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— 115 Klärchen. Novelle von August Schrader. (Fortsetzung.) Wenn auch der Meister und die Meisterin die genannten Eigenschaften erkannt haben wollten, so hatte die Tochter schon auf den ersten Blick erkannt, daß der fremde Mühl knappe ein wirklich schöner Mann war, so schön, wie sie bisher noch keinen gesehen hatte. Darum bediente sie ihn auch fleißig und lud ihn zum Essen ein. Und wie manierlich war sein Benehmen; so viel der fremden Mühlknappen auch dagewesen, mit ihm ließ sich keiner vergleichen. Hätte er sich nicht für einen Müller ausgegeben, man würde ihn für einen jungen Kaufmann gehalten haben. Dem Meister wollte das handwerksmäßige „Du" nicht so recht über die Lippen, als er nach dem Namen des Zugewanderten fragte. „Ich heiße Friedrich Winter," war die Antwort, und habe vor einem Jahre meinen Militairdienst beendet; ich war Unterofficier in einem Husaren-Regimente." „Schon Unterofficier?" „Ja, Meister." „Du hättest fortdienen sollen." „Ich konnte dem Soldatenleben keinen Geschmack abge winnen, trotzdem man mich avanciren ließ. Als meine Zeit um war, nahm ich den Abschied und suchte das mir liebge wordene Handwerk wieder hervor, das, wie jedes andere, einen goldenen Boden hat." Göpel konnte kaum den Seufzer unterdrücken, der sich seiner Brust zu entringen drohte. „Ach ja, es ist wohl wahr!" rief er aus. „Die Be schäftigung, zu der man keine Lust hat, wird stets lästig." „Mein Vater besaß eine kleine Mühle, die ich einmal übernehmen sollte; darum verließ ich das Gymnasium und ward im sechzehnten Jahre noch Müller. Aber der arme Vater hatte kein Glück, sein Eigenthum ward ihm genommen und bald darauf starb er vor Gram. Ich arbeitete bei fremden Leuten, bis zu meiner Militärzeit. ... In dem Jahre, daß ich frei bin, ist es mir nicht geglückt, eine dauernde Stellung zu finden. . . . Glauben Sie nicht, Herr Meister, daß es an mir gelegen hat; ich fand überall so ungünstige Verhältnisse, daß ich freiwillig wieder zum Wanderstabe griff. Zank und Streit sind mir ebenso verhaßt als eine unwürdige Behandlung. Ein Knappe, der seine Pflicht thut ..." „Ganz recht," unterbrach ihn Göpel, „der muß gut behandelt werden, der seine Pflicht thut. So denke auch ich und bin dabei stets gut gefahren. Da habe ich jetzt einen Knappen, der zwar sein Handwerk versteht, aber er ist un zuverlässig und grob, wenn ich ihm irgend einen Verweis ertheile. Habe lange Nachsicht mit ihm gehabt, jetzt ist meine Geduld zu Ende. Ich verlange nichts Ungebührliches, aber ich halte auf Ordnung. Wenn ich nicht einmal mit Ruhe einen halben Tag nach der Stadt gehen kann, hole der Teufel die ganze Wirthschaft. Ich will eS mit Dir versuchen, will Dich vorläufig auf einen Monat annehmen; gefällst Du mir und gefällt es Dir bei uns, so können wir weiter reden. Abgemacht." Nach Tische legte der Knappe seine Papiere vor; sie bestätigten Alles was Friedrich Winter von sich gesagt hatte. Aus den Diensten, die er in den letzten Jahren gehabt, war er freiwillig geschieden und die Meister hatten ihm gute Atteste gegeben. Auch das „Führungs-Attest," das ihm sein Oberst ausgestellt, nannte ihn einen tüchtigen, zuverlässigen und ordnungsliebenden Soldaten. Da Bedenken nicht Vor lagen, wurde das Engagement abgeschlossen. Der Meister hörte nun die Klagen seiner Frau an, die diese über den alten Gesellen zu führen hatte. „Es ist nicht zum Auskommen mit ihm," meinte sie; „selbst gegen Klärchen benimmt er sich, daß ich es nicht sagen kann. Schicke den Menschen heute noch fort, e» ist da» Beste, was Du thun kannst." „Auch gegen unsere Tochter?" „Wie ich Dir sage, schicke ihn fort." Göpel setzte sich ein Biertelstündchen in den Lehnstuhl, der zwischen der Wand und dem Ofen stand, zog die be staubte Mütze in die Stirn und nickte ein wenig, wie er da» Schlummern nach Tische nannte. Al» die Stubenuhr zwei schlug, war er wieder munter. Rasch trat er zum Fenster und streckte den Kopf in die frische Lust. Da sah er im Hofe den Mühknappen, der auf einem an das Hau« gelehnten Sacke lag, die Arme gekreuzt hatte und zu schlafen schien. „Ah," dachte Göpel, „das trifft sich gut! Er soll mir den neuen Knappen nicht verderben." Zunächst ging er in die Mühle und befahl dem Friedrich Winter, daß er gleich den Dienst antrete. Der junge Mann hatte schon sein Arbeitszeug angelegt, das er aus dem Tornister genommen. „Bin schon dabei, Meister!" war die Antwort. Göpel ging in die Wohnstube zurück und rief auS dem Fenster: „Franz! Franz!" Der Mühlknappe sah träge empor. „Was giebt es denn?" „Komm sogleich zu mir! Auf der Stelle!" fügte er hinzu, als er sah, daß der Geselle sich nicht rührte. „Ich befehle es Dir!" „Kann schon geschehen!" Fünf Minuten später trat der Mühlknappe, ein hagerer knochiger Mensch von dreißig Jahren, ein. Aus seinem eckigen, mit kurzen schwarzen Haaren bewachsenen Schädel lugten ein paar kleine graue Augen wie aus der Tiefe empor. Sein Gesicht war zwar mit Mehlstaub bedeckt, aber die Blässe und die Falten desselben ließen sich doch erkennen. „Da bin ich, Meister!" sagte er trotzig. „Du hast Dich in meiner Abwesenheit wieder schön be nommen, hast die Meisterin mit Grobheiten tractirt, als sie Dir sagte, daß der Mühlrumpf leer sei und die Klingel schon lange läutete . . . Soll noch ein Unglück geschehen? Soll mein kleines Eigenthum in Flammen aufgehen? Und dazu bist Du noch grob, beleidigend grob? Da liegst Du wieder draußen und läßt Dir die Sonne auf den Kopf scheinen . . ." „Genug, Meister!" rief der Geselle mit rauher Stimme. „Auch das noch: soll ich etwa mit Dir nicht reden? Ich kann die Wirthschaft nicht mehr ertragen, ich will sie auch nicht mehr ertragen!" Der Knappe drückte seine Mütze zusammen, die er zwischen den gewaltigen Fäusten hielt. „Meister, ich bin kein Junge mehr!" rief er, seinen Grimm unterdrückend. „Darum fordere ich Ordnung und Pünktlichkeit von Dir. Einen Jungen kann ich auch in meiner Mühle nicht brauchen! Eben so wenig einen Knappen, der seinen Kopf für sich hat und die Arbeit vernachlässigt." Jetzt zuckten die Fäuste des Knappen. „Meister, das ist nicht wahr!" Auch Göpel gerieth in Zorn. „Mensch, willst Du mich mit Lügen strafen?" „Nein, aber ich muß mich Vertheidigen gegen boshafte Verläumdung! O," fügte er hinzu, die bebende Hand aus- streckend, „ich weiß schon, wer mich schlecht gemacht hat ... Es ist jedesmal so, wenn Sie aus dem Hause gewesen sind . . . die Meisterin und die Tochter können mich nicht leiden . . . Das ist die Sache!" „Franz," rief ernst der Alte, „von heute allein kann die Rede nicht sein; ich könnte Dir ein ganzes Register aufzählen ..." . „Ist unnütz, ganz unnütz! Sie haben einen Zugewan derten ausgenommen..." >