Volltext Seite (XML)
51. Somrabend, 17. Dezember. 1904. Aeltetrißische Aeilage zum sächsischen Erzähler. Zur gemeinnützigen Unterhaltung für alle Stände. (Wird jeder Sonnabends-Nummer ohne Preiserhöhung des Hauptblatt.es betgegeben. D-Mßer. Nicht lange mehr, und in strahlender Pracht Die Thristbäume flammen in stiller Nacht. Der Nacht, da der Stern von Bethlehem stand Gb einer Krippe im heiligen Land. Nicht lange mehr, und das Glöcklein klingt, Und die jauchzende Schar der Kinder, sie dringt Durch die sorglich gehütete Türe hinein Ins Zimmer, erfüllt von der Kerzen Schein. Nicht lange mehr, und in jubelndem Thor Steigt's brausend zum Thron des Allmächt'gen empor; „Die Ehre sei Gott, und rings Frieden auf Erd', Und den Menschen ein Wohlgefallen werd'I" Rich, wilde. Treue Seelen Roman von Maria Theresia May, preisgekrönte Verfasserin von „Unter der Königstanne" und „Wie es endete". (Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) „Das wird nur auf Dich ankymmen", warf der GreiS fast lebhaft etn. „Uebrigens haben sie schon etngewilligt, nach meinem Tode nach Wien zu ziehen. Mein Vermögen habe ich zwischen Dir und Betty grtetlt. Ich btn's ihr schuldig", setzte er er läuternd hinzu, denn Richard hatte etn erstauntes Ge sicht gemacht — nicht erstaunt, daß Betty Erbin sein sollte, sondern, daß der Major von seinem io oft aus gesprochenen Plane abgekommen war, sein kleines Ver mögen der Stadt zu vermachen. Der junge Mann beeilte sich, den Kranken an diesen Plan zu erinnern. „Dir Betty und Du, meine ich. Ihr braucht's nötiger als die Stadt" sagte darauf der alte Herr. „Ich bin rin schrecklicher Egoist gewesen. Davon Hot mich allein die Betty kuriert. Hätte ich sie nur früher kennen gelernt! — WaS sie doch für liebe Augen hat". Eine ganze Weile lag der Kranke wie erschöpft still und der junge Mann wagte nicht, das Schweigen zu brechen, bis der Major die Hand nach dem Tischchen ausstreckte, das neben seinem Bette stand. „WaS wünschen Sie, lieber Vormund?" „Trinken!" Richard reichte ihm das GlaS und stützte den Kranken, während er trank, mit einer jungen männlichen Kraft. Aber der Alte sagte lächelnd: „Du kannst'- nicht so gut wie die Betty." Nach wenigen Minuten bat er voll rührender Angst: „Du bleibst doch hier bis — bis eS aus ist? — Nicht wahr, Du tust mir die Liebe? Es wäre mir rin Trost! —" Richard war so bewegt, daß er kaum zu sprechen vermochte, aber er versuchte, sich zu beherrschen und dem guten, asten Herrn Mut und Hoffnung cinzuflößen. „Ich habe unbestimmten Urlaub", sagte er, „ich kann bleiben, bis wir das Fest Ihrer Genesung mit einander feiern." Der Kranke schien befriedigt, aber er seufzte leise. „Genesung! — Ich bin dreiundsiebztg! — Ja, und die Bücher gehören Dir, und die Kleider auch. Vieles ist ganz gut, wirst's brauchen können. DaS Schlechte schenk' weg. — Die Einrichtung, wie alles steht und hegt, gehört der Betty. Ich möchte, daß sie die Sachen mit nach Wien nimmt. — Und be sonders vergeßt auch die Mila nicht. Wenn die Betty stirbt, soll sie olles der Mila vererben. Die habe ich im Testament nicht genannt. Sic hat Gesindel von Verwandten. Die würden gleich über sie herfallen. Ich sag's Dir, daS ist so gut wie ausgeschrieben." „Das schon, lieber Herr Vormund, aber warum sagen Sie es dem Fräulein Betty nicht selbst?" Der Greis sah mit schlauem Blinzeln den jungen Mann an. „Sie weiß garnichts davon, und ich sreue mich über den Spaß. Wie erstaunt sie sein wird! Für sie ist das Bischen ja viel. Sie soll sich nicht mehr Plagen. Und weißt Du, ich will bis zuletzt die Gewißheit habe», daß sie so grenzenlos gut zu mir ist ohne jeden eigennützigen Gedanken. DaS tut wohl, mein Junge. — Wie hübsch die Beiden zusammen leben werden — die Betty und Mila — die Mila hat Gold im Herzen, die andere hat's in dem Kopfe. Der Richard sieht'S nicht, blind — die Mila nicht — Gold — Gold!" — Ein leises, kicherndes Lachen drang über die schmalen Lippen, die Augen waren geschlossen. Ganz plötzlich hatte sich das vernünftige Sprechen des Kranken In wirre Phantasien verwandelt, in denen be ständig die Namen Betty, Mila, Richard wiederkehrten, mit leisen Klagen über das furchtbare Eisfeld, über das der Kranke wandern müßte. Erschreckt lauschte Richard. Er hatte Noch niemals die Fiebrrphantasien eines Kranken gehört. Seine Mutter war bis zum letzten Augenblick bei voller Besinnung gewesen. Er rief nach Betty. Sie kam, und mit gewandten und sanften Händen, unterstützt von Mila, bettete sie den Kranken höher