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2S0 — — Der Strike der Tischler in Berlin wird bald zu Ende sein ; 30 Meister haben die Gesellenforderungen (33'/» pro Cent Lohnerhöhung und 8stündige Arbeitszeit) bewilligt. Dennoch haben 1500 unverheirathete Gesellen Berlin verlassen. — Daß die Steinträger bei den Bauten in Berlin einen Lohn von 5 Thlr täglich bekommen, ist eine Thatsache; wenn aber ein Zustand um sich greift, wo rein körperliche Kräfte einen Lohn gewinnen, den geistige Arbeiten, Geschicklichkeit, Fleiß und Uebung nicht zu erschwingen im Stande sind, so steht uns eine Zeit der Verwüstung des Geistes und Vernachlässigung von Fähigkeit und Fleiß bevor, worin wir, statt vorwärts zu schreiten, einen Rückschritt in Cultur und Civilisation machen! Frankfurt a. M. Die Untersuchung gegen die bei den Biercrawallen Betheiligten (über 200 Personen derselben sind in Haft) hat begonnen; viele sind auf frischer Thal ertappt und erwartet sie schwere Strafe. Die Unruhen wirkten auf den Fremden-Verkehr sehr nachtheilig; wer konnte, reiste ab, und viele Geschäfte stehen noch still. Baiern. Der Prinz Leopold von Baiern ist mit seiner jungen Frau, der Erzherzogin Gisela, am 28. April in München angekommen und von der Bevölkerung mit Jubel empfangen worden. Wiesbaden. Hier haben vor einer großen Brotfabrik bedenkliche Zusammenrottungen stattgefunden; Gensdarmerie mußte einschreiten, Verhaftungen fanden statt und militärische Maßregeln gegen Wiederholung der Unordnungen sind getroffen. Oesterreich. Die Thronrede des Kaisers beim Schluß des Reichstages ist kurz aber inhaltreich gewesen; sie bringt die Unabhängigkeit des Reichsrathes zum Ausdruck und widerlegt die Ansicht, daß durch die Wahlreform die Selbständigkeit der einzelnen Länder gefährdet sei. Dann Der Sohn der Wittwe. Erzählung aus dem wendischen Volksleben von E. Ziehen. (3. Fortsetzung.) 3. Als die Thurmuhr am folgenden Morgen die elfte Stunde verkündete, wirbelten die Trommeln durch das Dorf: das Signal, daß sich die Rekruten vor dem Hause des Maire, wo der Major von der ConscriptionScommission wohnte, zum Abmarsch einfinden sollten. Die rasselnden Töne gingen wie zweischneidige Schwerter durch Anna's Herz. Sie hatte die letzten vierundzwanzig Stunden in namenloser Angst verbracht und während der Nacht kein Auge geschlossen. Ihre schwache Hoffnung, daß Detlev, seiner armen alten Mutter wegen, vielleicht vom Dienste sreigesprochen werden könne, wie sie vom Pfarrer gehört, war spät am Abend durch die Worte ihres Vaters, welcher ihr den Hergang der Dinge bei der Aushebung kurz erzählte, gänzlich vernichtet worden. Ihr Vater hatte ihr seit dem Vorfall bei dem Erntefest streng verboten, das Haus von Detlev's Mutter zu betreten, und bis dahin war sie diesem Befehl mit schwerem Herzen nachgekommen — als sie aber jetzt die Trommeln rasseln hörte, stürzte sie kaum ihrer Sinne mächtig, dorthin und langte in demselben Augenblicke vor der Hausthür an, wo Detlev marschfertig aus dem Stübchen trat. „Anna!" stieß der Letztere mit schmerzerstickter Stimme hervor, indem er mit der Hand über die Augen fuhr. — „Ich muß dich und meine Mutter für einige Zeit verlassen," fügte er nach einer Pause hinzu, „aber ich " Er konnte vor Weh nicht weiter reden und wandte sich ab, um die Thränen zu verbergen, welche in seinem Auge zitterten. Anna aber klammerte sich schluchzend an ihn an und rief: „Wenn Du nicht wiederkommst, Detlev, so sterb' ich, ehe zwei Jahre vergehen!" weist die Thronrede auf die Ausstellung hin, ein glänzende« und friedliches Schauspiel, das in ungetrübtem europäischen Frieden ins Leben trete. — Die Eröffnung der Ausstellung wird sich verhältnißmäßig nur einfach gestalten; der Stand vieler Arbeiten ließ von den Feierlichkeiten absehen, und wird es nur ein Fest für den Hof, die fürstlichen Gäste und die Stadt Wien werden. Die Betheiligung Deutschlands ist eine große; über 1400 Waggons mit deutschem Gut sind bereits angekommen, und mehrere Hundert werden noch er wartet. Namentlich wird die Maschinen-Industrie sich aus zeichnen. — Sämmtliche Fiaker und Einspänner in Wien haben Strike gemacht, da die Behörde auf Aenderung des neuen Fahrtarifs nicht einging. (Sehr passend zur Ausstellung!) Rußland. Der Kaiser von Deutschland ist in Petersburg am 27. April angekommen, begrüßt von einer zahllosen Volksmenge. Der Czar und dessen ganze Familie führten den hohen Gast in die für ihn bestimmten Zimmer, wo Kaiser Alexander sein eigenes Porträt, sowie einen mit dem Georgenkreuze, dem eisernen Kreuze und dem Verdienst orden geschmückten Ehrendegen, ferner Vasen und ein Schreib zeug als Geschenk überreichte. Kaiser Wilhelm empfing dies Alles mit Ueberraschung und Rührung. — Die Paraden und Festlichkeiten rc. finden in der programmgemäßen Weise statt. Spanien. Die Regierung hat die Nationalversammlung, da deren Fortbestand die öffentliche Ruhe gefährde, aufgelöst. Unter den Freiwilligen und der Nationalgarde kommen be dauerliche Excesfe vor. Ueberhaupt scheinen sich namentlich in Madrid ernste Dinge vorzubereiten; diepolitische Spannung ist außerordentlich gestiegen, und es läßt sich die Befürchtung einer plötzlichen Explosion nicht von der Hand weisen. Die greise Wittwe, gestern noch wie gebrochen von Angst und Verzweiflung, bot jetzt einen wunderbaren Anblick dar. Hochaufgerichtet, mit ruhigem, verklärtem Angesicht, stand sie da und schaute die von Schmerz überwältigten Liebenden ernst und still an. Seit dem verflossenen Abend war das unerschütterliche Vertrauen in ihr Herz eingezogen: daß Gott ihr den einzigen Sohn nicht rauben werde. Sie hatte, nachdem Detlev längst zur Ruhe gegangen war, noch die uralte Bibel herbeigeholt, um sich Trost aus derselben zu lesen, und das Buch aufschlagend, hatte sie zuerst die Worte des Psalmisten erblickt: „Ob tausend fallen zu Deiner Seite und zehntausend „zu Deiner Rechten, so wird es doch Dich nicht treffen!" Daß sich ihr Blick zuerst auf diesen Spruch geheftet, war ihr wie eine göttliche Verheißung erschienen; in der festen Zuversicht, daß ihr Detlev einst unversehrt zu ihr zurückkehren werde, hatte sie sich ruhig schlafen gelegt und die Nacht sanft verschlummert. „Tröste Dich, liebe Anna," sagte sie jetzt mit freundlich ernstem Ton zu der Schluchzenden, „Detlev kommt wieder." „Ja, herzliebe Anna, ich komme wieder!" rief der Letztere, indem er das Mädchen zum Abschied küßte. „Halte mir, was Du mir im vorigen Sommer gelobt hast — dann kann noch Alles gut werden!" Mit diesenWorten machte er sich sanft von Anna los und reichte seiner Mutter zitternd die Hand zum Abschied. Die Greisin ergriff diese mit der Linken, legte ihrem Sohne die Rechte auf's Haupt und sagte mit einer Stimme, welche wie die einer Prophetin klang: „Zieh' hin, Detlev, und sei getrost! Ob tausend fallen zu Deiner Seite und zehntausend zu deiner Rechten, so wird es doch Dich nicht treffen!" Dann winkte sie ihm, rasch fortzueilen, und sich gewaltsam aufraffend, verließ er festen Schrittes das Haus. An der Pforte des kleinen Gärtchens schaute er sich noch einmal nach seiner Mutter und Anna um — dann stürzte er mit wildem Schmerz dem Sammelplatz der Rekruten zu.