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— 481 — Therese wurde blaß nur bei dem Gedanken, lachte dann aber hell aus. „Wie Sie mich mit Ihrem Scherz erschreckt haben, gnädige Gräfin!" „Kein Scherz! ein Glück für meinen klei nen Bernhard, solchen muiu»..>: Gespielen zu haben, und Sie haben ja doch hier so viel zu thnn, daß Sie ihn nicht recht beaufsichtigen können." Meinen Sie, weil er die Schelle trägt? O, Frau Gräfin, ich denke jede Minute des Tages an das Kind, es ist mein höchstes Glück, und mich von ihm zu trennen, würde mir gradezu den Tod bringen!" „Dann kann natürlich auch nicht die Rede davon sein. Aber finden Sie nicht, daß die Kinder sich ähn lich sehen: dieselben blauen Augen, dieselben blonden Löckchen, dasselbe Stutznäschen, nur ist der Ihrige stärker/ Und schöner! dachte Therese; und das war er auch, ihr kleiner Sohn überstrahlte das blasse Gesicht der Gräfin. Therese frug nun die Gräfin, ob sie keine Er frischung zu nehmen befehle. Mit der Sorglosigkeit, die ihr eigen war, sagte die bleiche Frau, indem sie ihr Gesicht mit halbgeschlos senen Augen auf die Hand stützte, und, schon ermüdet, das Kind zu halten, eS seiner Wärterin zurückgab: „Was haben Sie denn, das Sie mir geben können; lassen Sie hören!" Therese wurde dunkelroth, hielt aber an sich und sagte: „Befehlen Sie nur!" „Haben Sie vielleicht Himbeersaft?" „Jawohl, soll ich Ihnen ein Glas frisches Wasser dazu bringen?" „Oder was noch besser wäre, aber das haben Sie wohl nicht —" „Wenn Sie mir es sagen?" „Schwarzen Thee? Haben Sie schwarzen Thee, aber nur keinen grünen, denn davon bekäme ich ein Nervenfieber." „Meine Verwandten haben mir aus Berlin noch kürzlich sehr guten Thee geschickt." „So bitte ich um eine Tasse." Therese ging nun hinaus, um gleich darauf mit einer Serviette wiederzukommen, die sie auf den runden Tisch vor die Gräfin ausbreitete, um dann auf einem der Stühle, den sie zunächst dem Kanapee rückte, Platz zu nehmen, um sich bescheiden mit einer weiblichen Arbeit zu beschäftigen, während die Gräfin, in Gedanken versunken, dem Spielen der Kinder zusah, die unter der Aufsicht der Wärterin in einer Ecke des Zimmers mit einigen Holzklötzchen spielten und zuweilen hell auflachten. — Die Gräfin Agnes war durchaus keine hochmüthige und stolze Frau und hielt sich selbst äußerst bescheiden und anspruchlos; aber sie war daS einzige Kind eines reichen Ehepaares, der letzte Sproß eines alten gräflichen Hauses, dessen Güter auch alle ihrem Manne einst zu fallen sollten, und verwöhnt und verzogen in einer Weise, daß sie im Stande war, ihre Umgebung geradezu zu mißhandeln, ohne auch nur die leiseste Ahnung davon zu haben. Von Kindheit an kränklich, hatte sie nie einen Tadel vernommen, und auch noch jetzt, wenn ihre Mutter sie besuchte, behandelte diese sie wie ein krankes Kind. Man hatte bei der Gräfin systematisch den krassesten Egoismus ausgebildet, der aber eigentlich nicht in ihrem Charakter wurzelte, denn sobald Jemand sie aufmerksam gemacht haben würde, daß es Opfer seien, was sie täglich und stündlich von den Anderen verlangte, so würde sie erschrocken darauf verzichtet haben ; aber weil von jeher ihre ganze Umgebung, — sie Halle nur das Schloß ihres Vaters verlassen, um das Schloß ihres Gemahls zu beziehen — sie für die Person gehalten und als solche behandelt, hatte sie, sich selbst unbewußt, sich angewöhnl, eine solche Behandlung, als sich von selbst verstehend, zu verlangen. Seidem sie Mutter war, war umgekehrt bei den anderen Frauen die Sache noch viel schlimmer geworden, denn für ihr Kind, den« sie die zärtlichste Mutter war, verlangte sie naiv von Jedermann auch daS größte Opfer, weil sie selbst sich bereit fühlte, es zu bringen, ohne doch je in dem Falle zu sein, eS zu thun; denn um ihrer wirklich sehr schwachen Gesund heit willen wurde jede mütterliche Beschwerde von ihr fern gehalten. Das Kind durfte nicht bei ihr schlafen, sie durfte es nicht nähren, nicht einmal auf dem Arme tragen, nur seine Gesellschaft war ihr in den Tages stunden vergönnt, und dieses einzige Glück ließ sie sich um keine einzige Minute verkürzen. Sie ahnte jetzt nicht, daß es unhöflich von ihr war, neben Therese zu sitzen, und in Gedanken versunken, keine Silbe mit ihr zu sprechen. Nach einer kleinen Weile brachte TheresenS Dienst mädchen den Thee und was dazu gehörte; die Gräfin sprach noch immer nicht, sondern beobachtete mit neu gieriger Verwunderung TheresenS Geschicklichkeit bei der Zubereitung des Thees. Endlich sagte sie: „Wie gut Sie das verstehen!" Therese errökhete wieder, aber sie anwortete nur: „DaS Kompliment hat mir bisher nur mein Mann gemacht." „Trinken Sie zusammen Thee?" „Im Winter jeden Abend, und nachher ist er so gut, mir einige Stunden lang vorzulesen." Die Gräfin legte sich zurück und sagte nach einer Weile mit einem sonderbaren Tone, dem etwas wie ein Seufzer voranging: „Sie sind wirklich eine glückliche, eine wahrhaft beneidenSwerthe Frau! Ich war weit entfernt, mir Ihre Existenz hier so harmonisch, so ideal zu denken!" „Ach, ideal ist sie auch nicht, gnädigste Gräfin, und wenn meine alte Tante mir nicht so freundlich die schwersten Sorgen abnähme, ich fände selten Zeit, hier in meinem traulichen Zimmer zu sitzen und müßte mich den ganzen Tag in Küche und Keller, im Kuhstall und in der Milchkammer umherlreiben!" „Also dahin kommen Sie doch?" „O, Frau Gräfin, viel mehr, als ich hierher komme!" Die Gräfin betrachtete mit einem Blicke des auf richtigsten Mitleids ihre schöne Wirthin. „Meinem Manne muß es im Anfänge doch noch viel schwerer werden," fuhr Therese plaudernd fort; „denn zwischen seinem jetzigen und seinem früheren Leben ist ein noch viel größerer Kontrast. Ich hatte doch immer die Arbeiten einer HanShaltung, wenn auch nur kleinen, geleitet. Er aber hatte nur der Wissen schaft gelebt, um hier dann ganz in das durchaus materielle Treiben einer großen Oeconomie aufzugehen!" „Freilich," sagte die Gräfin sinnend, „daS ist noch viel ärger. Wo ist Ihr Mann?" „Ich weiß es nicht, Frau Gräfin; soll ich ihn vielleicht suchen?" „Nein, nein," sagte etwas ängstlich die Dame, denn sie wußte nicht, ob ihr Mann eö billigen werde, wenn sie hier mit seinem Pachter Thee trinke. — Mit