Volltext Seite (XML)
Berlin. Die Bezahlung der ersten halben Mil liarde von Seiten Frankreichs ist noch nicht vollständig beendet, da die Schwierigkeiten betreffs der Jndossirung der Wechsel noch nicht behoben sind. Die Räumung der Departements Eure, Somme und Seine-Jnferieure wird erst nach vollständiger Bezahlung der ersten halben Milliarde erfolgen. Die französische Regierung beab sichtigt, die Zahlung der nächsten Milliarde möglichst zu beschleunigen, damit auch die Räumung der übrigen Departements baldigst erzielt werde. — Der Minister des Innern, Graf zu Eulen burg, der jetzt auch in Ems sich aufhält, ist vom Kaiser zum Domherrn von Brandenburg ernannt worden. Die Stelle bringt eine Einnahme von 4000 Thlr. jährlich. Baiern. In München hat am 16. Juli der Einzug der bairischen Truppen unter unbeschreib lichem Jubel der Bevölkerung und bei dem herrlichsten Wetter stattgefunden. Der Kronprinz von Preußen wurde vom Bürgermeister begrüßt, dankte diesem und den Jungfrauen, die ihm den wohlverdienten Lorbeer kranz überreicht hatten, herzlichst und ließ dann an der Seite des Königs die Truppen defiliren. — Am 18. Juli reiste der Kronprinz über Frankfurt a. M. nach Ems, wo er Abends eintraf. — Die fortdauernde Zögerung der baierischen Regierung in Sachen der religiösen Bewegung wird wiederholt damit erklärt, daß von Berlin aus in jüngster Zeit Anbahnung zu einem demnächstigen gemeinschaft lichen Vorgehen in dieser Angelegenheit getroffen wurden. Es handelt sich zur Zeit um eine Verständi gung der einzelnen Negierungen — Oesterreich mit eingeschlossen — über die Mittel zu einer gemeinsamen Abwehr der aus dem Unfehlbarkeitsdogma für daö stattliche Leben sich ergebenden praktischen Folgen. Frankreich. Am 16. Juli war der Termin, wo die Zahlung der MLethen in Paris wieder be ginnen sollte. Biele kleine Miether sind unter freien Himmel gesetzt, und eine große Masse wird folgen, die nun unverschuldet ins größte Elend gerathen. — Außer den 32,000 Insurgenten, welche jetzt unter Schloß und Riegel sind, stehen fast eben so viel auf der Liste Derer, welche es verdienen, eingefangen zu werden; sie wären es auch schon, wenn man wüßte, wo sie hinbringen; drum begnügt man sich, nur die ge fährlicheren zu fangen. — Die neue Armee Frankreichs zählt in Paris 50,000 Soldaten und 15,000 Gensdarmen, in Algier 70,000, in Lyon 30,000, in Versailles 30,000 und den Garnisonstädten 50,000 Mann, also'im Ganzen 245,000 Mann. — In einer Patronenfabrik in Vincennes hat am 14. Juli eine große Explosion stattgefunden, wodurch mehrere Arbeiter getödtet und viele verwundet wurden. Das Gewicht der Bomben und Patronen, welche in die Luft gesprengt wurden, betrug 300,000 Kilogramm. Man war sofort geneigt, den Preußen die That zuzuschieben; doch ist sie aus Unachtsamkeit entstanden. Eine fromme Lüge. Erzählung von Louise von Gall. (Fortsetzung.) Der Bediente und Artmann hoben die feine Ge stalt der Dame aus dem Wagen. Sie stützte sich sorg los auf ihres Pachters Schulter, indem sie mit nach lässiger Haltung die kleine gepflasterte Strecke durchschritt; hinter ihr trug die Wärterin daö Kind, das mit einer Eleganz gekleidet war, wie ein Prinz. Auf der Schwelle von The resens Wohnzimmer, das nach dem Garten zu lag, blieb die Gräfin stehen und sagte überrascht: „Wie hübsch ist es hierl" Die äußerst einfache Einrichtung war auch ein reden des Zeugniß für Theresens guten Geschmack und ihren häuslichen Sinn, und sicher war ihr Zimmer, dessen Inhalt nicht den zehnten Theil der Einrichtung des Bou doirs der Gräfin gekostet, doch wohnlicher. Ein grün und grauer Wachöteppich deckte den Boden, ein glattes, hellgrünes Papier die Wände; die Meubles, mit dunkelgrünem Damast überzogen, standen aber alle an der richtigen Stelle; der kleine Schreib tisch war mit zierlichen Nippsachen, Geschenken ihrer Berliner Freundinnen, bedeckt, und an den Fenstern, die halb von weißen, halb von grünen wollenen Vor hängen verhüllt waren, standen schöne große Epheutische und dazwischen Blumentische von Holzrinde mit Rosen töpfen. An den Wänden hingen ein paar gute Kupfer stiche und einige Bücherbreter. „Wie hübschI" wiederholte die Gräfin noch ein mal und ging zum Kanapee, ließ sich matt darauf nie der und befahl der Wärterin, ihr das Kind zu reichen, das sie sogleich auf deu Boden stellte, um es seine neue Kunst zeigen zu lassen. Das gräfliche Kind machte einige schwankende Schritt- chen, weinte aber dann, und seine Mutter nahm es nun auf den Schoß. Da ertönte auf dem Gange ein Helles Glöckchen. „Was ist das?" frug die Gräfin. Therese lachte I „O weiter Nichts, als mein kleiner Clemens. Weil nicht immer Jemand Zeit hat, ans ihn zu achten und ich doch von dem kleinen Mann wissen muß, wo er ist, habe ich ihm eine kleine Helle Schafschelle umgebunden; da kann ich ihn immer gleich finden, wenn er sich verlausen hat!" Die Gräfin schlug erschrocken die Hände zusammen. „Welche Grausamkeit! Das arme Kind! Wenn mein Mann hört, wie hart Sie seinen kleinen Pathen behandeln!" In diesem Augenblicke öffnete Therese ihrem Kinde die Thüre und überhörte darüber die Vorwürfe der Dame. Auf der Schwelle erschien nun ein prächtiges Kind. Nicht viel größer und auch nicht viel stärker als der gräfliche Spross, aber wie viel gesünder und lebhafter und selbstständiger. Wie ein 2jähriges Kind durchrannte er das Zim mer auf den kleinen Grafen zu und streckte seine Aerm- chen nach ihm aus und streichelte seine Händchen, indem er immer mit schmeichelndem Tone: „Ei, ei!" rief. Therese weidete sich an dem Anblick; die Gräfin aber, indem sie ihre schmale durchsichtige Hand auf den blonden Lockenkopf des Pachtersohnes legte, sagte zu seiner Mutter mit Thränen in den Augen: „Geben Sie mir das Kind mit; ich will es mit dem meinigen erziehen!"