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Freitag. Nr. 78. 6. October 1871- Erscheint Dienstagsund Freitags. Zu beziehen durch alle Postanstalten. Weißerih-Ieitnng. Preis pro Quartal 10 Ngr. Inserate die Spalten-Zeile 8Pfg. Amts- und Anzeige-Matt der Königlichen Gerichts-Aemter und Stadtrüthe zu Dippoldiswalde und /rauensteiu. Vmintwortlicher Mncteur: Carl Zehne in Dippoldiswalde. Monats-Bericht. Zu Anfang des Monats September waren es die Kaiserzusammenknnft in Salzburg und die Verhand lungen der Reichskanzler von Deutschland und Oester reich in Gastein, welche die öffentliche Meinung und die Presse fast ausschließlich in Anspruch nahmen. Von allen Seiten verlautet, daß der Zweck dieser Zusammen kunft ein durchaus friedlicher war und der Erhaltung des Friedens galt. Das unruhige Frankreich ist, wie man annehmen kann, nunmehr diplomatisch isolirt. Demnächst war die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Verfassungswirren in Oesterreich gerichtet. Die Reihe glänzender Siege der deutschen Waffen in Frankreich und die Consolidirung des deutschen Reichs haben ihre Wirkung auf die Gemüther unserer Lands leute in Oesterreich nicht verfehlt und das nationale Selbstbewußtsein in einer Weise erregt, wovon mau noch vor Jahresfrist in Oesterreich keine Ahnung hatte. Der unglückliche Versuch deö Ministeriums Hohenwart, die Wünsche der Czechen zu befriedigen, ist von den Deutschen als eine Bedrohung ihrer Nationalität auf gefaßt worden; die deutschen Abgeordneten des böhm. Landtags sind in Masse ausgetreten, und „die Wacht am Rhein" ist auch jenseits unsres Erzgebirges das nationale Kampflied geworden. Allerhand Gerüchte vom Rücktritte des Ministeriums, ja sogar des Kaisers 'selbst, durchschwirren die Luft, und wenn sich auch nichts davon bewahrheitet hat, so sind es doch Symp tome der Nathlosigkeit über Das, was nun zu geschehen hat. Am Ende des Monats war eine Pause in dem Kampfe der streitenden Theile eingetreten, aber es wäre Täuschung, anzunehmen, daß eine allmälige Beruhigung der Gemüther eintreten werde; vielmehr scheint es uns, als ob beide Theile nur Alhem schöpften, um zu neuem Kampfe vorzugehen. Welches wird vaö Ende dieser Verwirrung sein? In rascher Folge hatten im letzten Jahrzehndt die Ministerien Oesterreichs gewechselt, die verschiedensten Systeme sind probirt nud alle denkbaren Versuche gemacht worden, den Parlamentarismus den verschiedenartigen Volksstämmen des österreichischen Kaiserstaates mundrecht zu gestalten. Fast scheint es, als wäre dies unmöglich und die Rückkehr zum abso luten Regiments der einzige Ausweg; allein auch dieser Weg ist durch den Ausgleich mit Ungarn abgeschnitten. Mit Spannung muß man deshalb der weiteren Ent wickelung der Dinge entgegensehen. Aus den übrigen Ländern Europa'« ist nichts NenuenSwerthes zu berichten. Im deutschen Reiche waren es die katholische und die sociale Frage, welche der Presse und öffentlichen Discussion vielfaches Material lieferten. Der zu Ende des Monats in München abgehaltene Congreß der Altkatholiken hat sehr weitgreisende Beschlüsse gefaßt, welche in der Hauptsache auf eine selbstständige Betheiligung der Gemeinden am kirchlichen Leben und auf eine Annähe rung an die übrigen christlichen Confessionen hinaus laufen. Noch fehlt es der ganzen Bewegung an einer durchgreifenden Persönlichkeit, wie es Luther im 16. Jahrhundert war; inzwischen zweifeln wir nicht, daß bei den außerordentlichen Sympathien, welche die Sache deö liberalen KatholiciSmus in allen Volkskreisen findet, aus dem deutschen Volke eine Persönlichkeit herauS- wachsen werde, welche die Reformbewegung zu eiiiem guten Abschlüsse führt. Die in neuerer Zeit besonders lebhaft hervorge tretene sociale Frage halten wir in allseitig befriedi gender Weise auf wirthschaftlichem Gebiete für unlös bar. Eine Gleichmacherei der Menschen ist nun ein mal nach den einfachsten Naturgesetzen unmöglich. Wie die Thiere, so sind auch die Menschen nach ihrer geistigen und Körperkraft von der Natur höchst ver schieden angelegt; kein Mensch gleicht völlig dem anderen. Wenn man daher heute die Güter dieser Erde zu völlig gleichen Theilen unter die Menschen vertheilen wollte, so würde bereits in den nächsten 24 Stunden die aller größte Verschiedenheit in dem Besitze wieder vorhanden sein. Der Eine würde seinen Antheil rasch vergeuden, der Andere zusammenhalten und hinzuzuerwerben suchen. Kluge und Dumme, Starke und Schwache, Gesunde und Kranke, Arme und Reiche hat es gegeben, so lange es Menschen giebt. Die sociale Frage ist darum nicht neu; sie war im Sclaventhume der alten Welt und in dem mittelalterlichen Staatswesen vorhanden; die Bauernkriege in der Reformationszeit hatten in der Hauptsache socialistische Gründe, und von Zeit zu Zeit haben Aufstände und Unruhen in den großen Sammel plätzen der Menschen an die Existenz der socialen Frage erinnert. Aber wenn auch in dem Kampfe um's Da sein das Naturgesetz seinen beständigen Fortgang hat, so lebt doch noch ein höheres Princip, das Gesetz der Liebe in der Menschheit, und die Religion der Liebe, wie man das Christenthum oft genannt hat, enthält die beste und vernünftigste Lösung der socialen Frage. „Gerechtigkeit, Glaube und Liebe retten die Gesellschaft, sie müssen sich mit den materiellen Verhältnissen der Arbeiter verweben und in diesen verwirklichen. An der Lösung dieser Frage hat sich die ganze menschliche Ge sellschaft zu betheiligen. Wenn das Sprüchwort sagt: Die Völker haben Regierungen, wie sie 's verdienen,