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ß/ Sonnabend, «. Februar. 1904. Aettetrißische Aeitage z«m sächfischeu Erzähler. Aur gemeinnützigen Unterhaltung für alle Stände. (Wird jeder Sonnabends-Nummer ohne Preiserhöhung des HauptblatteS betgegeben.) Karre aus in Oeöulö! . i voll s. B Harre au-- in Geduld! Lein Sturch ist so schlimm, Leines lvntters Grimm So dauernd und streng, Daß nicht dennoch bald Die starre Gewalt -Löse des Frühlings linde Huld — Harre aus in Geduld! Harrs aus in Geduld! Lein Leid ist so groß And so hoffnungslos, So schwer keine Schuld, Daß nicht einmal doch Das düstere Joch Nähme von dir des Schicksals Huld — Harre aus in Geduld! Herzlos. Roman von S. CH. v. Sell. iForrityung.) (Nachdruck verboten.) »Wir müssen eine Notiz über den hiesigen Touristenverkehr an die Zeitungen schicken," scherzte Kitty „Wer ist eS denn?" forschte Frau von Langfeld, sie nachgerade ein« brennende Sehnsucht nach zivilisierten Menschen empfand. „Die Nortburga sagt: ein Baron aus München. Ich glaub's aber nit, trägt einen ganz simplen Loden- aazug." „Nun deswegen —" „Ach, sie will sich nur aufspielen! Der Herr Kaplan darf doch nichts Geringeres haben, als wir." Die Damen lachten und Soferl kehrte zu ihrer Arbeit zurück. Kitty dachte garnicht mehr an die Anwesenheit des Fremden, als sie am Nachmittag in die kleine Kirche htnübrrging, um, wie sie eS manchmal tat, Orgel zu spielen und zu singen. ES war die einzige Möglich st, hier Musik zu machen, und der Kaplan hatte be- rettwtlltgst die Erlaubnis dazu erteilt. Ec liebte die Musik und kam ost, wenn er die Töne in seinem Studierzimmer vernahm, um still zuzuhörrn. Schuberts „Litanei" oder „DaS Leiden Maria" erbauten ihn genau so von den Lippen der Protestantin, wie von katholischen, und eine Arte deS gewaltigen Bach be geisterte ihn zu der Aeußerung, daß die Musik die Sprache lei, in welcher sämtliche Konfessionen einmütig ihren Gott loben könnten. Heute erwartete Kitty keinen Zuhörer. Alle ge sunden Dorsbewohner waren beim Heuen, der Kaplan war vorhin mit der Monstranz zu einem Sterbenden gegangen, und Frau von Langfelv wollte einen Brief an eine Jugendfreundin verfassen. DaS Orgelwerk war klein, aber neu und recht gut, Kitty freute sich, wenn die Tonwellen sie umbrausten. Dann wieder ließ sie diese leise und sanft dahingleiten und darüber jubelte und klagte dann die menschliche Stimme. Kitty hatte schon längere Zett musiziert, als sie den Klavierauszug des „Deutschen Requiems" unter ihren Noten hervorsuchte. So gut es gehen wollte, spielte sie die leise Gegrnstrophe des Chores neben der Be gleitung. Und glockenklar schallte der volle, weiche Sopran durch die Wölbung: „Ihr habt nun Traurigkeit, Aber ich will euch Wiedersehen. Und euer Herz soll sich freuen Und eure Freude soll Niemand von euch nehmen!" Das letzte „Wiedersehen!" verklang wie der Hauch einer Engelssttmme. Während sie den Schlußakkord noch einmal an- und abschwellen ließ, blickte Kitty zum ersten Male in den Spiegel, der dem Organisten daS Bild deS Haupt- altarS zurückstrohlte. Der Ton brach jäh ab. Dir Spielerin fuhr auf ihrem Sitz herum. Ja, der Spiegel hatte nicht gelogen! Dort auf den Stuken, gegen das hölzerne Gitterwerk gelehnt, das den Altarraum ab schloß, stand ein Mann im „simplen" Lodenanzug, den Tirolerhut in der Hand, — Joachim Mansuetos! Der Gast deS Kaplans! Erst nach einer langen Weile war Kitty ruht,; genug, um sich zu erheben, ihre Noten zu ordnen und den Knaben, der die Bälge getreten, fortzuschicken. Mansuetos hatte die Kirche schon verlassen. Unweit davon stand unter einigen mächtigen Tannen eine Bank. Dort erwartete er sie. Aeußerlich grüßten sie einander nicht viel anders, als sich zwei Bekannte grüßen, die sich täglich auf der Promenade treffen. Aber In ihren dunklen Augen war ein warme» Leuchten, daS ihm nicht entging. „Sie selbst verrieten mir Ihre Anwesenheit," sagte er lächelnd, „und zürnen mir hoffentlich nicht, daß ich Ihnen zuhörte." „Die Kirche steht offen für Jedermann," erwiderte