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Dienstag. Nt 3. 9. Januar 1872. Weißenh-Kettung. Amts-Matt für die Kerichts-Aemter und Stadträthe zu Dippotdiswalde und Krauenstein. Verantwortlicher Nedacteur: Carl Zehne in Dippoldiswalde. Dieses Blalt erscheint wöchentlich zwei Mal: Dienstags nnd Freitags. Zu beziehen durch alle Post-Anstalten und die Agenturen. Preis vierteljährlich 10 Ngr. Inserate, welche bei der bedeutenden Anflage des Blattes eine sehr wirksame Verbreitung finden, werden mit l Ngr. für die Spalten-Zeile berechnet. Tagesgeschichte. Dippoldiswalde. Nachdem die mit der europäischen Gradmessung verbundenen Höh en bestimm ungen im König reich Sachsen beendet sind, so dürfte es vielleicht nicht uninter essant sein, einige Höhenbestimmungen unserer Gegend hier mitzutheilen: Fußboden unter der Höhenmarke am königl. GerichtS- amtSgebäude in Dippoldiswalde: 355,783 Meter über dem Spiegel der Ostsee; Sohle der Weißeritz, gegenüber der Lohmühle: 349,993 Meter; Sohle der Weißeritz, an der Brücke in Ulberndorf, beim Chausseehause: 358,42? Meter; Sohle der Weißeritz an der Brücke nach dem Walzwerke in Obercarsdorf: 377,io; Meter; Sohle der Weißeritz an der Brücke beim Gasthofe in Obercarsdorf: 387,136 Meter; Sohle der Weißeritz an der Brücke unterhalb deö Gast hauses zum Forsthause in Schmiedeberg: 409,954 Meter; Sohle der rothen Weißeritz an der Brücke oberhalb des Eisenhüttenwerks zu Schiniedeberg: 472,878 Meter; Sohle der rothen Weißeritz an der Brücke oberhalb KipSdorf: 526,039 Meter; Sohle der Weißeritz an der Brücke nach der Oberforst meisterei nach Bärenfels: 561,961 Meter; Chausseehanö Bärenfels: 607,037 Meter; Fußboden unter der Höhenmarke am Schlosse in Frauen stein: 660,349 Meter; Fußboden unter der Höhenmarke am Rathhause in Altenberg: 748,578 Meter; Höchste Stelle der Straße zwischen Altenberg und Dippoldiswalde: 775,207 Meter; Fußboden an der astronomischen Station auf dem Kah lenberge: 894,878 Meter. Dippoldiswalde, den 8. Januar. Es giebt alte Volks- gewohnheiten, von denen man sich nicht trennen mag, da man sie von Jugend auf gern geübt und sich auf ihre Wiederkehr im Laufe des Jahres schon längst gefreut hat. Wie uns etwas fehlt, wenn zu einem frohen Feste der erwartete Freund ausbleibt, so geht'S uns auch mit manch' alter Sitte, die sich zu gewissen Zeiten des Jahres das Haus- und Gastrecht seit Jahrhunderten längst erobert hat. Was wäre Weihnachten ohne seinen Christstollen und Pfefferkuchen? Was wäre der Herbst ohne die gutgebratene braune MartinSgans; was der Winter ohne seine Karpfenschmäuße; Ostern ohne seine bunten Eier; der Sylvester ohne seinen Heringsalat; Fastnächten ohne seine Pfannkuchen und Bratwürste? Freilich ist nicht stets jeder Hausetat im Stande, sein Budget mit der An schaffung dieser, durch die Zeitsitte geheiligten Genüsse zu belasten; aber dann fehlt'« auch an dem rechten Festgenusse, und wehmüthig blickt der Dürftige auf die Zeit zurück, wo er ihrer nicht zu entbehren brauchte; unzufrieden ist der Händler, wenn die gewiß erwartete Abnahme nicht seinen Erwartungen entspricht. Daß aber nun der Fleischer keine Bratwürste,derBäckerkeine Christstollen,ReformationSbrodchen, Pfann- und Pfefferkuchen mehr offeriren sollte, würde seinem eigenen Interesse zuwiderlaufen; jedes Jahr hofft er auf den neuen Durchbruch der alten Gewohnheit! Damit scheint es indeß in der guten Stadt Dippoldiswalde, im Jahre des Heils 1872, vorüber zu sein! Dieses hat uns einen, die BolkSsitte auf das Empfindlichste berührenden Bäckerstrike in bester Form gebracht. „Wo bleibt," fragt man allerwärts, „wo bleibt der, trotz seines Alters immer noch „ein Junge" gebliebene Brezelträger?" Unruhe in allen Kinderstuben, allen Theekränzchen, auf allen Bierbänken, wo die Kümmel brezel fehlt! Sollen wir zurückstehen gegen unsere Nachbar dörfer, wo die Fastenbrezel bereits ihre Saison begonnen hat? Sollte es, wie in HungerSzeiten zu Brodkrawallen, bei uns zu einem Brezelkrawall kommen? Ist es eine Fügung des Schicksals gewesen, daß wir am 16. März 1871 eigenhändig die verkohlten Reste der letzten Brezeln aus der Brandstätte hervorgeholt haben, um sie als ein Denkmal entschwundener Zeiten in unserm Hausmuseum zu bewahren? — Nein, nein, und abermals nein! Ihr Bäcker, rafft euch empor! Knetet, wickelt, kocht, backt, daß es eine Art hat, — der Bedarf ist groß, und — wenn sie auch gerade nicht sehr groß gerathen werden, so gebt lieber ein paar zu; aber Brezeln müssen wir haben! vixi. —Außer mehreren anderen Vergehen und Verbrechen katholischer Geistlicher, die in letzter Zeit an's Tages licht gekommen, wird jetzt von einem scheußlichen Verbrechen gegen die Sittlichkeit berichtet, das im Kloster der Karmeliter in Linz an einem jungen Mädchen durch einen Pfaffen ver übt worden ist. DaS Mädchen ist wahnsinnig geworden und in eine Irrenanstalt gebracht. Solche Fälle, bei welchen Bigotterie mit Wollust und Verbrechen verbunden ist, kommen sehr häufig vor, aber die „Diener des Herrn" wissen die Schändlichkeit ihrer heimlichen Sünden nur zu gut zu ver tuschen, und die Strafrichter, vielleicht selbst Frömmlinge und Knechte der „Diener des Herrn," haben häufig gar keine Lust zur Einleitung gerichtlicher Untersuchung. Die katholische Bevölkerung ist auch zu tolerant gegen jeden pfäffischen Un fug; von Haus und Schule aus durch die Pfaffenerziehung selbst demoralistrt und in Furcht gehalten, hat sie selten den Muth, die pfäffische Gemeinheit und Niederträchtigkeit offen der Welt zu zeigen; die guten Katholiken meinen, ihr Glaube und ihre Religion leide, wenn die Blößen und Verbrechen