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— 634 ganze Opposition, sonst so stark, erleidet die schmachvollste Niederlage. Doch ist hiermit die Gefahr für Oesterreich noch nicht beseitigt, denn die slavischen Elemente fanden sich stets zusammen, wenn etwaige Fehler ihrer Gegner sie auf den Platz riefen. Wenn der Ausgleich und die cisleithanifche Verfassung überall hin sich werden bewährt haben und die Quitt. Novelle von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) Dort stand schon die Equipage bereit, denn um diese Stunde wurde gewöhnlich eine Spazierfahrt gemacht. Zu weilen lenkte der Baron selbst den Wagen; auch heut schwang er sich rasch auf den Bock, seine Gemahlin nahm mit dem Kleinen und dem Kindermädchen im Wagen Platz und die edlen Pferde setzten sich in Bewegung. Es wäre dem Baron heut ganz unmöglich gewesen, neben seiner Gemahlin zu sitzen und mit ihr harmlos weiter zu plaudern. Der Anblick dieser beiden Frauen hatte ihn zu tief erschüttert; er mußte wenigstens unbeachtet sein, wenn er nicht verrathen wollte, wie es in seinem Innern auSsah. War es denn nicht eine bloße Sinnestäuschung? Wie hatten sich die beiden Frauen, die sich früher nie gekannt, plötzlich zusammengefunden, und wie waren sie in seine Nähe gekommen? — Nein, nein, mochte auch dies Bündniß der Beiden noch so toll und wunderlich sein, es war kein Jrrthum! Er hatte sie zu deutlich erkannt. Das starke große Frauen zimmer mit den zornfunkelnden Augen war Ernestine. Die Zeit hatte über ihre ohnehin wenig entfaltete Schönheit Nichts vermocht. Das Gesicht war noch immer so derb und die Gestalt so plump wie früher; nur war der fast männliche Zug um den Mund noch fester und entschlossener geworden, als je vorher. Und die Andere! Er würde Eleonore Weltzer erkannt haben, und wenn er von ihr Nichts weiter gesehen, als ihre grauen, kalten Augen, die so stechend auf ihm geruht. Er hatte diesen Blick im Innersten gefühlt, als er damals von ihr gegangen war, und wohl gewußt, wie viel Haß und Rachegedanken er einschloß, aber bei seinem leichten, sorglosen Sinn die Wirkung desselben bald vergessen. Heut berührte ihn derselbe drohende, stechende Blick auf das Tiefste. — Das ganze unerwartete, räthselhafte Zusammensein der beiden Frauen, die allein auf der Welt Ursache hatten, ihn ebenso leidenschaftlich zu hassen, wie sie ihn einst geliebt hatten, erfüllte seine Seele, die sich sonst nicht so leicht ein schüchtern ließ, mit Besorgniß. Wenn sich die beiden Frauen mit einander verbunden und hier ganz in seiner Nähe angesiedelt hatten, dann ver folgten sie einen bestimmten Racheplan, dann war es auf ihn abgesehen und er konnte sich auf einen Kampf gefaßt machen, denn besonders von der leidenschaftlichen, energischen Ernestine war das Schlimmste zu fürchten. Sicher wollte sie die Nachbarschaft dazu benutzen, um in seine Ehe Unfrieden zu säen und seine Gemahlin in Kenntniß zu setzen, wie er an ihnen gehandelt, nach seiner eigenthümlichen Lebensphilosophie freilich an ihnen handeln mußte. Aber würde seine feinsinnige Gattin sein damaliges Auftreten eben so leicht nehmen, wie er selbst, und eS ebenso bereitwillig entschuldigen? — Der Baron wußte nur zu gut, wie streng sie gegen sich und Andere war, wie ihre Seele alles Gemeine und Unedle weit von sich abwies. Sie hatte bisher bewundernd und verehrend zu ihm aufgeblickt — wenn sie nun erfuhr?! Ein lauter durchdringender Schrei weckte ihn aus seinem finstern Hinbrüten. Ganz in seine qualvollen Gedanken versunken, hatte er die Leitung der ohnehin gut geschulten Thiere nicht weiter Ueberzeugung sich befestigte, daß in den neuen Verhältnissen Oesterreich auch zugleich die dauernde Grundlage seiner neuen Weltstellung gefunden hat, dann erst wird die Gefahr verschwin den. Durch die auswärtige Politik des Grafen Andrassy ist in dieser Beziehung übrigen« in letzter Zeit ein außerordent licher Fortschritt herbeigeführt worden. beachtet, und auf den wohlgeebneten Parkwegen gingen die Pferde stets, ohne einer eigentlichen Führung zu bedürfen. ES war keine Gefahr vorhanden, wenn er darüber nachsann, wie er den drohenden Angriff seiner neuen Nachbarn von sich abwenden konnte. Zum Unglück hatte sich die Enkelin des alten Gärtners in dem Park verirrt und saß spielend mitten am Wege, der hier eine Biegung machte. Die Kleine wurde zwar durch das Pferdegetrappel endlich aufgescheucht, aber in der Angst kam sie inö Stolpern und — der Wagen ging über sie hinweg! Als der Baron, durch dies unselige Ereigniß aus seinem düstern Hinbrüten unsanft aufgeweckt, augenblicklich vom Wagen sprang und die weinende Kleine aufhob, bemerkte er sogleich, daß sie wenigstens nicht tödtlich verletzt war. Nur das Hinderrad war über ihr Beinchen gegangen und es arg zerquetscht. Die Baronin war ebenfalls entsetzt aus dem Wagen gestürzt und beschäftigte sich mit dem armen Kinde, das bei dem Anblick der schönen, sanften Frau all' seine Schmerzen vergaß und zu lächeln begann. Der kleine Wilhelm wußte nicht, was es bedeuten sollte, und er half sich aus dieser Verlegenheit, daß er noch bitterlicher zu weinen anfing, als vorher die Kleine; da man ihm aber in dieser allgemeinen Aufregung gar keine Beach tung schenkte, beruhigte er sich bald wieder, um so mehr, als jetzt die kleine Verunglückte mit in den Wagen gehoben, von der Mama auf den Schooß genommen wurde und er diesem neuen wichtigen Ereigniß seine Aufmerksamkeit schenken konnte. „Mit den neuen Nachbarn zieht das Unglück bei uns ein!" sagte die Baronin, die sich sogleich ihrem alten Trüb sinn hingab und trotz ihrer feinen Bildung nicht ganz frei von Aberglauben war. Der Baron versuchte nicht, wie sonst, seiner Gemahlin zu widersprechen und ihre schwermüthigen Gedanken zu ver scheuchen. Er selbst war wie verwandelt; sein frisches, fröhliches Gesicht war bleich und düster, die heitere Stirn von schweren Sorgen umwölkt. — Es war heut eine traurige Einfahrt in das Schloß . . . und seit jenem Tage schien wirklich der Helle Sonnenschein entflohen, der bisher so warm und glänzend auf dem alten, stattlichen Gebäude und seinen Bewohnern geruht . . . Jene beiden Damen waren in der That Nachbarn des Barons geworden, wie derselbe zu seinem Schreck erfuhr. Er hatte noch bis zum letzten Augenblick daran gezweifelt und gehofft, daß sie nur ein Zufall hierher geführt. Aber jetzt erhielt er die sichere Nachricht, daß ein Fräulein Eleo nore Weltzer das grüne Haus gekauft habe und bereits mit ihrer Freundin und Gesellschafterin aus der Residenz sich in ihrem neuen Besitzthum niedergelassen habe. Der Baron Warmuth brauchte nicht erst nach dem Namen der Letzteren zu forschen, er kannte ihn nur zu gut: Ernestine Liebig — und seit der Ankunft dieser Nachbarn war sein Frohsinn, seine behagliche GemüthSruhe dahin. Vergeblich suchte er sich den größten Zwang anzuthun und heiter zu scheinen, alle Dinge in alter Weise scherzhaft zu nehmen; es wollte ihm nicht mehr gelingen und eh' er's selbst gewahr wurde, versank er in einen Trübsinn, der ihm bisher völlig fremd gewesen. Baron Warmuth wußte es selbst nicht, was ihn jetzt so düster und schwermüthig gemacht; er war doch früher