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— 166 — Schoffke und Stober von hier bei der Katastrophe ihren Tod fanden ; einem dritten, dem Arbeiter Wieder, ist eS noch rechtzeitig gelungen, der drohenden Todesgefahr zu ent rinnen und hat derselbe nur ganz leichte Verletzungen davon getragen. Leipzig. Aus der Vernehmung in der Schwurgerichts verhandlung gegen die Herren Liebknecht, Bebel und Hepner entnehmen wir über die persönlichen Verhältnisse der Angeklagten Folgendes: Liebknecht ist 1826 im Groß- herzozth. Hessen in Gießen geboren, verheirathet, hat 4 Kinder, ist Schriftsteller und Lehrer, hat die Universitäten Gießen, Berlin und Marburg besucht; sein Studium war Philologie. Bebel ist 1840 zu Cöln a. Rh. geboren; der Vater war preußischer Unteroffizier; er hat als Armenschüler die Volks schule zu Wetzlar besucht, ist dann als Drechsler in die Fremde und 1860 nach Leipzig gegangen; er ist verheirathet und Vater eines Kindes. Hepner ist 1846 zu Schmirgel geboren, hat die Gymnasien zu Posen und Breslau besucht und in Berlin studirt. 1869 wurde er von Liebknecht als Mitredacteur des „Volkstaates" engagirt. Berlin. Man kann wohl sagen, aus allen, allen Theilen des deutschen Reiches nicht nur, sondern auch aus Oesterreich, der Schweiz, aus England rc. sind dem Fürsten-Reichs kanzler v. Bismarck überaus zahlreiche Telegramme, Zustimmungs- und Dankes-Adressen zugesendet worden für sein energisches Wirken im Herrenhause um Deutschlands geistige Freiheit, für seine aufgewendete Geistes kraft und Ausdauer im Kampfe gegen die inneren und äußeren Feinde unseres Vaterlandes. Klärchen. Novelle von August Schrader. (Fortsetzung.) Wie ärmlich sah es in der Wohnung des Arbeiters aus, die einsam zwischen dem Hügel und dem Forste lag, als ob sie sich vor der Welt verbergen müsse. Die aus Lehm erbauten Wände hatten große Risse, und Fenster und Thüren hingen schlaff herab wie die lahmen Flügel eines Vogels. Das Geräth in dem Stübchen, wenn man den traurigen Raum so nennen wollte, bestand aus zwei Bänken und einem Tische, Möbel, die der Arbeiter selbst gefertigt hatte, wie das ganze Haus. Der Fußboden, der aus hart geschlagenem Thone bestand, zeigte hier und dort arge Ver tiefungen. An den Wänden hingen die Lumpen der Kinder, sorgfältig von der Mutter aufbewahrt. Zerbrochene Tassen, Thongefäße und Messer und blecherne Löffel bedeckten den Tisch. Franz wunderte sich über diese Zustände nicht, da er sie schon kannte; er warf daS Felleisen ab und nahm einen der beiden Knaben auf den Schooß, mit dem er in seiner Weise zu kosen begann. Die Frau trug den Säugling in die Kammer. „Es hat sechs geschlagenI" rief sie, als sie zurückkam. „Veit muß bald kommen." Die Beiden gingen in das Freie. Während die Frau ihre Arbeit vollendete, rauchte Franz seine Pfeife. Nach kaum einer halben Stunde erschien Veit. Der Arbeiter, ein Mann von vierzig Jahren, war er staunt, den Knappen zu sehen, mit dem er in der Dorfschenke Freundschaft geschlossen hatte. Die Verständigung, bei der die Frau mithalf, war bald geschehen und Veit machte den Vorschlag, daß Franz einige Tage bei ihm feiern sollte. Der Knappe willigte unter der Bedingung ein, daß er seinen Wirthsleuten eine Entschädigung zahle. „Angenommen!" rief Veit. „Viel verlangen wir nicht; das Wenige, was Du zahlst, hilft wirthschaften. Uns ist damit geholfen. Frau, besorge ein Abendessen." Nach dem Mahle saßen die beiden Männer im Garten auf der Bank. Veit hatte ein eben so hageres Gesicht als Franz; aber er war kleiner und seine kugelrunden Augen blitzten listig wie die eines Luchses. Seine Haut, die nur Knochen zu bedecken schien, war gelb und runzlicht. Lippen und Nase waren aufgeworfen wie die eines Negers. Außer dem Hemde und einer Leinenhose trug er keine Kleider. Die Frau kam und berichtete, daß die Lagerstatt für den Gast auf dem Boden hergerichtet sei. „Kannst zu Bett gehen, Trude!" sagte der Gatte. Und das Weib ging. Die Bank, auf der die Männer saßen, stand am Zaune, entfernt von dem Hause. Eckhardt schilderte die Behandlung, die er im Hause des Müllers hatte erleiden müssen. „Und daran," schloß er, „ist nur der Umstand schuld, daß ich mit Klärchen ein Verhältniß hatte." „Der hochfahrende Müller!" murmelte Beit. „Wenn eS ihm nach gegangen wäre, säße ich jetzt im Zuchthause." „Wie ist das möglich?" fragte Franz erstaunt. „Da unten am Walde ist ein Ackerstück, das dem Müller gehört: vor drei Jahren hatte er Kartoffeln darauf bestellt . . . Plötzlich kommt ein Gensdarm zu uns und hält Haus suchung. Er findet Kartoffeln, die ich in meinem Garten gebaut hatte. Ich mußte mit fort vor das Gericht, wo der Amtmann mir vorhält, daß ich die Kartoffeln von dem Felde des Müllers gestohlen hätte. Der Müller war selbst da und behauptete, meine Kartoffeln wären dieselbe Sorte, die er bauete. Auch wollte er mich Abends spät auf seinem Acker gesehen haben. Da mußte ich drei Nächte unter Schloß und Riegel sitzen, während meine Familie darbte. Ich be schwor, daß ich die Kartoffeln selbst erbaut hatte, und da der Müller keinen Zeugen bringen konnte, ließ man mich frei. Hätte ich ihm an den Kragen kommen können, ich würde ihn längst gepackt haben. So etwas vergißt man nicht." Veit zitterte vor Zorn. „Laß gut sein, Freund," zischte der Mühlknappe, „es ist noch nicht alle Tage Abend und ich bin noch nicht fort aus dieser Gegend ... wir spielen dem Müller einen Streich, daß er Zeit seines Lebens daran denken soll. Morgen sprechen wir mehr. Sieh', ich habe Geld in meinem Beutel; wir können schon eine Zeit lang leben." Er hielt den gefüllten Beutel in der Hand. „Meister Göpel," fügte er ingrimmig hinzu, „soll nicht glauben, daß ihm Alles ungestraft hingeht." „Ja, ich könnte ihm das Haus über dem Kopfe anstccken!" wisperte Beit, der die Elbogen auf die Kniee und das spitze Kinn auf die hohlen Hände gestützt halte. Das war Wasser auf die Mühle des Knappen. Grinsend betrachtete er den zweiten Feind des Müllers. „Veit!" flüsterte er nach einer Pause. „Nun?" fragte der Arbeiter. „Ich bleibe in Deinem Hause, ohne daß Jemand darum weiß." „Hier wird Dich Niemand erspähen, wenn Du nicht auskommst. Wer kümmert sich denn um arme Leute, die von saurem Tagelohn leben? Höchstens der Executor, der die Steuern eintreibt. Vorige Woche hat er mir meine beste Ziege genommen." „Was?" fuhr Eckhardt auf. „Nun habe ich für ein halbes Jahr Ruhe. Es kommt Niemand in meine Lehmhütte, Du wirst sicher sein." „Das fehlte auch noch!" „Ich habe das Leben satt," meinte Veit, der starr in den prachtvollen Abendhimmel blickte. „Von Morgens vier bis Abends sechs Uhr arbeite ich in der Ziegelei und kann doch kaum so viel verdienen, daß eS zur Bekleidung meiner