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Freitag. Nr. 20 10. März 1871. pro Quartal Wecherch-Zeitung. HA Amis- und Anzeige-Dlatt der Königlichen Gerichts-Ämter und Stadträthe zu Dippoldiswalde und /rauensteio. Erscheint Dienstagsund Freitags. Zu beziehen durch alle Postanstalten. Vermlworilichtr Ne-acteur: Tiirl Zehne in Dippoldiswalde. Monats-Bericht. (Verspätet.) Es war am 1. Februar, als die letzte große französische Armee im Süden, mehr als 84,000 Mann, von allen Seiten durch die deutschen Truppen bedrängt, in die neutrale Schweiz übertrat, um der Gefangenschaft zu entgehen. Der Rückzug dieser geschlagenen, disciplinlosen Armee bei 8 Grad Kälte und Schnee, soll dem Rückzüge des I. Napoleon aus Rußland sehr ähnlich gesehen haben. Am 16. Februar capitulirte die Festung Belfort, indem die von französischer Seite begehrte Verlängerung des Waffen stillstandes von der Uebergabe dieser Festung abhängig gemacht wurde; sie erfolgte, nachdem freilich auch der tapfere französische Commandant seiner Regierung er klärt hatte, daß er bei der Abnahme seiner Munition gegenüber dem vernichtenden Feuer der deutschen Bat terien sich nur wenige Tage noch würde halten können. Mit diesem letzten Acte trat Waffenruhe für ganz Frankreich ein. Inzwischen constituirte sich die französische Nationalversammlung und stellte den alten Thiers an die Spitze der Exekutivgewalt, denselben Mann, der einst als Minister Ludwig Philipp'« die Befestigungen von Paris anlegte und dadurch die Hauptstadt den furchtbaren Leiden einer viermonatlichen Belagerung aussetzte, und der durch seine „Geschichte der französ. Revolution und des Kaiserreichs" wesent lich dazu beigetragen hat, den Haß gegen Deutschland zu schüren. Diesem Manne wird aus seine alten Tage das Schicksal bereitet, einen für Frankreich demüthigen Frieden schließen und so die Suppe auSesien zu müssen, die er mit einbrocken helfen. Am 26. Februar endlich erfolgte die Unterzeich nung der Friedenspräliminarien zu Versailles. In gewohnter frommer Weise meldete dies Kaiser Wil helm seiner Gemahlin „mit tiefbewegtem Herzen, mit Dankbarkeit gegen Gottes Gnade," und mit gleichem Gefühle ist die frohe Kunde in allen deutschen Gauen ausgenommen worden. Unerwähnt können wir hierbei nicht lassen, daß die Rückgabe des, mit so vielen Opfern erkämpften Belfort an die Franzosen, einen Mißton in die allgemeine Freude gebracht hat. Hoffentlich werden die Einzelnheiten der Friedensunterhandlung näheren Aufschluß hierüber bringen. Am 28. Februar erfolgte zu Bordeaux die Ratific ation der Friedens präliminarien mit 546 gegen 107 Stimmen. Welche Folgen werden sich an den, in der Ge schichte beispiellosen SiegeSzug der Deutschen, an die Vernichtung veS französischen UebergewichtS in Europa, an die Machtstellung des germanischen Volksstammes knüpfen? Wer vermöchte diese Frage nur annähernd zu beantworten! Nur über Eins täuschen wir uns nicht: das neubegründete deutsche Reich hat noch die Feuerprobe gegen Europa zu bestehen; von einem dauernden Frieden ist kaum die Rede. Jedes neue Regiment in Frankreich, sei es republikanisch, sei eS monarchisch, wird die Politik der Rache gegen Deutsch land in sein Programm aufnehmen, wird aus dem jüngsten Kriege die Lehre gezogen haben, daß es nur in Alliance mit anderen Mächten auf einigen Erfolg hoffen kann. Und sollten, da es der Größe und Macht an zahllosen Neidern niemals fehlt, sich für Frankreich keine Alliirten zu einem künftigen Kampfe finden? Nur ein Kurzsichtiger könnte dies bezweifeln. Wir würden es Verath am Vaterland nennen, wollten wir nicht „auf Wache" bleiben. Furcht ist dem deutschen Herzen fremd! sagte Graf Bismarck. Wir werden den Kampf auch mit Europa aufnehmen. Die Franzosen werden sich den Schädel an Metz einrennen, welches sie zum zweiten Male nicht in ihre Hände bekommen sollen, und wenn wir auch keinen abenteuerlichen Zug nach Moskau unternehmen sollten, so wird dafür ge sorgt sein, daß die Russen nicht über die Oder kommen, wenn sie jemals Lust verspüren sollten, einen Waffen tanz mit uns zu unternehmen. Vor der Hand tröstet uns der Gedanke, daß in diesem Jahrzehnt der Friede voraussichtlich nicht gestört werden wird; ja vielleicht ist es erst Aufgabe einer künftigen Generation, die jetzt gewonnenen Positionen zu vertheidigen. Neben dem Abschlüsse des gewaltigen siebenmonat lichen Kriegs mit Frankreich, war es besonders der Gang der Dinge in Oesterreich, welcher die allge meine Aufmerksamkeit fesselte. Ein neues, außerhalb der parlamentarischen Kreise gewähltes Ministerium trat an die Spitze der Geschäfte und wurde von der gesammten deutschen Presse mit tiefem Mißtrauen be grüßt und angefeindet. Der chronische Pessimismus in Oesterreich erlangte wieder die Oberhand. „Das Verhängniß mag seinen Lauf haben," schrieb die Presse, und Giskra erklärte im Reichstage unter lebhafter Zu stimmung : „die Politik dieser Regierung habe nur einen Ausgang: das Verderben des Reiches." Als ein Symptom der überhand nehmenden centri- fugalen Tendenzen kann die Versammlung von 300 deutschen Patrioten in Wien am 26. Februar, sowie die beabsichtigte Theilnahme vieler deutsch-österreichischer Städte an der deutschen Siegesfeier angesehen werden. Die Aussichten für Oesterreich sind trübe. Der Kampf der verschiedenen, in diesem Reiche künstlich vereinigten Nationalitäten ist nicht mehr aufzuhalten und droht