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- 733 - doch so in Anspruch, daß sie ihren Knaben nicht, wie sonst, immer im Auge behalten konnte. ES war freilich keine Gefahr dabei, die Dienerin Jo hanna besaß die außerordentlichste Anhänglichkeit an ihre Herrschaft; zudem hatte der Kleine an der Enkelin des Gärtners eine Spielgefährtin. Freilich hatte der Wundarzt prophezeit, die Ueberfahrene würde zeitlebens hinken, aber ihr Loos schien insofern sich freundlich genug gestalten zu wollen, als die Baronin erklärt hatte, daß sie für Mariens Zukunft sorgen und sie immer im Schloß behalten wolle. Schon jetzt wurde ihr die sorgfältigste Pflege zu Theil, und eine Magd, auf die man sich verlassen konnte, war mit der besonderen Obhut der Kleinen betraut worden. — Draußen lockte das prachtvollste Reisewetter, und der Baron athmete auf — seine frühere Sorglosigkeit schien zu rückzukehren. Morgen hatten sie das Schloß, die unheim lichen Nachbarn hinter sich, und wer weiß, was bi« zu seiner Rückkehr geschehen! Da eilte Johanna mit dem laut schreienden Knaben herbei, der plötzlich erkrankt sei, — sie wisse nicht wodurch? Die Baronin riß das in heftigen Krämpfen sich win dende Kind an sich, während der Baron in daS Mädchen drang, nichts zu verheimlichen. Endlich kam ein Geständniß: Obwohl Johanna den strengen Befehl hatte, Garten und Park unter keinen Umständen zu verlassen, war sie heute doch mit dem Knaben und mit Marie in die Dorfstraße ge gangen. Es sei so schattig da gewesen, und zugleich so still, Alle hätten sich auf dem Felde befunden. Da habe plötzlich vor ihr eine Zigeunerin gestanden, die ihr wahrsagen wollte ; sie habe nicht eingewilligt, doch das Weib hätte nun den Knaben betrachtet und ihm dann drei Kirschen gegeben, die er essen solle, sie würden ihn klug machen; dann sei sie rasch verschwunden. Der Kleine habe aber nur eine Kirsche ge gessen, die andere seiner Gespielin gegeben und die dritte weggeworfen. Die Kirschen waren vergiftet! Eine dunkle Ahnung durchzuckte den Baron, doch wagte er nicht, sie auszusprechen. Er ließ sofort anspannen, damit aus der Stadt ärztliche Hülfe geholt werde. Jetzt kam auch Marie mit der Klage: sie fühle sich krank; — die Kleine konnte schon erzählen, und nun tauchte auch in der Baronin der Verdacht auf, den Warm uth hegte. Als der Arzt erschien, bestätigte er vollkommen Beider Vermuthungen: daö Obst war jedenfalls vergiftet! Hätte der Knabe alle drei Kirschen verzehrt, so wäre er verloren gewesen! Auf die Baronin übte dies Ereigniß den denkbar schlimmsten Einfluß. Die Mutter ließ ihr Kind nicht mehr von ihrer Seite. Ihr ohnehin zum Trübsinn neigendes Gemüth sah überall Gefahr. Auch der Baron durfte sie keinen Augenblick ver lassen; sie schien vollends allen Halt zu verlieren, sobald er auch nur auf kurze Zeit sich entfernte. Trotz der sorgfältigsten Nachforschungen war die Zigeu nerin nicht wieder zu entdecken gewesen. Auch hatte im Dorfe eine Zigeunerin Niemand gesehen, und waö die Sache noch verdächtiger machte, Johanna wollte behaupten, das Weib habe grade solch' dunkle große Augen gehabt, wie eine der Damen im grünen Hause, auch die Gestalt sei ähnlich gewesen; eS sei ihr gleich aufgefallen. Die Baronin drängte, man müsse die Sache anzeigen. Doch Warm uth wich, so gut er konnte, au«. Er fürchtete, durch diesen gewagten Schritt die feindlichen Mächte vollends zu entfesseln. Wenn er Ernestinen be schuldigte — denn nur auf sie paßte, was Johanna auS- sagte — dann kam auch die Vergangenheit zur Sprache, und er wußte: das Glück seiner Ehe wäre auf immer ver loren gewesen. Am Liebsten hätte er das Gut so rasch wie möglich verkauft; aber seine Gemahlin mochte davon nicht» wissen. Sie hatte die Eltern in der Nähe und sich hier eingelebt; hrer stillen, harmonischen Seele Wiederstand eS, einen Be- itz rasch wieder aufzugeben, der ihr lieb geworden, weil er üße Erinnerungen umschloß aus jener ersten Zeit ihrer Ehe, wo glänzender Sonnenschein auf all' ihren Wegen lag. Daß die böse Thal von einer der Nachbarinnen verübt worden, war ja immerhin nicht erwiesen, wenigstens nicht für die, die nicht die tiefe Quelle von Ernestinens und Eleonorens Haß kannte. Auf'S Neue wurden die strengsten Befehle gegeben, daß die beiden Kinder mit keinem Schritt daS umfriedigte Be- sitzthum verlassen und ebensowenig von irgend Jemand da« geringste Geschenk annehmen sollten. Und zudem war ja ent weder sie oder ihr Gemahl stets anwesend, wenn die Kinder zur Erholung im Garten sich befanden. Jedoch — die beständige Sorge und Aufregung versetzte die Baronin nach und nach in solch' leidenden Zustand, daß für ihre Gesundheit das Schlimmste zu fürchten war. Ihr Nervensystem schien tief erschüttert — ein Geräusch, ein Wort konnte sie erschrecken; ihr Schlaf war unruhig und von Träumen gestört. Endlich dachte der Baron in seiner Bekümmerniß an die Gräfin-Mutter. Vielleicht konnte die noch immer.lebens lustige Frau auf ihre Tochter belebend und erfrischend wirken ; er bat sie, einen länger» Aufenthalt auf seinem Schlosse zu nehmen. Sie kam, und in den ersten Tagen schien auch wirklich ihre Heiterkeit günstigen Einfluß auf Gertrud zu üben. — Ihre stete Beklemmung ließ nach, und der Baron athmete auf. Er sah bereits die glücklichen Tage wiederkehren. Fortsetzung folgt im nächsten Freitags-Blatte. Kirchliche Nachrichten. Altenberg. Am 26. Sonntage »ach Trinitatis (Todtenfest) Früh-Eommunion und Beichte (>/,9 Uhr) durch Hr». Diac. Kleinpaul. Vormittag- predigt Hr. Pastor Friedrich; Nachmittags Hr. Diac. Kleinpaul. Kirchenmusik: Ehorgesang von Weinlig: Nicht mehr sind sie uns rc. Dippoldiswalde. Am 26. Sonntage nach Trinitatis (Todtenfest) predigt Herr Sup. Opitz. Vorher Communion Herr Diac. Gersdorf. Nachmittags Bibelstunde. Kirchenmusik: „Wir sch'n uns wiederI" Vierstimmiges Lied für gemischten Chor von B- Hcllriegel. Allgemeiner Anzeiger. Edictalladung. Von dem unterzeichneten Königlichen Gerichtsamte ist gestelltem Anträge zu Folge wegen Amortisation und Präcluston aller Ansprüche auf den Frau Ernestinen Paulinen verehel. Hahn zu Dresden in der Zeit vom 24. Juli bis 4. August 1857 abhanden gekommenen Anleihe-Schuld-