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— 716 — Quitt. Novelle von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) Elenore harrte schon mit Ungeduld des Bräutigams; ihr kühle«, leidenschaftliches Temperament war seit der Ver lobung mit Bernhard wie umgewandelt. Eine Unruhe hatte sich seither ihrer bemächtigt, die sie vergeblich zu beherrschen suchte. Auch an ihrem Hochzeitstage war sie von dieser Hast fortgerissen worden und längst völlig ange kleidet und bräutlich geschmückt, eh' die bestimmte Stunde erschien. Sie vermochte sich selbst kaum zu erklären, was mit ihr vorgegangen. Mit unruhig klopfendem Herzen wanderte sie im Zimmer aus und ab, nachdem sie ihre Mädchen entlassen. Sie wollte noch einige Minuten allein sein, um sich zu sammeln. Einen prüfenden Blick warf sie in den großen Pfeilerspiegel und — sie war mit sich zufrieden. Oft hatte sie selbst geseufzt, daß sie nicht schön genug sei; heut' lächelte sie dem Abbild freundlich zu, das ihr der Spiegel entgegenwarf. Sie war eine schöne Braut, das mußte sie sich selbst bei nüchterner Beurtheilung sagen, und Bernhard, der stets ihre Toillette gelobt, fand sie gewiß heut' ganz entzückend. Da brachte das Mädchen einen Brief. Eine Botschaft vom Baron. Hastig riß sie das Billet auf und wollte es durchfliegen — gewiß noch irgend eine zarte Aufmerksamkeit vor der Trauungsstunde — starr blieben die Augen auf das Papier gerichtet, alles Blut trat aus dem Antlitz; dennoch wußte sie sich dem Mädchen gegenüber zu beherrschen, das sie neugierig betrachtete. Im gleichgültigsten Tone sagte sie: „Hole mir sofort einen Wagen, ich komme augenblicklich zurück!" und einige Minuten später fuhr sie, ohne selbst ihrem Vater eine weitere Erklärung zu machen, zum Erstaunen ihrer Leute davon. Sie mußte mit ihrem Bräutigam selbst sprechen und genauer erfahren, was ihm plötzlich den Kopf verwirrt und ihn veranlaßt habe, ihr einen solch' tödtlichen Schimpf anzuthun. Es war ja gar nicht möglich, daß ein armer Baron noch im letzten Augenblicke die Hand einer reichen Erbin zurückweisen konnte! Ihrem klaren, nüchternen Verstände war es nicht entgangen, daß ihr Bräutigam in der gewissen Aussicht eines großen Vermögens bedeutende Schulden gemacht und jetzt ein völlig ruinirter Mann war, wenn er zurücktrat. Und sollte ihn nichts Anderes an sie fesseln — dies Band war stark genug, wenn er nicht wie ein Tollkopf in sein Verderben rennen wollte! Das Alles beschloß sie ihm vorzustellen — sie wollte nicht an sein Herz, nur an seine gesunde Vernunft appelliren, obwohl ihre ganze Seele darnach gelechzt hätte, ihm Alles zu enthüllen, — ihm zu sagen, daß sie ihn tief, glühend, leidenschaftlich liebe und seine Treulosigkeit sie namenlos elend mache. — Wie es auch durch ihre Brust wogte, ihr Kopf behielt die Oberhand, sie wußte recht gut, daß gerade diese liebeglühende Sprache auf ihn ohne Wirkung bleiben würde und sie wollte die Tochter dcS Kaufmanns herauskehren. Baron von Warmuth hatte auf Elenorens Stolz gerechnet, von dem sie früher mannigfache Proben gezeigt; — daß sie sich so tief demüthigen und nach seinem kurzen, bündigen Absagebriefe noch eine Unterredung suchen würde, hätte er am wenigsten erwartet, und er war wie vom Donner gerührt, als sie plötzlich im Brautschmuck vor ihm stand, in demselben Augenblick, wo er bereits Alles zur Abreise vorbe reitet hatte und im Begriff war, der Residenz auf immer den Rücken zu kehren. Keines Wortes mächtig, starrte er seine Braut an, die zuerst sich zu fassen wußte. „Ich komme selbst," sagte sie so kühl und nüchtern, wie immer, da sie bisher Alle« daran gesetzt, vem Baron die innersten und tiefsten Empfindungen ihre« Herzens zu verbergen, „um Dich von einer Thorheit zurückzuhalten. 3a, für eine Thorheit Halle ich e«, noch am Hochzeitstage die Hand eines Mädchens zurückzuweisen, die über eine halbe Million zu ver fügen hat." Und als ihr Bräutigam nicht sogleich antwortete, fuhr sie in demselben Tone fort: „Du bist an Luxus gewöhnt. Ich allein kann Dir das behagliche Dasein zurückgeben, das Du zu Deinem Glücke brauchst, und als Deine ehrliche Freundin hielt ich eS für meine Pflicht, Dich darauf auf merksam zu machen. Ich will die bittre Kränkung vergessen, die Du mir in einer Anwandlung unerklärlicher Laune zuge fügt und erwarte deshalb —" Weiter kam sie nicht; — der Baron hatte die nöthige Sammlung wieder gewonnen und mit jener liebenswürdigen Artigkeit, als handele es sich um die unbedeutendsten Dinge von der Welt, entgegnete er jetzt: „Für die freundlichen Rath schläge und die wohlwollende Gesinnung, Fräulein Elenore, bleibe ich Ihnen dankbar verbunden; dennoch steht mein Ent schluß unerschütterlich fest, daß ich auf Ihre Hand wie auf Ihr Vermögen verzichte." „Und die Gründe?" fragte Elenore ruhig, und nicht das leiseste Zucken verrieth, was in ihrem Innern vorging. Der Baron holte etwas tiefer Athmen, dann entgegnete er: „Ich habe mein Herz im letzten entscheidenden Augen blicke geprüft, und mag Sie nicht täuschen, Elenore; ich war arm, Ihr Reichthum blendete mich, aber — ich will es offen bekennen — ich liebe Sie nicht und wir würden nimmer mehr mit einander glücklich sein." „Wer sagt Ihnen das?" fragte sie mit seltsam bitterem Lächeln. „Ich werde Ihnen volle Freiheit gewähren!" „Nein, glauben Sie mir, ich würde Sie nur unglücklich machen können!" Sein frisches Gesicht sah dabei so treuherzig aus, als sei er fest überzeugt von Dem, was er sprach. „Selbst auf diese Gefahr hin will ich es versuchen," entgegnete Eleonore mit unerschütterlicher Ruhe. „Vergessen Sie nicht, daß ich die Tochter eines Kaufmanns bin. Sie haben in der Voraussicht unserer Heirath Wechsel ausgestellt, der Verfalltag ist nahe und Sie müssen ihn einhalten!" Der Baron konnte nicht umhin zu lachen. „Ah! mein Fräulein, hierüber bitte ich, wollen Sie ganz ruhig sein!" „Haben Sie Alles reiflich überlegt? Ich warne Sie!" und der Ton, in dem sie jetzt sprach, war scharf und drohend. „Vollkommen!" „Sie werden es bereuen!" preßte sie zwischen den zitternden Lippen hervor und ihre Augen ruhten mit einem Ausdruck glühenven Hasses aus dem Baron, vor dem er trotz seines sorglosen Sinnes und seiner Leichtigkeit erbebte. Er athmete auf, als sie jetzt rasch das Zimmer verließ. Nun war auch dieser Sturm überstanden! Er wunderte sich über sich selbst, daß er Alles so muthig ausgehalten. Mochte Eleonore, mochte auch Ernestine ihn ver wünschen — er sah und hörte nichts mehr von ihnen, und mit der Zeit — so meinte er — würden sich Beide schon zu trösten wissen und ihn vergessen. Wohl stiegen ihm zu weilen Bedenken auf über seine Handlungsweise, aber der Gedanke, daß er nun Gertrud heimführen könne, brachte Alles in ihm zum Schweigen. Wirklich hatte der Graf gegen die neue Werbung des Barons jetzt nichts einzuwenden; war doch der Herr Schwieger sohn durch die unerwartete Erbschaft einer der reichsten Grund besitzer der Umgegend geworden. Baron von Warmuth verkaufte die Güter seines Verwandten und siedelte sich in der Nähe seines Schwieger vaters an. Im endlichen Besitz der Jugendgeliebten lag das Leben sonnenbeglänzt und goldig vor ihm, dehnte sich ein lachender Himmel vor ihm aus — nicht die leiseste Erinnerung an Jene, die er elend gemacht, quälte seine