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— 534 — Berlin. In Bezug auf den, in der Ausarbeitung be griffenen neuen Mobilmachungsplan, der bis zum 1. October in allen Theilen vollendet sein wird, erfährt man, daß nach demselben die Completirung sämmtlicher Truppen- theile innerhalb drei Tagen vollendet sein und die Con- centrirung einer Armee von 3 —400,000 Mann, sei eö an der Ost- oder Westgrenze, einen Zeitraum von höchstens acht Tagen erfordern darf. Um dies Ziel zu erreichen, sind alle Hinrichtungen, welche sich auf das Verpflegungs wesen, Fuhrwesen und Bespannung beziehen, einer wesentlichen Umänderung unterworfen worden. Der Mobilmachungsplan gilt natürlich für alle Theile der deutschen Armee, also auch für Baiern, das mit Beginn der Mobilmachung seine Militärhoheit an den deutschen Kaiser abtritt. — Die hier strikenden Tischlergesellen haben sich so ziemlich geeinigt, 400 Meister gingen auf die Forde rungen ein. Gegenwärtig striken nur noch 150—160 Gesellen. Oesterreich. Die Einwanderung der Jesuiten in Oesterreich nimmt in beunruhigender Weise zu. Nament lich sind von österreichischen Provinzen Galizien, Mähren, Borerlberg und Böhmen mitgenommen (neuerlichst sind in Eger wieder Jesuiten eingezogen); aber es verlautet bis jetzt noch nicht das Geringste über ein behördliches Ein schreiten gegen diese unheilvolle Ueberfluthung. Frankreich. Auch hier ist, wie in andern Staaten, eine große politische Pause. Hr. Thiers ist im Seebad Trouville und läßt sich dort täglich einige Stunden mit einigen ganz nagelneuen Kanonen etwas vorschießen, und diese Schlechtes Bier. Es war halb acht Uhr Abends. Die Familie des Rentier Putzig, bestehend aus ihm, ihr und zwei Kindern entgegen gesetzten Geschlechts, saß beim Nachtessen. Es war kein Geist der Fröhlichkeit, der die Gesellschaft beseelte, trotzdem man eigentlich am Konsum der Speisen keine Traurigkeit bemerkte. Und trotzdem lag über dem Ganzen etwas Düsteres, Be ängstigendes, und das konnte auch nicht anders sein. Der Junge hatte nämlich heut in der Schule unter anderen Arbeiten auch ein Rechenexempel aufbekommen, durch welches nicht nur ihm selbst, sondern auch seiner Schwester und Mutter die lichten Schweißperlen auf die respectiven Stirnen gebracht worden waren, woselbst sie theilweise noch standen. Er sollte siebzehnhundertdreiunddreißig Thaler zweiundzwanzig einen halben Silbergroschen durch zwölfundeinhalb dividiren! Daher die Schweißtropfen. Die Sorge nm die Schularbeiten der Kinder lag lediglich der Mutter ob. Der Vater ging seit nunmehr fünfzehn Jahren tagtäglich nach dem Abendbrot in ein benachbartes Bierhaus, allwo er sich, wenn es Feierabend schlug, nach dem anstrengenden Tagewerk eines Rentiers, wohlverdiente Ruhe und Kurzweil verschaffte. Freilich hatte Mutter Putzig Anfangs gegen dieses Unternehmen protestirt, aber sie war eine schwache Frau, und Vater Putzig war stark. So hatte sie sich allmälig daran gewöhnt, und während der ganzen fünfzehn Jahre nie mehr ein Wort des Widerspruchs erhoben. Heute aber, wo die siebzehnhundertdreiunddreißig Thaler zu dividiren waren, ging's nicht länger. Sie mußte reden, sie mußte den Vater dahin zu bringen versuchen, daß er sich des schwierigen Exempels annahm, auf daß ihr lieber Sohn Heinrich in morgiger Schule nicht blawirt dastehe vor Gott und Menschen. Also faßte sie sich ein Herz und trug dem Alten die Sache vor. Seit fünfzehn Jahren, so meinte sie, habe sie ihn ziehen lassen in Frieden. Still und bescheiden sei sie, während er im Wirthshaus gesessen, zu Hause geblieben und habe sich mit den Kindern herumgeärgert. Nie sei ein Wort der Klage über ihre Lippen gekommen (das hätte auch gar nichts genutzt! Anm. des Vater Putzig), aber heute — Uebungen werden von den französischen Zeitungen umständlich besprochen. Man erzählt, Hr. Thiers sei von den Resultaten dieser Schießerei sehr befriedigt; bei dem Schießen habe er sich stets ganz in der Nähe der Kanonen aufgestellt, hinter ihm standen ungefähr 15 Offiziere. Er trägt einen braunen Ueberrock, den er bis an den Hals zugeknöpft hat, graue Hosen mit breiten Streifen, einen Filzhut und hält sich so gerade, als wenn er in der preußischen Armee gedient hätte. Nach jedem Schüsse, erzählen die Reporters, nahm er den Stock unter den Arm, steckt das Fernrohr — L 1g, Napoleon I. — in die Physiognomie und sah nach, wie seine Artilleristen wieder nichts getroffen haben; auch das melden nämlich mit französischer Unbefangenheit die Berichterstatter, aber sehr weit, sehr weit sollen sie gehen, diese nagelneuen Kanonen! „Lieb' Vaterland, magst ruhig sein!" England. In Belfast (in Irland) haben seit dem 15. August (Mariä Himmelfahrt) Demonstrationen zwischen Orangisten und Katholiken stattgefunden, welche zu bedeutenden Unruhen und ernstlichen Zusammenstößen zwischen Katho liken und Protestanten führten, Tödtungen und viele Ver wundungen zur Folge hatten. Die Polizei mußte einschreiten; eS entspann sich ein Kampf zwischen ihr und den tumultuirenden Volkshaufen; eine Polizeikaserne und mehrere Häuser wurden demolirt. Die Unruhen dauerten noch am 20. August fort; alle Läden waren geschlossen. Eine Proklamation des Mayors befiehlt das Schießen des Militärs auf die Tumultuanten; 5 Mann blieben todt auf dem Platze. Die Verhängung des Kriegszustandes ist wahrscheinlich. Er ließ sie nicht ausreden. „Liebes Kind", sagte er, „brauchst Dich gar nicht zu echauffiren; ich wäre heute wahr scheinlich so wie so zu Hause geblieben!" Die Frau sprang vom Stuhle auf. „Um Gotteswillen, Du bist doch nicht etwa krank? Louise, koche sofort einen Topf Kamillen " Eine einzige Geberde des Mannes sagte der Frau, wie verächtlich ihm Kamillenthee wäre. „Hole lieber eine Flasche Rothspohn aus dem Keller!" sagte er mit einer Miene, hinter der noch sehr viel steckte. „Du erwartest wohl Gäste?" „Bin ich nicht so viel Werth, wie alle Gäste der Welt? Wozu brauche ich dazu erst fremde Leute? Kann ich nicht einmal mit meiner Familie eine Flasche Rothwein trinken, oder vielmehr zwei bis vier Flaschen?" — Herr Putzig war ein Ultra. „Aber so erkläre mir doch! Ich hätte mir ja eher des Himmels Einsturz " Herr Lutzig warf sich in die Brust. „Liebes Kind; es ist wohl an der Zeit, daß der Mensch endlich einmal in sich geht, und sich vergegenwärtigt, daß er nicht nur Rechte für sich in Anspruch zu nehmen, sondern auch Pflichten gegen die Seinen zu erfüllen hat. Sieh unsre Kinder! Verhält- nißmäßig gehören sie mir ja eben so, wie Dir. Warum sollst Du allein die Last ihrer Erziehung tragen? Es war Unrecht von mir, daß ich das bisher vernachlässigte. Sieh Dich selbst an! Du bist ein braves Weib. Fünfzehn Jahre lang hast Du, wie es freilich einem braven Weibe zukommt, nicht gemuckst, wenn ich allnächtlich erst um zwölf Uhr heim kam. Das muß belohnt werden, und darum bleibe ich von jetzt ab Abends zu Hause." Frau Putzig wußte nicht, wie ihr geschah. Ueber- strömenden Gefühls stand sie auf, und wollte ihrem Mann einen Kuß geben. Sanft wehrte er sie ab. (Frau Putzig war schon in den Vierzigern.) „Ach Männe!" Das waren die einzigen Worte, deren sie in der Freude ihres Herzens mächtig war. Eine himmlische Perspective that sich vor ihren Augen auf. Jeden Abend zu Hause bleiben! Sicherlich ist sein Geist von ganz oben beeinflußt worden!