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— 102 — stehen, als ihre College« auf den preußischen Bahnen. — Ferner wurden auch die Anträge angenommen auf Einführung einer vierten Wagenclasse und auf Erwärmung der Wagen aller Classen, sowie die Anträge auf Erbauung von überdeckten Perrons bei allen Staatöbahnen und Beseitigung gefährlicher Schienenübergänge. — Die Einnahmen au« den Cbaussee- und Brückengeldern betragen 235.000 Thlr., aus der Landes lotterie 800,000 Thlr. Noch beschloß die Kammer, die Regierung zu ersuchen, bei Aufstellung des nächsten Budgets auf Wegfall der Chaussee- und Brückengelder Bedacht zu nehmen; Berlin. Unter den verbündeten Regierungen des Deutschen Reiches schweben gegenwärtig Verhandlungen über Herstellung einer „Reichs-Kassen-Anweisung." Die bezügliche Vorlage soll noch in der Frühjahrs-Session an den Reichstag und zwar gleichzeitig mit dem definitiven Münzgesetz gelangen. Nach Ausgabe der „Reichs-Kassen-An- Weisungen" werden dann sämmtliche Staats-Kassenscheine in allen zum Deutschen Reiche gehörenden Staaten eingezogen werden. — Zu den diesjährigen Einstellungen als Schiffs jungen bei der kaiserlichen Marine hatten sich so viele junge Leute gemeldet, daß nur ein Theil derselben berück sichtigt werden konnte, -- ein Beweis, daß auch im Binnen lande ein reges Interesse für das Wachsthum der deutschen Flotte existirt. — AuS München wird von der Absicht berichtet, eine gemeinsame Cocarde für das ganze deutsche Heer einzuführen. Baiern. Da König Ludwig II. nicht die mindeste Neigung zu Eheschließung verspüren soll, so verdienen die Nachrichten über das Befinden des Prinzen Otto, der als einziger Bruder des Königs die nächste Anwartschaft auf den Thron hat, jetzt besonders Interesse. Die Berichte über ein starkes Seelenleiden des Prinzen (s. Nr. 10 d. Bl.) lauten dahin, daß sich dasselbe in bedenklichster Weise ver schlimmere, so daß nach einer Erklärung des königlichen Leib arztes der Prinz noch höchstens 2 Monate seinen Leiden werde Widerstand leisten können. Frankreich. Von officieller Seite wird mitgetheilt, daß die französische Regierung der Ansicht sei: es werde sich aus Nützlichkeitsgründen empfehlen, formelle Verhandlungen wegen allenfallsiger früherer Räumung der occupirten Landestheile nicht eher anzuknüpfen, als bis die vierte halbe Milliarde ganz bezahlt sei. — Der neue deutsch-französische Postvertrag ist am 12. Februar unterzeichnet worden. Das gegenseitige Porto beträgt 40 Centimes. Italien. Der Zustand des Papstes ist fortdauernd sehr schlecht und er kann schon längere Zeit die Messe nicht mehr lesen. Die Jesuiten verdoppeln ihre Anstrengungen, ihn zur Abreise von Rom zu bewegen; dann glaubt man auch in jesuitischen Kreisen an den nahe bevorstehenden Tod des Kirchenfürsten und will die Neuwahl in Frankreich vornehmen. — Neuere Nachrichten melden, daß die italienische Regierung den Vorstellungen einiger Mächte nachaegeben habe und da rauf verzichte, die Ordenshäuser in Rom aufzuheben. Darauf hin soll auch der Papst sich endgültig für sein Ver bleiben in Nom ausgesprochen haben. Klärchen. Novelle von August Schrader. (Fortsetzung.) 3. In der Mühle. Meister Göpel saß gedankenvoll auf seinem Wagen, während der schlanke und glänzende Fuchs gemächlich dahin trabte. Wahrlich, der arme Mann hatte wohl Grund, den Kopf auf die Brust herabhängen zu lassen und über die Un vollkommenheit des menschlichen Lebens nachzudenken. Als er nach einer guten Stunde die Mühle erblickte, die mit ihrem rothen -Dache aus einem Birkenwäldchen anmuthig emporragte, stieß er einen tiefen Seufzer aus. „Ich wollte," murmelte er vor sich hin, „der Professor stäke nur einen Tag in meiner Haut; er würde die Sache mit ganz anderen Augen ansehen und mir Nachsicht schenken. Lieber Golt, ich verlange ja nichts Ungebührliches! Ob das Geld bei mir oder bei einem Andern steht, es bleibt sich im Grunde genommen doch gleich. Der Advocat muß Wohl Hetzen, es kann nicht anders sein. Ich wollte, der Rechts verdreher . . ." Er hieb mit der Peitsche auf den Fuchs, daß dieser im Galopp weiter sprengte. „Oh, oh!" murmelte der Müller, „das habe ich nicht gewollt! Gutes Thier, du sollst nicht darunter leiden!" Die Zügel anziehend, ließ er das Roß im Schritte gehen. Dann schüttelte er das Haupt und murmelte: „Mein Mehl hat die Dore genommen; sie wird nun auch für mich sprechen. Nein, ich will nicht alle Hoffnung aufgeben, will ruhig den Bries abwarten, den der Professor mir versprochen hat. Es wird ja wohl nicht lange dauern." Der Fuchs kannte die Heimath schon, er trabte wiehernd in den Hof der Mühle und stand vor dem Stalle still. Göpel übergab dem herbeieilenden Knechte Zügel und Peitsche, streichelte noch einmal den treuen Fuchs und ging üher den Hof. AuS dem Fenster des Wohnhauses sah ein junges Mädchen. „Vater! Vater!" rief es. „Klärchen!" rief der Müller, indem er stehen blieb. Er weidete sich an dem lieblichen Gesichtchen des kaum zwanzig Jahre alten Kinde«. „Du kommst heute spät heim! „Wie das so geht! „Gute Geschäfte gemacht? „Geht wohl an, mein Kind! „Ich will gleich das Mittagsessen auftragen." Der Kopf des Mädchens war verschwunden. Der Meister nahm die Mütze ab und trocknete sich die Stirn. „Hat nun eben keine große Eile!" murmelte er vor sich hin. Mir ist der Appetit vergangen." Er setzte sich auf die Steinbank, die neben der Thür des Hauses stand und sah zu, wie der Knecht das Pferd in den Stall führte. Hinter ihm rauschte das Wasser und klapperte die Mühle. Rechts zeigte sich ein hoher Zaun, der den Obst- und Gemüse-Garten von dem Hofe trennte. Links standen die Stallungen und die Scheune. Ueberall herrschte große Ordnung und Reinlichkeit, die Gebäude waren gut erhalten, und wer das stattliche Wohnhaus mit der Mühle sah, hätte keinen Augenblick an der behäbigen Wohl habenheit des Besitzers gezweifelt. Plötzlich bellte der Hof hund, der vor seiner Hütte an der Kette lag. Die Tauben, die sich Futter suchten, rauschten empor und ließen sich auf dem Dache der Scheune nieder. „Was ist denn daS?" dachte der Müller. Er sah auf und legte die flache Hand über die Stirn, da die Mittagssonne ihn blendete. Ein Wanderer war in das offene Thor getreten. „Was giebt es?" rief der Meister. Der Fremde kam näher. „Ich grüße das Handwerk, den Meister und die Gesellen!"