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— 86 — deutschen Reichs-, wie dem sächsischen Staatskörper eine gleich wohlverstandene Theilnahme zu widmen. Berlin. Fürst Bismarck hat in den letzten Tagen im preußischen Abgeordnetenhause eine bedeutungsvolle Rede gehalten gegen das ultramontane Treiben, welche von allen deutschen und auswärtigen Zeitungen beleuchet, be sprochen und belobt wird. Fürst Bismarck führte den ganz richtigen Satz auS: „Der Staat hat nichts mit Theologie zu thun, sondern seine Aufgabe besteht Allen gegenüber in der einfachen Wahrung des Rechtes. Möge Jeder glauben, waö er wolle; Jeder aber hat sich dem Gesetze zu fügen." Weiter führte er aus, daß dem CultuSminister die Aufgabe zufalle, auf gesetzlichem Wege einen Ausgleich zur Vermeidung aller Conflicte in Zukunft zu bewirken, dort besonders, wo die klerikale Gewalt so weit reiche, daß sie Rechte des Staates ausübe. Braunschweig. Im Monat April soll hier ein außer ordentlicher Landtag einberufen werden, welchem das Ministerium ganz besondere und, wie man betont, von keiner Seite erwartete Vorlagen zu machen gedenke. Klärchen. Novelle von August Schrader. (Fortsetzung.) Jetzt fiel sein Blick auf das Häubchen. Sein hageres Gesicht verklärte sich plötzlich. „Allerliebst, immer fein und nett!" Er nahm das Häubchen. „Es hat ihre Stirn bedeckt, ihr schönes volles Haar! Und mir zu Liebe hat sie eS immer getragen ... O, so etwas ist zu demonstrativ, als daß man es nicht bemerken sollte . . . Nein, Dore droht nur; sie kann es nicht im Ernste gemeint haben. Nachdem sie so lange mir treu gedient hat, soll sie mich verlassen . . ." Die Thür ward geöffnet und Dore, eine große Schüssel tragend, trat heraus. „Was ist denn das?" rief sie erstaunt. „Ah, ah!" lallte der Professor. „Meine Morgenhaube ..." „Ich will sie vor dem Verderben schützen!" „Wie unnütz, Herr Professor!" „Sparsamkeit ist in allen Dingen gut; dieses Kleidungs stück lag am Boden ..." Er legte es auf den Stuhl. Dore trug ihre Schüssel zu dem Tische. „Da lügt der gelehrte Herr!" dachte sie. „Ich weiß genau, waS ich vorhin gethan habe. Die Menschen sind doch aus Tug und Trug zusammengesetzt." Nun wandte sie sich zu ihrem verlegenen Herrn. „Es ist gut, Herr Professor, schon gut!" „Bedecke Dein Haupt wieder mit diesem Häubchen!" bat er süßlich. „Nein!" rief entschieden die Wirthschafterin. „Es steht Dir wunderhold, ich habe meine Freude daran!" „Nein, tausendmal nein!" Taube hatte das Toileltenstück wieder ergriffen. „Ich bitte Dich, Dore! Thue eS als Zeichen der Versöhnung!" „Wenv Sie mir Eins versprechen!" „Was denn? „Daß Sie den Müller nicht treten wollen!" Theobald Taube blickte zum Himmel empor. „Golt weiß, daß ich Dir gern Alles zu Liebe thue, Dore; aber fordere heute kein bindendes Versprechen von mir; ich kann es bei dem besten Willen nicht geben-" „Sie wollen es nicht geben?" „Ich kann, ich kann nicht! Gedulde Dich doch nur, ich werde Alles ausbieten, Deinen Wunsch zu erfüllen. Die geringfügige Sache ..." „Wie, den Untergang eines braven Mannes nennen Sie eine geringfügige Sache?" rief Dore entrüstet. „Nein, das hätte ich nicht für möglich gehalten! Da sicht man, daß Ihnen das Geld höher steht als Menschenglück!" Taube blieb ruhig. „Laß das, meine Liebe! Ich werde verantworten, waS ich thue und lasse. Sie schmollte. „Meinetwegen!" „Aber Dein Eifer bringt mich auf eine Vermuthung, der ich durch die Frage Ausdruck geben möchte: Wie kommt eS, daß Du Dich des Müllers, über den Du sonst kein Wort gesprochen, so warm annimmst? Sei einmal ganz aufrichtig, Dore, und gieb mir den Grund dieser Erscheinung an." „Ich habe keinen Grund!" antwortete sie kurz. „Ein Mensch, der grundlos handelt ..." „Ich fühle nur menschlich, und damit abgemacht! Ihre schönen Worte von Humanität und christlicher Nächstenliebe sind nur Redensarten, mit denen Sie den Leuten Sand in die Augen streuen. Sagen Sie mir von jetzt an was Sie wollen, ich glaube ihnen Nichts, gar Nichts mehr! Humanität, wie oft haben Sie mir das Wort erklärt ..." ' Dore nahm ein Gefäß und ging in den Hof, zu dem aus der Küche eine Thür führte. Der Gelehrte sah ihr verlegen lächelnd nach. „Sie hat doch einen nicht zu unterschätzenden Verstand," flüsterte er vor sich hin. „Ich werde sie beobachten, es ist der Mühe werth. Wie hübsch ist sie in ihrem Zorn . . . Wir werden ja sehen!" Er ging in den Garten und machte pathetisch die übliche Promenade. Dir Wirtschafterin hatte frisches Wasser geholt. Als sie zurück kam und die Küche leer sand, sagte sie halblaut: „Er schwankt schon, ich mache ihn noch mürbe! Der tolle, trockene Advocat trägt die Schuld daran, das lasse ich mir nicht nehmen. Sonst berieth der Professor mit mir; jetzt hat er diesen Krug als Rathgeber . . . Nur Geduld, ich beseitige ihn. Wenn ich nur erst wüßte, ob die liebe Nichte dahinter steckt, die seit einiger Zeit ..." Die Glocke an der HauSthür ward gezogen. „Das ist die Wittwe!" rief leise die Wirthschafterin. „Ich erkenne eS schon an dem Ziehen der Glocke. Sie mag warten! Als der Müller kam, glaubte ich schon ... das lästige Weib wird mir gefährlich!" Sie machte sich an dem Heerde zu schaffen. Eine halbe Minute später wiederholte sich das Klingeln. „Nun will ich doch gehen," dachte Dore; „es soll nicht scheinen, als ob ich gehässig verfahre!" Dore ging und öffnete die Thür. Eine verschleierte Dame trat ein. „Ist der Herr Professor in seinem Zimmer oder lust wandelt er schon im Gaten?" fragte sie, ohne zu grüßen. „Wie?" fragte Dore, die die Thür geschlossen hatte. „Wo ist der Herr Professor?" „Wo der Herr Professor ist?" „Ja, ja!" „Ich glaube, im Garten!" „Schon?" „Ja, Frau Hofräthin!" Die Dame, deren Gesicht ein weißer Schleier bedeckte, rauschte über die weite Hausflur und verschwand. „Wie prächtig sie gekleidet ist!" dachte Dore. „Wenn der Schleier ihr häßliches Gesicht bedeckt, glaubt man an eine Schönheit; und doch ist sie alt und häßlich wie die Nacht. Da hüpft sie hin, als ob sie ein junges Mädchen wäre . . . Grünes Kleid, weiße Mantille, weißer Hut, weißer Schleier... Es ist zum Lachen! Woher nun auf einmal