eigenen Boden, und nahmen am 2. September im Kessel von Sedan den Kaiser -> Napoleon mit dem letzten Neste der regulären Armee gefangen. K Noch ist in Aller Gedächtnis; der überwältigende Eindruck, welchen die Nachricht von diesem, in der Geschichte beispiel- L losen Ereignisse hervorbrachte. Der Tag von Sedan wurde ein Tag der großen Abrechnung zwischen Deutschland und Frank- A reich, ein Tag der Sühne für eine Reihe Jahrhunderte lang ertragener Unbilden; er wurde aber auch in seinen Wirkungen der I Tag, an welchem der Grundstein zur Wiederherstellung des deutschen Reiches, des nationalen Staates gelegt ward. L Lange — man kann sagen von Leibnitz bis auf unsere Tage — war die nationale Cultnr der Herstellung des natio- » nalen Staates vorausgegangen. „Die Wiedergeburt Deutschlands," sagt vortrefflich der italienische Publicist Civinini, „ist vor- K zugsweise das Werk des Gedankens und der Wissenschaft. Philosophen und Poeten, Historiker und Kritiker haben dazu U mitgethan. Von Göthe bis zu Mommsen, von Kant bis zu Ranke, von Winckelniann bis zu Humboldt, in jedem Gebiete K menschlichen Wissens, in jeder Form dichterischen Schaffens hat das geistige Deutschland das neue politische Deutschland vor- D bereitet. Wissenschaft, Literatur, Geschichte, Philosophie haben dem deutschen Volke das tiefe Gefühl der eigenen Nationalität U gegeben, haben es gelehrt, sich als für eine große historische Mission bestimmt zu betrachten, haben ihm deren Erfüllung als D eine Pflicht dargethan. Ja, das ist recht eigentlich der Charakter der deutschen Bewegung, daß sie zuerst ein Werl des Geistes >> gewesen, und daß erst, als dieses gereist war, sie ein Werk der materiellen Kraft wurde; die Idee ging der That voran, und H ehe die Deutschen das materiell mächtigste Volk Europas wurden, waren sie das intellektuell gebildetste; die politische Hegemonie ist Wirkung und Folge der geistigen Hegemonie. Wo ein Volk bereits eine wahrhaft nationale, von Allen geschaffene, Allen gemeinsame Philosophie, Geschichtschreibung, Poesie, Wissenschaft, Musik hat, wo seit länger denn einem Jahrhundert eine fort- E während wachsende Entwickelung schon die Einheit im Bereiche des Gedankens und Wissens gegründet hat, — da mögen Sa- dowa und Wörth kommen: sie finden einen urbaren Boden, der gesunde, dauernde Früchte hervorbringen wird. Dieses Mich je ist also nicht, wie gemeinhin gesagt wird, ein Kind der Gewalt; es ist nicht — wie einst das Reich Napoleons I. — H aus einein Schlachtfelds gewonnen worden; es ist die langsam gezeitigte Frucht der Idee; es ist der Triumph einer längeren A Bildungsarbeit, erlangt — wie die Siege im Reiche der Thatsachen immer erlangt werden — durch Anwendung der Kraft im H Dienste der Idee. Und diesen Charakter weist auch der germanische Militarismus auf. Er ist nicht Liebe zu Waffen und A Sieg aus Vergötterung der Macht oder lächerlicher Tapferkeitsprahlerei; er ist das große Princip der Pflicht, aus der Kant'schen j!- Philosophie herüber gewachsen in die Welt der That." j!s Bei dem Interesse, welches namentlich das Urtheil eines Ausländers über das neue deutsche Reich hat, entlehnen wir dem Aufsatze Civinini's noch folgende Stellen: ;!? „Mir erscheint die Herstellung- des deutschen Reichs ein Fortschritt, — die Bürgschaft einer besseren intellektuellen und moralischen Zukunft für Europa. Die schrankenlose Freiheit des deutschen Protestantismus, ohne irgend welchen steilen Pfad dem Gedanken zu verwehren, ohne die Wissenschaft von irgend welcher kühnen Forschung abzuhallen, hat zugleich die religiöse Empfindung und den Glauben an gewisse, die moralische Kraft der Völker bildende Ideals lebendig