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— 486 — — Das Brandenburgische Conststorium hatte bekanntlich dem Prediger vr. LiSco in Berlin wegen eines von dem selben gehaltenen und veröffentlichten Vortrages über das apostolische GlaubenSbekenntniß eine ernsthafte Rüge ertheilt und behauptet, er stehe in einem dem evangelischen Geistlichen nicht ziemenden Verhältnisse zu seinem Ordinationsgelübde. Darauf vertheidigte sich vr. LiSco bereits am 7. März, und unter dem 16. Juli ist demselben nun ein Bescheid des Ober- kirchenratheS zugestellt worden, in welchem zwar derselbe den Vortrag LiSco'S „über das apostolische GlaubenSbekenntniß" für unvorsichtig, mißverständlich und herausfordernd erklärt, sonst aber er vom vr. LiSco ausspricht, daß von einem Bruche seines Ordinationsgelübdes keine Rede sei und mit einer besonderen Anerkennung für einen Theil seiner practisch-christ- lichen Gemeindethätigkeit schließt. — Der Kaiser Alexander von Rußland wird am 4. September hier eintreffen und sin der russischen Botschaft Wohnung nehmen. DaS Gefolge Sr. Majestät wird im Hotel Royal Quartier beziehen. Baiern. Aus München berichtet man: „Bezüglich der Reise des deutschen Kaisers nach Gastein hat unser König bestimmt, daß sein Generaladjutant den Kaiser an der bairischen LandeSgrenze zu empfangen und durch Baiern zu begleiten habe. Ebenso hat der König dem Kaiser ein Diner im Bahnhofsalon zu Nürnberg und für den Aufenthalt in Regensburg königliche Hofequipagen anbieten lassen. Böhmen. Die „Pr." schreibt über die Prager „Ver schwörung": Es bestand in der That der Plan eines Mordattentats auf das Leben des Statthalters, aber es war ein Bubenstück, bei dem der verbrecherische Wahnwitz der Ideen, von denen die Theilnehmer der Verschwörung erfüllt waren, die wirkliche Gefahr der Ausführung weit überstieg. Ende Mai erhielt nämlich der Ministerpräsident Fürst Auers perg ein anonymes Schreiben aus Prag, in welchem er ge warnt wurde, er möge sich in Acht nehmen, „sein Andrassy und sein Koller" würden demnächst ermordet werden. Acht Tage später erhielt derselbe ein zweites anonymes Schreiben, welches ihm anzeigte, es werde vorläufig Frhr. v. Koller allein getödtet werden. Am 20. Juni bekam der Polizei director Hofrath Marx selber ein anonymes Schreiben, welches ihm anzeigte, der Statthalter werde am 27. Juni um 7 Uhr Morgens bei seiner Sommerresidenz im Baumgarten erschossen werden. Nun wurde das Schlößchen in Baumgarten im Verborgenen sorgfältig überwacht, am 27. Morgens war aber Niemand als der Gärtner mit seinem Burschen, die auf der Bank vor den Gartenanlagen saßen, zu erblicken. Zwei Tage später erhielt der Polizeidirector abermals ein anonymes Schreiben des Inhalts: die That habe nicht aus geführt werden können, weil zwei Männer auf der Bank vor dem Schlosse gewesen seien, die Ausführung sei auf einige Tage verschoben worden, bei Brzetislav Rzehak, im Ausschußzimmer des „Merkur", seien die Schußwaffen. Es wurde also die Durchsuchung bei Rzehak vorgenommen. In der verschlossenen Schublade fanden sich zwei Pistolen mit Munition, ein Sitzungsprotokoll und auf dickem, weißem Papier in Lapidarschrift Folgendes: „„Das „europäische CentralrevolutionsconM" hat den Statthalter von Böhmen, Frhr. v. Koller, wegen seiner an den Tschechen verübten Schandthaten zum Tode erurtheilt und den „Prager Convent" des Revolutionscomit^S mit der Vollstreckung des Urtheils betraut."" In der Anlage befand sich ein Papierstück, welches nichts als die Worte enthielt: „Der Prager Convent hat das Urtheil zur Kenntniß genommen und wird eS suchen, nach Möglichkeit auSzufllhren." Hierauf erfolgte die Ver haftung Rzehak's, welcher der „Präsident des Prager Convents" gewesen sein soll, gleichzeitig wurde Miloö Czervenka festge nommen, von dem man vermuthete, daß die Rolle des „Atten täters" ihm zugetheilt gewesen sei. Zuletzt wurde in Karo linenthal Joseph Milfait verhaftet, in welchem man den Schreiber der anonymen Briefe vermuthet. Der junge Mensch hat lange bei Rzehak's Aeltern gewohnt, mit dessen hübschem Schwesterchen ein LiebeSverhältniß unterhalten, waö deren Aeltern nicht länger dulden wollten; er mußte schließ lich, da er das Unterstandsgeld in der Regel schuldig geblieben, auSquartieren und da ließ er sich zu der Drohung hinreißen, „wenn ich von Euch fort muß, ist's um Rzehak geschehen!" Er dürfte die Briefe an den Ministerpräsidenten und den Polizeidirector aus Rache geschrieben haben. DaS auSge- fertigte Urtheil sollte dazu bestimmt gewesen sein, bei der Leiche des Statthalters zurückgelassen zu werden. Wie man sieht, gefielen sich die wahnwitzigen Buben darin, vollständig polnische „Hängegendarmen" zu spielen und an sich selbst Befehle eines „europäischen RevolutionScomit^S" zu richten das doch nur in ihrer Phantasie existirte. Paris. Schon am Dienstage war bekannt, daß die Zeichnungen auf die französische neue Anleihe 28 Milliarden betragen. Man konnte wohl erwarten, daß die Zeichnungen in Summa 30 Milliarden betragen würden, denn auch in Deutschland waren, wider Erwarten, die Zeichnungen ziemlich stark; so zeichnete ein einziges Berliner Haus 500 Millionen. Dienstag Nachmittag aber kündigte bereits der Finanzminister in der Nationalversammlung an, daß das Resultat 41*/» Milliarde betrage. St. Petersburg. Die officiellen Meldungen vom 16. bis 23. Juli berichten über den Gang der Cholera in Ruß land, daß außer den beiden Hauptstädten des Reiches auch die Gebiete von Bessarabien, sowie die Gouvernements Char kow, Chersson, JekalerinoSlaw, Orel, Poltawa, Podolien, Tau- rien und Volhhnien ergriffen sind. In St. Petersburg er krankten am 16. ds. MtS. 83, genasen 28, starben 33 Per sonen. In Moskau ist die Krankheit stark im Abnehmen. Vermischtes. Der Pariser „Figaro" erzählt in seiner vorletzten Nummer seinen Lesern folgende Geschichte, die einen neuen werthvollen Beleg für die Gründlichkeit französischer Quellenstudien liefert: „Es ist eine wenig gekannte Thatsache, daß die hohe Stellung des Herrn v. Bismarck ihren Ursprung einem — Knopfe verdankt. Vor etwa zwanzig Jahren war „meiillikr äor 6ruk Lekrverlc, von Lis- wureic" einfacher Offizier in der preußischen Armee. Eines Tages begab er sich nach Mainz zu einer „purtik fing." Der künftige Lenker der europäischen Geschicke spazierte mit einer reizenden Dame am Arme, als er plötzlich von einem ihm begegnenden Obrist an gehalten wurde, welcher ihm bemerkte, daß sein Anzng nicht in Ordnung sei. Herr von Bismarck, an Disciplin gewöhnt, ließ den Blick über Rock und Beinkleid streifen und entdeckte Nichts. Der Obrist aber zeigte ihm einen Knopf am Rocke, welcher nicht zuge knöpft war, und ging weiter, während die Menge, angelockt durch diese Scene, sich auf Kosten des galanten Kavaliers, der auf einem Vergehen ertappt wurde, lustig machte. — Aber Herr von Bismarck ist rachsüchtig. Als er den Grad eines Hauptmanus erreicht hatte, forderte er den Obrist zum Duell heraus und tödtete ihn. Die Geschichte erregte Aufsehen und Herr von Bismarck wurde seitdem in der Armee unter dem Namen „der Mann mit dem Knops" be kannt. Einige Monate daraus hielt der König von Preußen eine Revüe ab. Einer der Generale, welche ihn begleiteten, fing an zu lachen, als er bei Herrn von Bismarck vorbeiging. „Warum lachen Sie?" fragte der König. „Majestät," antwortete der General, „ich lache über den Mann mit dem Knopfe." „Wer ist der Mann mit dem Knopfe?" Der General erzählte das Abenteuer und der König amüssirte sich darüber. Aber eine Stunde später ließ er den „Mann mit dem Knopf" rufen und — das Uebrige gehört der Geschichte an. — Also der „Figaro," das Evangelium der Pariser. Ob derselbe einfach den Namen Bismarcks in eine alte Schnurre gesteckt oder diese biographische Episode aus derselben Quelle, wie er vor zwei Jahren seine Kriegsberichte, geschöpft hat, — „wer weiß es? Das aber steht fest: Man muß Franzose sein, um solchen Unsinn zu begreifen.