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Freitag. Nr. 10. 2. Februar 1872. Weißerih-Leitung. Amts-Matt für die Herichts-Aemter und Stadträthe zu Dippoldiswalde und Kraumstein. Vcrantwottlicher Redakteur: Carl Zehne in Dippoldiswalde. Dieses Blall erscheint wöchentlich zwei Mal: Dienstags und Freitags. Zn beziehen durch alle Post-Anstalten und die Agenturen. Preis vierteljährlich 10 Ngr. Inserate, welche bei der bedeutenden Auflage des Blattes eine sehr wirksame Verbreitung finden, werden mit 1 Ngr. für die Spalten-Zcile berechnet. Die Niederlage der „Unfehlbaren" in Baiern. Der 18. Juli 1870 ist für die katholische Kirche, trotz oder vielmehr wegen seiner Unfehlbarkeitserklärung, „unfehlbar" ein Unglückstag gewesen. Dieser Tag hat vieler Herzen Gedanken offenbar gemacht. Wo waren sie hin jene „Erklärungen" und „Protestationen" deutscher und anderer Bischöfe gegen die Verkündigung deö verabscheuungswürdigen Dogma's von der Jnfallibilität, als eS nun endlich zum Treffen kam? Keine Spur mehr zu finden! Alle krochen sie, trotz ihrer „energischen" Abmahnungen, zu Kreuze! Aber die Folgen blieben nicht aus. Das zeigt uns Baiern seit einem Jahre in bedenklichster Weise, und schon ist ein Act des großen Drama's, das in einem Jahrhunderte kaum zum Abschlüsse kommen dürfte, als beendet zu betrachten. Natürlich mußte nach Schluß des Concils die „Unfehl barkeit des PapsleS" als Dogma oder Glaubenssatz der katholischen Kirche den Gläubigen öffentlich bekannt gemacht werden. Dazu gehörte aber in Baiern die landesfürstliche Genehmigung, wie solches verfassungsmäßig festgestellt ist. Dieselbe eiuzuholen, ist Sache der Bischöfe. Diese aber achteten die verfassungsmäßige Bestimmung nicht, befahlen ihrem untergebenen Klerus die Verkündigung des Dogma's, und gaben dadurch den Anlaß zu einer Spaltung in der Gemeinde und zu einem Zerwürfniß mit der Regierung, das eben jetzt zu einer Entscheidung geführt hat, vie vor der Hand den Bestrebungen der römischen, ultramontanen, infal- libilistischen oder kurzweg und verständlich: „Jesuitenparlhei" ein energisches Halt! geboten Hal! Bekanntlich entstand sofort nach Verkündigung des be- regten Dogma's eine Spaltung in der katholischen Kirche. Diejenigen, die sich demselben nicht unterwerfen wollten und die sich als Altkatholiken bezeichneten, wurden excom- municirt, wie dies z. B. den Professoren Döllinger und Friedrich an der Münchener Universität und vielen Pfarrern, Religionslehrern u. s. w. ergangen ist. Was anfangs mit einer gewissen Schüchternheit geschah, das war bald allgemein im Schwünge: Verkündigungen von Excommunicationen bildeten fast einen stehenden Theil der gottesdienstlichen Er bauung. Ueberall sckürte man den Fanatismus, und wenn man es nicht bis zum Scheiterhaufen brachte, so hat es wahrlich am guten Willen nicht, sondern nur an der Macht gefehlt. Die klerikale Presse, das „Vaterland" voran, hat wenigstens manches Scheit zum Auto da f6 herbeigetragen. In katholischen Vereinen, altkatholischer und infallibilistischer Richtung, schärften sich die Gegensätze; immer mehr gute Namen schlossen sich den Gegnern des Dogma's an; Vorträge, an denen sich unter Anderen auch der exconiniunicirte fran zösische Pater Hyacinth betheiligte, wurden vor massenhaften Versammlungen, auch vor Frauen, gehalten, excommunicirte Geistliche versahen in altkatholischen Gemeinden den Gottes dienst, spendeten die Sakramente, assistirten bei Beerdigungen u. s. w. Ja, es widerfuhr sogar den Erzbischöfen von Augs burg und von München-Freising, daß sich einige von ihnen excommunicirte Pfarrer ihnen offen widersetzten, die Excom- munication für widerrechtlich erklärten und den Schutz der weltlichen Obrigkeit anriefen. Das waren vor Allen der Pfarrer Renftle in Mering, Hosemann in Tuttlingen und Bernard in Kaisersfelden. Nun kam der Bischof von Augsburg mit einem Gesuche an die Regierung ein: der Strafausführung gegen Renftle in Mering den weltlichen Arm zu leihen; er wurde aber abgewiesen, da zur Gewährung der Hilfe der Regierung zunächst Gehorsam gegen die Verfassung gefordert werden müßte. Mußte diese Antwort den Erzbischof von München- Freising mit Recht bedenklich machen, seinerseits in Bezug auf Hosemann und Bernard ein gleiches Verlangen an die Regierung zu stellen, so ging derselbe gleich einen Schritt weiter und wendete sich nun an das CultuSministerium, wo aber, wie vorauszusehen war, ein ganz ähnlicher Bescheid erfolgte. Nun blieb also den Herren Bischöfen nur die Beschwerde führung bei den Kammern übrig, — und über diese ist nun vom 23.—27. Januar in der bairischen Abgeordneten kammer in stürmischen Sitzungen berathen und schließlich ab gestimmt worden. Die Beschwerden sind mit 76 gegen 76 Stimmen als unstatthaft zurückgewiesen worden! Nach der Geschäftsordnung des bairischen Landtags hat nämlich bei Stimmengleichheit der Präsident nicht mehr den Slichentscheid, sondern der Antrag gilt für abgelehnt und darf erst in der nächsten Kammersession (also über'S Jahr oder später) wieder eingebracht werden. Dieses bedeutsame Ereigniß verdankt man übrigens der Aufopferung des erst kürzlich in die Kammer eingetretenen Abgeordneten Julius Müller, Staatsanwalt zu Frankenthal, welchem vor 2 Wochen der Unfall begegnete, den Fuß zu brechen, der sich aber zur Abgabe seiner Stimme, für Zurück weisung der Beschwerden, sammt seinem Gypsoerbande in die Kammer tragen ließ. In diesen Sitzungen haben die Herren von der infal- libilistischen Partei einmal reinen Wein eingeschenkt erhalten; offen ist es ausgesprochen worden, selbst vom Minister Lutz, daß „Unterwerfung" unter das Dogma der richtige Ausdruck für die Annahme desselben, und daß diese Unterwerfung bei sehr Vielen eben nur eine rein äußerliche sei, daß mit andern Worten von Vielen nur geheuchelt werde, um ihrer Pfründen nicht verlustig zu gehen! Daß durch diese Entscheidung noch keine Nnhe herbei geführt worden, daß der Kampf im Gegentheil immer beißer