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alt beschäftigen. Der Etat für 1873 weist circa 6^1» Mill. Thlr. Ueberschuß auS Betriebsverwaltungen auf. Braunschweig. Die kürzlich in Anregung gebrachte braunschweigische Erbfolge wird viel besprochen. Erst solle der landständische Ausschuß sich geeinigt haben, bei des Herzogs Ableben dem König von Sachsen die Regierung zu übergeben; doch ist diese Nachricht falsch, gleich der, daß der deutsche Kaiser bis zur völligen Regelung darum angegangen werden solle. Das braunschweigische Ministerium hat über haupt noch keine Vorschläge gemacht, und man ist gespannt auf die Schritte, welche der demnächst zusammentretende Landtag unternehmen wird, um diese für das Land so hoch wichtige Angelegenheit zum AuStrag zu bringen. Frankreich. Der Proceß gegen Marschall Bazaine schreitet vorwärts; die Zeugen sind stämmtlich vernommen, die Anklage wird Milte November fertig sein und der Proceß noch in diesem Jahre zur Entscheidung gelangen. Bazaine hat jedenfalls von dem Marsche Mac MahonS, zur Ent setzung von Metz, Kenntniß gehabt; über daS Ende des Pro testes ist man daher nicht im Zweifel und auf ein Todes- urtheil gefaßt. — Die Räumung der Departements Marne und Haute Marne hat nunmehr begonnen und geht rasch von statten. Rußland. In Bialystok (im Gouvernement Grodno) ist die Cholera ausgebrochen. Quitt. Novelle von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) Der junge Baron stellte über seine Lage die tiefsinnig sten Betrachtungen an, deren Resultat auf das Ergebniß hinauslief, daß die Menschheit nicht mit dem Baron anfange, wie Fürst Windischgrätz behauptet, sondern erst mit dem Be sitz eines hinlänglichen Vermögens, und daß es das elendeste Dasein sei, als armer Edelmann sich durch die Welt zu schlagen; aber all' diese schwermüthigen und tiefsinnigen Be trachtungen änderten nicht das Mindeste an seiner Lage, die immer verzweifelter und unerträglicher wurde. Ein Entschluß mußte endlich gefaßt werden, ein schweres Ding für eine» Menschen, der bisher so behaglich durch das Leben geschlendert war und das Dasein für ein Vergnügen, aber niemals für eine Sache gehalten, die uns harte Pflichten auflegt. Da kam ganz unerwartet die Rettung. Freilich winkte ihm eine Lage, die zu seinen früheren Verhältnissen im grell sten Gegensatz stand; aber wann hätte je der Ertrinkende die Hand als zu gering und schmutzig zurückgestoßen, die zu sei ner Hülfe auögestreckt worden?! — Ein früherer Vogl seines Vaters hatte sich im Dienst des alten Barons ein kleines Vermögen gesammelt und dann in einer entfernten Gegend eine größere Pachtung übernom men, die ihn nach und nach durch unsäglichen Fleiß zum wohlhabenden Manne gemacht. Für seine Herrschaft hatte er eine dankbare Anhänglichkeit bewahrt, denn der alte Ba ron war in seiner Leichtlebigkeit der gütigste Herr, und die Freundlichkeit des kleinen Bernhard gegen die ganze Die nerschaft bei dem ehemaligen Vogt noch in lebhafter Er innerung. Kaum war ihm die Kunde von der jetzigen Armuth des jungen Herrn Baron gedrungen, so war sein Entschluß ge faßt. Er machte sich selbst auf den Weg und bot Bern hard mit ehrlicher Treuherzigkeit ein Asyl in seinem Hause an. Als dieser, trotz seiner verzweifelten Lage, noch zögerte, wußte ihm der alte Liebig die Sache im schönsten Lichte darzustellen und des Peinlichen zu entkleiden, das eS für den jungen Baron haben mußte. „Sie lernen bei mir die Land- wirlhschaft aus dem Fundament", redete er ihm ein, „sehen, daß Sie ein reiches Mädel Herathen können, nnd sind dann wieder oben auf." Bernhard war erst 21 Jahre, warum hätte sein nie dergedrücktes Herz bei solchen Aussichten nicht erleichtert wer den sollen? Sich durch eine gute Partie wieder in glän zende Verhältnisse zu bringen, daran hatte er noch gar nicht gedacht und diese Hoffnung war seiner bequemen, ruhelieben den Lebensanschauung weit behaglicher, als der andere höchst schwierige und zweifelhafte Ausweg, sich durch eigene Kraft wieder emporzuarbeiten. Er nahm deshalb nach kurzem Be denken da« gütige Anerbieten des alten Liebig an und be gleitete ihn sofort auf seine Pachtung. Welch' ein Abstand von seinem früher» Dasein! Aber der junge Mann hatte weder Zeit noch Lust, sich tiefsinnigen Betrachtungen zu überlasten; er fand sich mit einem Gleich- muth in das Unabänderliche, den die Familie des Pächters bewunderte und der doch nur aus seiner geistigen Trägheit entsprang. Warum sollte er die schöne Vergangenheit viel beklagen, sie kam vorläufig doch nicht wieder, und im Hause des Pächters war das Leben lange nicht so armselig und langweilig, als er Anfangs gefürchtet hatte. Der alte Liebig wollte seinem Gaste zeigen, daß er es zu Etwas gebracht habe, und die beiden Söhne desselben er wiesen sich gegen den jungen Baron ebenfalls sehr freund lich, um so mehr, als derselbe gar keinen Stolz herauskehrte, sondern mit ihnen so gemüthlich verkehrte, als wären sie Seinesgleichen. Was aber Bernhard mit der Gegenwart noch mehr auösöhnte, war die herzliche Theilname, die ihm die Tochter des alten Liebig entgegenlrug. Ernestine hatte ebenfalls andere Zustände kennen gelernt und war mit den bescheide nen Verhältnissen ihres Vaters nicht zufrieden. Sie hatte ihre Jugend bei einer Tante in der Residenz zugebracht und, wenn sie auch dort nicht eine außerordentliche Erziehung ge nossen, doch Gewohnheiten und Sitten angenommen, die zu ihrem frühern Stande nicht mehr paßten. Ihre Mutter starb plötzlich und sie mußte in das Aelternhaus zurückkehren, das ihr mannigfaches Unbehagen bereitete. Von ihrer Um gebung fühlte sie sich abgestoßen, sie verkehrte mit Nieman dem im Dorfe, selbst ihr Vater und ihre Brüder genügten ihr nicht mehr; sie fand ihre bäuerischen Planieren und Nei gungen entsetzlich. Ihr energischer Geist wußte sich bald die Herrschaft an zueignen, und so gelang es ihr nach hartem Kampfe, das Leben im Aelternhause ein wenig den Mustern zu nähern, die sie in der Residenz kennen gelernt. Sie ließ nicht eher Ruhe, als bis die AuSmöblirung der Zimmer eine bessere wurve und das ganze Dasein einen behaglichen Anstrich er hielt. Für Ernestine war deshalb das Zusammensein mit dem jungen Baron ein unendliches Glück. Nun hatte sie Jemand, mit dem sie endlich sprechen, der sie verstehen konnte und der sie begriff, wie unglücklich sich ihre stolze, hochflie gende Seele unter diesen niedrigen Verhältnissen fühlen mußte. Mit der krankhaften Sucht aller Halbgebildeten sehnte sie sich nach feinen Formen, lechzte sie nach dein äußern Glanz und Schimmer, den sie in der Residenz kennen gelernt. Diese beiven Menschen mußten sich unwillkürlich anziehen, sie hat ten dasselbe Lächeln für die Misäre des Landlebens und die selbe Sehnsucht, sich daraus wieder zu erheben. Der junge Baron fühlte sich in seiner behaglichen, ge nußsüchtigen Weise sehr angenehm davon berührt, daß ihm die Pächterstochter daS harte, traurige Landleben nach Mög lichkeit zu verschönern suchte und ihn mit allerhand kleinen Aufmerksamkeiten überschüttete. Und er war dafür so dank bar! In der Abgeschlossenheit, die ihn umgab, wurde Er nestine Liebig sür ihn ein ganz anderes Wesen, sie ragte über die übrigen Frauenzimmer, mit denen er noch etwa in